Honig aus dem Regenwald

Dem Honig kommt in Äthiopien eine ganz besondere Rolle zu, deswegen werden dort gleich vier Erzeuger-Gemeinschaften durch ein Slow Food-Presidio geschützt. Eine ganz besonders abgelegene darunter hat unser Autor besucht.

Es braucht nicht weniger als einen ganzen langen Tag, um die gerade einmal 350 Kilometer von Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba zu den Honigsammlern im Harenna-Wald zurückzulegen. Im Geländewagen geht die Fahrt südostwärts, durch die Graslandschaft des Ostafrikanischen Grabens, auch Rift-Valley genannt, dann hinauf in den Nationalpark des Bale-Gebirges, auf mehr als 4.000 Meter Seehöhe über staubige Schotterpisten, durch karge Mondlandschaften und geradewegs hinein in die Wolken.

Bis die Vegetation sich schlagartig verändert, die Straße wieder bergab führt und in Schlangenlinien und steilen Haarnadelkurven ins nebelige Dickicht des Dschungels eintaucht. Der Harenna-Wald ist ein Urwald wie aus dem Bilderbuch, mit mächtigen Bäumen, Lianen und schroffen Felsen, die immer wieder aus dem dichten smaragdgrünen Pflanzenmeer ragen. Heimat ist der Wald unter anderen dem Schwarzmähnenwolf, dem Anubispavian, der bedrohten Bale-Grünmeerkatze und dem Federhelm-Turako. Und zudem unzähligen Pflanzenarten.

„Unsere Bienen bestäuben bis zu zwanzig verschiedene Pflanzen, was unseren Honig so komplex im Geschmack, so einzigartig und so berühmt macht“, sagt Ahmad Mako, ein hagerer Mann mit rotem Ziegenbärtchen und Tuch auf dem Kopf, der sich als Vorsitzender der örtlichen Imker-Kooperative von Rira vorstellt.

Die geschäftige kleine Ortschaft liegt am Südhang des Bale-Gebirges und am Beginn des Harenna-Waldes. An die fünfzig Imker umfasst die Kooperative, fährt Ahmad Mako fort, während er in den Vorgarten seines Hauses bittet, wo eine junge Frau in traditioneller Kleidung den kräftigen äthiopischen Kaffee nach allen Regeln der Kunst zubereitet hat und in kleine Tassen gießt.

Dass Äthiopien als Ursprung der Kaffeepflanze gilt und mitunter die besten Bohnen der Welt von hier kommen, ist weitgehend bekannt. Auch wurde schon des Öfteren berichtet, wie die Äthiopier ihre Kaffeekultur hochhalten, die Bohnen jedes Mal frisch über offenem Feuer rösten und das Getränk ihren Gästen anbieten. Weniger bekannt ist indessen, dass der Honig in dem Land eine mindestens ebenso lange Geschichte und hohe rituelle Bedeutung hat.

Das zeigt allein schon die Legende um den von der christlich-orthodoxen Kirche Äthiopiens heiliggesprochenen Kaiser Lalibela, der im 12. Jahrhundert die atemberaubenden Felsenkirchen in dem nach ihm benannten Ort im Norden des Landes bauen ließ. Bei seiner Geburt soll das kaiserliche Baby von Bienen umschwärmt gewesen sein, ohne dass sie ihn gestochen hätten. Was ihm seinen Namen einbrachte, der übersetzt „der von den Bienen Auserkorene“ bedeutet.

Seit Jahrhunderten spielt Honig in der urchristlichen Kirche Äthiopiens genau wie in der traditionellen Heilkunde eine bedeutende Rolle. Einst war der lokale Honigwein, genannt Tej, ausschließlich dem Kaiser, seinem Hof und der äthiopischen Aristokratie vorbehalten. Bis heute lieben die Äthiopier ihren Honig, essen ihn gerne zum Frühstück, verwenden ihn zum Süßen von Speisen, zur Erzeugung von Honigwein und als Medizin bei Erkrankungen.

Wie wichtig der Honig für das Land ist, zeigt sich auch daran, dass von den sechs Slow Food-Presidi, die in Äthiopien errichtet wurden, gleich vier auf verschiedene Honig­erzeuger-Gemeinschaften entfallen. Eines davon auf jene der Imker in Rira.

