Öfen für die Tropen

Der Mühlviertler Biobäcker Helmut Gragger hört nicht auf zu expandieren. Nach mehreren Filialen in Wien und Berlin stellte er seine berühmten Holzöfen auch in Bangkok und im Senegal auf. Nun sollen 20 weitere im Rahmen eines spannenden Sozialprojekts folgen.

Es ist erst neun Uhr morgens, und doch brennt die Sonne schon unerbittlich auf Bangkok herab. April ist einer der heißesten Monate in der thailändischen Hauptstadt. Und die Luftfeuchtigkeit erreicht Spitzenwerte. Die Bäckerin Anna Gandl beendet gerade ihren Arbeitstag, von der Schwüle zeigt sie sich verhältnismäßig unbeeindruckt. „Daran habe ich mich inzwischen gewöhnt. Und in einer Backstube ist es sowieso immer heiß“, sagt die Oberösterreicherin aus Sankt Wolfgang im wohltemperierten Salzkammergut. „Aufgestanden bin ich um zwei Uhr früh, dann mit dem Rad hierher gefahren, um in der Bäckerei den Holzofen anzuwerfen und im Anschluss den Teig für das Brot und Gebäck vorzubereiten.“

Noch bis Ende Juni wird sie hier backen, danach an Kollegen übergeben, die sie selbst ausbildet, und schließlich nach Europa zurückkehren. Denn ab Herbst will die 25-Jährige, wenn alles planmäßig läuft, an der Slow Food-Universität der Gastronomischen Wissenschaften im Piemont inskribieren. „In Sankt Wolfgang bin ich in der Bäckerei meiner Eltern aufgewachsen, besuchte dann die Tourismusschule, habe eine Konditorlehre gemacht und ein Jahr in Helmut Graggers Bäckerei in Wien gearbeitet“, sagt Gandl.

Danach nahm sie einen Saisonjob an, bis der Anruf von Helmut Gragger kam, der sie fragte, ob sie ihm bei der Eröffnung einer Bäckerei in Bangkok zur Hand gehen wolle. Gezögert habe sie keinen Moment. Und so ist sie seit vergangenem Jänner hier und bäckt in der Bäckerei namens „Landhaus“, die vor wenigen Wochen im Bangkoker Viertel Aree eröffnete. Die Gegend gehört zu den schickeren in der thailändischen Hauptstadt. Galerien wechseln sich ab mit hippen Cafés, angesagten Bars und Restaurants sowie gediegenen Wohnhäusern.

In einem Hinterhof ist in einem frei stehenden weißen Haus mit üppigem Garten und Bananenbäumen die Bäckerei mit angeschlossenem Café untergebracht. Auf der Eingangstür steht auf Deutsch „Herzlich willkommen“, die Einrichtung ist schlicht und modern gehalten, mit viel Licht und viel Sichtbeton, gerade so, wie man es aus zahlreichen angesagten Kaffeebars in Europa kennt, nur mit weit mehr Grün in Form von tropischen Pflanzen.

„In diesem Viertel leben viele Europäer und Amerikaner, weswegen wir uns dachten, dass es ideal wäre für eine Bäckerei, weil das ja für Brot und Gebäck doch eher die Zielkundschaft ist als die Einheimischen“, erzählt Gandl. Doch schon einige Wochen nach der Eröffnung zeigte sich, dass die Thailänder mindestens genauso interessiert sind an typisch österreichischen Backwaren wie an den Mohnflesserln, am Roggensauerteigbrot oder an Graggers berühmten Salzstangerln. Sodass die Einheimischen inzwischen um die 80 Prozent der Kundschaft ausmachen. Was beweist, dass man mit richtig gutem Brot und gepflegtem Kaffee heutzutage in allen großen Städten dieser Welt punkten kann.

Herzstück der Bäckerei ist naturgemäß der Backofen. Dieser ist am Ende des Gebäudes untergebracht, und zwar so, dass lediglich seine Front von der Backstube aus zugänglich ist, und er ansonsten im Freien steht. Was einige Grad Temperatur im Inneren des Gebäudes sparen soll. Gebaut wurde der Ofen in Österreich, danach in seine Einzelteile zerlegt, im Hafen von Koper in Slowenien nach Bangkok verschifft, war dann knapp vierzig Tage auf See und wurde hier wieder zusammengesetzt.

„Alles lief weitgehend problemlos ab“, erzählt Bäckermeister Helmut Gragger, „bis uns die Bürokratie einen Strich durch die Rechnung machte und der Ofen vier Wochen im thailändischen Zoll festhing.“ Dementsprechend verzögerte sich die Eröffnung der Bäckerei. Aber warum brauchte es überhaupt einen Ofen aus Österreich? „Wir benutzen in allen unseren Bäckereien solche Öfen, die wir gemeinsam mit Markus Luger entwickelt haben. Es sind Spezialanfertigungen, deren Bestandteile nur in Österreich erhältlich sind und die den Vorteil haben, dass sie weitgehend wartungsfrei sind, was die Betriebskosten erheblich senkt.“ Zudem können sie mit alternativen Brennmaterialen befeuert werde. Im konkreten Fall etwa mit Briketts aus gepressten Reisschalen, die bei der Reisernte als Abfall anfallen.

