Champagner-Launen

Seit einiger Zeit gärt es in der Champagne: Die traditionelle Weinregion hat sich jahrzehntelang jeglicher Veränderung widersetzt, um jetzt eine tiefgreifende Revolution zu erleben. Eine neue Winzergeneration zeigt völlig neue Geschmacks­­dimensionen auf und ist damit auch noch erfolgreich.

Text von Christina Fieber Foto: beigestellt

Venus war eine Schönheit: Hochbeinig, dichte Mähne und ausgeprägte Muskulatur. Eine edle Bourgognestute, ausdauernd und leistungsstark. Vor einiger Zeit hat Venus jedoch das Zeitliche gesegnet. Viele Jahre beackerte sie die Weinberge von Pascal Agrapart, dem neuen Shootingstars der Champagne. Der Weinmacher, oder Recoltant Manipulant, wie sie in der Region genannt werden, gehört zu einer jungen Winzergeneration, die das berühmte Weinbaugebiet gründlich aufmischen.

Die meisten von ihnen besitzen nur wenige Hektar bester Lagen, die sie inzwischen nicht nur bepflanzen, sondern auch selbst verarbeiten und vermarkten.
Bis dahin waren die Rollen klar verteilt: Die Häuser kauften von den Winzern Trauben um hohe Kilopreise. Alle schienen zufrieden. Der Umsatz für Champagner schnellte in ungeahnte Höhen, französische und internationale Großkonzerne erwarben für enorme Summen einige der bekannten Marken, bis die Wirtschaftskrise die Absätze stagnieren ließ. Die Traubenpreise sanken und immer mehr kleine Weinmacher begannen selbst abzufüllen und unter ihrem Namen zu vermarkten. Bislang besaßen sie zwar 90 Prozent der gesamten Anbaufläche, lukrierten jedoch nur ein Drittel des Umsatzes. Vor allem aber trieb sie der Ehrgeiz, der Weinwelt zu beweisen, dass auch die Champagne große Weine erzeugen kann, die ihre Herkunft widerspiegeln. Sie warfen so ziemlich alle Regeln und Gesetze über Bord, die bisher in der AOC zertifizierten Region galten. Eine stille Revolution nahm ihren Lauf: Jahrhundertelang verschanzte sich die Champagne hinter scheinbar unantastbaren Traditionen, um in den letzten Jahren zu einer der dynamischsten Weinregionen der Welt werden.

Der erste Winzer, der den großen Champagnerhäuser das Fürchten lehrte, war Anselme Selosse. Ein Perfektionist, der dem Champagner erstmals eine ganz individuelle Stilistik verlieh. Seine önologische Ausbildung absolvierte er im Burgund. Die berühmte Weinregion wurde auch zu seinem Vorbild. Er begann die Grundweine im Holz auszubauen und produzierte nicht nur reinsortigen sondern auch lagenreinen Champagner. Ein Fauxpas, galt doch das Cuvéetieren verschiedener Lagen als unumstrittene Regel der berühmten Weinregion. Nur dem ehrenwerten Hause Krug gestattete man bislang derlei Extravaganzen.
Innerhalb weniger Jahre waren seine Blanc de Blancs , wie Champagner aus 100 Prozent Chardonnay genannt werden, weltweit begehrt und Selosse avancierte zum Starwinzer. Bis heute besitzt er nur knapp acht Hektar und produziert nicht mehr als 57 000 Flaschen jährlich, die weggehen wie die warmen Semmeln. Im Vergleich dazu produziert Moet jährlich 30 Millionen Flaschen. Inzwischen verlangt er Spitzenpreise, die so manches renommierte Haus vor Neid erblassen lassen. Erwähnt man dort den Namen Anselm Selosse, kann man sich schnell unbeliebt machen. Den von seiner internationalen Fangemeinde kultisch verehrten Selosse lässt das allerdings kalt. Es scheint, als würde ihm Kritik nur schmeicheln.

Wie viele seiner Kollegen arbeitet er biodynamisch, verzichtet aber auf jegliche Zertifizierung. „Ich will mich nicht schubladisieren lassen, ich will unabhängig arbeiten!“, ereifert er sich. Rudolf Steiner, den Vater der Biodynamie, empfindet er als Sektierer, der zudem keinen Wein trank. Goethe sei ihm viel lieber, der sei ein Freigeist gewesen, wie er.

Selosse suhlt sich nicht nur im eignem Ruhm, er unterstützt auch viele Weinmacher, die sich selbstständig machen wollen. Einer von ihnen ist Jérôme Prévost. Als er 1998 begann selbst Champagner abzufüllen, fungierte Selosse als Mentor und stellte dem Neowinzer für einige Jahre seinen Weinkeller zur Verfügung. Inzwischen arbeitet er im eigenen Keller, einem ehemaligen Bunker aus dem Ersten Weltkrieg. Prévost hat in der Weinszene den Ruf des jungen Wilden. Er besitzt ganze 2,2 Hektar und produziert daraus eine Minimenge eines einzigen Champagners. Zudem aus Pinot Meunier, eine Rebsorte die traditionell nur als Verschnittpartner verwendet wird. Prévost setzt sich über alle Konventionen hinweg, baut seinen Pinot Meunier reinsortig aus, ohne Intervention im Keller, ohne Dosage. Die Dosage ist eine heilige Kuh für die Champagne. Die Zucker- Altweinzugabe am Ende der Schaumweinerzeugung beeinflusst den Geschmack wesentlich und definiert die Stilistik des jeweiligen Hauses. Je höher die Dosage, desto weicher und zugänglicher der Champagner. Die Nivellierung des Geschmacks ermöglicht es, jedes Jahr konstante Qualität auf den Markt zu bringen. Bei geringer Dosage bleibt der Eindruck des Grundweines deutlich erkennbar. Herkunft und Eigenheit des Champagners stehen im Vordergrund.

