Die Zukunft jenseits der Wälder

Dass Siebenbürgen in Rumänien einiges an Kultur und Geschichte zu bieten hat, ist längst kein Geheimnis mehr. Die Sachsendörfer mit ihren wehrhaften Kirchen und ­anachronistischen Gassen und Plätzen sind beliebte Ausflugsziele. Dass diese Region aber auch kulinarisch einiges zu bieten hat, wissen wir erst, seit sich der Prince of Wales dort engagiert. Es bewegt sich was in der sonst recht verschlafenen Gegend.

Der Prinz hat eine Leidenschaft, ein klares Ziel und eine Mission. 1988 besuchte Charles zum ersten Mal Siebenbürgen und war sofort gefangen von der bizarren Schönheit der Gegend, der Gastlichkeit seiner Bürger und dem historischen Vermächtnis dieser zauberhaften Region. Er erkannte die Schönheit hinter den brüchigen Fassaden, und er wusste, dass er hier etwas bewirken will. Immer wieder zog es ihn in die Gegend östlich von Klausenburg und Hermannstadt. Irgendwann kam er auch nach Jud Covasna. Und blieb. Wobei „bleiben“ bedeutet, dass er sich hier ein Haus oder – in seiner Sprache – ein Anwesen gekauft hat. Er erwarb ein Haus, das ursprünglich für einen Richter, der die örtliche Glaswerkstatt und das Dorf beaufsichtigte, gebaut worden war. Es besteht aus mehreren Gebäuden und umfasst einen Teil des angrenzenden Waldes, Blumenwiesen und kleine Bäche. Ein kleines Paradies mit prächtiger Artenvielfalt an Blumen, Pilzen, Insekten und Vögeln. Und nachdem Rumänien – hinter Russland – das europäische Land mit der zweitgrößten Bärendichte ist, kann es schon einmal passieren, dass am Haus ein stattlicher Braunbär vorbeitrottet.

Heute ist das Anwesen ein Refugium und ein idealer Ausgangspunkt, um die Region und ihre Vielfalt zu erkunden. Respektvoll renoviert, wurde es zu einem Ort der Ruhe und Einkehr. Antike Möbel, Kachelöfen, offene Kamine und viel Liebe zum Detail zeichnen das Guesthouse aus. Statt des sonst obligaten Flatscreen-Fernsehers stehen den Gästen eine gut bestückte Bibliothek, ein Mal- und Zeichenraum sowie ein stattlicher Weinkeller zur Verfügung.

Die politische Ebene – das Projekt Farming Initiative. Die Dinge, die es in der Umgebung zu entdecken gibt, sind scheinbar unerschöpflich, und die Arche des Geschmacks scheint hier einen fruchtbaren Boden zu haben. Das liegt – unter anderem – am Projekt Farming Initiative der Prince of Wales’s Foundation Romania. Das Engagement von Prince Charles umfasst mittlerweile mehr als das Guesthouse und seinen jährlichen Besuch in einem der alten Sachsendörfer. Das genannte Projekt ist groß angelegt und geht – vom Zielgebiet her – weit über Siebenbürgen hinaus. Es umfasst auch den Banat, die Bukowina und das Donaudelta. Dabei geht es darum, kleine Landwirte und Produzenten hochwertiger Lebensmittel dabei zu unterstützen, ihre Produkte bekannt zu machen und zu vermarkten. In einem ersten Schritt geht es um die Dokumentation und das „Heben der kulinarischen Schätze“. Nachdem Prince Charles, selbst Biolandwirt, politisch bestens vernetzt ist, sorgte er für die Umsetzung des Projekts für prominente Unterstützung. So stehen Rumäniens früherer Premierminister und EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos ebenso hinter den Zielen der Initiative wie Slow Food-Gründer Carlo Petrini. Mit Hilfe der Studentinnen und Studenten der University of Gastronomic Sciences in Bra wurde ein ganzer Schub an attraktiven Produkten gefunden und in den Status eines Arche-Passagiers erhoben. Allen voran das autochthone Bazna- und das rote Mangalitza-Schwein, jener Wollschwein-Schlag, der – anders als die blonden und schwalbenbäuchigen pannonischen Mangalitzas – aus dem Osten kam. Und schließlich der Brânza de Nasal, der Käse Transsilvaniens.

