Der endgültige Kopf

Perfekter Espresso ist – neben vielen anderen Faktoren – vor allem eine Frage der Technik. Und die erfuhr 1961 in Mailand ihre Perfektion.

Text von Florian Holzer Foto: Phillip Horak
Ja, es ist schon so, dass man derzeit in schicken Tageslokalen, in puristischen Paninotheken, in gestylten Massage-Salons, in Architekturbüros und anderen Kulminationsstätten zeitgemäßer Urbanität überall so chromblitzende Espressomaschinen mit Retro-Appeal stehen sieht. Also nicht diese futuristischen Kapsel-Knopfdruck-Schaum-George-Clooney-Aggregate, sondern die wirklichen Maschinen, die, die auch Geräusche machen, zischen, brummen, brodeln, grummeln, blubbern, und die auch duften. Nach frischem Espresso, dem besten Duft der Welt.
Was unter anderem daran liegt, dass gerade ein kleiner, subtiler Individualitätstrend zu echtem, "handwerklichem" Espresso, kleinen Röstereien und gutem Kaffee festzustellen ist, also schon gewissermaßen eine Gegenbewegung zu den extrem erfolgreichen "Convenient"-Kaffeesystemen, beziehungsweise eine Fort­setzung dessen. Was aber auch daran liegt, dass es mittlerweile Klein- und Haushaltsgeräte gibt, die wirklich erstklassigen Espresso herzustellen in der Lage sind. Und das wiederum hat eine einzige Ursache – den unvergleichlichen Brühkopf der Faema E61.
Klingt technisch? Ist es auch. Als die E61 1961 vom Mailänder Kaffeemaschinenerzeuger Faema – "Fabbrica Articoli Elettromecchanici Affini" – herausgebracht wurde, war das eine technische Revolution: direkte Wasserzufuhr mit kontinuierlicher Filtration und Enthärtung; Volumenpumpe mit exakten 9 bar Druck, Durchfluss eines Wärmetauschers innerhalb des Dampfkessels und damit ideale Temperatur, Kaffeekontakt von 25 Sekunden, was sich im Laufe der Jahrzehnte als die beste Spanne herausgestellt hatte (und bis heute unwidersprochen blieb), um das Aroma von Kaffee zu extrahieren.
Genau dafür war aber noch eine weitere Innovation notwendig, nämlich der "Vorbrüh"-Vorgang: Geräte der Prä-E61-Ära mit Hebeldruck konnten das zwar auch, es erforderte aber doch eine gewisse Fertigkeit und war auch nicht so vorsätzlich wie bei diesem Meilenstein in der Espressomaschinengeschichte – mit dem Hebel spannte man bisher die Feder des Druckkolbens und presste zugleich ein bisschen heißes Wasser in die Brühkammer, mit dem das Kaffeepulver aufquellen und dem nach einigen Sekunden durchströmenden Heißwasser sein ganzes Aroma, all seine Öle und Extrakte mitgeben konnte. Die E61 – benannt übrigens nach der Sonnenfinsternis "eclisse" dieses Jahres – machte das nicht nur automatisch, sondern auch überaus raffiniert, nämlich im permanent mit heißem Wasser durchströmten und damit in perfekter Betriebs-temperatur gehaltenen Brühkopf …
Ja, ziemlich technisch. Tatsache ist, dass dieser Brühkopf in seinem typischen, unverkennbar italienischen 60er-Design, das ein bisschen an ein Ufo erinnert, aber eben auch an industrielle Ästhetik der 20er-Jahre, zum Industrie-standard wurde. Die Faema-Brühköpfe waren so funktionell und so zweckoptimiert, dass sie Jahrzehntelang in Espressomaschinen auch anderer großer italienischer Hersteller verbaut wurden.
Wirklich interessant wurde die Sache dann aber 1991, als nämlich das zweimal 15 Jahre währende Patentrecht auf dem weltbesten Espressomaschinenbrühkopf ablief und sich Ennio Berti (bis dahin Cheftechniker bei einem sehr großen Espressomaschinenhersteller) selbstständig machte, um eine Haushaltsespressomaschine zu entwickeln. Allerdings nach einer völlig anderen Philosophie als das andere Hersteller damals machten: Nicht billig, klein und primär leicht zu reinigen, sondern mit den besten Komponenten, die am Markt zu bekommen waren und auf dem gleichen technischen Standard wie die ganz großen, leistungsfähigen Maschinen. Also mit dem Faema E61-Brühkopf, der da zwar schon irgendwie übermächtig in seiner handlichen "Giotto" von 1993 und der noch etwas kleineren "Cellini" angebracht schien. Wie eine riesengroße, chromblitzende Technonase in einem kleinen, freundlichen Espresso­maschinengesicht.
Mittlerweile wird der jetzt schon fast 50 Jahre alte Faema-Brühkopf übrigens absolut baugleich in Haushalts- und Kleingeräten aus Italien, Deutschland und Amerika verbaut – er ist nach wie vor Kult und Standard zugleich.
Warum das so ist, fragt man sich. "Weil es ja Nonsens wäre, was Perfektes verbessern zu wollen", sagt Gerhard Jericha, der einige dieser Geräte vertreibt. Nachteile wie die eher flache Bauweise von Brühkopf und Siebträger (was bei Nicht-Profis leicht zu Bröselorgien und völliger Kaffeeverstaubung der Küche führen kann …) erklärt Jericha mit der nur so wirklich guten Auslaugung des vorgebrühten Kaffeepulver-Kerns, mit der ständigen Verbrennungsgefahr – der gesamte Brühkopf ist wirklich gut temperiert, Berührung nicht empfohlen – und dem eher feuchten Grundcharakter des Systems – nach jedem Espressodurchgang wird das zirkulierende Wärmewasser über ein Ventil in einen Sammelbehälter offen abgeleitet.
Die Faema E61 und ihr Brühkopf sind – von ihrer eindrucksvollen Schönheit einmal abgesehen – perfekte Technik, die dem Menschen noch die Chance lässt, sich einer handwerklichen Herausforderung zu stellen. Der Lohn für lange Wochen und Monate der Erfahrung ist ein Espresso, der in traumhafter, schaumiger Parabel in hauchdünnem Faden in die Tasse strömt und drei Schlückchen Glück birgt.