Die Böden in Prévosts Weingärten weisen auch nicht den für die Region so typischen Kreidegehalt auf, sondern lehmig kalkhaltige Verwitterungsböden, wie sie eher im Burgund zu finden sind. Er braucht lange Flaschenreife und viel Luft nach dem Öffnen. Am besten, man dekantiert ihn. Ein Sakrileg, geht doch die heiß begehrte Perlage verloren – Prévosts Champagner kommt dadurch erst so richtig in Fahrt. Er zeigt eine Intensität und Eindringlichkeit, die man der unscheinbaren Rebsorte nicht zutraut.

Auch Prévostbraucht sich um den Absatz seiner jährlich 13 000 Flaschen keine Sorgen zu machen. Eher um die Verteilung . Unter Kennern gilt der junge Weinmacher längst als Star. Vor seiner Winzerkarriere war er Maler und Bildhauer, jetzt organisiert er gerne Feste mit bekannten zeitgenössischen Schriftstellern. Trotzdem grenzt er seine beiden Leidenschaften klar ab: „Weinmachen hat mit Kunst nichts zu tun, hier ist die Natur der Meister.“

Die Produzenten sind so unterschiedlich wie ihre Champagner. Vielschichtige, oft eigenwillige Persönlichkeiten. Wie Francis Egly- Ouriet, der den Ruf genießt, Journalisten nur ungern willkommen zu heißen. Überhaupt lässt er sich kaum in der Öffentlichkeit blicken. Braucht er auch nicht, das erledigen seine Champagner, die nach strengen Auswahlverfahren ausschließlich an Händler verteilt werden. So verschlossen er sich Menschen gegenüber zeigt, so freundlich verhält er sich zur Natur: Er verwendet keinerlei systemische Pflanzenschutzmittel oder Dünger. Seine ältesten Rebstöcke wurden 1947 gepflanzt: Entsprechend eindringlich und konzentriert präsentiert sich der daraus erzeugte Champagner. Voller Kraft und gleichzeitig nobel zurückhaltend, tiefgründig und heiter. Schlicht unbegreiflich gut. Der eigenbrötlerische Winzer verarbeitet nicht nur jede Lage sondern sogar jede Parzelle einzeln. Vergoren wird mit natürlichen Hefen. Die Dosage ist kaum messbar. Auch Egly-Ouriet ist notorisch ausverkauft.

Die junge Winzergeneration zeigt Selbstbewusstsein, versteckt sich nicht hinter der Marke Champagne, sondern offenbart die Vielschichtigkeit des edlen Schaumweines. Der inflationär benutzte Begriff „Terroir“ macht in der Champagne inzwischen Sinn.

Selbst in der bis dahin kaum beachteten südlichsten Region, der Aube, etablieren sich immer mehr hervorragende Winzer. Es gibt keine einzige Grand Cru oder Premier Cru klassifizierte Lage, weil sich die Böden fundamental von denen der anderen Champagnergebiete unterscheiden. Mergel, Schiefer und Kalk erinnern eher an das Chablis. Der Außenseiterstatus macht die Vignerons der Aube noch experimentierfreudiger. In Kennerkreisen ist die Region derzeit absolut angesagt.

Einer ihrer aufregendsten Protagonisten ist der junge Cédric Bouchard, der erst mit 2000 seinen ersten Jahrgang erntete. Mit seinen wilden schwarzen Locken und den stechend grünen Augen sieht er aus wie ein sardischer Schafhirte. Er pflegt einen durchaus unkonventionellen Zugang zum Wein. Regeln und Traditionen kümmern ihn wenig: „Das Gerede über Rebsortentypizität, Stilistik oder Terroir interessiert mich nicht, wenn keine Emotion im Spiel ist, hat Wein keinen Sinn für mich!“

Seine Champagner sind aus der Pinot Noir-Traube, parzellenrein ausgebaut, spontan vergoren, ohne Holzeinsatz und ebenso kontrovers wie der Produzent. Eigentlich schmecken sie eher wie herausragender Burgunder: Subtil, filigran und undurchdringlich.

Auch in einer der Kernregionen der Champagne, der Côte de Blanc, ist die Zeit nicht stehen geblieben. Pascal Agrapart und einige seiner jungen Kollegen zeigen, welch außerordentliche Qualität aus reinsortigem Chardonnay gewonnen werden kann.

Agrapart ist ihr leuchtendsten Vertreter: Er versteht es, den berühmten Kreideböden seiner Grand-Cru-Lagen, das äußerste an Mineralität zu entlocken. Der inzwischen durchaus erfolgreiche Weinbauer neigt nicht zu Redseligkeit. In seiner nüchternen Art meint er nur: „Ich habe eben das Glück, in einer der besten Weinregionen der Welt arbeiten zu dürfen.“

Das ist weniger bescheiden als kokett, weiß Agrapart doch genau, was er kann. An geschmacklicher Präzision sind seine Champagner kaum zu übertreffen. Selbst konservative Verkoster verneigen sich vor seinen reintönigen Blanc de Blancs, die nach biodynamischen Prinzipien produziert werden. Das Flagship des Hauses ist nach Venus benannt, seiner wunderschönen, schnee­­weißen Kaltblutstute. Nur homöopathische Mengen gibt es von dem begehrten Champagner aus einer kleinen Einzellage. Völlig ohne Dosage gemacht, galoppiert Venus bei Verkostungen regelmäßig bekannten Prestigemarken davon.