Der indische Käsewagen

Text von Tobias Müller · Fotos von Robert Paget

Die beste Milch wird oft weit weg von der Zivilisation produziert. Weil sie dort aber keiner verarbeitet, ist sie kaum zu verkaufen. Robert Paget will eine rollende Käserei bauen, die hochquali­tative Milch von Kleinstproduzenten einsammelt – von indischen Nomaden bis hin zu Bergbauern in den Alpen.

Begonnen hat alles mit einer großen Indien-Liebe. Seit zwanzig Jahren fährt Robert Paget ein bis drei Mal pro Jahr nach Gujarat in Indien, eine Provinz im Nordwesten des Landes, in die sich eher wenige Touristen verirren. Er hat dort über die Jahre viele Freunde gefunden: Menschen, die er als seine zweite Familie bezeichnet. Bald wollte er mehr tun, als nur Besucher sein – er wollte der Gemeinschaft, die so gastfreundlich zu ihm war, etwas zurückgeben. Dann hörte er von den Problemen und der Bedeutung der Nomaden.

Gujarat ist ein Land mit endlosen Weiten, durch die seit Jahrtausenden Nomaden mit ihren Kamelen, Ziegen und Schafen ziehen. Lange wurden sie in Indien wenig beachtet, in den vergangenen Jahren sind sie aber zu einem großen Thema geworden: Die rasant ausgebaute Infrastruktur – neue Autobahnen, Kanäle, große Bewässerungsprojekte – haben ihre traditionellen Wanderrouten abgeschnitten. Dabei produzieren sie bis heute mehr als die Hälfte aller indischen Milch. Trotzdem verdienen sie kaum genug Geld mit ihrer Arbeit. Die einzelnen Verbände produzieren für sich genommen zu wenig Milch, um für größere Molkereien interessant zu sein, sie verkaufen ihre Milch daher oft für einen lächerlichen Preis an Zwischenhändler. Gleichzeitig machen die Hitze und die Abgeschiedenheit es ihnen oft unmöglich, die Milch zu sammeln oder in die nächste Stadt zu transportieren. Paget beschloss, zu versuchen hier zu helfen.

Nomadentum klingt für die meisten Menschen eher nach Vergangenheit, Robert Paget aber ist überzeugt, dass das Modell Zukunft hat. „Sie können nämlich etwas, was Bauern gar nicht können“, sagt er, „nämlich sehr schnell und leicht auf ein verändertes Klima reagieren. Sie ziehen immer schon einfach dorthin, wo die Bedingungen am besten sind.“ Manche Gegenden in Indien sind aufgrund des Klimawandels in den vergangenen Jahren viel trockener geworden, andere aber sind aus dem gleichen Grund ergrünt. „Wenn Nomaden hören, dass es wo grün geworden ist, ändern sie ihre Route, so schnell kannst du gar nicht schauen“, sagt Paget.

Paget kennt sich aus mit Milch, er ist selbst Käser in Diendorf am Kamp in Niederösterreich. Er hält dort auf seinem Biohof Büffel und eine kleine Ziegenherde, aus deren Milch er Käse für einige der besten Restaurants und anspruchsvollsten Lebensmittelgeschäfte Österreichs macht. Vier Jahre suchte Paget nach Partnern in Österreich und Indien, zeichnete Pläne mit Architekten und Technikern und fand zwei etablierte indische NGOs als Partner. „Wir haben noch keine Antwort auf alle Fragen, aber ich habe das Gefühl, dass wir dieses Jahr loslegen können“, sagt er.

Seine Idee: eine mobile Käserei auf Rädern, die durch die Wüsten und Steppen Nordwestindiens fahren kann. Sie soll dank Solarstrom und Wasseraufbereitungsanlage großteils autark sein. Rund 250 Liter Milch sollen damit jeden Tag verarbeitet werden können, zu Hartkäse, Frischkäse, Joghurt oder Eis. Die Einheit ist gerade groß genug, um die tägliche Milch einer kleinen Herde zu verarbeiten. Die Betreiber können den Nomaden die Milch zu einem fairen Preis abkaufen und das Rohprodukt veredeln. Wenn die Einheit weit weg von jeglicher Zivilisation ist, kann aus der Milch Hartkäse werden, der transportabel und haltbar ist; wenn sie in der Nähe einer Stadt steht, Frischkäse, Topfen oder Mozzarella. Und wenn sie gerade an einer Schule vorbeizieht, dann gibt es eben Eis.

Doch nicht nur die Nomaden sollen profitieren: Kräutersammler könnten ihre Ware an die Käser verkaufen, die damit ihre Produkte würzen oder in den Blättern verpacken. Die Molke kann Hühnerhaltern helfen, ihre Tiere zu füttern (und dann die Eier oder das Geflügel zu verkaufen). Weil sie in abgeschiedene Gegenden kommt, soll sie auch für andere Einsätze genutzt werden: Sie könnte zum Beispiel Medizin für Menschen und Tiere transportieren oder den Nomadenkindern beim Lernen helfen. Volunteers, etwa Absolventen der Slow Food-Universität in Italien, könnten jeweils für mehrere Monate mitfahren und die Käseproduktion übernehmen. „Ich stelle mir das als eine Art herumziehendes Dorfzentrum vor“, sagt Paget. Mittlerweile hat sich auch eine europäische Schiene des Projekts entwickelt: Eine Einheit soll auch in Europa unterwegs sein und hochqualitative Milch von abgeschiedenen kleinbäuerlichen Betrieben kaufen. Die fertigen Produkte könnten dann etwa auf Märkten oder Festivals verkauft werden. Gleichzeitig könnten auch hier neben den Käsern noch andere Lebensmittelhandwerker die Einheit nutzen: So ließe sich etwa ein Brotbackofen integrieren oder ein kleines Café. Slow Food Wien-Präsidentin Barbara van Melle, die gerade in Wien ihre eigene Brotbackstube eröffnet hat, ist sehr interessiert, mitzumachen, genauso wie Peter Friese, Besitzer des Restaurants Schwarzes Kameel. Andere Partner und Interessenten sind herzlich willkommen und dringend gesucht.

Innerhalb von fünf bis sechs Jahren, schätzt Paget, soll sich die mobile Käserei rechnen, der Gewinn soll eine weitere Einheit finanzieren. Was bisher allerdings noch fehlt ist das Geld für einen Prototypen. Der Bau der indischen Einheit soll etwa 40.000 Euro kosten, hinzu kommen nochmals etwa so viel für die Ausbildung der Leute vor Ort, in Europa wird etwa doppelt so viel Geld benötigt „Dieses Problem haben wir bisher noch komplett ausgespart“, sagt Paget. „Jetzt sind aber die großen Fragen mehr oder weniger geklärt. Wenn wir genug Investoren oder Spender haben, können wir loslegen.“