Barkeeperinnen

Wenn Frauen in einer Männerdomäne aktiv werden, sind Emanzipationsklischees an der Tagesordnung. Drei Barkeeperinnen in Amsterdam, Wien und Tel Aviv über ihre Leidenschaft für Cocktails und den Umgang mit (männlichen) Gästen.
Text von Christof Habres

Dieser verdammte Gockel. Wieder einmal hatte es das Federvieh geschafft, Betsy um ihren verdienten Schlaf zu bringen. An und für sich konnte der Hahn nichts dafür, denn er vollbrachte nur etwas, was schon immer in seinen Genen verankert war. Er krähte frühmorgens. Laut, sehr laut. Kaum zeigte sich das Morgenlicht am Horizont, beließ er es nicht dabei, einmal seinen Weckruf erklingen zu lassen, sondern krähte mit Inbrunst über Stunden bis in den Vormittag hinein. Wir befinden uns im Jahr 1779 in York­town in Virginia in den Vereinigten Staaten. In den Jahren des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775 bis 1783) errichteten sowohl Franzosen als auch Engländer hier ihre Quartiere – unter ihnen Betsy Flanagan. Leider war ihr Gemahl im Krieg ums Leben gekommen. Die Witwe Flanagan eröffnete nach dessen Tod eine Taverne. Das Lokal frequentierte sowohl die französische als auch britische Soldateska, um mit der lustigen Witwe zu feiern. Oft mit alkoholischen Kreationen, die Betsy ad hoc in ihrem Etablissement eingefallen waren. Daher ist es verständlich, dass die Nächte für die Wirtin wiederholt kurz ausfielen. Daher das Grauen, wenn der erwähnte Gockel zu früh zu krähen begann. Eines Morgens reichte es der resoluten Wirtin: Sie schlich mit einem Messer bewaffnet in Nachbars Garten und schnitt dem Hahn die Kehle durch. Als kampferprobte Kriegsheldin wollte sie den Ort jedoch nicht ohne Trophäe verlassen und riss dem Tier mit einem Schwung seine farbenfrohen Schwanzfedern aus. Am folgenden Abend war Betsy Flanagan – bestens ausgeschlafen – in Höchstform.

Ihre hochprozentigen Kreationen, die sie mit den Schwanzfedern anrührte und dekorierte, rissen die anwesenden Gäste zu Begeisterungsstürmen hin, die in dem Trinkspruch eines französischen Majors gipfelten: „Vive le coq’s tail!“
Aus dieser Episode – als eine von mehreren überlieferten Legenden – entstammt nicht nur die Bezeichnung „Cocktail“ für alkoholische Mischgetränke, sondern sie verdeutlicht auch, dass eine Frau für den Ursprung zweier gastronomischer Erfolgsgeschichten mitverantwortlich war: jener des Cocktails und damit einhergehend jener der klassischen American Bar.

Dass eine Frau an der Wiege der modernen Barkultur gestanden hat, hat ihren Geschlechtsgenossinnen im Verlauf der letzten Jahrhunderte nicht wirklich geholfen. Barmaid Flanagan hat es als schillernde Romanfigur bis in das Werk „The Spy“ von James Fenimore Cooper geschafft. Cooper beschreibt auch ihr tragisches Ende – die Gastgeberin war zu sehr ihren eigenen Cocktailkreationen zugeneigt. Untersuchungen des amerikanischen statistischen Zentralamts aus dem Jahr 1895 stellten 55.660 Barmännern lediglich 147 Barfrauen gegenüber. Obwohl es im Lauf der Geschichte engagierte Barfrauen gegeben hat, die zu internationaler Bekanntheit gelangt sind, wie zum
Beispiel Audrey Saunders vom Pegu Club in Soho oder Julie Reiner vom Clover Club in Brooklyn, ist „Barkeeping“ bis heute eine Männerdomäne. Eine, die allerdings zusehend von Frauen zurückerobert wird, wie die drei nachfolgenden Porträts zeigen.

