Bittere Bernsteine

Man kann alles ins Extreme ziehen, wenn man das will. Die Brauer, die sich dem „India Pale Ale“ verschrieben haben, wollen das.


Text von Florian Holzer Foto: Adrian Batty

Der Name ist schon einmal fantastisch. Könnte man kaum besser erfinden. Was ja generell keine schlechte Voraussetzung für ein Bier ist, das in den vergangenen zehn Jahren eines der absoluten Lieblingsspielzeuge neuer, kreativer Braumeister war. India Pale Ale ist derzeit so etwas wie das Synonym für „Craft Beer“, also handwerklich erzeugte Spezialbiere mit kreativem Input und aus besten Zutaten. „Es ist wie eine Einstiegsdroge“, sagt der junge Braumeister von Rieder Bier Gerhard Litzlbauer, „man kann Leuten damit sehr gut zeigen, was Bier noch so alles kann abseits dessen, was man vielleicht jeden Tag trinkt.“

Auch die Geschichte des IPA ist eine sehr schöne: Entwickelt wurde es ursprünglich von schottischen und englischen Brauereien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, um den Transport in die indischen Kolonien zu überleben – besonders stark, besonders bitter und besonders körperreich, durchaus auch dazu gedacht, am Zielort mit Wasser verdünnt genossen zu werden. Hat aber natürlich niemand gemacht und macht auch heute niemand.

Das „India Pale Ale“ überlebte verhältnismäßig unbemerkt in einem Winkel der weitläufigen Ale-Familie, bis es von amerikanischen Micro- und Kreativbrauern auf der Suche nach alten Rezepturen entdeckt und weiterentwickelt wurde. Mittlerweile, erzählt Max Wurzer vom Craft Beer-Onlinehandel mybier.at, sei das IPA gewissermaßen das Referenzprodukt amerikanischer Braumeister, am IPA wirst du gemessen.

Vor sechs Jahren begann auch die Wiener Gasthaus-Brauerei „1516 The Brewing Company“ mit der Herstellung eines IPA nach Lizenz der Victory Brewing Company aus Pennsilvania, einem der Pioniere bei der Wiederentdeckung dieses Biertypus. Und seit etwa einem Jahr, so Wurzer, vergehe eigentlich kein Monat, in der nicht ein neues Austro-India Pale Ale auf den Markt komme, er selbst hat derzeit fast zehn verschiedene im Programm.

Was natürlich erstaunlich ist, da ein obergäriges Starkbier mit wirklich sehr kräftiger Hopfenbittere nicht unbedingt der österreichischen Trink-Gewohnheit entspricht. Aber sogar Leute, die mit Bier sonst gar nichts anfangen können, weiß Gerhard Litzlbauer von Präsentationen der vergangenen Monate, hätten ihren Gefallen daran gehabt, „sogar Frauen mögen es“. Er selbst lernte das starke Bitterbier während seiner Ausbildung in Wien im „1516“ kennen, „und es war Liebe auf den ersten Blick“. Die Installation einer kleinen 300-Liter-Sudanlage für Bierexperimente und Bierseminare gab ihm schließlich die Möglichkeit, eine Rezeptur zu entwickeln, die auf dem bei IPAs fast obligatorischen Grapefruit-fruchtigen Cascade-Hopfen und dem bei Brau-Zauberern auch immer beliebteren Amarillo-Hopfen in Verbindung mit klassischer Rieder Bierwürze basiert. Das Bier kam überaus gut an, aus den anfänglichen 300 Litern wurden mittlerweile 90 Hektoliter, die bei Redaktionsschluss noch ihrer Markteinführung entgegenreiften.

Max Wurzer schätzt, dass sich die Kreativbrauer langsam, aber sicher an die Möglichkeiten heranbrauen – sowohl in technischer Hinsicht als auch was die Akzeptanz beim Publikum betrifft. Reinhold Barta zum Beispiel, Braumeister der auf besondere Biere spezialisierten Biobrauerei „Gusswerk“ in Salzburg, brachte erst einmal sein „AAA“, Austrian Amber Ale, auf den Markt, ein köstliches Bier, mit dem man sich schon einmal gefahrlos auf das Thema des herb gehopften Obergärigen eintrinken konnte. Sein „Nicobar“ – eine besonders charmante Namensschöpfung, sie bezieht sich auf Österreich-Ungarns einzige und nur sechs Jahre existierende Überseekolonie-Versuche auf den Nikobaren – legt dann punkto Fruchtigkeit, Bitterwert und auch Alkoholgradation schon ein Schäuferl nach. Das „Weiße Nicobar“ ist dann der nächste Streich, „und wird sicher nicht der letzte bleiben“, ist Max Wurzer überzeugt.

