Kochschule am Ende der Welt
In einem ehemaligen Schulhaus auf Tasmanien betreibt ein junges Ehepaar eine Kochschule, von der man sich wünscht, dass es sie in dieser Form auch auf unserer Seite der Welt gäbe.
Das Setting wirkt wie aus dem Bilderbuch: ein liebevoll renoviertes grünes Holzhaus aus dem 19. Jahrhundert, in dem einst die Schule der kleinen Ortschaft New Norfolk untergebracht war, umgeben von einem weitläufigen Obst- und Gemüsegarten, umringt von frei laufenden Schweinen, Schafen, Hühnern und Gänsen, das Ganze eingebettet in die üppige Natur Tasmaniens. „Ich hätte nie gedacht, hier, am Ende der Welt, ein derartiges kulinarisches Idyll vorzufinden“, sagt die amerikanische Köchin Alice Waters. Anlässlich ihrer ersten Australien-Reise im Jahr 2014 gelangte die Vizepräsidentin von Slow Food bis nach Tasmanien. Und besuchte dabei auch die Agrarian Kitchen von Rodney Dunn und Séverine Demanet. So beeindruckt war sie von dem Ort, dass sie am liebsten dortgeblieben wäre, wie sie betont. „Das ist die Kochschule meiner Träume, nur schade, dass es solche Einrichtungen nicht überall auf der Welt gibt“, schwärmt Waters.
Lange Zeit war die Insel Tasmanien vor der australischen Südostküste vor allem für eines bekannt: für ihre nahezu unberührte Natur und für die schier endlose Auswahl an Aktivitäten an der frischen Luft, die Outdoor-Touristen vom Festland und aus der ganzen Welt anzogen.
Doch vor einigen Jahren haben einige der nur 500.000 Einwohner erkannt, dass ihre Insel noch viel mehr zu bieten hat als Natur pur. Inzwischen besucht man Tasmanien auch wegen seiner 160 Weinbauern, von denen etliche nach nachhaltigen und umweltfreundlichen Methoden arbeiten, wegen seiner 24 (!) Whiskydestillerien und zahllosen Kleinbrauereien und wegen der einmaligen Lebensmittel, die in der von Industrie und Umweltverschmutzung weitgehend verschonten Landschaft angebaut, gezüchtet, gesammelt und gejagt werden.
„In den letzten Jahren ist die gesamte Insel zu einer regelrechten Foodie-Destination geworden“, sagt Rodney Dunn, ein gelernter Koch und Journalist aus Sydney, der mit seiner Ehefrau Séverine Demanet im Jahr 2007 nach Tasmanien auswanderte, um hier diese Kochschule zu gründen. Inzwischen gilt die Agrarian Kitchen selbst als eine der Attraktionen der Insel.
„Wir suchten nach einem Zugang zu besseren Lebensmitteln“, erzählt Dunn, „wir wollten Gemüse, das man nicht kaufen kann, wir wollten unsere eigenen Tiere, unsere eigenen Eier und unsere eigene Milch. Und wir wollten unseren Lebensunterhalt damit verdienen, diese Erfahrung mit anderen Leuten zu teilen.“ Das Prinzip der Schule ist denkbar einfach – und dennoch genial: Alles, was im Kochkurs verkocht wird, stammt von der hauseigenen Farm oder wird in den umliegenden Wäldern gesammelt oder gejagt. „Das Jagen und Schlachten überlassen wir in der Regel den Profis“, sagt Séverine Demanet, während sie ganze Wildkaninchen aus dem Kühlschrank holt, „den Rest ernten und pflücken wir gemeinsam mit den Kursteilnehmern.“
Von denen erhält jeder einen Korb, eine Gartenschere und je nach Witterung auch Gummistiefel und Regenschutz. Danach geht es zuerst in den Gemüsegarten, der selbstverständlich biologisch bewirtschaftet wird. Auf der südlichen Hemisphäre ist zur Zeit unserer Reise gerade Herbst, und so haben Rüben- und Knollengemüse wie Karotten und Topinambur Saison. Dazu Äpfel, Rhabarber, spät reifende Tomaten und verschiedenste Kartoffelsorten. Und als Gewürz eine autochthone und besonders aromatische Pfeffersorte namens Tasmanischer Bergpfeffer.
Während des Spaziergangs durch die Felder und Obstgärten spricht Dunn über die Eigenschaften der verschiedenen Pflanzen, erklärt, welche davon aus Europa stammen und welche von dieser Insel, auf der das Klima für australische Verhältnisse kühl ist und die Natur geradezu wuchernd.
Unglücklicherweise wurde die tasmanische Urbevölkerung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von den britischen Siedlern und den von ihnen importierten Krankheiten ausgerottet. Mit ihnen verschwanden auch die Sprachen und Kulturen der Aborigines, weswegen es heute kaum noch möglich ist, Genaueres über ihre Koch- und Essgewohnheiten zu erfahren.
„Aber mit Sicherheit standen diverse essbare Arten von Farnen am Speiseplan sowie zahlreiche Beerensorten, wie etwa die heimische Stachelbeere, außerdem wilde Passionsfrucht und die vielen lokalen Kapernsorten“, erklärt Dunn. Fleisch kam natürlich von Känguru und Wallaby sowie vom Riesenvogel Emu. Dazu Meeresfrüchte wie der australische Hummer und die Riesenmuschel Abalone, auch Seeohr genannt. Das Wildkaninchen indessen, das an diesem Tag auf dem Küchenplan steht, wurde erst Anfang des 19. Jahrhunderts eingeführt. Und entwickelte sich – ein typisch australisches Schicksal – bald zur Plage. Inzwischen sei der Bestand zwar unter Kontrolle, dennoch komme es immer wieder zu Explosionen der Kaninchenpopulation, die die lokale Fauna und Flora bedrohen könnten, betont Dunn.
Zurück im Farmhaus, wird zuerst das Gemüse gewaschen und geschnipselt. Dazu erhält jeder Teilnehmer ein Schneidbrett, auf dem im Anschluss auch nach Anweisungen von Dunn das Kaninchen zerlegt wird. „Kaninchen steht nur sehr selten auf dem australischen Speiseplan“, sagt eine junge Frau aus Melbourne, die mit ihrem Mann angereist ist, „und zerlegt haben wir sowieso noch nie eines.“
Serviert wird es vom Holzkohlengrill und mit Chimichurri-Sauce aus Tomaten, Knoblauch, Koriander und anderen Kräutern. Dazu gibt es verschiedene Sorten Gartenkartoffeln mit Knoblauch und tasmanischem Olivenöl sowie geröstetes Rübengemüse mit Honig-Senf-Dressing. Zuvor gibt’s noch hausgemachte Gnocchi mit hausgeräuchertem Speck, Erbsen und frischem Liebstöckel. Und danach selbstgezogenen Rhabarber-Apfel-Strudel mit einer Kugel Eis aus Ziegenmilch und Honig.
„Man sieht allen Teilnehmern an, was für ein besonderes Erlebnis es ist, die selbstgepflückten und selbstgekochten Zutaten zu essen“, sagt Alice Waters. „In den 44 Jahren, die ich mein Restaurant Chez Panisse betreibe, bin ich auf Suche nach Inspiration um die ganze Welt gereist und dabei nie nach Tasmanien. Ich wünschte, ich wäre schon früher hierher gekommen.“