Bittere Pillen

Für immer mehr Biere wird immer weniger Hopfen verbraut. Andererseits beginnt sich in der Bierszene ein gewisser Bitter-Kult zu konstituieren.

Text von Florian Holzer Foto: Bildagentur Waldhäusl/ Pantermedia/ Helma Spona
Eigentlich mag man den bitteren Geschmack nicht. Die Natur reagiert darauf mit Alarm, Ekel und Abneigung, etwa zu beobachten, wenn Kleinkinder erstmals Kaffee, Bitterschokolade oder einen Schluck Bier erheischen. Medizin und bittere Pillen sind selten positiv behaftet, wenn etwas "bitter" ist, dann ist damit kein Anlass gemeint, bei dem man eine Flasche Champagner aufmacht.
Aber man gewöhnt sich daran, man lernt das Bittere zu schätzen, man erfährt, dass es – zum Beispiel in der fernöstlichen Medizin – als gesund gilt, und früher oder später liebt man den herben Geschmack, sei es in Form von Espresso Ristretto, von hochprozentiger Schokolade, von herben Kräuterdigestifs aus italienischen Klöstern – oder in Form von Bier. Wobei die Österreicherinnen und Österreicher ja eher den malzigen, süßen Typus schätzen, ein Bier bereits mit vergleichsweise geringen 25 bis 27 Bitter-Einheiten (BE) als anspruchsvoll bitter gilt, wobei man von den obergärigen "Bitter Ales" Englands oder Amerikas weit entfernt ist. Da liegen wir im internationalen Trend: Zwar wird immer mehr Bier gebraut (Steigerung etwa 5,4%), aber zugleich immer weniger Hopfen verwendet. Was auch damit zu tun hat, dass wesentliche Steigerungen nur mehr im Fernen Osten erreicht werden, wo man vergleichsweise "neutrale" Biere schätzt, kräftige und stark gehopfte Spezialbiere wandern in die Nischen der Micro-Breweries oder der kleinen Gruppe der Biergourmets.
Deren Verhalten – vor allem hinsichtlich der Bitter-Werte – ist durchaus vergleichbar mit dem noch gar nicht so alten Schärfe-Trend: Nachdem bekannt wurde, dass man Schärfe in Scoville-Einheiten messen kann, dauerte es nicht mehr lange, bis alle neue Schärfe-Höchstleistungen erbringen wollten, Chilisaucen aus nahezu purem Capsaicin wurden unter Freaks ehrfürchtig gesammelt und mit Todesverachtung genossen. Ähnlich bei der Schokolade: Galt vor fünf Jahren eine Schokolade mit 72% Kakaoanteil schon als Hardcore und ungenießbare Spinnerei, kann man heute einen Kofferraum mit 99- und 100-Prozentigem füllen. Und dass dieses mitunter leicht infantile Rekordverhalten vor bitterem Bier nicht haltmacht, liegt auf der Hand.
Matthias Vitzthum von der sympathischen Privatbrauerei Vitzthum aus Uttendorf im Innviertel braut seit zwei Jahren für den Nürnberger Brauvertrieb Hertel ein Pils, das mit Sicherheit das bitterste Pils des Universums ist: Sein Name "Einhundert" weist auf den Alphasäurewert hin; erreicht wird dieser etwa drei- bis vierfache Bitterwert durch große Mengen von Hopfen (Tettnanger, Saazer und Hersbrucker), die relativ früh beigegeben werden, was den Bitter-Effekt verstärkt. Das Bier ist tatsächlich von erschütternder Bitterkeit und nicht wirklich zum unbeschwerten Nebenhertrinken geeignet – eher für Mutproben.
