Der Biobauer auf dem Garagendach

Text von Elisabeth Ruckser · Fotos von Michael Krebs

Jahrelang hat Michael Graner von seiner Wohnung in Wien-Mariahilf auf das nicht gerade attraktive Flachdach einer Garage gegenüber geschaut. Dann hat er eine Initiative gestartet. Heute betreibt er genau dort das Projekt GartenWerkStadt, einen blühenden, grünen Bio-Gemeinschafts-Gemüsegarten.

Ein langer Wiener Sommer neigt sich langsam dem Ende zu, als wir Michael Graner zum Interview oben auf dem Dach des Gebäudekomplexes der Garage in der Windmühlgasse im sechsten Wiener Gemeindebezirk treffen. Wir befinden uns einen Steinwurf von der Mariahilfer Straße entfernt, über die Dächer schaut der türkis-grüne Zwillingsturm der Haydnkirche zu uns herunter, auf der anderen Seite lässt der Flakturm vom Haus des Meeres aus nicht allzu weiter Ferne grüßen.

Michael hat eine Kühlbox mitgebracht, und im Schatten eines Sonnenschirms packt er aus: selbstgemachtes Apfelchutney und Pesto, Bioleinöl, Ziegencamembert, dunkles Sauerteigbrot, eine Flasche Wasser, Saft. Er geht ein paar Schritte zum ersten Beet hier im fünften Freiluft-Stock und erntet: grüngestreifte, dunkelviolette und saftig-rote Paradeiser, ein paar Physalis, Paprika und noch ein Exemplar einer seltenen Gurkenart, die hier ein Stück Eisengitter entlangklettert und deren Blätter bald für Beschattung sorgen werden. Dann wird erst einmal gejausnet. „Ich koche gerne, weil ich gerne esse“, sagt Michael und schmunzelt, während er mit den mitgebrachten und frisch geernteten Köstlichkeiten liebevoll Brote belegt und in kleine Häppchen schneidet. In der Zwischenzeit sind auch Guiseppe und Silvia die Stufen zum Dach herauf­gekommen. „Die beiden sind neue Mitglieder im Verein, sie sind heute fürs Gießen zuständig“, erklärt Michael, und man begrüßt sich herzlich.

Wir sind zu Gast beim Projekt GartenWerkStadt, einer echten Stadtoase in vielfacher Hinsicht. Hier wird gemeinsam gegartelt, geerntet, zuweilen auch gekocht oder gegrillt, und hier trifft man sich zum Unkrautzupfen ebenso wie für Pilates-Stunden. „Es hat sich sozial viel verändert durch das Projekt“, erzählt Michael nicht ohne Stolz. „Leute aus der Nachbarschaft kennen einander auf einmal besser, man kauft füreinander ein und hat einfach mehr Kontakt.“ Und auch in anderer klimatischer Hinsicht hat sich einiges verbessert, seit Salat & Co hier daheim sind: „Ohne Bepflanzung hat sich der Schotter im Sommer auf bis zu 75 Grad aufgeheizt, das war ein echtes ,urban heat island‘, wie das so schön heißt“, sagt Gärtner Michael. „Diese Situation hat sich durch das Grün wesentlich entschärft.“

Verantwortlich dafür sind in erster Linie kreuz und quer über das Dach verlaufende Reihen zahlreicher Hochbeete, die inzwischen angelegt wurden. Zig Quadratmeter Gemüsegarten sind bereits entstanden, weitere sind noch im Werden. In der letzten Ausbauphase sollen es exakt 250 m2 Anbaufläche sein, die zur Verfügung stehen. 2015 hat Michael zusammen mit seiner Frau Gisela Prechtl und Sohn Felix mit dem Anbau begonnen – in Form eines symbolischen Topfes mit Paradeiserpflanzen. Heute gedeihen Bohnen neben Brombeeren, Kürbisse neben Ringelblumen, dazwischen gibt’s Knoblauch, Rosmarin, Mangold, Erdäpfel, Zucchini, Chinakohl und, und, und.

