Auf der Suche nach dem perfekten Saft

Michael Gindl ist Extremist. Um die biodynamische Idee eines sich selbst versorgenden Hofs leben zu können, wurde der Weinviertler Winzer wieder zum Landwirt. Dafür hält er auch jede Menge Tiere, die seine besten Mitarbeiter sind.

Text von Christina Fieber · Fotos von Regina Hügli

Michael Gindl wirkt ein wenig angespannt: Es ist wieder einmal einer dieser Tage, an denen er tausend Hände bräuchte. Kaum hat er sich hingesetzt, läutet sein Mobiltelefon. Es ist der Nachbar, eines von Gindls Rindern sei von der Weide ausgerissen.

„Das kommt häufig vor“, sagt er schmunzelnd, neulich habe ihn die Gendarmerie angerufen, dass wieder ein Stier auf der Hauptstraße stehe und den Verkehr behindere. Aber im Grunde würden sich die Einwohner von Hohenruppersdorf über die Tiere freuen, die ein wenig Leben in die doch sehr stille Gegend im Weinviertel bringen.

Gindl ist eigentlich Winzer, doch vor einigen Jahren hat er sich entschlossen, wieder eine Landwirtschaft aufzubauen: Neben 30 Hochlandrindern – zotteligen, gutmütigen Zeit­genossen – gibt es auch noch unzählige Schafe, Ziegen, einige Pferde und Hühner. Sein kleiner Zoo, wie Gindl sie liebevoll nennt, ist aber nicht zum Streicheln da, alle haben eine Funktion im Betrieb. Der Winzer verfolgt damit das Ideal einer geschlossenen, sich selbst erhaltenden Kreislaufhofwirtschaft – einer der Eckpfeiler der Biodynamie, nach deren Richtlinien er arbeitet. Dabei soll alles nach Möglichkeit selbst erzeugt und verwertet werden, vom Futter der Tiere bis zum Kompost für die Rebstöcke. Eine gemischte Landwirtschaft mit Weinbau, Viehzucht und Ackerbau, so wie das früher üblich war.

Das alles unter einen Hut zu bringen, scheint herausfordernd zu sein, aber wenn sich der eigenwillige Winzer etwas in den Kopf setzt, zieht er es auch durch: „Es ist aufwendig, aber ich kann mir nicht mehr vorstellen, nur Weinbauer zu sein“, sagt er. „Es macht mir einfach Freude, mit den Tieren zu arbeiten!“

Und dann ist Gindl auch noch viel auf Reisen, irgendwo zwischen Oslo und Tokio, dort, wo seine Weine in den derzeit angesagtesten Restaurants und Bars gelistet sind. Möglich sei das alles nur, weil seine Weingärten aufgrund der biodynamischen Bewirtschaftung so ­gesund und die Böden so vital seien, dass er keinen großen Aufwand mit Pflanzenschutz betreiben müsse. Und im Keller will er ohnehin nicht mehr viel eingreifen.

Nicht zuletzt helfen ja auch die Tiere mit: Die Schafe beweiden die Weingärten, erledigen quasi das Mäh- und Düngemanagement, die Rinder und Ziegen sorgen für Kompost und selbst die Hühner werden demnächst im Weingarten eingesetzt, sie sind als natürliches Bekämpfungskommando gegen Rhombenspanner vorgesehen, die gerne Rebknospen abfressen.

Die wichtigste Aufgabe kommt aber den Pferden zu, mit ihnen bearbeitet er die Wein­berge anstatt mit einem Traktor. Es ist ein Bild wie aus einer anderen, fernen Epoche, wenn Gindl mit seinen dunklen, schweren Kaltblutpferden durch die Rebzeilen zieht, in den Händen einen minimalistisch anmutenden Pflug. Für Gindl ist es eine Zeit, in der Ruhe einzukehren scheint in das sonst so hektische Leben des jungen Mannes.

