Burn, baby, burn!

Man braucht keine Smoothies, um Obst zu trinken.

Text von Thomas Maurer Fotos von Ingo Pertramer

Das Herannahen des fünfzigsten Geburtstags ist bekanntlich etwas, das vielen Betroffenen ein gelindes Unbehagen verursacht.

In meinem Fall wurde dieses Allgemeinphänomen noch von einem zunehmend dringlicheren Spezialproblem flankiert: Zu meinem vierzigsten Geburtstag hatten mir ein paar wohlmeinende Freunde als Kollektivgeschenk eine Brennblase geschenkt. Die ist zwar mit einem Fassungsvermögen von etwa einem Liter Maische denkbar ungeeignet, das Schnapsbrennen auch nur als ernsthaftes Hobby zu betreiben, hat aber diesen speziell einnehmenden Miniaturencharme, der ja auch Jourgebäck oder historische Kleinwagen so unwiderstehlich macht. Auch fürs Auge gibt das solide Kupferobjekt durchaus was her, und so bekam es umgehend einen Ehrenplatz auf dem Küchenregal, wo es mich, gut sichtbar, daran erinnern sollte, bei erster sich bietender Gelegenheit einmal Maische anzusetzen und zum feierlichen Erstbrennvorgang zu schreiten.

Und zwar bald, denn sonst, dessen war ich mir bewusst, droht einem solchen Objekt das triste Schicksal des klassischen Heimfahrrads, das ja auch in 99 % aller Haushalte so lange als ungeliebter Wäscheständer dient, bis man schließlich Einsicht und Erbarmen mit sich selbst hat und auf eBay jemanden sucht, der noch naiv daran glaubt, ein Zimmerfahrrad und keinen Wäscheständer zu erstehen.

Aber wie’s der Teufel so will: Einmal hatte ich keine Zeit, dann wieder keine Lust, war durch Premierenvorbereitungen, Zipperlein oder Gemütsverstimmungen verhindert, und wenn ich dann doch einmal morgens in glänzender Brennlaune aus dem Bett federte, stellte sich prompt heraus, dass ich es verabsäumt hatte, bei Gelegenheit Maische anzusetzen.

Die Variante eBay stand mir natürlich nicht zu Gebote, schließlich war der Schnapsbrenner ja ein Geschenk lieber Menschen, die noch dazu meine eingefleischte Neigung, mit großem Brim­borium eigentlich überflüssige Dinge zu produzieren, exakt erkannt und gewürdigt hatten.

Es sei nicht verheimlicht, dass ich mich über dieses Dilemma mit dem einen oder anderen Schnaps hinwegtröstete, gekauftem natürlich. Als aber dieses Frühjahr mein fünfzigster Geburtstag unübersehbar am Horizont zu wetterleuchten begann, gab ich mir endlich den benötigten Tritt: Länger als zehn Jahre sollte man schließlich mit dem Konsum eines Geburtstagsgeschenks eigentlich nur warten, wenn es sich um Portwein handelt.

Auch Schnäpse aus dem Hause Rochelt gelangen, vermute ich, überdurchschnittlich häufig über den Anlass eines runden Geburtstags in Privathaushalte, vermitteln sie doch verlässlich das Gefühl, etwas Besonderes geschenkt bzw. geschenkt bekommen zu haben. Dafür sorgen ein praktisch uneingeschränkt guter Ruf, der hohe Wiedererkennungswert der schönen Flaschen sowie ein preisliches Niveau, das diese Schnäpse nur für Nabobs und kompromisslose Spirituose­n­fanatiker als Vergnügen für alle Tage empfehlenswert macht.
In der Gastronomie aber ist dafür, dass der jährliche Ausstoß zwischen 5.000 und 8.000 Litern schwankt, das unverkennbare, der historischen „Tiroler Nabelflasche“ nachempfundene Rochelt-Gebinde (ein urheberrechtlich geschütztes 3D-Markenlogo) erstaunlich überrepräsentiert. Offenbar trennen sich, trotz eines Pfands von 9,50 Euro, viele Wirte nur ungern von den ebenso dekorativen wie prestigeträchtigen Stücken; niedere Beweggründe wie etwa ein Wiederbefüllen aus alternativen Quellen gehören hoffentlich ins düstere Reich der Fabeln und urbanen Mythen.

