Nur keinen Stress

In Sachen Tierhaltung und -schlachtung sind die heimischen Gesetze nicht nur sehr streng, sondern bisweilen auch unlogisch. Dem zum Trotz haben ein paar engagierte Bergbauern in der ­Weststeiermark eine Methode durch- gesetzt, die sowohl den Tieren als auch den Konsumenten zugutekommt.

Text & Fotos von Georges Desrues

Tiertransporte waren Hannes Kienzer von jeher ein Dorn im Auge. „Ein Rind aus seiner Herde zu reißen, auf einen ihm völlig ungewohnten Anhänger zu treiben, es dort anzubinden und dann alleine in eine ihm komplett fremde Umgebung zu fahren, erschien mir immer eine unnötige Qual, die ich dem Tier gerne ersparen wollte“, erzählt der Land- und Forstwirt. Darum suchte er bereits vor zehn Jahren nach einer Methode, um Rinder direkt in ihrem gewohnten Umfeld am Hof zu schlachten und sie dieserart möglichst wenig Stress auszusetzen – und stieß damit erst einmal auf hartnäckigen Widerstand.

„Unser damaliger Amtstierarzt sagte uns sofort, dass das niemals durchgehen würde, dass in Österreich die Bestimmungen zu strikt wären, dass wir die Idee der Hofschlachtung aufgeben sollten“, erinnert sich der großgewachsene Züchter mit schütterem Haar und Dreitagebart. Das alles, weil nach österreichischem Gesetz ein Tier lebendig ins Schlachthaus gebracht werden muss. Dabei habe es zu der Zeit in Deutschland und der Schweiz bereits Gesetze gegeben, die eine Hofschlachtung möglich machten. „Da hat man in Österreich eine Entwicklung ganz offensichtlich verschlafen“, bedauert Kienzer.

Doch so einfach ließ er sich nicht abbringen von seinem Vorhaben. Und so gründete er gemeinsam mit zehn weiteren Bauern aus seiner Region den Verein „Initiative für die stressfreie Hofschlachtung“. So wie Kienzers Hof liegen auch jene der weiteren Mitglieder im Bezirk Deutschlandsberg in der Weststeiermark. In allen Fällen handelt es sich um biologisch arbeitende Bergbauern, die das Fleisch ihrer Tiere direkt vermarkten und ihre Höfe auf der Koralm betreiben. Diese ist ein Mittelgebirgszug, der sich von Norden nach Süden durch die Weststeiermark erstreckt und die natürliche Grenze zum Nachbarbundesland Kärnten bildet. Die Landschaft wirkt teils weitgehend unberührt, teils geprägt von Viehzucht und Landwirtschaft. Dichte Wälder wechseln sich ab mit saftigen Kuhweiden, von denen sich atemberaubende Blicke in die Ebene im Osten öffnen.

Der Kienzer-Hof liegt auf knapp 1.000 Meter Seehöhe. Die Rinderherde grast in der warmen Jahreszeit auf der Alm im Freien, man setzt auf Mutterkuhhaltung. Etwas Getreide als Zusatzfutter für die Rinder und zum Brotbacken für den Eigenverbrauch der Familie wird gleichfalls angebaut. Die Tiere sind eine Kreuzung aus weiblichem Fleckvieh und männlichem Limousin-Rind. Für hofeigenen Nachwuchs durch Natursprung, also natürlicher Begattung auf der Weide, sorgt ein mächtiger Bulle namens Mandi. Seit den 1980er-Jahren gibt es auch einen genehmigten und geprüften Schlachtraum.

„Meistens waren es eh nur wenige Kilometer, die die Kollegen zurücklegen mussten, um zu unserem Schlachthof zu gelangen“, erzählt Kienzer, „doch selbst derart kurze Distanzen können ein im Anhänger angebundenes Rind, das den Sommer auf der Weide und den Winter im Laufstall verbringt, stark stressen.“ Und so mussten sich die Bauern, um der Vernunft zum Sieg zu verhelfen, etwas einfallen lassen – der rigiden heimischen Gesetzgebung zum Trotz.

Mit Hilfe eines neuen und positiver eingestellten Amtstierarztes sowie eines lokalen Fahrzeugbauers haben sie sich eine ganz besondere Methode und einen speziellen Anhänger ausgedacht. „Das Tier wird, während es frisst, per Bolzenschuss betäubt. Spätestens eine Minute danach muss es per Gesetz entblutet werden“, sagt Kienzer. Erfolgen darf der Bolzenschuss ausnahmslos im Stall. An eine Weideschlachtung, wie sie in anderen Ländern bereits praktiziert wird, ist in Österreich zurzeit nicht zu denken. „Bei einer solchen Schlachtung wird das Tier direkt auf der Weide betäubt“, erklärt der Züchter, „das betrachten viele als die noch bessere Methode, allerdings hat sie auch Nachteile.“ Nämlich etwa dann, wenn der erste Schuss mit dem Bolzen nicht perfekt sitzt und es zu Komplikationen kommt.

„Nach der Betäubung im Stall kommt das Tier in eine Schlachtbox“, sagt Kienzer und führt stolz den eigens angefertigten Anhänger vor. Dieser verfügt über einen motorbetriebenen Flaschenzug, mit dem das betäubte Rind hineingezogen wird. Ein doppelter Boden sorgt für die spätere ordnungsgemäße Entsorgung des Blutes im Schlachtraum, sofortiges Händewaschen ermöglichen Wassertank, Seifen- und Handtuchspender. Danach wird der Anhänger verschlossen und zum Schlachthaus geführt, wo die Zerteilung stattfindet.

„Die Ruhe ist im Tier. Da es keinerlei Stress ausgesetzt ist, kommt es auch zu keinem Adrenalinausstoß“, sagt Kienzer, „was wiederum für eine höhere Fleischqualität sorgt und obendrein die Dauer der Haltbarkeit nahezu verdoppelt.“ Für ihn als Direktvermarkter entstehe indes der Vorteil, dass er alle Schritte selbst und am eigenen Betrieb durchführen könne, fügt der gelernte Koch an, der viele Jahre in der Gastronomie tätig war, bevor er den ­elterlichen Hof übernahm.

Und dennoch: Trotz des eindeutigen Gewinns für alle Beteiligten, für Tier, Verbraucher und Züchter, bewegt sich die ganze Initiative in einer Art gesetzlichem Graubereich. Denn die Bewilligung, die den Bauern erteilt wurde, ist vorerst auf sechs Monate befristet und läuft im November aus. Kienzer geht zwar davon aus, dass sie erneuert wird, doch eine endgültige Gesetzesänderung, die klare Verhältnisse schaffen würde, wäre ihm freilich lieber. Wohlwollender gesinnt als die österreichischen Behörden scheint indessen die Europäische Union. Sie nämlich hat den steirischen Bauern einen Preis für ihr innovatives Projekt verliehen. Was diesen erlaubt, wenigstens einen Teil der ­Investitionen für Planung und Bau des Anhängers zurückzubekommen.

Initiative für die stressfreie Hofschlachtung www.stressfrei.st