Auch Horst Asanger von der Gasthaus-Brauerei "1516 Brewing Company" liebt Hopfen-Experimente, etwa mit wildem Hopfen. Mit dem "Hop Devil" wird ein äußerst gut gelungenes "India Pale Ale" der Victory Brewing Company aus Downingtown, Pennsylvania, in Lizenz gebraut. Die India Pale Ales kamen im England des 18. Jahrhunderts auf, als die lange und klimatisch wie mechanisch anspruchsvolle Überfahrt von England nach Indien Biere erforderte, die diese Belastungen aushalten konnten, ohne am Ende der Reise, wo viele durstige Soldaten darauf warteten, sauer und hinüber zu sein. Viel vom konservierenden Hopfen (der ursprüngliche Zweck des Bitter-Zusatzes) und ordentlich Alkohol hielten das "IPA" am Leben, der Erfolg war groß, IPA ging in das Sortiment englischer Bitter- und Ale-Biere ein.
Asanger verwendet für seinen obergärigen "Hop Devil" unter anderem Cascade-Weizen aus Washington State und Oregon, nachdem die dortige Ernte 2006 allerdings durch klimatische Unbilden und einen Brand stark dezimiert wurde, griff er bei den letzten Varianten auch zu neuseeländischem Cascade-Hopfen, was doch ein großer Unterschied sei.
Sehr bitteres Bier kommt auch aus einer der derzeit interessantesten Kleinbrauereien des Landes, der Handbrauerei des Quereinsteigers Gerhard Forstner aus Kalsdorf bei Graz: Der frühere Optiker braut in einem ehemaligen Schulgebäude mit einer Kleinbrauereianlage, wie sie auch in vielen Gasthaus-Brauereien steht. Allerdings greift er zu unüblichen Hefen, zu anderen Hopfen, zu neuen Mischungen und kommt auf diese Weise zu extrem ausdrucksstarken, spannenden Bieren. Sein "Büffelbitter" ist dank früher Zugabe zweier Aromahopfensorten und einer Bitterhopfensorte auf der eher bitteren Seite zu Hause, leider war es allerdings gerade ausgetrunken. Forstner schickte sein "Black Beer", ein herrliches, trockenes und überaus hopfenwürziges Stout, sowie sein "Styrian Ale", ein fantastisches Bier mit Flaschengärung und vehementer Hopfengabe, das einen durchaus souveränen Biergenuss verspricht.
Tatsache ist: Hat man einmal damit begonnen, eher bittere Biere zu genießen, machen dünne, fade, süßliche Biere ohne Kanten und Charakter gleich viel weniger Spaß.

Die Alpha-Bierchen

Soll noch wer sagen, dass es in Österreich eh nur malzig-süße Märzen-Biere gibt und sich der Freund der herben Bittere daher notgedrungen vom Bier abwenden oder ins deutsche oder anglophone Ausland emigrieren muss. Stimmt nicht, denn gerade in Österreichs immer selbstbewusster und gleichermaßen virtuoser agierenden Kleinst-, Klein- und Mittel-Brauereien werden immer mehr individuelle Biere auch mit erstaunlichen Bitter-Werten gebraut.
Wir probierten das herkömmliche Pils sowie den Bitter-Rekordversuch von Matthias Vitzthum aus Uttendorf, den "Hop Devil" der Wiener Gasthaus-Brauerei "1516 Brewing Company" sowie zwei bemerkenswerte Biere von Gerhard Forstners "Handbrauerei" in Kalsdorf. Als Referenz in Sachen Bitterkeit wurde das friesische Jever-Pils herangezogen, eines der bittersten handelsüblichen Pils-Biere Deutschlands.
Hop Devil, 1516 Brewing Company, 6,7% 8,5
Eine Variante des (in Festland-Europa) eher seltenen India Pale Ale (IPA), eines besonders stark gehopften, kräftigen, obergärigen Bieres. In der kleinen Gemeinschaft der Bierfreaks in Österreich genießt dieses Bräu einen legendären Ruf und es gewann schon zahlreiche Bewerbe. Da Auskunftsfreudigkeit des Braumeisters und Freundlichkeit des Schankpersonals in dieser Bewertung ja keine Rolle spielen, gibt’s eine Traumnote: In der Nase eine attraktive, malzige Brotnote, der erste Schluck verursacht einen enormen Bitterschock, der zweite einen noch größeren, ab dem dritten Schluck lässt der Schreck dann nach, das Bier wird zunehmend süßer, cremiger und fülliger, mit fast erfrischenden Tendenzen.
