Flüssiges Brot

Die Unmengen an Brot, die täglich weggeworfen werden, sind eines der am meisten verstörenden Beispiele für Lebensmittelverschwendung
in unserer Gesellschaft. Umso erfreulicher, dass eine wachsende Zahl an Bierbrauern altes Brot für ihre Zwecke nutzt.

Die Partnersuche hatte sich Tobias Judmaier etwas einfacher vorgestellt. „Bereits mehrere der angesagten Bäckereien in Wien haben wir angesprochen und sie gefragt, ob sie mit uns zusammenarbeiten und uns ihr altes Brot überlassen wollen, aber bislang haben sie alle abgelehnt“, sagt der Unternehmer. Das alte Brot braucht Judmaier, um ein Bier namens wasted zu brauen, dass seit einigen Monaten auf dem Markt ist und bei dem ein Teil des Malzes durch eben dieses alte Brot ersetzt wird.

„Der Ansatz ist alles andere als neu, bereits die alten Babylonier brauten Bier auf diese Art“, sagt der Betreiber des Bio-Catering-Betriebs Iss Mich, der sich spezialisiert hat auf die Verwendung ungenutzter Lebensmittel. „Die Idee griffen wir auf, weil wir denken, dass es ein guter Weg ist, um die Unmengen an täglich weggeworfenem Brot zumindest ein wenig zu verringern. Und weil wir ein Zeichen setzen wollten gegen Lebensmittelverschwendung.“

Dazu hat man sich mit dem Bierbrauer Rainer Mraz zusammengetan, der in Bruck an der Leitha eine dieser zurzeit so angesagten Craft-Bier-Brauereien namens Brau Haus Prugg betreibt. „Bisher verwendeten wir das alte Brot aus der Bäckerei meines Schwiegervaters“, erzählt der Brauer, „doch der hört jetzt auf und geht in Pension, also suchen wir einen neuen Partner.“

Nun finde sich altes Brot freilich in großen Mengen, allein in Wien werde täglich so viel davon weggeschmissen wie in ganz Graz an einem Tag gegessen werde, betont Judmaier. Doch die Semmeln und Kornspitz, die von Mraz zu Bier verarbeitet werden, sind biozertifiziert. Was den Kreis der Lieferanten schon einmal deutlich einschränkt.
„An sich wäre es mir ja egal, ob ich eine Biosemmel oder eine konventionell erzeugte Semmel rette“, betont der Brauer, „aber für den Vertrieb ist es von Vorteil, wenn wir das Bier auch in Bioläden und über ähnliche Kanäle verkaufen können, wo die Kundschaft vermutlich etwas mehr sensibilisiert ist für Produkte, die auf Nachhaltigkeit setzen.“
Das ist offenbar umso wichtiger, als die Kunden in anderen Vertriebskanälen nur schwer zu erreichen sind. So sei etwa die Auswahl an Etiketten in Craft-Bier-Shops in der Regel zu groß, als dass das Brot-Bier dort gebührend präsentiert werden könne. Und die Supermärkte wiederum täten sich schwer mit einem Bier, das schon allein durch seine aufwendige handwerkliche Erzeugung preislich weit über den sonstigen im Regal angebotenen Marken liege, sagt der Brauer. Außerdem arbeiteten manche der Handelsketten inzwischen an einem eigenen Projekt, das ganz offensichtlich von wasted inspiriert sei.

In den hippen Bäckereien in Wien hat man indessen vor allem deswegen angefragt, weil man sich dachte, dass es mit ihnen einfacher wäre, eine Interessensgemeinschaft zu bilden als mit anderen. Doch das war offensichtlich ein Trugschluss. „Ich habe das Gefühl, dass es da um ein Tabu­thema geht. Und einige der Starbäcker wohl vermeiden wollen, dass man ihren Namen mit übrig gebliebenem Brot in Verbindung bringt, dabei würden sie daran selbstverständlich auch etwas verdienen“, bedauert Judmaier.

Also arbeitet man inzwischen noch und bis man Ersatz findet mit dem Gebäck, das der Schwiegervater des Brauers liefert. Daraus entstehen zwei Sorten Bier, nämlich ein helles Lager aus den Semmeln und ein sogenanntes Cream Ale aus den Kornspitz. Vom Geschmack her sind beide für den Laien nur schwer auseinanderzuhalten von Bieren, die ohne Zugabe von Brot auskommen. Doch einen Unterschied gebe es sehr wohl, betont Mraz. „Weil die Semmeln und Kornspitz ja schon gebacken wurden, weist das Bier außer den intensiveren Weizen-Aromen auch deutlichere Röst- und Karamellnoten auf“, so der Brauer.

In das Bier kommt das Brot, indem es zerkleinert wird und einen Teil des Gerstenmalzes ersetzt. Derzeit belaufe sich der Anteil auf circa fünfzehn Prozent, in Zukunft könnte er aber auf zwanzig steigen. „Viel mehr wird sich aber wohl nicht ausgehen“, unterstreicht Mraz, „weil wir doch versuchen müssen, die Balance zu halten und ein Bier zu brauen, das bekömmlich ist, angenehm schmeckt und den Biertrinker nicht allzu sehr überfordert.“

Auch andernorts verbreitet sich die Idee rapide, altes Brot über Bier zurück in die Nahrungskette zu bringen. Als eine der ersten Brauereien, die sich des Themas annahmen, gilt die belgische Brussels Beer Project, die schon seit einigen Jahren ein Bier vermarktet, dessen Namen Babylone sich auf die althergebrachte Braumethode bezieht. Aus Großbritannien und von der Brauerei World Top wiederum stammt das sogenannte Toast Ale. Dieses wird aus den Rinden von Toastbrot erzeugt, welches die Briten bekanntlich lieber randlos verspeisen. Im konkreten Fall geht es also um indus­trielle Abfälle.

Ins Leben gerufen hat das britische Projekt der umtriebige Food-Waste-Spezialist Tristram Stuart, der mit seinem Verein Feedback schon seit Jahren Zeichen setzt gegen Lebensmittel-Abfallvermeidung. Und so geht auch der gesamte Gewinn, den Toast Ale abwirft, an Stuarts Verein, der das Geld für weitere weltweite Projekte auf dem Gebiet verwendet.

Doch ganz egal, ob es sich nun um Biobrot oder industriell erzeugtes handelt: In jedem Fall müssen die Brotbier-Brauer, insofern sie es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit, paradoxerweise vor allem eines hoffen, nämlich dass ihnen das Grundmaterial für ihr Produkt eines schönen Tages deswegen ausgeht, weil irgendwann hoffentlich doch einfach zu wenig Brot weggeschmissen wird. Aber bis dahin ist es vermutlich noch ein ­weiter Weg und können noch einige Semmel-Krügel getrunken werden.