Der diskrete Charme Friauls

In Zeiten, da üppige Fruchtbomben beim Rotwein immer kritischer beäugt werden und Begriffe wie Terroir und Mineralität in aller Munde sind, tut es gut, die Weine der Nordostecke des südlichen Nachbarn einer Betrachtung zu unterziehen. Denn da lässt sich einiges abseits des Mainstreams finden.

Der diskrete Charme Friauls

Text von Michael Prónay Foto: Alexi Pelekanos
Wobei sich die Eigenständigkeit nicht, wie sonst derzeit sehr en vogue, über den Anbau lokaler autochthoner Rebsorten definiert – ganz im Gegenteil, Cabernet, Merlot und Pinot sind gute alte Bekannte –, sondern eher über die Stilistik.
Aber schön der Reihe nach. Italiens nordöstlichste Region, die sich zwischen den Karnischen und den Julischen Alpen und der Adria erstreckt, umfasst die Provinzen Gorizia, Pordenone, Udine und Triest, wobei letztere auch die Regionshauptstadt ist. Westlich schließt das Veneto an, im Osten Slowenien.
Die Region ist uraltes Siedlungsgebiet, in dem drei ethnische Gruppen zusammentrafen: Deutschsprachige, Italiener und Slawen. Im Spannungsfeld einer historisch zwischen Rom, Byzanz, Venedig und der Donaumonarchie umstrittenen Region verwundert es nicht, dass die Anzahl der angebauten Rebsorten vergleichsweise umfangreich ist. Die weißen einheimischen umfassen Tocai Friulano (der ab Ende März 2007 nimmer so heißen darf, offiziell gibt’s noch keinen Nachfolgenamen, "Furlan" soll aber gute Chancen haben), Ribolla Gialla, Malvasia d’Istria, Verduzzo und Picolit; in Rot sind’s Refosco, Schioppettino, Pignolo und Tazzelenghe. Riesling (Rhein- und Welsch-), Traminer, Rivaner und der seltene Blaufränkische gelten als über Österreich in die Region gelangt, während die französische Gruppe – Sauvignon, Pinot Blanc/Gris/Noir, Merlot und die beiden Cabernets – während der Zeit der Habsburger im 19. Jahrhundert ihren Einzug hielt.
Obwohl die Weine historisch an Fürstenhöfen nachweisbar sind – selbst Päpste gehörten zu den dankbaren Abnehmern –, traten sie erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ans Licht der Öffentlichkeit. Interessanterweise waren es die Weißen, die dank moderner Kellertechnik den in den 1960er-Jahren zum Großteil oxidierten und müden Weißen anderer italienischer Regionen zeigten, wie Weißwein schmecken kann.
Die Rebfläche ist mit knappen 20.000 Hektar im Vergleich zu Restitalien ein Klacks, im Vergleich zu Österreich sind’s etwa 40 Prozent. Ziemlich genau die Hälfte der knapp 1,2 Mio. Hektoliter entfallen auf DOC-Weine, es gibt auch eine DOCG für den weißen süßen Ramandolo aus der Rebsorte Verduzzo. Damit liegt der Anteil der DOC-Weine unter allen Regionen Italiens an dritter Stelle (nach Trentino-Südtirol und dem Piemont), was allerdings weniger über die tatsächlichen Weinqualitäten eine Aussage zulässt als über die Geschicklichkeit lokaler Weinpolitiker, großflächige DOCs zu schaffen.
