Gegen den Strom
Europas Meere und ihre Fischbestände sind durch eine eigentlich längst verbotene Fischereitechnik bedroht, gegen die sich auch Slow Food engagiert. Und die Zeit drängt.
Eigentlich schien die Gefahr im Jänner 2018 bereits gebannt. Damals stimmte eine Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament für ein Verbot der Elektrofischerei. Umweltschützer in ganz Europa atmeten auf. Doch mehr als ein Jahr später ist das Gesetz noch immer nicht umgesetzt. Und die Angst geht erneut um. „Wenn das Verbot nicht vor den Europawahlen im Mai abgesegnet wird, dann ist das ein schwerer Rückschlag“, sagt Frédéric Le Manach, „denn dann gibt es ein neues Parlament, neue Abgeordnete, das Gesetz muss nochmals verhandelt werden und das Ganze geht von Neuem los.“ Und in der Zwischenzeit würde munter weitergemacht mit der zerstörerischen Elektrofischerei, was eine Katastrophe wäre, wie der Meeresbiologe Le Manach befürchtet.
Doch worum genau handelt es sich bei der umstrittenen Methode? Elektrofischerei, auch Pulsfischerei genannt, bezeichnet eine Technik der Netzfischerei, bei der das Netz mit Elektroden ausgestattet ist. Durch sie werden Stromstöße in den Meeresgrund gejagt, um die dort lebenden Flachfische wie Seezungen und Schollen aufzuscheuchen und ins Netz zu treiben. Die Methode gilt als äußerst effizient, gerade für das Befischen der ansonsten nur schwer zugänglichen Flachfisch-Gebiete.
Sie ist aber auch besonders umweltschädlich, wie Professor Silvio Greco, gleichfalls Meeresbiologe und Vorsitzender des Slow Food-Wissenschaftsrats, beteuert. „Die Auswirkungen der Elektrofischerei auf das Meer, auf den Meeresgrund und die marinen Ökosysteme sind ausgesprochen verheerend“, sagt Greco. „Die Stromstöße sind so heftig, dass es vielen Fischen, vor allem Jungfischen, das Rückgrat bricht beziehungsweise bei ihnen innere Blutungen verursacht.“
Zudem seien die Effekte auf andere Meeres- und Meeresgrundbewohner wie etwa Krabben, Krebse und Muscheln noch gar nicht richtig erforscht. Und schließlich gefährde die Stromfischerei auch die Arbeitsplätze auf den letzten kleinen Fischerbooten und in den Familienbetrieben, die heute noch eine nachhaltige Form der Fischerei in Küstennähe ausübten. „Das macht diese Form der Fischerei zur direkten Bedrohung für alle jene, die vom Meer leben, es auf vernünftige Art zu nutzen trachten und es als das verstehen, was es ist. Nämlich ein gemeinsamer Lebensraum, den sie mit anderen Lebensformen teilen müssen“, schließt der Professor.
In der Tat belegt die Statistik, dass es in erster Linie die kleinteilige Küstenfischerei ist, die Arbeitsplätze in diesem Gewerbe schafft. So arbeiten beispielsweise in Frankreich 80 Prozent aller Fischer auf Booten mit einer Länge unter zwölf Metern, die vorwiegend in Küstennähe fischen. Allerdings beträgt deren Anteil am im Land gefangenen Fisch lediglich 20 Prozent, während der mit 80 Prozent überwiegende Großteil auf die größeren und industriell arbeitenden Boote entfällt, die gleichzeitig und naturgemäß weniger Fischer beschäftigen.
Zugelassen ist die Pulsfischerei nur dank Ausnahmeregelungen in der Nordsee, wo sie fast ausschließlich von niederländischen Fischerbooten angewandt wird. Ihnen geht es in erster Linie um die wertvollen Seezungen, die sie auf diese Art in großen Mengen und mit weniger Aufwand als mit konventionellen Methoden vom Meeresgrund holen. Und genau diesen verringerten Aufwand führen sie auch immer wieder als eines der Hauptargumente an, um ihre Technik zu verteidigen und die bereits getätigten beachtlichen Investitionen für die Umrüstung der Flotte zu rechtfertigen.
