Von der Freude am Gemüse

Text von Elisabeth Ruckser

In der niederösterreichischen Versuchs­anlage Zinsenhof wird seit Jahrzehnten zu neuen Methoden für Gemüseanbau in Österreich geforscht. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit stehen allen zur Verfügung, die sie nützen wollen – vom Profi bis zum Hobbygartler. Die besonders gute Nachricht: Vermittelt werden sie von Fachleuten, die nicht nur ihr Handwerk ausgesprochen gut verstehen, sondern auch Geschichten von Begeisterung, Freude und Genuss zu erzählen wissen.

Wenn Wolfgang Palme aus der Schule zu plaudern beginnt, dann sollte man sich besser ein wenig Zeit nehmen. Denn es gibt sehr viel zu berichten von „seinem“ Zinsenhof. Von den ersten Ideen, die er umsetzte, als er die Leitung der Station vor zwei Jahrzehnten übernahm, von den Plänen, die es für die Zukunft auch heute gibt. Vom aktuellen „Cut-and-come-again“-Projekt mit Gemüsen, die man einmal pflanzt und öfters beerntet. Von 20 verschiedenen Sorten Rhabarber, die gerade im Versuch stehen, von Veranstaltungen, zu denen man sich lieber schnell anmelden sollte, bevor sie ruck, zuck ausgebucht sind; von den Hühnern, die jetzt auch zum Betrieb gehören, von spannenden internationalen Kooperationen und, und, und. Am liebsten aber, so hat man den Eindruck, erzählt er von der Freude am Ausprobieren, am Verkosten und am Genießen.

Der Zinsenhof: 1,5 Hektar Freiland und 1.000 Quadratmeter Fläche in Folientunneln und Glashaus stehen im niederösterreichischen Melktal für die Forschungsarbeiten des Teams rund um Wolfgang Palme zur Verfügung. Der Zinsenhof ist eine Außenstelle Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn, und Jahr für Jahr werden hier auf dem Gelände Anbausysteme und Kulturverfahren entwickelt, erprobt und getestet. Seit 2007 bewirtschaftet man ein Drittel der Fläche nach biologischen Kriterien, darüber hinaus ist man auch stets in Kontakt mit anderen Betrieben und Forschungseinrichtungen. Alles mit dem Ziel, Gemüseanbau für die österreichische Landwirtschaft, kurz gesagt, besser zu machen: effizient, zukunftstauglich und gut für bestehende (Klein-)Strukturen geeignet.

„Wir arbeiten sehr praxisorientiert. Und versuchen Lösungen für die Problematik zu finden, wie man als kleiner Betrieb einfach, ,bio-intensiv‘ und effektiv arbeiten kann“, so der Gartenbauexperte. Themen wie möglichst geringer Energieaufwand und regenerative Ansätze bei der Bodenbehandlung stehen dabei im Fokus. „Wie kann man Energie herausholen und nicht immer nur reinstecken? Oder Substanz aufbauen und nicht abbauen?“ Auf der Suche nach optimalen Methoden beschäftigt man sich sowohl mit ­Erfahrungsberichten aus alten Lehrbüchern als auch mit Erkenntnissen, die Gleichgesinnte rund um den Globus auf ähnlichen Gebieten bereits gewonnen haben. Vor allem das Thema der Energieeffizienz hat durch die Diskussionen zur Klimakrise enorm an Bedeutung zugelegt. „Hier gibt es viele Fragen, und wir brauchen dringend Antworten.“

Ursprünglich wurde der Zinsenhof als Sortenprüf­station betrieben. „Nach dem Krieg kam vieles an Gemüsesaatgut aus anderen Ländern auf den Markt, und man musste wissen, was sich für den Anbau in Österreich eignet und was nicht“, erzählt Wolfgang Palme von der Geschichte des Betriebs. Busweise seien die Landwirte damals gekommen, um sich zu informieren. Doch als Saatguthersteller begannen, Sorteninformationen direkt in ihren Betrieben anzubieten, blieben die Besucher mehr und mehr aus. Neue Ideen für den Zinsenhof mussten her. Und sie kamen.

20 Jahren ist es her, da übernahm Wolfgang Palme nicht nur die Leitung der Anlage, sondern startete wenig später zusammen mit Koch Johann Reisinger spezielle Seminare. Ausgerichtet auf andere Zielgruppen, hießen die Zauberworte Vielfalt und Vernetzung. Jedes Jahr stand ein Gemüse im Blickpunkt dieser sogenannten „Schönbrunner Seminare“; und zwar in seiner ganzen Bandbreite. Viel Neues und völlig Unbekanntes wurden am Zinsenhof angebaut – „einmal waren es 66 verschiedene Endivien und Zichorien, ein andermal 100 unterschiedliche Radieschensorten“ –, anschließend zubereitet, verkostet und analysiert. „Ich wollte damit auch ein bisschen ein anderes Bild von Fachleuten zeichnen, eines, in dem Freude, persönliche Überzeugung und Begeisterung Platz haben“, erzählt Wolfgang Palme von seinen Intentionen. Es sollten Seminare sein, die nicht nur den Kopf füllen, sondern auch den Bauch. Und die Besucher kamen. Anfangs zögerlich, wenig später in großen Scharen – vom Koch bis zur Ernährungsberaterin, vom Journalisten bis zur Bäuerin.