Angebaut und geerntet wird in Mariahilf nach dem „Fair use“-Prinzip: Die anfallenden Arbeiten werden von allen gemeinsam erledigt, „da gibt es Neigungsgruppen, jeder macht, was er besonders gerne tut oder gut kann – neue Beete bauen, gießen, spezielle Pflanzenarten betreuen und so weiter“. Die notwendige Organisation und laufende Umsetzung wird dabei in erster Linie von Gisela betreut. Und von der Ernte schließlich nimmt jeder, was er gerne möchte. „Es funktioniert bestens. Und neue Mitglieder sind auch noch herzlich willkommen.“

Bei der Realisierung des Projekts stand Michael Graner dabei noch vor ein paar Jahren großen Herausforderungen aufgrund technischer Probleme gegenüber. Neben der ­Wasserversorgung ging es vor allem um die Statik. „Wir haben dann mit einer Architektin zusammengearbeitet und eigens ein – privat vorfinanziertes – Gutachten erstellen lassen, damit die Verteilung des Gewichts auf dem Dach passt.“ So verläuft die Linie der Hochbeete und begehbaren Holzpaneele nun genau dort, wo darunter die Trägerkons­truktionen und stabilsten Stellen der Garage liegen. Die Beete selbst sind möglichst leichte Spezialerfindungen made in Eigenbau. Baustahlgitter, die mit Weidengeflecht verkleidet wurden, mit speziellen Folien und Gartenvlies ausgelegt und mit Substrat gefüllt sind. Das Wasser wiederum rinnt aus einer Leitung, die über eine Kernbohrung durch den Stahlbeton des Gebäudes bis zum Dach gelegt wurde. „Das war sicher unsere größte Investition.“

Tipps, Ratschläge, Materialspenden und andere ­Unterstützung für das Projekt kamen sowohl von der rot-grünen Wiener Stadtregierung als auch von Vereinen und Organisationen, mit denen der Grüne Daumen zusammenarbeitet. Etwa der City Farm Wien, dem Verein Arche Noah oder den Wiener Stadtgärtnern. Das Saatgut besorgt man sich beim Waldviertler Betrieb Reinsaat, und Dünger liefert mittlerweile eine eigene Wurmbox. Hier werden Gemüseabfälle von einer ganzen Reihe von Regen- und Erdwürmern – „die fleißigsten Mitarbeiter“ – zerkleinert und in wertvollen Humus verwandelt. Gleichzeitig wird auch sogenannter Wurmtee (quasi das Wasser, das durch die Box rinnt) zur Pflanzenstärkung gewonnen.

Getragen wird das Biogartenprojekt von der Operation Grüner Daumen, einem Verein für ökologische und soziale Initiativen, Michael ist Gründer und Obmann. Und engagiert hat er sich ursprünglich, weil er zusammen mit seiner ­Familie immer stärker den Wunsch verspürte, gesunde ­Lebensmittel zu essen, über deren Herstellung man einfach genau Bescheid weiß. „Und wir haben uns gedacht, dass es in einer Stadt mit so vielen Grünflächen doch auch möglich sein sollte, sich von diesen Grünflächen zu ernähren.“

Wie’s weitergeht? Pläne für die Zukunft gibt es bei der GartenWerkStadt jede Menge: Demnächst sollen Bienenstöcke hier einziehen. Und am liebsten wäre Michael, er könnte die verbliebenen Schotterflächen zusätzlich mit Moos bedecken. „Das wäre noch einmal besser fürs Klima. Moos muss man außerdem nicht gießen, es speichert Wasser, und die Temperatur würde weiter reduziert.“ Derzeit sprechen wieder einmal „technische Hindernisse“ dagegen. Aber das entlockt Michael Graner nur ein erneutes Schmunzeln: „Ich hab einen Persönlichkeitsfehler“, sagt er dazu nur, „ich kann eine gute Idee einfach nicht aufgeben …“