Dass ein India Pale Ale nicht unbedingt das am besten geeignete Bier ist, um sich zur gegrillten Bratwurst damit die Kehle zu netzen, erscheint naheliegend. Eine völlig andere Sichtweise hinsichtlich Bier in der Gastronomie, also etwas weiter betrachtet als nur „Aperitif“ und „Begleiter zum Gulasch“, bietet sich mit einer Bier-Kategorie wie dieser aber auf jeden Fall an.

Die Verkostung

Gusswerk
Nicobar
6,4 %
8
Goldbraun, feinporiger, cremiger Ale-Schaum „naturweiß“, extrem fruchtig, Duft nach
getrockneten Äpfeln, Dörrzwetschken, am Gaumen dann schöne Bitterschokolade, beerige Hopfenfrucht (Berberitzen), cremiger Abgang, ex­trem lang anhaltend, Hopfen wunderschön akzentuiert.
www.brauhaus-gusswerk.at

Loncium
Carinthi(p)a
5,6 %
6
Sehr trüb, rotbraune Farbe, nur sehr wenig Schaum. In der Nase typische Hopfen­aromen, getrocknete Kräuter, auch am Gaumen primär Hopfen, auch leicht nussig-malzige Aromen gerösteter Haselnüsse. Insgesamt: extrem hopfenbitter.
www.loncium.at

Gusswerk
AAA – Austrian Amber Ale
5,6 %
6,5
Ein großartiges, dunkles Ale, obgleich seiner verhältnismäßig milden Hopfenbittere in der „India Pale“-Kategorie aber recht chancenlos. Dunkelgold, trüb, wunder­schöner weißer, feinporiger Schaum, in der Nase trockenkräuterige Hopfenaromen, Löwenzahn, am Gaumen dann attraktive Noten gerösteten Sesams, Tahina. Extrem vollmundig, körperreich und kräftig, aber relativ mild, die Bittere kommt erst ganz am Schluss.
www.brauhaus-gusswerk.at

Hasel-Bräu
IPA
8,2 %, 18,8 °
7,5
Ein hinreißendes, äußerst handwerk­liches Stark-Ale in der 0,75-Liter-Flasche. Schöne goldene Farbe, strahlend weißer, feinporiger Schaum, betörender Hopfenduft. Am Gaumen überaus trocken, Grapefruit, frisch-fruchtig, bittere Hefenoten, unterlegt von leicht röstigen Malzaromen, Blutorangen, Yuzu, Pistazien, köstlich. Elegante, mürbe Bitternote, tolles Bier.
www.wirtshausbrauerei.at

Rieder Bier
India Pale Ale
6,0 %, 15,3°
9
Eines der interessantesten Biere der Verkostung, da eben nicht aus einer handwerklichen Start-up-Brauerei, sondern aus der 477 Jahre alten Traditionsbrauerei. Ganz klassische Ale-Farbe, dunkles Rotgold mit strahlend weißem, nicht zu starkem Schaum. Stark, cremig, ein Ale der Spitzenklasse, nicht unbedingt wuchtig, sondern mollig, körperreich und gut trinkbar. Bitternoten sind reichlich da, mit leicht fruchtigen Orangenaromen unterlegt. Großartig.
www.rieder-bier.at

Gusswerk
Weißes Nicobar
6,4 %, 14,8 °
6
Die nicht uninteressante Kreuzung zweier Bier-Charaktere mit dem Ergebnis eines etwas bittereren Weißbiers. Der fruchtige, estrige Charakter dominiert, wird vom Hopfen hübsch unterlegt, jedenfalls weit entfernt von der gefälligen Beliebigkeit vieler Weißbiere.
www.brauhaus-gusswerk.at

Forstner
Illuminatus
7,2 %
9,5
Ein wie nicht anders zu erwarten gigantisches Bier – Bernsteinfarben mit dunklem Kern, relativ starkem Mousseux und flockigem weißem Schaum. In der Nase animierende Pistaziennote, extrem fruchtig, aber nicht aufdringlich; körperreich, dicht, ein Bier, das man mit Messer und Gabel essen kann. Vanille und Grapefriut, eine besonders charmante, cremige Bitternote baut sich langsam auf, schlägt dann aber ­gnadenlos zu. Großes Bier.
www.forstner-biere.at

Siebensternbräu
India Pale Ale
4,8 %, 12,5°
5,5
Das Leichtgewicht unter den Verkosteten. Sehr dunkel, trüb, kaum Schaumbildung, fruchtig-hopfiger Duft, eine Mischung aus Trockenkräutern und Marillenmarmelade, fruchtig auch am Gaumen, bitter abgepuffert, deutliche Restsüße.
www.7stern.at