Zauber der Peka

Bekannt ist Istrien für seine prachtvollen Küsten und die im Sommer häufig überfüllten Strände. Doch zu entdecken gibt es auch im Hinterland der Halbinsel einiges. Denn dort wächst die Zahl der Idealisten, die zunehmend auf lokale Lebensmittelerzeugung und nachhaltige Landwirtschaft setzen.

Text & Fotos Georges Desrues

Vier verschiedene Staatsbürgerschaften hat Dimitri Brečević’ Großvater in seinem Leben besessen – ohne dass er jemals sein Dorf in Istrien verlassen hätte. „Geboren wurde er als Österreicher“, erzählt der Enkel, „dann war er Italiener, später Jugoslawe und schließlich und bis zu seinem Tod Kroate.“ An solchen Einzelschicksalen zeigt sich deutlich, wie umstritten die Halbinsel zwischen Nordostitalien, Slowenien und ­Kroatien im Laufe ihrer bewegten Geschichte war. Aber auch, wie viele verschiedene Einflüsse die Kultur, die Landwirtschaft, die ­Küche dieser Gegend bereichert haben. So ist es beispielsweise keine Seltenheit, in ein und derselben Konoba, wie die Gasthäuser hierzulande heißen, Gerichte wie Gulaš, (Apfel-)Štrudl und Palačinke genauso serviert zu bekommen wie als „Primo“ Pasta mit Pesto oder Rižoto mit den berühmten lokalen Trüffeln. Oder auch balkanisch beeinflusste Lammspezialitäten sowie frischesten Fisch und Meeresfrüchte vom holzbefeuerten Kamin und aus der typischen Peka (auch „Čripnja“ genannt), einer metallenen Haube, die über das Grillgut gestülpt, mit Glut bedeckt wird und dieserart die Aromen einfängt.

In Sachen Lebensmittelproduktion hat die Region dieselbe Entwicklung mitgemacht wie die meisten Gegenden Europas – wenn auch mit einigen Jahren Verspätung. „Als ich vor zehn Jahren ­hierher kam, gab es noch etliche Kleinbauern, die Landwirtschaft im traditionellen Stil betrieben“, erzählt der Weinbauer Dimitri Brečević, der selbst in Südwestfrankreich aufgewachsen ist und die Sprache seiner kroatischen Vorfahren nach seiner Rückkehr erst erlernen musste. Seitdem hat aber auch in Istrien die „moderne“ Landwirtschaft Einzug gehalten, viele Bauern und ­Winzer sind umgestiegen auf chemischen Pflanzen- und Insektenschutz, etliche andere haben die Landwirtschaft komplett aufgegeben, um in den zahlreichen Tourismusbetrieben an der Küste zu arbeiten. Als in der Folge auch noch zunehmend billiger produzierte Lebensmittel aus dem Ausland importiert wurden, standen die meisten Höfe im Landesinneren bald verlassen, die Felder, Weiden, Weinberge und Olivenhaine verwilderten.

Doch seit einigen Jahren kehren auch immer mehr Menschen zurück, übernehmen die stillgelegten Bauernhöfe und widmen sich wieder einer naturnahen und auf Qualität ausgerichteten Landwirtschaft. So auch Brečević, der auf möglichst unverfälschte Weine aus einheimischen Sorten schwört, wie er sie unter seinem eigenen Namen, aber auch als Önologe für den Starwinzer ­Giorgio Clai erzeugt, einem Pionier unter den istrischen Qualitätsweinbauern. „Die autochthonen Sorten, wie etwa der Malvasia Istriana bei den Weißen oder der Refošk bei den Roten, eignen sich ganz besonders für unsere Art, Wein zu machen, also mit biologischen Methoden, ohne Chemie und ohne Hefezusätze und mit vergleichsweise langer Reifung auf den Schalen – genau so, wie das hier über Jahrhunderte gemacht wurde“, betonen die beiden.

