„Besseres Essen …“

verringert das Leiden und die Dauer des Heilungsprozesses.“

Während man hierzulande versucht, die Herkunft von Lebensmitteln in der Gemeinschaftsverpflegung transparenter zu machen, hat der renommierte 3-Sterne-Koch Niko Romito ein revolutionäres Projekt verwirklicht. Intelligenza Nutrizionale will das Essen und damit die Ernährung in Italiens Spitälern verbessern.

slow: Was bringt einen gefeierten 3-Sterne-Koch dazu, sich mit Spitals- und Kantinen-Kost zu beschäftigen?

Niko Romito: Ich habe schon immer nach einer Möglichkeit gesucht, meiner Arbeit mehr Impact zu verleihen, ein größeres Publikum zu erreichen, daran mitzuarbeiten, die Ernährung möglichst vieler Menschen zu verbessern. Insofern lag es gewissermaßen auf der Hand, sich früher oder später mit solchen Dingen zu beschäftigen.

slow: Dabei handelt es sich doch um zwei völlig verschiedene Aufgaben und Zugänge. Wo sind da die Schnittpunkte?

N. R.:Es stimmt, dass meine Küche ansonsten eine äußerst persönliche ist, die auf Einzigartigkeit und Originalität setzt. Hier habe ich meine Persönlichkeit total zurücknehmen, mein Ego in gewisser Weise ausschalten müssen, um eine weitest mögliche Reproduzierbarkeit zu erreichen, die ja das Um und Auf des Projekts ist. Doch selbstverständlich gibt es auch Schnittpunkte. Man muss sich das vorstellen wie bei der Formel 1. Dort werden ja auch Systeme erforscht, getestet und eingesetzt, die früher oder später in normalen Autos zum Einsatz kommen, wie beispielsweise das Anti­blockiersystem für die Bremsen. So ist das auch bei uns.

Was sind das beispielsweise für Neuerungen?
Wir achten sehr darauf, dass die Nährstoffe der Lebensmittel beim Kochen nicht abnehmen, deswegen arbeiten wir viel mit Dampfkochern, mit Sous-vide-Techniken und mit Salzlaugen, durch die sich die Fasern schließen und den Austritt von Wasser und Chlorophyll verhindern. Zudem setzen wir einen Film aus Stärke ein, den wir entwickelt haben und der aus einer Art Gel aus Öl und Maisstärke besteht. Damit überziehen wir die Lebensmittel, die wir so bei sehr hohen Temperaturen in kurzer Zeit kochen können, ohne dass sie ihre Nährwerte verlieren.

Man stellt sich auch vor, dass die Köche in den Spitalskantinen ganz andere Prioritäten haben als ihre Kollegen in einem Spitzenrestaurant. War es schwierig, mit ihnen zu arbeiten?

Wir waren erstaunt, mit wie viel Interesse und teilweise Begeisterung sie an die Sache herangingen. Darum sehen wir es inzwischen als Teil des Projekts an, das Ansehen dieses Berufsstands aufzuwerten. Die meisten von ihnen sind äußerst engagiert, wenn man ihnen nur die Möglichkeiten gibt, qualitativ hochwertiges Essen zu ­kochen. Auch betreiben wir zuhause in den Abruzzen ein Ausbildungszentrum. Inzwischen arbeiten einige der ­Abgänger von dort in den Küchen der Krankenhäuser mit, die an dem Projekt teilnehmen.

Ein anderes Problem muss wohl der Wareneinsatz sein. Die Budgets in den Spitalskantinen sind äußerst eng bemessen. Wie haben Sie das gelöst?

Das war natürlich alles andere als einfach. Aber in Italien werden die meisten Spitäler von lokalen Erzeugern beliefert, was die Sache schon einmal leichter machte. Auch haben wir keine neuen Zutaten hinzugefügt, sondern uns an das bestehende Versorgungssystem gehalten. Dabei aber einiges eliminiert, wie zum Beispiel Suppenwürfel, Geschmacksverstärker, lang haltbare gefüllte Pasta und Ähnliches. Wir haben also nur die guten, frischen Zutaten behalten und den Rest verbannt. Außerdem waren wir sehr bedacht, Techniken anzuwenden, bei denen Abfälle möglichst vermieden werden und zugleich die Gewichtsverringerung der Nahrungsmittel beim Kochen weitgehend reduziert wird. Auch dadurch sind uns einige Einsparungen beim Wareneinsatz gelungen.

Werden in Zukunft auch Mensen und Kantinen außerhalb des Spitalbereichs mitmachen?

Absolut. Wir sind längst in Kontakt mit Schulen, mit Mensen und Betriebskantinen. Unser Projekt zielt ausdrücklich auf große Zahlen ab, um möglichst viel Impact zu haben und möglichst viele Menschen zu erreichen. Wobei die Spitalskantinen natürlich die heikelste Aufgabe sind. Weil es da ja auch um die Gesundwerdung der Patienten geht und auch nicht alle von ihnen dasselbe essen können oder dürfen. Zudem sind die Mahlzeiten im Spital ja die einzigen Momente, die der Patient als etwas Alltägliches erlebt. Besseres Essen verringert das Leiden und die Dauer des Heilungsprozesses. Weil ­Essen nicht nur lebensnotwendig ist, sondern auch mit Genuss, Geselligkeit, Erinnerung, Freude und Schönheit verbunden wird.

Gibt es einen Widerspruch zwischen Lebensmitteln, die gesund sind, und solchen, die befriedigen und gut schmecken?

Manche Leute denken das. Sie meinen, dass etwas, um gut zu schmecken, stark gewürzt, möglichst süß, paniert oder frittiert sein muss. Während eine „leichte“ und ­schonende Kost als unbefriedigend gilt. Doch in meinem Restaurant „Reale“ beschäftige ich mich seit Langem mit dem Wesen der Zutaten und damit, wie man sie möglichst schonend zubereitet.

Durch die Techniken, die ich anwende, gelingt es mir, die Geschmäcker der Grundzutaten zu konzentrieren und zu intensivieren, ihre Nährstoffe dabei aber zu bewahren. Dafür lassen wir uns von Wissenschaftlern von der Uni­versität Rom beraten, um die Nährstoffe nicht nur in den frischen Nahrungsmitteln zu messen, sondern auch in den verarbeiteten. In Italien ist es bisher so, dass die Behörden die Nahrungsmittel ausschließlich in dem Moment kon­trollieren, bevor sie in die Küche gelangen. Viel wichtiger aber wäre es, sie beim Verlassen der Küche zu prüfen. Offenbar wird hier nicht bedacht, wie viel Schaden eine schlechte Zubereitung anrichten und wie viele wichtige Nährstoffe sie vernichten kann.