€ 2,70/0,33 l (keine Flaschenabfüllung),Schwarzenbergstraße 2, Tel.: 01/961 15 16,www.1516brewingcompany.com (derzeit außer Betrieb)
Styrian Ale, Handbrauerei Gerhard Forstner, 6,2% 8
Ein absolut erstklassiges Bier aus handwerklicher Produktion, vier verschiedene Malze, obergärige Nottingham-Hefe, jede Menge Hopfen, Flaschengärung, die Bitter-Einheiten gehen hier knapp an die 35. Klassisch rot-braune Farbe von Kirschholz, beeindruckendes Farbspiel, Duft von Heidel- und Walderdbeeren, cremig, üppig und voll am Gaumen, die fruchtigen Komponenten puffern die herbe Bittere toll ab, die vibrieren einstweilen im Hintergrund weiter. Ein extrem komplexes Bier, das sich leicht und fruchtig auf sehr hohem Niveau trinkt.
€ 2,30/0,33 l, Dorfstraße 52, 8401 Kalsdorf, Tel.: 03135/542 28, www.hofbraeu.at
Black Beer, Handbrauerei Gerhard Forstner, 5,8% 7,5
Ein erstklassiges Stout, made in Styria, schwarz-braun mit haselnussfarbenem, festem Schaum, röstig, nussig, trocken und ziemlich bitter
(31,6 BE); erfrischendes, herbes Stout, exzellent definierte Aromatik, ein Bier, das starke Reparatur-Wirkung besitzt.
€ 1,80/0,33 l, Dorfstraße 52, 8401 Kalsdorf, Tel.: 03135/542 28, www.hofbraeu.at
Uttendorf Pils, Privatbrauerei Vitzthum, 4,9% 7
Eines der nicht nur besten, sondern auch bittersten Pilsner des Landes, seit jeher für seine frische Hopfigkeit gerühmt und von Fans kultisch verehrt. Strohgelb, mit festem, feinporigem Schaum ausgestattet, fruchtig-malzige Noten in der Nase, dann deutliche Hopfenaromen; köstlich, appetitanregend, leichtfüßig zu trinken, belebend bitter, weitaus erfrischender als zum Beispiel das Jever-Pils.
€ 1,–/0,33 l, 5261 Uttendorf 25, Tel.: 07724/25 08, www.uttendorf-bier.com
Jever Pilsener, Friesisches Brauhaus zu Jever, 4,9% 6,5
Friesisch herb, in Österreich primär aus der TV-Werbung bekannt, angeboten und getrunken wird das deutlich hopfenbittere Pils (40 BE, normalerweise liegen deutsche Pilsner bei 30–38 BE) aus Jever in Friesland/Niedersachsen hierzulande nämlich eher selten. Strohgelb, holzige Heunoten, Hopfen kommt sowohl in der Nase als auch am Gaumen stark zur Geltung, der bittere Eindruck lässt aber bald nach, verwandelt sich zu einer gewissen Süße. Ein äußerst erfrischendes, herbes, belebendes Pils.
€ 1,99/0,33 l, bei Meinl am Graben Einhundert, Privatbrauerei Vitzthum, 5% 6
Ein absolutes Extrembier, das von Matthias Vitzthum für den Nürnberger Brauvertrieb Hertel hergestellt wird: Hopfen pur, hundert Bitter-Einheiten, ein bisschen trüber als das "normale" Pils, der erste Schluck trinkt sich vergleichsweise harmlos, dann kommt das Bittere aber mörderisch, man schmeckt es bis in die Speiseröhre hinab. Neben dieser Extremportion von Bitterstoffen ist sonst natürlich eher wenig zu bemerken, außer vielleicht, dass das Getränk flüssig ist.
€ 1,30/0,33 l, 5261 Uttendorf 25, Tel.: 07724/25 08, www.uttendorf-bier.com, www.einhundert.be