Hatte Deine Wurst ein gutes Leben?
Würste, die sich uns nicht auf den Magen und aufs Gemüt schlagen. slow machte sich auf die Suche danach und wurde fündig: in Rom, Wien und am Attersee.
In der Hitze des Olivenöls in der Pfanne bewegt sich die Wurst, als wäre sie ein frischer Fisch, dessen Reflexe noch lebendig sind. Ihr Bauch (eine Wurst besteht nur aus Bauch, nein, Scherz, es sind auch Schulter und andere Teile) wölbt sich. Schließlich ein kleiner Riss im Darm, der Hülle der Wurst, der Inhalt des Bauchs wird sichtbar. Herrliches grob gehacktes Schweinefleisch hat seinen Auftritt auf der besten Bühne von allen, der Bratpfanne. Noch ein paar Minuten braten, während das Innere der Salsiccia aufquillt und die Haut sich in der Hitze zusammenzieht. Dann ist das Festessen fertig. Ein grober Rotwein dazu. Braterdäpfel und grüner Salat. Ein Festessen, für das man gerne den feinsten Braten stehen lässt.
Diese Salsiccia haben wir aus Rom nach Österreich importiert, vom Kultmetzger Pork ’n’ Roll, der auch mit anderen Teilen vom Schwein handelt, unter anderem mit einer köstlichen Porchetta. Die Schweine, die für die Füllung dieser Salsicce verantwortlich sind (neben Salz und Pfeffer), hatten ein feines, ein gutes Leben. Ein Jahr auf quasi freier Wildbahn in Apulien. Natürlich, ja natürlich schmeckt man das. In Italien haben sie nicht nur für jedes Dorf ein anderes Pastarezept, auch die Methoden der Zubereitung der Salsicce variieren. Das Verhältnis der einzelnen Schweineteile zueinander, die Beigabe von Gewürzen, von Fenchel beispielsweise, hängt von der Region ab. Toskana, Süditalien, Friaul? Dazwischen liegen Welten. Pork ’n’ Roll, dessen Besitzer sich trotz untertänigster Anfragen nicht zum Geheimnis seiner Würste äußern will, ist übrigens Träger einiger Auszeichnungen, unter anderem natürlich von Slow Food und etlichen anderen. Wie stolz die Italiener auf die Handwerkskunst ihrer Bauern, Produzenten, Metzger und Käsemacher sind! Kulinarisches als Identitätsstiftung eines Landes. Schauen wir deshalb einmal nach Österreich. Ins Wurstland Österreich.
„Ich fuhr immer mit zwei Koffern zum Hödl nach Liesing“, erzählt Richard Holmes, ein Brite, der seit mehr als zehn Jahren in Wien lebt. „Dann fuhr ich mit voll beladenen Koffern nach Hause.“ Darin die nach Holmes’ Rezepten zubereiteten Brat-„Brit“-Würste, die sich seit einigen Jahren in einem kleinen Kreis von Eingeweihten in Wien immer größerer Beliebtheit erfreuen. Wobei der Kreis so klein wirklich nicht mehr ist. „Wir haben einen Vertrag mit Do & Co und Mercedes. Die brauchen manchmal um die 100 Kilo“, sagt Holmes. Die Zusammenarbeit mit dem Wiener Top-Fleischhauer Hödl ist eines der Erfolgsgeheimnisse der Britwürste. Hödl verwendet nur Fleisch, das er auch selbst schlachtet. Auf die Herkunft und Aufzucht der Schweine und Rinder, mit denen dieser Betrieb arbeitet, hat die Familie Hödl ein strenges Auge. Wie auch auf die perfekten Bedingungen bei der Wurstherstellung in den Räumen der Fleischhauerei in Liesing. Ist es wirklich so einfach – Handwerk, Inhalt und Rezept als Garanten für eine gute, für eine exzellente Wurst? Holmes nickt. Und fügt hinzu: „Bei uns gibt es auch keine Konservierungsmittel.“ Richard Holmes lernte das Wurstmachen erst als Laie, später bei einem britischen Charcutier als Profi. Er sagt: „Die Wiener Magistratsleute wollten so etwas wie einen ,Degree of Sausage‘. Also fuhr ich nach London zu Marc Frederic, der mir vieles beibrachte, was ich bis dahin noch nicht wusste.“
Britwurst steht für ein saisonales, ständig wechselndes Angebot. Nahezu einmalig in Österreich. „Mal arbeite ich mit getrockneten Marillen und Rosmarin, dann wieder mit Spinat. In meine Salsiccia kommen Haferflocken und Chili sowie Koriandersamen.“ Puristen rümpfen da die Nase. Wien ist nicht Rom, nicht Florenz. Die Fans der Britwurst lieben es. „Zu Ostern“, so Holmes, „müssen es Lammwürstel sein, die kommen dann auch in Schafsfdärme, während die Schweins- und Rindswürste in Schweinedärme gefüllt werden.“ Holmes Weg war der eines Kleinstunternehmers zum Kleinunternehmer. Keine Filialketten, keine Großproduktion, sondern als Gast beim Stand eines Slow Food-Kollegen am Karmelitermarkt in Wien, begehrtes Pflaster für samstägliche Schönwetterflaneure und Slow Food-Jünger. „Tschürz bot mir den Platz an, und daraus wurde etwas Ständiges.“ Mittlerweile bietet Holmes seinen Kunden am Markt ein britisches Frühstück mit milder Wurst, mit nichts anderem gewürzt als Salz und Pfeffer, mit Speck und natürlich Spiegelei. Längst wird der Britwurstmacher von der Konkurrenz beäugt. Gab es schon Angebote? Darüber will er sich nicht konkret äußern. Zumindest gibt es Nachahmer, die sich dem Prinzip der maßgeschneiderten Wurst annehmen und dabei aber leider großflächig scheitern. It’s the quantitiy, stupid! Und noch eines: „Für große Anbieter ist der Preis ausschlaggebend. Meine Kunden hingegen, die bestehen auf Qualität.“ Die Wurst als Luxusgut, mehr haben wir nicht gebraucht. Aber warum sollte Wurst einen anderen Werdegang haben als andere Lebensmittel, bei denen Aufzucht und Hege die größte Qualitätsentscheidung spielen.