Steht man erstmals in der nahe bei Innsbruck gelegenen Gemeinde Fritzens vor dem Rochelt-Gebäude, ist man gewissermaßen angenehm enttäuscht: Keinerlei marketinggenerierter Signature-Building-Glamour schickt sich an, den Besucher bereits visuell auf ein „Markenerlebnis“ einzugrooven, der Bau wirkt vielmehr wie ein – schon einmal durch die nahe gelegene Autobahnabfahrt und das vis-à-vis errichtete Umspannwerk – aus der Servus-TV-Idylle in die Gegenwart gerücktes, gediegen-komfortables Inntaler Bauernhaus.

Ein Eindruck, der sich im Inneren des Gebäudes fortsetzt und in den sich auch Alexander Rainer harmonisch einfügt, ein freundlicher, alerter Mann, der die Nachfolge seines 2009 verstorbenen Schwiegervaters, des Firmengründers Günter Rochelt, angetreten hat.

Mit Verweis darauf, dass man schließlich in Tirol sei, wird zunächst das Du-Wort und dann eine kleine Vormittagsjause angeboten. Dabei handelt es sich um hausgemachtes Brot mit ziemlich fabelhaftem hausgemachten Leberaufstrich und nicht minder hausgemachtem Grammelschmalz, was bruchlos zur Erklärung führt, wir müssten, ehe wir uns dem Brennen widmen, erst noch den Räucherofen in Gang setzen, in dem jährlich zwei Stück Almschweine in fünfzehn Kalträuchergängen für den Hausgebrauch zu Speck gemacht werden.

Nach – so vermute ich – altehrwürdiger Tiroler Sitte bekomme ich als Gast das Privileg eingeräumt, mit dicken Kaminzündern das Holzmehl zum Glosen zu bringen. Als das nicht funktioniert, bekomme ich dankenswerterweise eine – vermutlich original Nordtiroler – Lötlampe gereicht, und dann geht’s in den Brennraum.

Hat man sich dort erst einmal von dem betäubenden Wohlgeruch erholt, den die laufenden Brennvorgänge verursachen, findet man sich in einem nicht gerade großen, von lediglich vier, dafür aber vorbildlich kupfrig glänzenden und edelstählern blitzenden Brennkesseln dominierten Raum wieder, den man, wäre er nicht so offensichtlich eine funktionale und Gebrauchsspuren aufweisende Arbeitsstätte, für den Touristenführungs-Showroom einer Großbrennerei halten könnte.

Tatsächlich aber stellen die vier Brennkessel – „Der beste Schnaps, sagt man, kommt aus Österreich, die besten Kessel aus Deutschland“, erläutert Alexander – die gesamte Destillationsinfrastruktur des Unter­nehmens dar.

Das bietet endlich Gelegenheit, eine temporäre Verstärkung der rocheltschen Brennausrüstung zu offerieren, indem ich meinen Alles-Gute-zum-Vierziger-Spielzeugkessel aus dem Kofferraum hole.

Ich vermute, dass Alexander sich darüber ungefähr gleich stark freut, wie ich es tue, wenn sich jemand anschickt, mir einen Witz zu erzählen, den ich auch gern in meinem Programm verwenden dürfe. Sollte das zutreffen, lässt er sich aber zumindest nicht das Geringste anmerken, was mich jedoch nicht völlig überzeugt, schließlich versuche ich ja im Vergleichsfall ebenfalls, mir nichts anmerken zu lassen.
Zunächst aber werde ich am seriösen Gerät eingeschult. Im ersten Kessel befindet sich noch die sogenannte „Schlempe“, der ausgelaugte Maischerest des vorangegangenen Vogelbeer-Brennens. Ich nehme eine Kostprobe, schließlich stößt man nicht alle Tage auf Vogelbeerschlempe, und stelle fest, dass offenbar tatsächlich beinahe aller Geschmack im Destillat verblieben sein muss. Generös offeriert mir Alexander eine Probe der ungebrannten Maische, ich koste und werde mit einer Geschmackserfahrung belohnt, die mit „sauer“ nur unzureichend beschrieben ist und so durchdringend schmeckt, wie sich eine fette Rückkopplung anhört.