Glaubt man dem italienischen Weinführer, gibt’s zur Zeit neben der DOCG neun DOCs. Davon tragen fünf die Bezeichnung "Friuli", dahinter eine Subregion (Annia, Aquileia, Grave, Isonzo und Latisana), wobei Grave und Isonzo auch vorn dran stehen können, dann heißt der Zusatz "del Friuli". Die übrigen sind Lison-Pramaggiore (die sich auch ins benachbarte Veneto erstreckt), Carso (die Region um Triest, unschwer als "Karst" zu erkennen) sowie die am östlichen Rand der Region gelegenen Colli Orientali del Friuli und der Collio Goriziano, letzterer in der Regel zu "Collio" verkürzt.
Colli Orientali und Collio sind mit 2.100 und 1.500 Hektar zwar nicht die größten DOCs, aber doch die mit großem Abstand qualitativ wichtigsten, wobei das Collio – jenseits der slowenischen Grenze sich als Goris?ka Brda fortsetzend, was genau dasselbe bedeutet, nämlich Görzer Hügelland – unangefochten die Nase vorn hat.
Eine – eher zufällige – Parallele verbindet die Region mit der heimischen Weinwirtschaft: Die Vielfalt der Rebsorten, die fast immer reinsortig abgefüllt werden, bedeutet ein wesentlich breiter gefächertes Sortiment als es sonst in Italien üblich ist. Dennoch setzen die Winzer – zumindest mit den Weinen, die sie hierher exportieren – weit überwiegend auf die internationalen Sorten. Das empfinden wir aber keineswegs als Nachteil, denn die Weine kosten sich ganz und gar nicht "international" oder austauschbar. Ob’s daran liegt, dass die Erträge vielleicht um einen Hauch höher liegen als bei uns, sei es, dass ein wenig früher gelesen wird – es gilt jedenfalls festzuhalten, dass man hier keine vollbusigen "Degustationsmonster" suchen soll. Kein einziger Wein hatte 14 Prozent (laut Etikett), und so schmecken sie weit überwiegend auch: eher auf der eleganten Seite liegend, selbst bei deutlichem Holzeinsatz nie überladen wirkend. Mit anderen Worten, es sind ausgesprochen trinkfreundliche, charmante Essensbegleiter.
Noch eine kurze Bemerkung zum Abschluss: Der Siegerwein, vom Querdenker Jos?ko Gravner, der passt sowieso in kein gängiges Schema, auch preislich nicht. "Gravner" ist übrigens die slowenische Notation für "Grauner" (so wird der Name auch ausgesprochen), denn im Slowenischen mutiert ein v nach einem Vokal zum u, ein "Avtomechanika" ist also ein Automechaniker.