Die verlorene Jahreszeit. Anbaupraxis und Umsetzung sinnvoller Alternativen stehen im Zinsenhof nach wie vor im Mittelpunkt der Arbeit. Seit Jahren beschäftigt man sich in dem Zusammenhang auch mit dem großen Komplex des Winteranbaus. Wolfgang Palme spricht da auch gern von der „verlorenen Jahreszeit“, die es gelte (wieder) zu finden. Passiert im Winter nichts in den Beeten und auf den Feldern, liegt die Anbaufläche schließlich eine Saison lang brach und ungenützt. Viele neue Erkenntnisse wurden auf diesem Gebiet inzwischen gewonnen, und mittlerweile kann regelmäßig frisches Gemüse auch bei Eis und Schnee geerntet werden. „Da hab ich manchmal das Gefühl, wir entdecken wie Christoph Kolumbus gerade einen neuen Kontinent, einen ganzen Gemüse-Kontinent.“

Dass es funktioniert, zarte Salatpflanzen und Radieschen im Winter zu ziehen, haben Palme und sein Team längst bewiesen und mittlerweile geradezu verinnerlicht. „Die meisten Pflanzen sind viel kälteresistenter, als wir glauben.“ Und auch, als in vielen Lehrbüchern steht. So bietet der Zinsenhof immer wieder auch Seminare zu den vielen Fragen an, die dazu bei Profis wie auch bei Hobbygärtnern auftauchen: Wie lässt sich eine Winterente bewerkstelligen, welche Pflanzen eignen sich dazu und was muss ich tun, damit’s auch wirklich gelingt?

„Es ist ein extrem spannendes Gartenthema“, so Wolfgang Palme. Er selbst hat dazu soeben sein zweites Buch geschrieben: Ernte mich im Winter, das als Easy-gardening-Handbuch für alle gedacht ist. „Privat macht es einfach unglaublich Spaß, zu Weihnachten eigene Karotten mit frischem Grün aus dem Beet zu ernten“, sagt er dazu und schmunzelt. „Aber für landwirtschaftliche Betriebe kann es ein überlebenswichtiger Vorteil gegenüber der Konkurrenz sein – frisches, klimaneutrales Gemüse im Winter.“ Winteranbau gilt mittlerweile wirtschaftlich als sehr erfolgreich, erste Daten dazu hat das Forschungsinstitut für biologischen Landbau bereits analysiert.
Aber die Saison lässt sich nicht nur nach hinten verlängern, es geht auch in die andere Richtung. So wurde am Zinsenhof nach jahrelangen Versuchsreihen eine Methode entwickelt, um Tomaten und anderes Sommer-Fruchtgemüse so zeitig im Folientunnel zu pflanzen, dass Tomaten bereits im Mai reif und gschmackig geerntet werden können – und das ganz ohne herkömmliche Beheizung. „Das ist Wochen bevor bei uns normalerweise die heimische Tomaten-Schwemme einsetzt!“ Vor allem für kleine Betriebe könnte das ebenfalls ein Weg sein, sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Die Anbauweise macht sich das Mistbeet-Prinzip zunutze, und die Grundzüge des Modells hat Wolfgang Palme bei einem Besuch in Moldawien kennen gelernt: „Ich bin hingekommen, um Wissen weiterzugeben – und quasi im Austausch mit dieser Idee eines moldawischen Bauern wieder heimgefahren: Den Boden mit Schafsmist so zu wärmen, dass man um einiges früher pflanzen und daher auch ernten kann.“

Mit Schienen übers Feld. In Sachen Technik wird am Zinsenhof ebenfalls regelmäßig Neues entwickelt – und auch Altes wiederentdeckt. Wie etwa höchst sinnvolle Kleingeräte zur Gartenbearbeitung, die abseits von Traktoren und anderen erdölbetriebenen Landmaschinen im Gemüseanbau boden- und ressourcenschonend eingesetzt werden können. Oder ein mobiler Tunnel zum Schutz sensibler Kulturen, Wolfgang Palme nennt ihn „Rolltunnel“, der in Kooperation mit einer deutschen Folientunnel-Firma kreiert wurde. Dieser Aufbau kann mittels Schienen und Rollen am Feld einfach versetzt werden. „Das Prinzip ist, die wertvolle geschützte Fläche gezielt dort zu haben, wo ich sie gerade brauche.“ So kann man den Tunnel etwa im Herbst zum Schutz der letzten Tomaten einsetzen, die so noch gut ausreifen können. Und fährt danach weiter zum Salat, dem er in der Folge ein wärmendes Dach gegen die ersten Nachtfröste bietet.

Wolfgang Palme: „Es geht immer darum, Arbeit einzusparen und maximalen Nutzen ziehen zu können. Meine Vision ist, kleinstrukturierten, biologischen Gemüseanbau zu fördern, der unaustauschbar ist – mit reifem Rhabarber im März, Erdbeeren im Mai und Salat zu Weihnachten. Das kann Kleinbetriebe tatkräftig unterstützen, sodass sie gut davon leben können.“ Oder anders formuliert: Was am Zinsenhof entwickelt wird,

Der Zinsenhof ist eine Außenstelle der Abteilung Gemüse an der Höheren Bundeslehr- und Forschungsanstalt für Gartenbau Schönbrunn in Wien und gehört zum Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Heuer feiert man auch das Jubiläum 70 Jahre Zinsenhof. Gruppenführungen durch das Gelände gibt es jederzeit gegen Voranmeldung. www.zinsenhof.com

Buchtipp
Wolfgang Palme: „Ernte mich im Winter. Einfach immer frisches Gemüse säen, wachsen, glücklich sein“
Löwenzahn-Verlag, € 24,90,
ISBN 978-3-7066-2661-3