Der Vergleich führt uns an den Attersee, wo die Familie Wolf in Steinbach seit einigen Jahrzehnten Weine und Lebensmittel auf High-End-Niveau vertreibt. Auch dort ist man seit einiger Zeit auf den Geschmack der Wurst gekommen, und das liegt vielleicht auch daran, dass in der Wahlheimat von Unternehmensgründer Carlo Wolf, welche zweifellos Frankreich war, Würste als Ausweis besonderer handwerklicher Qualität der Metzger und Köche einer Region gelten. Carlo Wolf lernte damals in der Provence die Rezeptur der Bratwürste, die jetzt sein Sohn Konstantin als sogenannte „Atterseer“ in Ried im Innkreis verkauft. Das Geschäft heißt Wurst und Sprudel, weil Champagner bei der Familie Wolf immer irgendwie eine Rolle spielt. Verwirrend, aber geschmacklich logisch. Aus Speck, Schulter und Bauch vom Waldschwein und einigem mehr entstehen diese Würste, echte Handarbeit, perfekt zum Braten oder auch Kochen. Konstantin Wolf ärgert das schlechte Image von Würsten: „Die Wurst leidet in Österreich und Deutschland unter dem Stigma einer zusammengemixten Müllverwertung aus Farbstoffen, Klauen und Resten – ein Bild, das ja auch auf viele Würste zutrifft.“ Dann gerät er ins Schwärmen über die Wurstkultur romanischer Länder: „Eine Wurst ist eigentlich ein eigenes Gericht. Und eine gute Wurst zu machen, ist eigentlich eine Kunst und kein industrieller Prozess, um Reste zu verwerten.“
Dass man um eine gute Wurst kein Geheimnis machen muss, ist klar. Konstantin Wolf meint dazu: „Die Atterseer ist eine Kombination aus einem guten Rohprodukt, Schulter und Bauch vom Freilandschwein, plus achtzehn Monate gereiftem Speck von diesem Freilandschwein.“ Dazu komme die Gewürzmischung, unter anderem aus provencalischen Kräutern, Muskat, Weinbrand, Senfkörnern und Zitrone, die vor dem Cuttern mit der Hand zubereitet wird und ohne Granulat, E-Stoffe oder Haltbarkeitsmittel auskomme. „Also keine Gewürze von der Stange, wie es meistens gahandhabt wird“, so Wolf. „Drittens die Art der Herstellung, nur Naturdarm, was dazu führt, dass die Würste auch mal verschieden lang sein können. Die Wurst wird quasi mit der Hand produziert, leicht geräuchert, dann ist sie fertig.“ Vorbild sei die Wurstkultur in Südfrankreich, luftgetrocknet, ein artisanaler Produktionsprozess, ohne Streamlining durch die Industrie.“ Doch davon sei bei uns oft nur wenig zu bekommen. „Mich ärgert der Konsument, der nur noch nach dem Aussehen kauft und Produkte ohne Ecken und Kanten bevorzugt.“ Sagt’s und nimmt einen Schluck Sprudel zur Bratwurst.
Pork ’n’ Roll
Via Carlo Caneva, 11 B, 00159 Rom
keine Bezugsquelle in Österreich
www.porknroll.com
Antika Macelleria Falorni
Piazza Giacomo Matteotti, 71, 50022 Greve FI
www.falorni.it
Pöhl am Naschmarkt
Stand 167
www.poehl.at
Döllerer Fleischhauerei
Markt 56, 5440 Golling an der Salzach
www.doellerer.at
Wurst und Sprudel
Stelzhamerplatz, 4910 Ried im Innkreis
hello@wurstundsprudel.com
www.wurstundsprudel.com
Britwurst
www.britwurst.com
info@britwurst.com
Jeden Samstag am Wiener Karmelitermarkt