Vom Wilden Westen nach Amsterdam.
In Amsterdam ist eine nennenswerte American-Bar-Kultur erst in den letzten fünf bis sieben Jahren entstanden. Gab es hier bis vor Kurzem gerade fünf Bars mit explizitem Qualitätsanspruch, sind es im Jahr 2016
bereits über dreißig „Watering-Holes“. Fast täglich eröffnen neue Bars. Die vergangenen Jahre sind von einem Miteinander im Aufbau einer originären Barszene geprägt, in dem alle Mitbewerber danach trachteten, einen eigenen unverwechselbaren Weg bei Gastfreundschaft und Cocktailkunst zu entwickeln. Zahlreichen Frauen ist das auch gelungen, wie ein Streifzug durch die besten Bars der Stadt beweist. Die Bar The Tailor des Grand Hotels Krasnapolsky zum Beispiel.

Tess Posthumus kommt mit einer schweren Sport­tasche in die neueröffnete Bar im Fünf-Sterne-Hotel. Der Auftritt umschreibt die Arbeitsschwerpunkte der bekanntesten Barkeeperin der Niederlande. In der Tasche befinden sich ihre Barutensilien und die Uniform: Vor dem Interview war sie als Gastgeberin und Barkeeperin bei einer chinesischen Neujahrsfeier tätig. Sie hat bei der Konzeption, Realisierung und Zusammenstellung der Barkarte der schicken Hotelbar Tailor federführend mitgearbeitet. Schwerpunkte ihres beruflichen Engagements liegen neben dem Mixen in der Beratung, der Aus- und Weiterbildung – wenn sie nicht gerade zu Einladungen zum Guestbartending rund um den Globus jettet. Die Laufbahn der klugen und eloquenten Niederländerin aus Breda ist beachtlich: Sie hat nicht nur zwei Studien – einen Master in Soziologie und einen Bachelor of Arts in Mediastudies – abgeschlossen, sondern es innerhalb weniger Jahre geschafft, eine der profiliertesten Barkeeperinnen auf internationalem Parkett zu werden. „Vor etwas mehr als sechs Jahren habe ich die Chance bekommen, im Service der besten Amsterdamer Bar, der Door74, zu arbeiten“, erzählt sie von ihren Anfängen. „Das Ambiente einer Bar hat für mich seit meiner Kindheit etwas Faszinierendes. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich aus dem Service an den Shaker wechselte!“ Sie erlernte das Metier von der Pieke auf und entschied bald nationale Cocktailbewerbe für sich. Danach folgten Erfolge bei internationalen Wettbewerben: Sie gewann 2013 den „Mixing Star“ von Disaronno und war 2015 im Finale der Diageo „World Class“. Der achte Platz im Finale in Kapstadt machte sie zur „Best Female Bartender Worldwide“.

Sigi Ehm hat ihren Weg in Wien gemacht.
Die Karriere als Barkeeperin der 28-jährigen Gastronomiefachfrau aus dem bayerischen Passau begann mit einem Sprung ins kalte Wasser. In dem Hotel im Ennstal, wo sie damals beschäftigt war, „sind von einem Tag auf den anderen alle Barmänner verloren gegangen“, erzählt sie. Sigi Ehm meldete sich freiwillig und nach ein paar überaus harten (Lern-)Schichten fand sie Gefallen an dem Job. Sie perfektionierte ihr Können und Wissen in der Praxis und durch unzählige Bücher. Mit Disziplin und ungeheurer Arbeitsfreude gelang es ihr, zu einer international vielgeachteten Barfrau zu werden. Sie wurde zum „Rookie of the Year“ (2014) und „Newcomer des Jahres“ (Shortlist 2015) gekrönt. Außerdem gelang ihr der Einzug in die europäische Endausscheidung der „World Class“. Ihren bedeutendsten und international aufsehenerregendsten Coup landete sie im Vorjahr, als sie als Quereinsteigerin als erste Frau den weltweit ausgeschriebenen Bewerb „World’s Most Imaginative Bartender“ von Bombay-Sapphire für sich entscheiden konnte.