Neben Wein gilt vor allem Olivenöl als das gastronomische Aushängeschild der Halbinsel, von der es häufig heißt, sie sei die Heimat des besten Olivenöls der Welt. „Natürlich kann man nicht sagen, dass in einer Region besseres Öl erzeugt wird als in einer anderen“, sagt indessen die Bio-Olivenöl-Produzentin Irena Ipša, „denn im Endeffekt hängt die Qualität natürlich in ­erster Linie von der Arbeit des Erzeugers ab.“ Unbestritten ist allerdings auch, dass die Dichte an solchen Erzeugern in Istrien besonders hoch ist. Ipša selbst führt das nicht zuletzt auf eine erfolgreiche Initiative der kroatischen Regierung zurück. „Sie hat den Anbau von Olivenbäumen subventioniert, hat Interessierten geholfen, sich niederzulassen, und sie anschließend beraten. Das alles, um die Landflucht aus dem Landesinneren zu stoppen und ein Gegengewicht zum boomenden Küsten-Tourismus zu schaffen“, erzählt die Olivenbäuerin. Auch sie selbst und ihr Mann mussten, als sie vor knapp zwanzig Jahren den Hof von den Schwiegereltern übernahmen, zuerst die überwucherten Terrassen roden und von Gestrüpp befreien, bevor sie ihre Bäume pflanzen konnten.

Mittlerweile ist die Rechnung der Behörden weitgehend aufgegangen. Zahlreiche Touristen kommen heute zumindest als Tagesausflügler, um die exzellenten Olivenöl- und Weinbauern in Istriens Hinterland zu besuchen und ihre Produkte ab Hof zu kaufen. Und sie tun gut daran. Denn vor allem hier im Norden der Halbinsel ist die Landschaft von schlichtweg atemberaubender Schönheit. Satte grüne Hügel, verwunschene Berg­dörfer, dichte Wälder und dazwischen immer wieder die gepflegten Terrassen mit den silbrig glänzenden Olivenhainen.

Ein ziemlich andersgeartetes Bild bietet indessen die Gegend um die Ortschaft Labin, wo die Erde trockener ist, die Natur karger, das Mittelmeer noch stärker spürbar. Hier hat der slowenische Anwalt Aleš Winkler einst ein verlassenes Landgut erstanden, das er als Wochenendhaus nutzte. „Das Anwesen war damals noch völlig überwuchert“, erzählt auch Winkler, „also beschlossen meine Frau und ich, ein paar Ziegen zu kaufen, die den Boden abgrasen würden.“ Das lief ganz gut, bis die Aussteiger erkannten, dass sie die dreißig Ziegen auch melken mussten. „Plötzlich standen wir vor großen Mengen an Milch und wussten nicht, wohin damit. Kaufen wollte sie niemand, also beschlossen wir, Käse zu machen.“ Der zählt heute zu den anerkanntesten Spezialitäten Istriens, wird an zahlreiche lokale Spitzenrestaurants und Hotels geliefert und ist inzwischen weit über die Grenzen der Halbinsel hinaus bekannt. „Als wir begannen, gab es hier nirgendwo Ziegen, obwohl das Wappentier Istriens ein Ziegenbock ist“, erzählt Winkler, während er einige seiner Rohmilchkäse in verschiedensten Reifestadien auftischt, „dabei ist das Käse­machen eigentlich gar nicht so schwer, wie sich das viele Leute vorstellen – solange man seine Tiere richtig füttert, sich auf nichtpasteurisierte Rohmilch beschränkt und ideale Bedingungen schafft, in denen sich Mikroorganismen entwickeln können.“

In diesem Fall besteht das Futter seiner über 200 Tiere ausschließlich aus Gras – und aus mediterranen Kräutern wie Thymian, Rosmarin, Salbei und Fenchel. Inzwischen ist Winkler als Berater in ­Sachen Ziegenzucht und Ziegenkäseherstellung in ganz Europa ­tätig. Und wird alljährlich von den Studenten der Slow Food-Universität besucht, an die er seine Erfahrungen weitergibt. „Natürlich hat sich etwas getan in den letzten Jahren“, sagt der Käsemacher, „aber noch lange nicht genug. Olivenöl und Wein sind tolle Produkte, aber man genießt sie ja in der Regel zu etwas dazu, und da könnte es in Istrien noch mehr lokale Lebensmittel geben.“