Während es sich bei der Bäckerei in Bangkok um ein rein wirtschaftlich arbeitendes Unternehmen handelt, das Gragger mit drei Partnern betreibt, sind andernorts weitere ­Bäckereien mit sozialem Auftrag geplant. So steht beispielsweise bereits heute einer von Graggers Öfen in einer Bäckerei in der Ortschaft Mbour, der Hauptstadt Senegals 150 Kilometer südlich von Dakar, die im Juli in Betrieb gehen wird. „Im Senegal ist die Situation freilich eine ganz andere als in Bangkok“, sagt Gragger, „hier sind wir sehr wohl in einem Brot-Land, in dem jeder Einwohner durchschnittlich täglich ein Baguette mit 180 Gramm isst.“ Auch hier kommt das Brot aus dem bewährten österreichischen Backofen. Und auch hier wird mit Briketts aus organischem Abfall beheizt, was Brennstoffe wie Diesel oder Öl überflüssig macht. Zudem sind Graggers Öfen so konzipiert, dass sie die Wärme besser speichern, und der Brennstoffeinsatz somit generell reduziert wird.

Und da man auch diese Bäckereien gewinnbringend führe, würden sie zudem langfristig Perspektiven schaffen sowohl für die Beteiligten als auch für die gesamte Region. „Unser Ziel ist, eine regionale Wertschöpfungskette zu bilden, die vom Kauf der Brennmaterialien und Rohstoffe bis hin zum Verkauf der erzeugten Produkte in der Region stattfindet und der lokalen Bevölkerung Ausbildungsmöglichkeiten bietet“, betont Gragger. Generell strebe man an, vor allem in ländlichen Bereichen beziehungsweise in der Peripherie der Städte präsent zu sein. Dort also, wo es immer häufiger an Arbeitsplätzen mangle und zu Landflucht komme, fährt der Bäckermeister fort. „Für mich ist das der Slow Food-Gedanke schlechthin. Nämlich dabei mitzuhelfen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die lokale Bevölkerung selbstständig mit eigener Arbeitskraft und aus lokalen Grund- und Energiestoffen ihre Lebensmittel erzeugen kann.“ Inzwischen sei bereits die Finanzierung von zwanzig Bäckereien gesichert, die neben dem Senegal auch in anderen afrikanischen Ländern, darunter Uganda, die Demokratische Republik Kongo, Burkina Faso, aber auch in Europa in Albanien, Serbien und Moldawien entstehen und mit einem Holzofen ausgerüstet werden sollen.

In den afrikanischen Ländern seien jedoch – genau wie in Bangkok – die extreme Hitze und Luftfeuchtigkeit Grund dafür, dass das Weißgebäck nicht ganz so knusprig werde, wie man das aus Österreich gewohnt sei. „Das ist aber nicht wirklich ein Problem“, betont die Bangkoker Bäckerin Gandl, „da muss man einfach die Backzeit etwas erhöhen, dann gibt es auch mehr Krustenbildung.“ Und schließlich habe Brot aus dem Holzofen auch einen qualitativen Vorteil, fügt sie an. Nämlich dass es länger hält um mindesten einen Tag länger frisch bleibt.

Alles begann mit einem Kooperationsprojekt mit der Caritas namens „BACK ma’s“, in dessen Rahmen der Mühlviertler Bäckermeister Helmut Gragger Jugendliche mit Lernproblemen zu Bäckern ausbildet. Das war im Jahr 2009.

Inzwischen haben 19 Jugendliche die Ausbildung abgeschlossen, und weitere zehn sind derzeit in Ausbildung.

Seit 2016 engagiert man sich im Rahmen von BACK ma’s auch im Ausland, wo in Entwicklungs- und Schwellenländern Kleinbäckereien errichtet werden, die sich für die Rohstoff- und Energieversorgung an die jeweiligen lokalen ­Gegebenheiten anpassen, um eine unabhängige Selbstversorgung vor Ort sicherzustellen. So werden zudem Arbeitsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen.

Im August 2017 wurde schließlich die Gragger & Cie Social Business GmbH gegründet, deren Ziel ist, Kleinbäckereien in städtischen Peri­pherie-Gebieten und im ländlichen Raum zu ­eröffnen, die ein an lokale Bedingungen angepasstes Grundsortiment erzeugen und verkaufen. Dabei wird der spezielle Modul-Backofen eingesetzt, der mittels Briketts aus organischem Abfall beheizt wird, wodurch Energiekosten entscheidend verringert werden. Der betriebswirtschaftliche Gewinn fließt in die Ausbildung der Kinder der Angestellten sowie in weitere soziale Projekte vor Ort.

Nach einem ersten erfolgreichen Projekt im Senegal sollen nun zwanzig weitere folgen.

Social Business Bäckereien, deren Finanzierung bereits gesichert ist, entstehen in weiteren Ländern, darunter Uganda, die Demokratische Republik Kongo und Burkina Faso sowie in Osteuropa Albanien, Serbien und Moldawien.