Kochen für das Gastland

Seit 2016 wird jedes Jahr das Refugee Food Festival abgehalten, bei dem Flüchtlinge in den Küchen eingesessener Restaurants kochen. Die simple Idee ist gerade dabei, sich auf etliche Städte der Welt auszudehnen. Österreichische finden sich bislang noch keine darunter.

Behutsam füllt Keshar Sharma den Teller mit heißer Suppe, reicht ihn dem Gast und wartet gespannt auf eine Reaktion. Die indische Shorba schmeckt hervorragend, intensiv nach Tomaten, leicht säuerlich und aufgepeppt durch ein Feuerwerk an Gewürzen. Gast wie Koch sind zufrieden. „Siehst du, ich sagte dir doch, dass du nirgendwo in Europa so eine authentische indische Küche bekommst wie bei mir“, sagt Sharma und lacht.

Der Inder ist gelernter Koch und lebt seit 2015 als Flüchtling in Paris. Weil er homosexuell ist, warf sein Vater ihn als er 15 war aus dem Haus und drohte, er würde ihn umbringen, sollte er zurückkehren. Kashar zog von seiner Heimatstadt Neu-Delhi ins südlichere Hyderabad und erlernte den Kochberuf. Doch auch hier wurde er wegen seiner sexuellen Orientierung immer wieder erniedrigt, misshandelt, zusammengeschlagen. Und so ging es weiter, auch als er nach Dubai übersiedelte, dort ein Catering-Unternehmen aufbaute und sieben Jahre leitete. Bis er die immerwährenden Demütigungen schließlich satt hatte und nach Europa flüchtete.

Hier traf er mit den Organisatoren des sogenannten Refugee Food Festivals zusammen, das 2016 erstmalig in Paris stattfand und seit dem alljährlich in Städten rund um den Erdball veranstaltet wird. Gegründet wurde es von zwei jungen Franzosen, Marine Mandrila und Louis ­Martin, mit dem Ziel, Flüchtlinge über Essen und Küche mit der Bevölkerung des Gastlands zusammenzubringen und ihnen die Integration zu erleichtern.

„Bevor wir das Festival ins Leben riefen, bereisten wir im Rahmen eines Projekts 18 Länder, in denen wir ­jedes Mal zusammen mit Einheimischen Lebensmittel einkauften und verkochten“, erzählt Marine Mandrila. „Dabei wurde uns bewusst, welch unglaublich verbindende Kraft dem gemeinsamen Kochen und Essen innewohnt.“

Das recht einfache Prinzip des Festivals ist, Wirte dafür zu gewinnen, ihre Restaurantküchen an einem oder mehreren Abenden den Flüchtlingen zur Verfügung zu stellen. Damit diese dort Gerichte aus ihrer Heimat zubereiten. „Die Idee kam uns im Jahr 2015 und während der sogenannten Flüchtlingskrise“, erinnert sich Mandrila. „Angesichts der vielfach negativen Berichterstattung dachten wir uns, dass man doch auch einmal unterstreichen sollte, was die geflüchteten Menschen an Positivem beitragen könnten.“ Angesichts seines durchschlagenden Erfolgs beschloss man im Jahr darauf, das Festival auch auf andere Städte auszuweiten.

Dazu wendete man sich an das UNHCR, das Hochkommissariat für Flüchtlingsfragen der Vereinten Nationen, und bat um Unterstützung. „Auch in unseren Augen besteht kein Zweifel, dass das Projekt über Essen und Küche auf gleich zwei Ebenen viel bewirken kann“, sagt Marc Fawe, Sprecher des UNHCR in Frankreich. „Zum einen bringt es Flüchtlinge und lokale Bevölkerung zusammen, wodurch Vorurteile abgebaut werden. Und zum anderen kann es den Flüchtlingen ermöglichen, in Zukunft eine Anstellung zu finden oder gar selbst ein Restaurant zu eröffnen.“

Veranstaltet wird das Festival jeweils rund um den 20. Juni, den Weltflüchtlingstag der Vereinten ­Nationen. Und zwar heuer in folgenden Städten: Bologna, Bordeaux, Brüssel, Kapstadt, Kopenhagen, Genf, Lille, London, Lyon, Madrid, Marseille, New York, Paris, Rennes und Straßburg. Teilnehmen werden insgesamt 100 Lokale und ebenso viele Flüchtlinge.

„Mit Hilfe des UNHCR haben wir einen sogenannten Toolkit entwickelt, den über unsere Homepage jeder beantragen kann, der daran interessiert ist, ein solches Festival auch in seiner Stadt zu organisieren“, erklärt Mandrila. Und UNHCR-Sprecher Fawe ergänzt, dass auch das jeweilige örtliche Büro des UNHCR den Interessierten zur Hand gehen und ihnen dabei helfen würde, Flüchtlinge und Restaurateure zusammenzubringen. „In Europa unterscheiden sich die Gesetze von Land zu Land, in manchen dürfen ausschließlich anerkannte Asylanten arbeiten, in anderen auch Asylwerber, auch dazu geben wir Auskunft“, so Fawe.

Abgesehen von dem alljährlich stattfindenden Festival wurde auch ein Catering-Unternehmen gegründet, in dem ausschließlich Flüchtlinge arbeiten, sowie ein Pop-up-Restaurant in Paris eröffnet. Dort kocht derzeit der Inder Keshar Sharma. „Bevor ich mit den Leuten vom Festival zusammentraf, habe ich versucht, in mehreren indischen Restaurants in Paris zu arbeiten, doch keines von ihnen wollte mich offiziell anstellen. Außerdem wurde ich auch dort in vielen Fällen so extrem schlecht behandelt, dass ich mir dachte: Deswegen bis du wohl kaum nach Europa gekommen“, erzählt der 38-Jährige.

„Es ist für Flüchtlinge ein ganz normaler Reflex, sich in ihrem Gastland zuerst an ihre Gemeinschaft zu wenden“, sagt Marine Mandrila, „doch in vielen Fällen schafft das auch Verunsicherung bei der lokalen Bevölkerung. Und genau da hilft die Küche, die etwas ist, das alle Menschen gleichermaßen anspricht.“

Noch ist Keshar Sharma noch nicht an seinem Ziel ­angekommen. Irgendwann will auch er ein eigenes Lokal eröffnen, am liebsten hier in Paris. Doch zum ersten Mal in seinem Leben habe er Ruhe gefunden. „Hier behandeln dich alle mit Respekt, selbst dann, wenn es den Leuten einmal nicht so schmeckt“, sagt er. Doch das passiere sowieso so gut wie nie, wie er lachend anfügt.

Weitere Informationen und das Beantragen des Toolkits: www.refugeefoodfestival.com