„Die Honigerzeugung läuft hier noch sehr traditionell ab und wurde über Generationen weitergegeben“, sagt Kufa Dessal, einer der Ansprechpartner für das Slow Food-Projekt vor Ort, „deswegen räuchern die Imker beispielsweise die Bienen ein, um sie zu beruhigen. Das ist auch gut so, weil afrikanische Bienen in der Regel viel aggressiver sind als europäische. Das Problem ist nur, dass unter dem Rauch auch die Qualität des Honigs leidet.“

Auch die Bienenstöcke unterscheiden sich wesentlich von jenen, die in Europa verwendet werden. Die örtlichen werden Kafo genannt, sind zylinderförmig und aus Eukalyptus oder anderen biegbaren Holzarten gemacht. Um ihren wertvollen Inhalt von wilden Tieren zu schützen, werden die Kafos in den Baumwipfeln untergebracht, erklärt Ahmad Mako, der Boss der Kooperative, und steigt über einen Zaun, um zu seinen Stöcken zu gelangen.

Nicht nur die Höhe der Bäume, sondern auch die Beschaffenheit der Bienenstöcke selbst sorgt dafür, dass die Honigernte hier ein viel aufwendigerer Prozess ist als mit den leicht zu öffnenden, schnell wiederverschließbaren und generell einfach zu handhabenden europäischen Stöcken.

Die Unterstützung durch Slow Food helfe gleich auf mehreren Ebenen, erklärt Kufa Dessal. „In erster Linie geht es darum, die Imker mit der richtigen Gerätschaft und der nötigen Schutzkleidung auszustatten, damit sie hochqualitativen Honig bei möglichst geringem Gesundheitsrisiko erzeugen können.“

Wichtig sei zudem aber auch die Vernetzung der einzelnen Honig-Presidi untereinander. „Wir treffen uns immer wieder mit unseren Kollegen aus anderen teilen des Landes, um Erfahrungen auszutauschen und von einander zu lernen“, bestätigt Ahmad Mako. Außerdem helfe Slow Food auch bei Dingen wie Verpackung, Marketing und Qualitätskontrolle. Und beim Zugang zu den Märkten, einem der größten Hindernisse angesichts der Abgeschiedenheit des Ortes. Involviert sei dabei auch der italienische Imkerverband Conapi, der sowohl beratend als auch finanziell unter die Arme greife.

Zurück im Dorf, geht es dann auch an die Honigverkostung. „Natürlich ist unser Honig biologisch erzeugt“, betont der Vorsitzende, während er die Tür zu einem Lager aufschließt, das in einem einfachen Verschlag untergebracht ist. Chemikalien und intensiv bestellte Felder gebe es um Rira ja gar nicht. Außerdem würden die Bienen ja ausschließlich im gänzlich unberührten Harenna-Wald arbeiten.

„Ein großer Vorteil ist das besondere Klima, das bei uns herrscht“, sagt Mako, „hier dauert die Regenzeit fast neun Monate. Deswegen können wir im Hochland im Unterschied zum Tiefland zweimal im Jahr ernten.“ Außerdem sei da eben noch die extreme Vielfalt der Pflanzen im Urwald, die dafür sorge, dass in Rira der beste ­Honig im ganzen Land hergestellt werde.

Den Einwand, dass das allerdings so ziemlich jeder Äthiopier behaupte, der Honig erzeugt, quittieren die umstehenden Herren mit lautem und despektierlichem Gelächter. „Die können das alle gerne behaupten, aber in Wahrheit wissen sie genau, dass sie niemals an die Qualität von Rira-Honig herankommen werden“, sagt Mako und bestreicht lachend ein Fladenbrot mit einer Kostprobe des Honigs.

Der ist cremig und von dunkler Bernsteinfarbe, im Geschmack einzigartig fruchtig und blumig zugleich, mit intensiven Noten von Malz und Karamell. Tatsächlich ein Gedicht. Die Imker blicken zufrieden und stolz, während sich scharenweise Schulkinder um das Honig-Lager versammeln, die alle mit Kostproben versorgt werden wollen.

Interessant wäre es freilich noch, den berühmten Honigwein zu kosten, über den so viel geredet werde, sagt der Besucher vorsichtig. Wieder lachen alle laut auf. „Den finden Sie dann vielleicht bei Ihrer Rückkehr in die Hauptstadt. Hier können wir ihn leider nicht servieren, weil wir allesamt der muslimischen Minderheit angehören“, sagt Herr Mako und verabschiedet sich, um sich wie alle Umstehenden bei bester Laune zum mittäglichen Gebet in die Moschee zurückzuziehen.