Ich reinige den Kessel mit dem Wasserschlauch und befülle ihn danach mit Marillenmaische.
Die dabei selbstverständlich gezogene Kostprobe ist nicht ganz so durchdringend wie das vorangegangene Vogelbeer­experiment, aber angenehm verstörend: der konzentrierteste Marillengeschmack, der sich vorstellen lässt, bei gleichzeitig völligem Fehlen jeder Süße. Nichts für alle Tage, aber allerweil interessant.
Der von mir befüllte Brenner beginnt, nachdem er im Stil des Hauses auf eine Temperatur gekommen ist, die gerade hoch genug ist, um die Destillation am Laufen zu halten, den sogenannten Rohbrand, die erste von zwei Brennstufen, zu destillieren. Das extrem intensiv nach Frucht riechende Destillat beinhaltet noch Methyl- und andere unerwünschte Alkohole, die beim nächsten Schritt, dem Feinbrand, abgeschieden werden.

Zwei Brenner weiter ist ein solcher Feinbrand gerade im Gange. Alexander erläutert, dass hier der eigentliche Job des qualifizierten Brennmeisters getan wird. Es gehe darum, den idealen Zeitpunkt zu finden, um den Vorlauf (also der Anteil des Feinbrands, der die unerwünschten Alkohole enthält) und den Nachlauf (der Teil, in dem der Schnaps aufgrund des steigenden Wasseranteils trüb wird) vom Herzstück zu trennen, dem Teil, der später auch in den Handel kommen wird. Dazu wird das Destillat jeder Maische wieder und wieder verkostet und auch im hauseigenen Labor chemisch analysiert, bis ein Verhältnis gefunden wird, mit dem er dann vollauf zufrieden ist. „Was das Herzstück wird“, erklärt er, „ändert sich von Jahr zu Jahr und von Sorte zu Sorte, sonst besteht immer die Gefahr, aus einer super Maische einen mittelmäßigen Schnaps zu machen.“ Er ist der Auffassung, dass derzeit zu viele Produzenten „zu enge Herzstücke brennen. Ein minimaler Vorlaufanteil transportiert noch Fruchtaromen, die sonst verloren gehen. Und dann haben sie Herzstücke mit 80 % Alkohol, die dann ja erst recht wieder auf 42 % herunterverdünnt werden.“

Die Rochelt-Brände kommen mit mindestens 50 Volumsprozent auf die Flasche, und auch das hat natürlich einen Grund: „Wir wollen wieder näher ran an die alte Trioler Brenntradiiton. Wenn du auf unter 50 % verdünnst, wird der Schnaps trüb. Das kann man heute wieder herausfiltern, früher war das nicht möglich. Aber trüben Schnaps wollte damals auch niemand. Natürlich, durch die Verdünnung kannst du den Schnaps gleich trinkbar machen. Aber das interessiert uns nicht. Verdünnen verdünnt nur das Problem, statt es zu lösen.“

Die Lösung, an die man hier glaubt, heißt Zeit. Und so werden wir ins Allerheiligste des Betriebs geführt, das Lager, in dem die kostbaren Elixiere in großen Glasballons ihrer Abfüllung entgegenreifen, und zwar mindestens fünf Jahre und unklimatisiert: „Der Wechsel von Kalt und Heiß gehört dazu.“ Verschlossen sind sie dabei lediglich mit Tüchern, selbstverständlich aus feinstem Tiroler Bauernleinen. Das führt zu jener Verdunstung, die in der Whisky-Welt „Angels Share“ genannt wird. Die Engel über der Gemeinde Fritzens haben ein gutes Leben: Rund 2.000 Liter Edelbrand lösen sich hier jährlich buchstäblich in Luft auf, beinahe eine halbe Jahresproduktion.

Und so bekomme ich eine Ahnung davon, dass sich die Preisgestaltung dieser Schnäpse durchaus auch dem Aufwand verdankt, mit dem sie erzeugt werden.

Diese Ahnung verdichtet sich noch, als Alexander beginnt, meine Spielzeugdestille großzügig mit hauseigener Marillenmaische zu befüllen und dabei ein paar Eckpunkte seines diesbezüglichen Qualitätsanspruchs erläutert.

„Grundsätzlich ist es so – aha, die Flamme regulieren kann man da nicht, oder? Na, wird so auch gehen – grundsätzlich ist es so, dass das Grundprodukt die Qualität macht. Punkt. Dass irgendein super Brenner aus irgendeinem Dreck den super Schnaps macht, glauben zwar viele, aber – so jetzt müssen wir natürlich die Kühlschlange mit fließendem Wasser umspülen, geh, ich glaub’, wir stellen das ganze Ding da auf die Abwasch, damit das überlaufen kann – das ist natürlich ein Blödsinn. Das ist, wie zu glauben, ein super Koch kann mit einem ganz bestimmten Messer oder Herd oder Topf immer tolles Essen machen. Und der Günter, mein Schwiegervater, war ja Koch, bevor er hobbymäßig zu brennen begonnen hat. Na also, schau, fangt schon zu tropfen an, ich glaub’, jetzt können wir das einfach stehen lassen, eingreifen können wir bei dem Apparat eh nicht. Also jedenfalls ist das Grundprodukt das Um und Auf. Ich sag’ immer, die fünf Hauptfehler beim Brennen sind: schlechtes Obst, Schlamperei bei Vorlauf und Nachlauf, schlechtes Obst, schlechtes Obst und schlechtes Obst.“

