Der Herr der Wilden Weine

Das istrische Weingut Roxanich zählt zu den ganz Großen der Naturweinszene. Selbst „Natural Wine“-Skeptiker begeistern sich für diese archaischen Gewächse. Doch Winzer Mladen Rozanic denkt gar nicht daran, zu gefallen und sich irgendwelchen Regeln unterzuordnen.

Text von Christina Fieber · Fotos von Petr Blaha

Man fährt garantiert daran vorbei. Nichts in diesem unscheinbaren Dorf im Hinterland Istriens verweist auf das Weingut von Mladen Rozanic, dem wohl bekanntesten Weinmacher Kroatiens. Das Anwesen ist denkbar schlicht. Kein gediegenes Gutshaus, keine von Architekten geplante Industriehalle. Eigentlich gleicht es eher einer großen Werkstatt als einem Weingut. Auch der Verkostungsraum weist keine Spuren von Design auf, sondern ist auf eine angenehme Weise altmodisch.

Dabei hat sich Rozanic in den letzten Jahren zu einem der angesagtesten Winzer in Sachen „Orange Wines“ etabliert. Selbst hartnäckige Verweigerer maischevergorener Weißweine gestehen ihm allerhöchste Qualität zu. Er versteht es, sich zu vermarkten und überlässt auch sonst nichts dem Zufall: Seinen Verkaufsleiter mit dem klingenden Namen Mato Matic hat er von Red Bull abgeworben – der hat dafür gesorgt, dass Roxanich-Weine in den besten Restaurants zwischen Kopenhagen und Tokio gelistet sind.
Mladen Rozanic ist ein Mann von mächtiger Gestalt. Sein Händedruck ist fest, der Blick ernst. Der dichte, dunkle Bart lässt ihn noch grimmiger aussehen. Müsste man in einem Kinderfilm einen Piraten besetzen, würde man ihn sicher aussuchen. Irgendwie wirkt er immer ein wenig skeptisch. Vielleicht ist es aber auch nur professionelle Sachlichkeit: Er schwingt keine pathetischen Reden und will nicht beeindrucken.

In seinem früheren Leben war er Maschinenbauingenieur, zuletzt als Manager für einen internationalen Industriekonzern. Zehn Jahre lebte er in Köln und die Hälfte seiner Zeit verbrachte er auf Dienstreisen. Ein rastloses Dasein. Irgendwann wollte er nicht mehr in diesem Affentempo weitermachen, wollte endgültig ankommen, sich zu Hause fühlen und dort etwas Sinnvolles machen. Wein habe er immer schon gerne getrunken und die Mischung aus Natur, Technik und Kultur in diesem, wie er es nennt, „verrückten Gewerbe“ habe ihn magnetisch angezogen: „Wein ist ja mehr als nur vergorener Saft oder ein Getränk aus Trauben“, meint er lakonisch.
Und dann hat er sich auf die Suche gemacht nach einem geeigneten Stück Rebland und es unweit von Poreč, einem beliebten Urlaubsort an der istrischen Küste, gefunden: im Hinterland, wo sich garantiert keine Touristen hin verirren, wo sich erst die eigentliche Schönheit Istriens zeigt. Eine malerische Landschaft mit sanften Hügeln und kleinen Dörfern, unzähligen Olivenbäumen – und Weinbergen. Eine Landschaft, die geprägt ist von der „terra rossa“, der feuerroten Erde, die selbst bei schlechtem Wetter grell leuchtet. Diese eisen- und kalkhaltige Erde ist es auch, die den Weinen ihre außergewöhnliche Charakteristik gibt.

Kroatien hat eine lange Weinbautradition, die während der kommunistischen Regierung fast zum Erliegen kam. Die Trauben wurden damals an Genossenschaften geliefert, Qualität spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Lediglich für den eigenen Gebrauch durfte man eine kleine Menge Wein abfüllen. Nach dem Ende des Kommunismus und den Balkankriegen in den 1990er Jahren musste wieder ganz von vorne begonnen werden. Viele der neuen Weinmacher waren Quereinsteiger – auch Rozanic.

Dennoch war der Neowinzer kein Anfänger in Sachen Wein: Jahrelang reiste er in die wichtigsten Weinbaugebiete, trank sich durch den besten Stoff und lernte bei bekannten Rhône-Winzern. Inspiriert hätten ihn aber vor allem Josko Gravner und Stanko Radikon aus dem italienischen Collio, die als Erste die uralte Technik der Maischegärung bei Weißweinen wiederentdeckten. Rozanic war hingerissen von diesen archaisch gemachten Weinen, ihrem purem Charakter und ungewöhnlichen Aromen.

„Ich wollte etwas ebenso Einfaches machen, ein Naturprodukt, einen Wein, der nicht technisch verfälscht und vollgepumpt mit Chemie ist“, erinnert er sich an seine erste Zeit, damals vor mehr als 15 Jahren.