Aber der Winzer betreibt den Aufwand mit den Pferden nicht aus Nostalgie: Er ist überzeugt, dass es für den Boden im Weingarten schonender ist, mit Pferden statt dem Traktor zu arbeiten. Auch eine mehrjährige Versuchsstudie der Universität Kiel kommt zu dem Ergebnis, dass die Verdichtung des Bodens dabei wesentlich geringer ausfällt: Er bleibt lockerer und speichert mehr Wasser. Weniger Verdichtung bedeutet mehr Leben im Boden, was wiederum den Rebstöcken und letztlich dem Wein zugute kommt.

„Die Qualität, die der Boden gewinnt, ist unbezahlbar“, ist Gindl überzeugt, „Jeder Winzer, der diese Studie liest, müsste eigentlich sofort zur Bank rennen, um sich Geld für den Erwerb von Pferden zu beschaffen!“

Neben der biodynamischen Bewirtschaftung, dem Verzicht auf Mineraldünger und chemisch synthetische Pestizide zugunsten natürlicher Präparate sowie dem Dung der Weidetiere sei ein lockerer Boden ein wesentlicher Faktor, um noch spannendere oder, wie er sagt, lebendigere Weine entstehen zu lassen.

Alle Bodenarbeiten werden inzwischen mit den Pferden erledigt, nur der Pflanzenschutz erfolgt noch mit dem Traktor, aber auch das soll bald der Vergangenheit angehören. Dafür benötige er noch einen fixen Mitarbeiter, denn bei allen ökologischen Vorteilen, die Arbeit mit den Pferden beansprucht jede Menge Zeit.

In einigen Weinbergen setzt er schon jetzt nur mehr Pferde ein. Die Weine aus den besten Trauben von dort heißen dann auch Sodalis, das lateinische Wort für „Gefährte“.

„Durch die intensive Zusammenarbeit sind die Pferde für mich Kollegen und Freunde geworden“, sagt er und tätschelt seine Norikerstute. Bei den Tieren wirkt er gelöst und zufrieden.

Gindl ist ein ernster junger Mann, seine Direktheit kann zuweilen schroff wirken. Spricht man länger mit ihm, lernt man jedoch seine unverstellte Art zu schätzen – für Plänkeleien bleibt ihm einfach keine Zeit.

Er musste schon früh Verantwortung übernehmen, noch in der Schulzeit leitete er den Weinkeller, mit 22 übernahm er den gesamten Betrieb, und es war nicht immer leicht. Zu Beginn hat er konventionell oder, wie er es nennt, kommerziell gearbeitet. Seine Weine entsprachen dem, was man auf der Weinbauschule lernt. Wirklich zufrieden war er damit nicht. Eine Verkostung in der Familie hat ihn dann aufgerüttelt: „Es war Weihnachten 2004, wir haben meinen Welschriesling aus dem Vorjahr getrunken und daneben einen Grünen Veltliner 1975 vom Großvater , erinnert er sich, „mein Wein war tot, kaputt, nach nur einem Jahr, während der uralte Weiße vom Großvater, noch dazu im Doppelliter, vor Leben strotzte!“

Das habe ihm zu denken gegeben. Über Jahre änderte er dann seine Arbeitsweise und Stilistik. Die Eingriffe wurden auf ein Minimum reduziert, die Weine dadurch purer, gradliniger, erhielten Ausdruck.

Doch die Strategie ging nicht gleich auf: Der Verkauf brach langsam ein, die Umsätze rasselten in den Keller. 2009 dann die endgültige Krise. In seiner Not bat er den Exporthändler Franz Hofstätter um Rat. Dem schmeckten zwar die Weine, allein das Konzept sei zum Scheitern ver­urteilt, befand er. Auf den Weinen stehe DAC Weinviertel drauf, aber es sei kein DAC drinnen.