Das Hauptproblem sei, erläutert er später weiter, Produzenten zu finden, die bereit sind, nach seinen Qualitätsvorgaben zu arbeiten. Man zahle zwar bis zum Fünffachen der gängigen Marktpreise, dennoch sei es, da die meisten Obstbauern in einen Verwertungskreislauf eingesponnen sind, für den sie dem Handel eigentlich unreifes, aber lage­r­fähiges Obst liefern, schwierig, die gewünschte Ware zu bekommen. Marillen etwa beziehe er ausschließlich von Partnerbetrieben in der Wachau, verwendet würden nur die hochreifen Früchte, die schon von selbst vom Baum gefallen sind. Die werden sofort gesammelt und vor Ort eingemaischt, weil sie die Reise nach Tirol nicht überstünden. Kirschen wiederum würden über drei Wochen hinweg selektiv vom Baum gepflückt, bei Regen müsse in jedem Fall zwei Tage Pause gemacht werden.
Inzwischen sitzen wir bereits in der Stube, wo wir abermals mit hauseigenen Spezereien gefüttert werden, dazu gibt es Kostproben der Schnäpse und weitere Informationen.

Etwa zur Ausbeute: „Marillen brauch’ ich, je nach Frucht und Reife, 15 bis 30 kg auf den Liter Schnaps. Dazu kommt, dass ich in einem guten Jahr sechs von zehn Marillen nehm’, in einem sehr guten acht, in einem schlechten drei. Die Mengen, die wir verarbeiten, schwanken auch. In unserem besten Marillenjahr haben wir 100 Tonnen übernommen, im schlechtesten zehn. Bei Holunder brauch ich 50 Kilo auf den Liter, bei Waldhimbeere 60, bei Schlehe 100.“

Serviert bekommen wir die Brände im ungewohnt kleinen, gerade 1 cl fassenden Rochelt-Glas, begleitet von der Bemerkung: „Das sind solche Konzentrate, da bringst du 2 cl fast nicht weg, von einem Doppelten ganz zu schweigen.“

Und ich will hier ja nun weder Werbung noch mich als Schnapsexperte wichtig machen, aber da ist was dran: Bereits eine minimale Benetzung des Mundinneren erzeugt verlässlich eine kopfraumfüllende Arome­n­explosion, an der man noch eine ordentliche Zeit lang genüsslich herumkauen kann.

Auch der inzwischen abgeschlossene Rohbrennvorgang auf meinem Privatspielzeug präsentiert sich – die Maische macht’s, die Maische macht’s! – als kleines Marillenduftwunder. Der Feinbrand erfolgt aus Zeitgründen dann einige Tage später in meiner Küche. Ingo Pertramer reist in Begleitung seiner Kamera an, andächtig gießen wir den guten halben Liter in den Brennkessel, entzünden den Spiritusbrenner und passen auf wie die Haftelmacher, um den magischen Moment zwischen Vorlauf und Herzstück nicht zu verpassen. Und den zwischen Herzstück und Nachlauf natürlich. Letztlich bleibt gerade genug Schnaps, um eine etwa flachmanngroße Flasche leidlich zu befüllen, die davor, was uns angemessen erscheint, heiliges Wasser aus Maria Absam enthalten hat.

Ich gehe daran, irgendwo eine Fetzerl halbwegs edlen Tuchs zu suchen und werde fündig in Gestalt der letzten Überlebenden eines ursprünglich sechsteiligen Leinenserviettensets. Die Flasche wird zugebunden und in einem weniger frequentierten Teil des Bücherregals zwischen dem sechsbändigen Lexikon der christlichen Ikonographie und Wahrigs Rückläufigem Wörterbuch verstaut.
In frühestens einem Jahr werden wir dann kosten. Pro Nase maximal 1 cl.

Innstraße 2, 6122 Fritzens
Tel.: 05224/524 62
www.rochelt.com