Die Bewertung

Abkürzungen
CF Cabernet Franc
CS Cabernet Sauvignon
DOC Denominazione di Origine Controllata, kontrollierte Ursprungsbezeichnung
IGT Indicazione Geografica Tipica, typische geographische Bezeichnung
ME Merlot

Importeure und Bezugsquellen
Festival, 1190 Wien, Tel.: 01/369 60 61
Gottardi, 6020 Innsbruck, Tel.: 0512/58 44 93 -0
Lamercantile, 1030 Wien, Tel.: 01/796 43 08
Magazin, 5020 Salzburg, Tel.: 0662/84 15 84-0
Metro, 2331 Wien – Vösendorf, Tel.: 01/690 80
Müller, 8522 Groß St. Florian, Tel.: 03464/215 54
Schwarzer, 9900 Lienz, Tel.: 04852/626 02
Vinorama, 6300 Wörgl, Tel.: 05332/78 55
Wein Wolf, 5020 Salzburg, Tel.: 0662/421 464

93 1999 Rosso Gravner, Josko Gravner, Venezia Giulia IGT 13%, magazin EUR 60,–
Wunderschön klare, saubere, ein wenig hochgetönte Nase; herrliche Beerenfrucht, Hauch Nougat und Rumtopf, Zwetschkenröster, saftig, dicht, à point, ganz ausgezeichnet, wird mit Luft immer besser und steht am zweiten Tag tatsächlich noch komplexer und schöner da.
91 2000 Tiare Mate, Livon, Collio DOC 13,5%, Lamercantile EUR 20,16 (ME)
Rauchige Dunkelfrucht mit hübschem Toasting; feine Lakritzenote, saftiges Süßholz, geschmeidig, aber immer mit der kleinen Tanninspitze versehen, ausgezeichnet.
91 2000 Tiare Blu, Livon, Collio DOC 13,5%, Lamercantile EUR 21,13 (ME/CS/CF)
Etwas zarter in der Aromatik als der Kollege vorhin, feine Kaffeenoten; ausgesprochen elegant, feine Bitterschokolade, reifer Gerbstoff, viel Biss, saftig, hat noch Potenzial.
90 2001 Merlot dal Pic, Collavini, Collio DOC 13%, Wein Wolf EUR 28,50
Schwarze Oliven und schokige Dunkelfrucht; macht am Gaumen wunderschön auf, Tomaten und Bitterschokolade, feines Holz, schöne Länge.
89 2003 Merlot, Pighin, Grave del Friuli DOC 12,5%, Vinorama EUR 8,80
Transparente Kirschennase; freundliche Frucht, überraschend dicht und herzhaft, knackig, frisch, saftig, süffig, sehr ordentlich.
89 2004 Refosco dal Peduncolo Rosso, La Tunella, Colli Orientali del Friuli DOC
13%, Gottardi EUR 10,80
Rote Rüben und ausgeprägte Animalik; freundlich-extraktsüße Frucht, schöne Substanz, erstaunlich saftig, schöne Länge, sehr individuell.
89 2003 Merlot, Pighin, Collio DOC 13%, Vinorama EUR 12,40
Feine Schmeichelnase, hübsche Dunkelfrucht; ledrig, zart animalisch, Hauch Kaffeebohnen und Bitterschokolade, kerniger Biss und erstaunliche Länge.
89 2001 Rosso Santo Spirito, Rieppi, Colli Orientali del Friuli DOC 13%, Schwarzer EUR 14,50
Sehr reife Nase, die Schönheit ist bereits ziemlich verblüht; am Gaumen geht er aber erstaunlich auf, dezente Schokonoten, sauberer Fruchtbiss, wunderschön saftig und klar.
88 2004 Merlot, i Feudi di Romans, Isonzo del Friuli DOC 12,5%, Wein Wolf EUR 7,95
Feine Dunkelfrucht, auch ein wenig Bordelaiser Strenge; herzhaft saftiger Biss, knackig und fest, viel Trinkanimo, hat auch Zukunft.
88 2000 Metamorfosis, Marco Primosic, Collio DOC 13%, Festival EUR 29,70
Sehr würzige Nase; Ribisel und Preiselbeeren, hübsche Frucht, süffig, geradlinig, sehr sauber und attraktiv, zeigt einiges Trinkanimo.
87 2004 Refosco, Collavini, Isonzo del Friuli DOC 13%, Wein Wolf EUR 9,95
Zarte Dunkelfrucht, Hauch von Mandeln und Fenchel; witzige Kirschfrucht, auch ein ungewöhnlicher, nichtsdestoweniger passender Gehalt an Rest-CO2, zarte Schokonote, individuell.
87 2003 Cabernet Franc e Sauvignon, Collavini, Isonzo del Friuli DOC 13%, Wein Wolf EUR 9,95
Zwetschken und Ribisellaub; sanfte, solide Frucht, wenig Tiefe, aber schöne Statur, sehr sauber und süffig.
87 2003 Merlot, Conte d’Attimis Maniago, Colli Orientali DOC 13,5%, Müller EUR 10,60
Menthol pur (Kaisers Brustkaramellen); mentholige Dunkelfrucht, saftig und klar, hat Biss und schöne Länge, saftig, samtig, ordentlich.
87 2003 Cabernet, Conte d’Attimis Maniago, Colli Orientali DOC 13%, Müller EUR 11,–
Ribisel und Preiselbeeren; saftig-kernige und herzhafte Frucht, hübscher Biss, trocken, sehr guter Wein für die einschlägige Küche.
86 2003 Merlot, Marco Felluga, Collio DOC 13,5%, Metro EUR 11,88
Zarte Dörr-zwetschken; solide Frucht, dabei transparent, ein wenig einfacher gestrickt als die Nase andeutet, sehr regionstypisch.
85 2003 Cabernet Sauvignon, Cabert, Friuli DOC Grave 12,5%, Metro EUR 6,06
Preiselbeeren, Kirsche und ein Hauch von Grün; unkomplizierter Trinkwein ohne große Ansprüche.