Ecuadors Fluch und Segen


Ecuador zählt zu den ärmsten Ländern Lateinamerikas. Neben Erdöl sind die wichtigsten Devisenbringer des Landes Bananen, Kakao und seit einigen Jahren auch Schnittblumen. Ein Lokalaugenschein auf drei Farmen, die von der internationalen Fairtrade-Organisation zertifiziert wurden.

Text und Fotos von Georges Desrues

Die Schule für Kinder mit Behinderung gab es in der ecuadorianischen Ortschaft El Guabo bereits vor dem Amtsantritt von Präsident Correa, sagt Schuldirektor William Tapia, damals wurden die Lehrer noch von der örtlichen Bananen-Kooperative bezahlt, doch das sei inzwischen verboten. „Der Präsident hat ein Gesetz erlassen, das es privaten Organisationen untersagt, die Lehrer an öffentlichen Schulen zu bezahlen, damit nicht etwa Firmen zu viel Einfluss und Druck auf sie ausüben können“, sagt der Direktor.

Inzwischen zahlt also der Staat die Lehrkörper, doch ist die Bananen-Kooperative namens Asoguabo nach wie vor zur Stelle, wenn man sie braucht. „Vor Kurzem hat sie etwa für die Reparatur des Dachs bezahlt, und sie hat uns geholfen, Computer anzuschaffen“, betont Tapia.

Das Geld dafür stammt aus der sogenannten Fair­trade-Prämie. Diese erhalten Fairtrade-zertifizierte Bananen-Erzeuger zusätzlich zu den Einnahmen, und zwar in der Höhe von einem Dollar pro Kiste Bananen. Dadurch kamen im Jahr 2015 immerhin eine Million Dollar zusammen, die abgesehen von der Schule und anderen sozialen Projekten wie einer Krankenstation auch für die Errichtung einer eigenen Verladestelle verwendet wurden.

„Die Banane bedeutet für uns Fluch und Segen zugleich“, sagt Fabiola Ramón, die resolute Präsidentin der Kooperative. Fluch, weil die konven­tionellen Monokulturen mit Unmengen an chemischen Schutzmitteln ­arbeiten, die sie per Flugzeug über die Felder und unsere Köpfe entleeren. Und Segen, weil die Bananen hier­zulande etlichen Kleinbauern ein ­geregeltes Einkommen sichern.

Doch die Plantagen-Arbeit ist eben in vielen Fällen gesundheitsgefährdend und zudem unterbezahlt. Anders die Situation auf den Farmen der Mitglieder von Asoguabo, die allesamt von Fairtrade zertifiziert werden. Hier müssen gewisse Auflagen erfüllt ­werden, sowohl was Bezahlung und Sicherheit der Arbeiter betrifft als auch in Bezug auf die Umwelt.

Ähnlich verhält es sich bei Kakao, einem weiteren für Ecuador bedeutenden Exportgut. Durch ihn haben es zahlreiche Mitglieder der Kooperative namens Fortaleza del Valle im Städtchen Calcete zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Sie bauen nicht die übliche Hybridsorte namens CCN51 an, sondern eine namens Nacional, die aus Ecuador stammt und ausschließlich hier vorkommt. Zwar ist sie aromaintensiver, aber auch ertragsärmer, weswegen sie von der Slow Food-Stiftung für Biologische Vielfalt durch ein Presidio geschützt wird. Von der Kooperative wurde die Fairtrade-Prämie unter anderem dazu verwendet, Material und Einrichtungen anzuschaffen, die es der Genossenschaft nun ermöglichen, den Kakao vor Ort zu Schokolade zu verarbeiten, anstatt nur wie bisher die Bohnen zu exportieren.

„Dafür müssen wir zwar das Risiko einer Wettbewerbssituation mit unseren derzeitigen Kunden eingehen, aber wir denken, dass es das wert ist“, sagt selbstbewusst Berto Zambrano, der Direktor der Kooperative.

Ein dritter großer Exportschlager Ecuadors sind Blumen, die wachsen jedoch nicht wie Bananen und Kakao im tropischen Klima der Küste, sondern im andinen Hochland im Westen.