Beginnen wir bei den Schweinen. Sowohl das rote Mangalitza- als auch das Baaßner-Schwein (rumänisch heißt es Bazna und wird auch im Deutschen oft so genannt) gehörten zu den traditionellen Schweinerassen in Siebenbürgen. Allerdings wurden sie im Laufe des 20. Jahrhundert von englischen (und vor allem fettärmeren) Rassen verdrängt. Das Bazna-Schwein geht auf eine Kreuzung aus dem Jahr 1872 in Bazna im Kreis Hermannstadt (Sibiu) zurück. Zuchtpartner waren dabei das (blonde) Mangalitza-Schwein sowie die schnellwüchsige englische Berkshire-Rasse. Von den Kommunisten nicht der Kollektivierung unterworfen, konnte das anspruchslose Schwein in privaten Hinterhofgärten überleben. Damals trug es wesentlich zur Versorgung der Bevölkerung bei. Heute erlebt das Bazna-Schwein eine kleine Renaissance und wird zunehmend wieder auf kleineren Höfen gehalten. Der Dank dafür gebührt dem Bürgermeister von Bazna, Lucian Scumpu, der neben seinem Bürgermeisteramt auch noch einer der engagiertesten Bazna-Schweinezüchter ist. Das Erscheinungsbild der Bazna-Schweine erinnert stark an die Rassen Schwäbisch-Hällisch oder Angler Sattelschwein. Ähnlich wie seine hiesigen Verwandten ist das Bazna-Schwein grundsätzlich dunkel, im Schulterbereich und der Körpermitte aber unpigmentiert und durch einen hellen „Sattel“ gekennzeichnet. Das Fleisch ist fettreich, das Fett selbst von hoher Qualität. Der milchweiße Rückenspeck ist fest und nur hauchdünn von Muskelfleischfasern durchzogen. Lardo, Speck und Schinken werden nur leicht geräuchert und hängen von den Dachböden der traditionellen Sachsenhäuser. Der größte Vor-, aber auch Nachteil ist, dass sich das Bazna-Schwein nicht im Stall halten lässt. Damit ist es zwar für die industrielle Fleischproduktion uninteressant, aber als Konkurrent ist es der Lobby ein Dorn im Auge. Im Moment nutzt die Industrie die afrikanische Schweinepest, um mit abstrusen Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen die Freilandhaltung von Schweinen zu verbieten. Slow Food, die Arche des Geschmacks, Initiativen wie jene von Prince Charles und Männer wie Lucian Scumpu halten wacker dagegen. Von den kulinarischen Qualitäten des Bazna-Schweins kann man sich übrigens auch vor Ort überzeugen. Einmal im Jahr, jeden September, findet das Bazna Pig Festival statt. Speck ohne Ende, und alles dreht sich um das quirlige Schwein. Bürgermeister Scumpu freut das: „The municipality of Bazna has shown great interest in developing this breed as one of the distinctive features of the municipality, as well as a concrete opportunity for social, cultural, and economic development. This is proved by the recent launch of a Slow Food Presidium, the growth in the number of animals bred, and the establishment of a yearly Bazna Pig Festival, attracting an increasing number of guests over the past three editions.“

Der Käse, der in die Höhle kam. Etwa eine halbe Stunde weiter nördlich, etwas außerhalb von Klausenburg (Cluj) im Osten Siebenbürgens liegt die Gemeinde Taga. Der Weg dorthin führt durch Dörfer mit verfallenen Fassaden, vorbei an Häusern, denen die Substanz fehlt und die trotzdem mit Liebe zum Detail und einer Mischung aus Ziegeln, Steinen, Lehm und Heu zusammengehalten und bewohnt werden. Auf den Straßen fahren deutlich mehr Pferdefuhrwerke als Autos, und in den Orten liefert sich die Dorfjugend waghalsige Rennen. Wer längere Strecken mit der Kutsche zurücklegen muss, stellt einen weiteren Esel oder ein junges Pferd auf die Ladefläche. Taga selbst ist eine kleine Gemeinde mit kaum 1.000 Einwohnern. Es gibt zwei Straßen, auf einer davon befindet sich die Molkerei, in der auch der berühmte Brânza de Nasal gemacht wird. Ursprünglich wurde der Käse in Nasal gekäst. Daher auch der Name. Später wurde die Produktionsstätte nach Taga verlegt, wo sich auch die Steinhöhle befindet, in der der Käse reift. Es ist eine Kombination aus konstanter Temperatur (14 °C), hoher Luftfeuchtigkeit und einem klimatischen Milieu, in dem sich Brevibacterium linens so wohl fühlt, dass es die Käselaibe in kleine kulinarische Kostbarkeiten verwandelt. Die Geschichte dahinter hat – wie so oft in Rumänien – mit Macht und Armut zu tun: Vor ein paar hundert Jahren stahl ein Bauer aus dem Dorf dem Grafen ein paar Laibe Käse, um für seine hungrigen Kinder etwas zu essen zu haben. Er versteckte den Käse in den Steingrotten. Der Betrug flog natürlich auf, der Graf kam, bestrafte den Mann und ließ den Käse aus den Grotten holen. Zu aller Überraschung war der aber weder verschimmelt noch verdorben, sondern roch und schmeckte deutlich besser als der frische Käse aus der Molkerei. Brânza de Nasal war geboren.

Siebenbürgen ist fast so etwas wie ein Widerspruch in sich. Es ist ein armes Land, in dem es an vielem fehlt. Es ist aber auch ein reiches Land. Reich an wilder Schönheit und unglaublicher Vielfalt. Und reich an (bewegter und bewegender) Geschichte. Wir haben die Begriffe hier abwechselnd verwendet. Siebenbürgen, Transsilvanien oder Ardeal, wie es die Rumänen nennen, liegt im Herzen des Landes, umkränzt von den (meist) schneebedeckten Gipfeln der Karpaten und jenseits wilder Wälder. Genau das bedeutet „Transsilvanien“: jenseits der Wälder.