Alle Rebstöcke wurden neu ausgepflanzt und von Beginn an nach biodynamischen Grundsätzen bewirtschaftet. Seither arbeitet er strikt nach den Mondphasen und verzichtet im Keller weitgehend auf Interventionen. Trotzdem sieht er sich nicht als Naturwein-Fundamentalist: Auf geringe Mengen an Schwefel zur Stabilisierung der Weine will er nicht verzichten. Am Ende bleibt er Pragmatiker. Jemand, der seine Vorstellung von gutem Wein über eine hehre Idee stellt. Den Begriff „Orange Wines“ lehnt er entschieden ab: „Das ist eine Banalisierung!“, urteilt er in dem ihm eigenen nüchternen Tonfall, „es geht doch nicht um eine hübsche Farbe.“ Vielmehr sei es eine traditionelle Methode, die es ermögliche, möglichst ohne chemische und technologische Eingriffe auszukommen, die uns eigentlich zeige, wie degeneriert die Weinindustrie geworden sei.

Sein Verständnis von Naturweinen ist dennoch frei von jeglicher Romantik: „Natürlich muss der Mensch in die Weinwerdung eingreifen, sonst wird aus dem Produkt Essig“, ist er überzeugt, „Mein Ziel ist es, diesen Prozess so lange wie möglich hinauszuzögern, so spät wie möglich einzugreifen.“

Nur wenn man ans Limit gehe, so glaubt er, könne man das Äußerste an Geschmack herausholen. Wie bei gutem Käse: Erst am Zenit seiner Reifung, kurz bevor er verdirbt, schmecke er am intensivsten.

Sein „Malvazija Antica“ bestätigt die Theorie: Er zeigt das Äußerste an Ausdruck, ohne in Kitsch abzudriften – minutiös und tiefsinnig. Es ist der Wein, der Rozanic verkörpert: eine wohlkalkulierte Mischung aus Vorstellung und Instinkt. Der weingewordene Wille zur Makellosigkeit.

Selbst hartgesottene Gegner von „Natural Wines“ verneigen sich vor seinem Malvazija. Kein Hauch von jener Fehlerhaftigkeit, die Naturweinen so gerne attestiert wird.

Aber Rozanic kümmert sich ohnehin nicht um Zuordnungen jeglicher Art. Gegen Bevormundung ist er allergisch. Auch die Forderung von Naturweinpuristen, nur autochthone, ursprüngliche Rebsorten zu vinifizieren, verweigert er. In seinem Portfolio finden sich auch internationale Sorten wie Chardonnay, Merlot oder Cabernet. „Rebsorten interessieren mich eigentlich nicht, sie sind nur Material, um das Äußerste an Aromen zu transportieren“, findet er, „wichtig ist der Wein, nicht die Sorte!“

Dennoch zeigt sich gerade bei seinem Teran, einer alten regionalen Rotweinsorte, wie sich Herkunft und Rebsorte harmonisch ergänzen, ein perfektes Zusammenspiel ergeben. Der Wein ist schwermütig und temperamentvoll, eine Symbiose aus Erde und Feuer, ein Geschöpf der „terra rossa“ Istriens.

Wie alle seine Topgewächse vergärt der Teran langsam in großen Holzbottichen, reift dann bis zur Abfüllung über Jahre in Fässern und danach noch für einige Zeit auf der Flasche, bis er auf den Markt kommt. Sieben Jahre insgesamt – denn sieben sei eine wichtige Zahl in der Lehre von Rudolf Steiner, dem Begründer der Biodynamie. Das habe weniger mystische als pragmatische Gründe – Rozanic wolle seine Weine einfach erst dann verkaufen, wenn sie fertig sind, wenn sie ihr eigentliches Wesen zeigen. Ein kostspieliges Unterfangen, das er sich wohl nur mit den finanziellen Ressourcen aus seinem früheren Managerberuf leisten kann.

Er ist überzeugt, dass die Technik der Maischevergärung auch den Weißweinen das Rüstzeug für lange Reifung gibt: Durch den intensiven Kontakt mit Schale und Kernen verfügen sie über eine feine Tanninstruktur, genau wie Rotweine. Die Methode ist für ihn keine Mode oder ein Marketinggag, sondern hat eine Funktion: Sie gibt den Weißweinen Tiefgang statt gefälliger Frucht. Aufgeregte Diskussionen darüber sind ihm unverständlich – es könne doch jeder trinken, was er wolle.

Dem Vorwurf, maischevergorene Weine würden alle gleich schmecken, sie würden keine Herkunft zeigen, begegnet er mit Sarkasmus: „Dieses ganze Gequatsche über Terroir bei Weinen, die bis zur Unkenntlichkeit durch Zusätze und Eingriffe verunstaltet wurden, ist doch absurd – wo soll denn da noch eine Herkunft schmeckbar sein!“

Am Ende fällt dann doch noch die scheinbare Strenge von ihm ab: Mit einem beinahe übermütigen Lachen zitiert er seinen Winzerkollegen Josko Gravner: „In 95 Prozent aller konven­tionell produzierten Weine möchte ich nicht einmal meine Füße waschen!“
Der Satz gefällt ihm.

Kasinozici 26
52446 Nova Vas
Kroatien
www.roxanich.hr

Bezugsquellen
www.doellerer.at
www.weinco.at
www.orange-wines.com