Vom ganzjährig milden Klima und den vergleichsweise niedrigen Löhnen hat die ecuadorianische Blumen-Wirtschaft lange profitiert, inzwischen droht allerdings die Konkurrenz aus Ländern wie Kenia und Äthiopien, wo ähnliche Klimabedingungen herrschen, die Arbeitsstunde aber bedeutend weniger kostet.

Im Unterschied zu den Kleinbauern-Kooperativen im Kakao- oder Bananen-Anbau werden Blumen ausschließlich auf Plantagen gezüchtet, weswegen die Arbeiter keine Kleinbauern, sondern allesamt Angestellte sind. Und die Fairtrade-Organisation ein anderes System anwendet. „In unserem Fall kann die Prämie nicht dazu verwendet werden, um die Produktionsstätten auszubauen oder die Qualität zu verbessern, sondern ausschließlich für Projekte außerhalb des Betriebs“, sagt die 31-jährige Pamela Puruncajas, die auf der Farm Hoja Verde in Cayambe arbeitet.

Um zu entscheiden, was mit der Prämie geschehen soll, wählen die 220 Angestellten ein Komitee von neun unter ihnen, dem auch Puruncajas angehört. So wird etwa auch hier eine Schule für Kinder mit Behinderung unterstützt, werden Schultaschen für die Kinder der Angestellten gekauft und Kredite vergeben, die unter anderem dazu dienen, eigene Schrebergärten an­zulegen.

Abgesehen davon, seien die Arbeitsbedingungen hier eindeutig besser als auf der konventionellen Plantage, wo sie früher arbeitete, beteuert Puruncajas. „Dort hatten wir keinen Speisesaal, nicht einmal eine Toilette“, erzählt sie, „und die Chemikalien spritzten sie in den Glashäusern aus, auch wenn wir gerade drin waren.“ Im Vergleich dazu seien die Voraussetzungen auf der zertifizierten Farm Hoja Verde eine gewaltige Verbesserung, wie sie sagt, für sie und ihre Familie und für den gesamten Ort.

Brauchen wir im Winter überhaupt Rosen?

Brauchen wir im Winter überhaupt Rosen?

Hartwig Kirner, Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, erklärt die Begriffe Fairness und Mengenausgleich und bezieht Stellung zu einigen Vorwürfen den fairen Handel betreffend.

slow: Was bedeutet fair für Sie?
Hartwig Kirner: Dass man den anderen behandelt, wie man selbst behandelt werden will. Im Fall von Fairtrade bedeutet es, dass jeder, der an der Wertschöpfungskette beteiligt ist, also vor allem die Bauern und Erzeuger, auch seinen gerechten Anteil bekommt.

Bisweilen wird der Vorwurf erhoben, dass es bei Fairtrade nicht mehr um fairen Handel gehe, sondern um Handel mit fairen Waren. So schmücken sich etwa Handelsketten mit Ihrem Logo, von denen man weiß, dass sie unfair sind zu heimischen Erzeugern und Landwirten.

Es gibt viele Probleme im globalen Wirtschaftssystem und also auch im heimischen Handel. Allerdings denke ich, dass die österreichischen Landwirte zum Glück eine sehr viel einflussreichere Vertretung haben, die weit mehr für sie erreichen kann, als Fairtrade das könnte. Wir setzen uns eben in erster Linie für Gerechtigkeit in ärmeren Ländern ein.

Fairtrade funktioniert nach dem Prinzip: „All that can be must be Fairtrade“, was zur Folge hat, dass man beispielsweise eine Schokolade nicht mit heimischem Zucker, sondern eben nur mit solchem erzeugen kann, der Fairtrade zertifiziert wurde. Sehen Sie da nicht ein Problem?

Deswegen haben wir ein neues Logo eingeführt für Schokolade, bei der nur der Kakao zertifiziert ist, andere Zutaten aber durchaus von heimischen Erzeugern stammen können. In Deutschland hat das dazu geführt, dass der Umsatz von zertifizierter Schokolade in drei Jahren verzehnfacht wurde. Es war also die richtige Entscheidung.

Ein Begriff, der immer wieder für Irritierung sorgt, ist jener des Mengenausgleichs, der sich häufig auf Verpackungen findet. Worum geht es da?