So würden etwa die Boote durch den Einsatz der elektrifizierten Netze, da diese ein geringeres Gewicht aufweisen als die schweren konventionellen Schleppnetze, weniger Treibstoff verbrauchen und folglich auch weniger Treibhausgase wie CO2 verursachen.
Ein Argument, das Frédéric Le Manach nicht gelten lassen will. „Das stimmt nur dann, wenn man sie mit industriellen Flotten vergleicht, die zum Teil gewiss noch umweltschädlichere Fangmethoden anwenden“, so Le Manach. „Deswegen ist der Vergleich auch nicht zulässig, weil kleinere, weniger industriell arbeitende Boote nach wie vor viel weniger Sprit verbrauchen und also auch weniger CO2 ausstoßen.“
Für Le Manach, der als wissenschaftlicher Direktor für einen in Frankreich ansässigen gemeinnützigen Verein namens Bloom tätig ist, zu dessen Hauptanliegen der Widerstand gegen die Elektrofischerei zählt, ist das nichts weiter als die typische Vorgangsweise dieser Art von Lobbys. „Ihre Taktik besteht darin, die schlimmste Form der Fischerei als Vergleich herzunehmen, wodurch sie sich selbst naturgemäß in ein positives Licht rücken. Wir aber denken, dass der Vergleich mit der nachhaltigsten Form der Fischerei der einzig angebrachte zu sein hat“, so der Wissenschaftler.
Ein weiteres Argument der Befürworter lautet, dass das Fischen mit elektrischen Netzen schonender sei, da diese weniger tief in den Meeresgrund eindrängen, nämlich nur bis zu 1,8 cm im Gegensatz zu den 4 cm bei konventionellen Schleppnetzen. Doch auch das lässt Le Manach nicht gelten. „Das mag auf den ersten Blick stimmen, allerdings wirken die elektrischen Schläge bis in 30 Zentimeter Tiefe. Wodurch sie die Gefahr in Wahrheit erhöhen und nicht verringern.“
Schließlich widerspricht Le Manach auch der Behauptung, dass die Elektrofischerei selektiver sei und somit geringere Mengen an Beifang verursache. „Natürlich gehen den Fischern durch diese Methode auch Seesterne und Seeigel ins Netz. Und zudem eine größere Anzahl an Jungfischen, was die Bestände zusätzlich bedroht.“
Was den Wissenschaftler besonders empört, ist zudem, dass die Elektronetze der niederländischen Boote zu einem großen Teil vom europäischen Steuerzahler finanziert werden. So seien inzwischen Millionen Euro Subventionen in eine Fischereimethode geflossen, die in Europa bereits im Jahr 1998 verboten wurde, in Wahrheit bis heute nicht genehmigt sei und nur durch Ausnahmeregelungen weiterbestehe, die vorgeblich wissenschaftlichen Zwecken dienen. „Die Niederländer haben da einfach exzellente Lobby-Arbeit geleistet“, so Le Marchand. „Sie haben außerdem in Boote in anderen Ländern investiert und träumen davon, dass die Technik irgendwann in ganz Europa zugelassen wird.“ Und das, obwohl sie in den allermeisten Ländern der Erde längst verboten ist, darunter nicht zuletzt in den USA, Brasilien und sogar China.
In Frankreich und Italien haben inzwischen Dutzende berühmte Köche eine Petition gegen die Elektrofischerei unterschrieben, die auch Slow Food unterstützt. In der Hoffnung, dass das Verbot doch noch vor den Europaratswahlen im Mai endgültig durchgesetzt wird. Und um ein deutliches Signal an die Fischer zu senden, wie Silvio Greco betont. „Viele von ihnen erliegen nämlich nach wie vor dem Fehlglauben“, so der Meeresbiologe, „dass das Meer und seine Ressourcen ihnen allein gehören. Dabei gehören sie in Wahrheit natürlich uns allen.“