Sigi Ehm ist Barchefin der Wiener Hammond Bar. Im konservativen Wien, wo es passieren kann, dass Lokalbesitzer Barkeeperinnen mit dem Argument ablehnen, sie würden nicht gut für das Geschäft sein, und Befürchtungen hegen, dass es mit Frauen hinter der Bar zu gröberen Problemen mit illuminierten Gästen kommen könnte. Dem widerspricht Ehm entschieden. „Bei derartigen Vorfällen bin meist ich es, die freundlich, aber bestimmt derartige Gäste zum Verlassen der Bar auffordert. Mit Erfolg!“

Dass die Anzahl an Barkeeperinnen in der Donaumetropole noch vor ein paar Jahren merklich höher gewesen sei – einige haben aufgehört, andere haben die Seite gewechselt und sind als Markenbotschafterinnen für die Spirituosen-Industrie unterwegs – hat unterschiedliche Gründe, betont Ehm: „Es liegt an den Arbeitszeiten, den Verdienstaussichten oder der individuellen Lebensplanung, aber nicht an mangelnden Chancen.“ Reflektiert man mit ihr etwas intensiver über Perspektiven, kommen kleine Zweifel zum Vorschein, ob es Männer nicht doch manchmal leichter haben. Wobei sie nicht festlegen kann, ob es das männliche Netzwerken ist oder vielleicht an ihrer Persönlichkeit liegt: „Es mag vielleicht daran liegen, dass ich zu aufrichtig, zu ‚straight up‘ bin und kein ‚Partyhase‘“, charakterisiert sie sich selbst. Doch sie vermittelt ungebrochene Energie, Lust an der Arbeit und die Klarheit, dass von ihr noch zahlreiche wunderbare Cocktailkreationen zu erwarten sind. In der Hammond Bar und bei internationalen Wettbewerben.

Am Sonntagabend wird in Tel Aviv ausgegangen.
Auf dem Weg ins Hotel bietet sich ein kurzer Abstecher in eine der besten Bars der Stadt an: die Bar 223 in der Dizengoff-Straße. Es ist ein entspannter Abend, die Bar ist locker gefüllt, und die meisten Gäste haben sich am Ort des Geschehens niedergelassen – am Tresen. Als man bei der jungen Bardame einen Vieux Carré bestellt, kommentiert diese es mit einem anerkennenden „Good choice!“ und nickt dem Gast zu. Die frühe Abendstunde ermöglicht es, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Tal Rassabi ist 23 Jahre alt und arbeitet erst seit einem Monat alleinverantwortlich hinter der Bar. Der Kosmos Bar fasziniert sie seit Jahren, Barkeeperin ist für sie ein Traumjob. „Ich habe kurze Zeit in einer Loungebar in Ramat Hascharon gearbeitet“, erzählt sie von ihrer Anfangszeit. „Doch da konnte ich nicht viel lernen, daher bin ich nach Tel Aviv übersiedelt.“ In den vergangenen Monaten hat sie das Team rund um Barmanager Omer Gazit-Shalev genau beobachtet: „Omer ist mein starkes Interesse aufgefallen, und er hat mich unter seine Fittiche genommen!“ Er brachte ihr sukzessive die Kunst des Cocktailmixens bei. „Es war echt hart“, wie sie gesteht, „jedoch hat die Ausbildung mein Feuer für Aromen, Geschmacksrichtungen, Drinks und Spirituosen weiter verstärkt.“ Sie hat das Training hervorragend gemeistert. Ihr ausgeprägtes Talent wird beim Mixen und auch im Umgang mit den Gästen erkennbar. Innerhalb kurzer Zeit schafft sie es, unaufdringlich alle in Hör- und Sichtweite der Bar untereinander bekannt zu machen. Ein Vermögen, das für eine aufgelockerte Stimmung von enormer Wichtigkeit ist.

Probleme mit betrunkenen und unhöflichen Männern kennt sie nicht. Sie lächelt den Besucher aus Europa an: „Ich habe während der zwei Jahre Wehrdienst psychologische Bewertungen erstellt. Im Zuge dessen habe ich gelernt Menschen gut einzuschätzen. Das hilft mir in der täglichen Arbeit.“ „In absehbarer Zeit werde ich fit genug sein, um an internationalen Wettkämpfen teilzunehmen“, skizziert sie ihre Zukunftspläne. „Ein weiterer Abschnitt auf dem Weg zu meiner eigenen Bar.“

The Tailor im NH Grand Hotel
Krasnapolsky, Dam 9, 1012 JS Amsterdam
Tel.: +31/(0)20/554 61 14
www.barthetailor.com

Hammond Bar
Taborstraße 33 (Ecke Große Pfarrgasse), 1020 Wien
Tel.: +43/(0)1/968 92 15
www.hammondbar.at

223 Bar
Dizengoff St 223, Tel Aviv
Tel.: +972/03/544 65 37
www.223.co.il