Diesen Eindruck bestätigt auch Sandro Tončić, der gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Ehefrau einen sehr erfolgreichen Agroturizam, also einen Gastbetrieb auf einem Bauernhof, im Bergdorf Oprtalj betreibt. Die Tončić’ halten Hühner, Schweine, Rinder und sogar drei Hunde für die Trüffelsuche. „Außer den selbstgesammelten Pilzen und Pflanzen, dem selbstgeschossenen Wild sowie dem Trinkwasser erzeugen wir alle Lebensmittel am Hof“, sagt Sandro Tončić und führt in einen Reifekeller, der gut gefüllt ist mit hausgemachten Salamis und luftgetrockneten Schinken, mit Käse, Oliven und Wein. Ab Hof verkaufen kann er davon allerdings nichts, sagt er, auch wenn die Nachfrage groß ist, denn das alles braucht er für seine Gäste im Agroturizam. Was nur beweist, dass es noch Luft gibt nach oben für die istrischen Bauern und Erzeuger.

Käse

Aleš Winkler
Der ehemalige Laibacher Anwalt und nunmehrige Aussteiger erzeugt großartige Käse aus nichtpasteurisierter Ziegenmilch im idyllischen Rahmen. Verkauf ab Hof und samstags am Wochenmarkt in Pula.
www.kumparicka.com

Käserei Latus
Sympathische Familien-Käserei (pasteurisierte Käse) mit designtem Shop und Verkostungsraum. Sehr guter Trüffelkäse (ohne Trüffelöl!).
www.mljekaralatus.hr

Trinken

Weingut Piquentum
Aus den drei lokalen Sorten Malvasia Istriana, Teran and Refošk erzeugt der in Frankreich aufgewachsene und ausgebildete Winzer Dimitri Brečević kraftvolle und naturnahe Weine.
www.piquentum.com

Giorgio Clai
Der Winzer gilt als Pionier der lokalen Natur- und Orange-Wine-Szene. In seinem prachtvoll gelegenen und neuerbauten Weingut bietet er Verkostungen an.
www.clai.hr

Weingut Kabola
Biologisch zertifizierte Weine, darunter auch einige in Amphoren ausgebaute, und der extrem lokale Momjan Muscat, der nur um die gleichnamige Ortschaft herum erzeugt wird.
www.kabola.hr

San Servolo
Istriens sehr erfolgreiche erste Craft-Brauerei mit süffigen, aber auch experimentellen Biersorten und angeschlossenem Bier-Pub inklusive Terrasse.
www.bujska-pivovara.com

Olivenöl

Klaudio und Irena Ipša erzeugen hervorragendes und (ab dem kommenden Jahrgang) biologisch zertifiziertes Olivenöl in atemberaubend schöner Landschaft. –
www.ipsa-maslinovaulja.hr

Chiavalon
Sandi und Tedi Chiavalon zählen zu den Superstars unter den istrischen Olivenölerzeugern. Die Preise, wie allgemein für istrisches Olivenöl, sind dementsprechend.
www.chiavalon.hr

Essen

Agroturizam Tončić
Vorbildlich geführter Gast-/Bauernhof mit exzellenten Grundprodukten, ­guter Küche und sensationellem Ausblick.
www.agroturizam-toncic.com

Tikel
Ruhig gelegener Agroturizam mit sympathischen Wirtsleuten und schönem Blick auf das malerische Bergdorf Motovun.
www.agroturizam-tikel.hr

Konoba Astarea
Von außen unscheinbare, im Inneren aber äußerst gemütliche Konoba mit exzellenter Küche. In dieser steht die Wirtin Alma Kernjus, ihr Mann Nino ist ein Meister des offenen Feuers und der traditionellen Peka, einer metal­lenen Glocke, die über das Grillgut gestülpt und in die Glut gestellt wird. Manche Gerichte gibt es nur auf Bestellung, also unbedingt anrufen und absprechen.
www.konoba-astarea-brtonigla.com

Damir & Ornella
Winziges (sechs Tische), weitbekanntes Fischrestaurant in der Altstadt von Novigrad. Spezialität: roher und fachmännisch servierter Fisch aus lokalem Fang.
www.damir-ornella.com

Übernachten

San Rocco
Elegantes, kleines Landhotel mit guter Küche, eigenem Pool und zivilen Preisen.
www.san-rocco.hr

Casa di Matiki
Liebevoll geführtes Bed & Breakfast mit großem Garten, kleinem Pool und exzellentem Frühstück mit viel Hausgemachtem wie Sauerteigbrot, ­Kuchen, Krapfen, Marmeladen und Eiern vom Hof. www.matiki.com