Im Prinzip gehen wir davon aus, dass alle Zutaten 100 Prozent rückverfolgbar sein müssen. Nun ist das aber nicht immer der Fall, beispielsweise wenn an einer Verarbeitungsstelle auch nichtzertifizierte Zutaten verarbeitet werden und es zu aufwendig wäre, etwa die Maschinen zu reinigen, bevor man sie für zertifizierte Zutaten verwendet. Deswegen garantieren wir in solchen Fällen nur, dass eine Firma, die beispielsweise 100 Tonnen Kakao verarbeitet, von denen nur 10 Tonnen Fairtrade sind, und daraus 40 Kilo Schokolade erzeugt, auch nur 4 Tonnen davon als Fairtrade verkauft – und nicht mehr. Das ist vielleicht etwas kompliziert, aber es ist transparent.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Fairtrade das bestehende System in gewisser Weise unterstützt, weil es darin besteht, dass die reichen Konsum-Länder den armen Erzeuger-Ländern Standards vorschreiben, die nur sie selbst einhalten können?

Also das trifft nicht zu, weil bei uns alle in den Entscheidungsprozess eingebunden sind. Und das Komitee, das die Standards festlegt, aus mindestens 50 Prozent Bauern und Arbeitern bestehen muss. Ohne sie kann also keine Entscheidung gefällt werden.

Es gab das Beispiel eines Kaffeebauern in der Dominikanischen Republik, der es dank Fairtrade selbst zu einem gewissen Wohlstand brachte, inzwischen aber Wanderarbeiter ohne Aufenthaltsberechtigung aus Haiti einsetzt. Wie stehen Sie dazu?

Die Situation von Wanderarbeiter ist in vielen Fällen durchaus ein Problem. Vor allem in der Dominikanischen Republik ist es da zu großen Missständen gekommen, weil dort so gut wie keine Aufenthaltsgenehmigungen für Haitianer vergeben wurden. Wir setzen uns allerdings sehr stark dafür ein, dass die Arbeiter einen Aufenthaltstitel bekommen, ohne den sie ja so gut wie keine Rechte haben. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass selbst in einem so gut kontrollierenden Land wie Österreich Leute an der Ernte etwa von Erdbeeren oder Wein teilnehmen, die nicht unbedingt jedes Mal ordnungsgemäß angemeldet sind. Wenn das schon hierzulande möglich ist, kann man sich gut vorstellen, wie schwer es ist, solche Dinge in ärmeren Ländern zu kontrollieren.

Was ist von diesen billigen Blumen im Supermarkt zu halten, die Sie zertifizieren? Man hat angesichts der Preise immer das Gefühl, das kann sich gar nicht ausgehen, das ist ja viel zu billig.

Das liegt zumindest zum Teil daran, dass die Blumen wenig Aufwand für den Supermarkt bedeuten. Sie werden mit anderen Frischeprodukten angeliefert, und man muss nur Wasser draufgießen. Aber freilich stellt sich die Frage, ob wir in Europa überhaupt Rosen im Winter brauchen. Doch die Rosen werden gekauft, also ist uns lieber, wenn die Menschen am Beginn der Wertschöpfungskette davon profitieren.

Es hat sich aber auch gezeigt, dass Blumenproduzenten zunehmend in Länder ausweichen, wo die Löhne noch niedriger sind und sie noch billiger produzieren können, etwa von Kenia nach Äthiopien. Wie reagieren Sie darauf?

Das ist tatsächlich ein sehr großes Problem, weswegen wir versuchen wollen, in Ländern wie Äthiopien auf sogenannte Living wages zu bestehen, also auf Minimumgehälter, die ein vertretbares Lebensniveau garantieren. Doch auch das ist kein einfacher Weg, und es wird vermutlich noch einige Zeit dauern, bis die Unternehmen miteinsteigen. Das ist in anderen Bereichen auch so. Die Welt ist eben nicht schwarz-weiß, sondern besteht aus vielen Grautönen. Unsere Aufgabe ist es, den internationalen Handel mehr hell- als dunkelgrau zu gestalten.