„Kein Sauvignon-Ton, kein Eiszuckerl-Aroma – meine Veltliner erfüllten einfach nichts, was man von einem gängigen Grünen Veltliner DAC erwartete“, erzählt Gindl. Aber auch von Naturwein-Liebhabern wurde er nicht wahrgenommen, die Herkunft Weinviertel sei damals ein rotes Tuch gewesen, ein Stigma, und kaum jemand traute ihnen Weine abseits des Mainstreams zu.

Hofstätter nahm ihn trotzdem unter seine Fittiche, entwarf mit ihm neue Etiketten und etabliert ihn auf den internationalen Märkten. Heute wird er im Ausland als einer der Großen der Naturwein-Szene gehandelt – sein ­Exportanteil liegt bei 90 Prozent.

„Der Erfolg kam gerade noch rechtzeitig“, meint Gindl trocken.

2010 habe er dann auch begonnen, biodynamisch zu wirtschaften, seit 2013 ist er zertifiziert. Ganz oder gar nicht, sagt er.

Er bezeichnet sich selbst als Extremisten. Einer, der die Möglichkeiten im Weingarten immer weiter vorantreiben, das Optimum an Qualität herausholen will. Dafür werden die Rebstöcke extrem dicht gepflanzt, was niedrige Erträge, aber hohe Qualität bringt. Die Ruten werden gewickelt und nicht gestutzt, Obstbäume gepflanzt, um für Nützlinge ­Lebensraum zu schaffen, und Schafe in den Weingärten gehalten. Die fressen das Gras zwischen den Rebzeilen und unter den Stöcken und düngen den Boden – überaus effiziente Mitarbeiter. Den natürlichen Pflanzenschutz hat er auf ein Minimum reduziert, den Traktor würde er lieber heute als morgen verkaufen. Er ist ein Extremist.

Einen alten Veltliner-Weingarten gibt es jetzt schon, wo er nichts mehr spritzt und der auch seit Jahren keinen Traktor mehr gesehen hat. „Dort soll die Reise hingehen“, meint er.

Bekehren will er aber niemanden, höchstens ein Vorbild sein. Nur den Einsatz von Glyphosat, dem umstrittenen Unkrautvernichtungsmittel, versteht er nicht. Das Herbizid zerstört das Bodenleben und wird zudem von der WHO als wahrscheinlich krebserregend auch für den Menschen eingestuft: „Das muss einfach nicht sein“, glaubt er, man könne das auch ohne Chemie erledigen, „es kostet halt ein paar Cent mehr!“

Seit er erfolgreich ist, interessieren sich seine Kollegen in Hohenruppersdorf zunehmend für das, was er macht und wie er es macht. Selbst wenn sie so manches seltsam finden und die meisten nicht verstünden, warum er mit „solchen Weinen“ so viel Anerkennung bekommt. Dabei kehre er ja wieder zu einer klassischen Vinifikation zurück: „Die Zeiten exzessiver Maischegärung bei den Weißen sind vorbei“, sagt er, „das maskiert sie nur.“

Er beschreibt es als einen Prozess des Erwachsenwerdens. Seine Weine zeigen sich heute direkt, bissig, mit ausgeprägter Säure und Struktur – auch sie scheinen keine Lust auf Geplänkel zu haben. Wie etwa der Grüne Veltliner Buteo, benannt nach dem Bussard, einem wilden und kraftvollen Vogel, der gerne über seinen Weingärten kreist, als wolle er sie bewachen.

Schwefel bekommen seine Weine wenig oder gar nicht, filtriert werden sie schon seit Jahren nicht mehr, „so kommt die Säure charmanter rüber“.

Alles passiere im Weingarten: Mit erstklassigen Trauben brauche man nicht viel machen: ernten, pressen, spontan vergären, abfüllen. Das ist das Ziel. Darum steht er nie still, will immer an noch einer Qualitätsschraube drehen. Ein Leben lang auf der Suche nach dem perfekten Saft.

Michael Gindl
Marktplatz 27, 2223 Hohenruppersdorf
Tel.: 0664/413 64 49
www.mgsol.at
www.weinskandal.at