Der lange Weg zurück
Kroatien hat eine lange Weinbautradition, die während der kommunistischen Regierung brach gelegen ist. Seit Mitte der 90er Jahre besinnt sich eine neue Winzergeneration auf die autochthonen Rebsorten und modernes Winemaking. Mit Erfolg – Kroatien wird als eine kommende Weinbaunation gehandelt. Die Halbinstel Istrien im Norden spielt dabei eine klare Vorreiterrolle.
Text von Christine Fieber Foto: GettyImages
Es ist diese rote Erde, die sofort ins Auge sticht. Selbst an regnerischen Tagen leuchtet sie, als würde das ganze Land brennen. Dazwischen ragen grell grüne Rebstöcke aus dem Boden; im Hintergrund glitzert tiefblau die Adria. Ein Bild wie aus einem alten Kodacolor Film. Unwirklich schön.
Mladen Roxanich zeigt mit einer ausladenden Geste über seine Weingärten. 27 ha Rebland bewirtschaftet der kroatische Neowinzer im Norden Istriens nahe der Küste. Früher war er Automechaniker, jetzt bastelt er an Rebstöcken. Ein lang gehegter Traum geht damit für ihn in Erfüllung. Er reiste in alle wichtigen Weinanbaugebiete weltweit und arbeitete für einige Zeit bei Winzern an der Rhône.
2001 hat er unter dem Namen Roxanich begonnen Wein anzubauen, 2008 kam der erste Jahrgang auf den Markt, heute ist er der Shootingstar der jungen kroatischen Weinszene. Mit seiner bulligen, gedrungenen Statur und den kleinen, dunklen Augen sieht er eher wie ein Zehnkämpfer aus. Spricht er jedoch über seine Weine, wird schnell klar, wie überlegt Roxanich ist. Ein Tüftler, ein Visionär. Einer, der das Zeug zu einem ganz großen Weinmacher hat.
Sein Betrieb arbeitet organisch, nach biodynamischen Prinzipien. In seinem 900 m2 großen, funkelnagelneuen Keller wird nach uralten Methoden gekeltert, ohne jegliche chemische oder technische Zusätze. Die Weine gären in 70 Hektoliter großen, alten Holzbottichen. Die Weißweine, allen voran die autochthone Rebsorte Malvasia Istriana, werden dabei fast wie Rotwein vergoren. Die Schalen werden nicht wie üblich vom Traubensaft getrennt, sondern gemeinsam eine Woche und länger mazeriert. Das gibt ihnen diese unvergleichlich dunkle Farbe. Durch den Schalenkontakt gewinnt der Weißwein an Tiefe und Komplexität, erhält eine feine Tanninstruktur und wird durch eine meist offene Gärung in großen Holzbottichen besonders lagerfähig. Noch weitere drei Jahre reift er in großen Holzfässern. Seit einigen Jahren kursieren Weine wie dieser unter dem -Namen „Orange Wines“ und schmücken die Weinkarten der besten Restaurants der Welt.
Der Malvasia Istriana 2007 von Roxanich ist knackig und blitzsauber, keine Spur von muffigen Tönen, die manche „Orange Wines“ begleiten. Kompakt und voller wilder Kräuter, dabei äußerst fein. Nach einiger Zeit schmeckt man einen Hauch exotischer Früchte. Reife Mango und süss-saure Passionsfrucht. Grüner First Flush Tee und eine gewaltige salzige Mineralität. Die Aromen verändern sich ständig, ohne je auszuufern. Gelassen, in sich ruhend: ein burmesischer Mönch beim Meditieren. Roxanich will keine vordergründigen Weine, primäre Fruchtaromen interessieren ihn nicht. Selbst sein Chardonnay wird von dieser kühlen Eleganz getragen. Herausragend auch der rote Teran, ebenfalls eine autochthone Rebsorte aus Istrien. Ein dunkler, erdiger Wein. Glasklar und völlig ohne Zierrat. Ultratraditionell und avantgardistisch zugleich.
Doch Ideologien interessieren den Winzer nicht, er lässt sich in keine Schublade stecken. „Weinbau muss frei von Dogmatismus sein – Dogmatismus bedeutet Unfreiheit, und das haben wir doch schon gehabt“, sagt er und lacht sein typisches dunkles rollendes Lachen. Dabei sieht er aus wie ein Pirat. Roxanich spielt auf die düsteren Zeiten des Kommunismus an, als jahrzehntelang die gesamte Weinernte in den sozialistischen Einheitsbottich floss. Lediglich einige Liter durften die Bauern für ihren eigenen Bedarf behalten. Es waren riesige Mengen an qualitativ minderwertigem Wein. Danach wütete der Balkankrieg und niemand dachte an Weinbau. Erst in den frühen 90er Jahren erwachte die jahrhundertealte Weinbautradition Istriens aus ihrem Dornröschenschlaf.
Ivica Matoševic´ erweckte den istrischen Wein wieder zum Leben: Der promovierte Botaniker erkannte als einer der Ersten das Qualitätspotenzial der Region und revolutioniert seitdem die Weinproduktion Istriens. Matoševic´ setzt auf eine moderne Stilistik: kalte Vergärung sowie viel Barrique. Internationale Anerkennung erreichte er mit der ersten Parker Bewertung Anfang 2000: 89 Punkte für seine rote Cuvée aus Merlot und Teran.
Es gelingt ihm, wieder an die jahrhundertealte Weintradition Istriens anzuknüpfen. Vor allem im Habsburgerreich und unter der Herrschaft der Italiener blühte die Weinwirtschaft der Halbinsel.
Matoševic´ ist wie die meisten jungen Weinmacher ein Quereinsteiger. In seinem Umfeld etabliert sich eine neue, äußerst ambitionierte Winzergeneration, der Anerkennung allein nicht reicht. Sie will die Grenzen des konventionellen Weinbaus sprengen und authentischere Weine produzieren. Einer von ihnen ist -Giorgio Clai, der in Triest das Restaurant seiner Eltern führte. Clai kannte die Karstwinzer in Italien und Slowenien, die mit heimischen Rebsorten eigenständige und für die Region typische Weine produzieren.
Mit der Vision, in Istrien einen ebenso ursprünglichen Wein zu keltern, kehrte er in sein Heimatdorf nahe der Küstenstadt Umag zurück. Heute betreibt er 7 Hektar nach biodynamischen Kriterien. Er treibt die Produktion der „Orange Wines“ auf die Spitze: Sein Malvasia Istriana „Sveti Jakov“ 2009 ist mehrere Monate (!) mit den Schalen spontan vergoren worden. Tiefgründig und fein verwoben, Agrumen und Honeysuckle, Karamell und Schwarztee, Meer und Wurzeln, unendlich viele Arome erscheinen und verschwinden wieder; eine Erzählung voller wundersamer Bilder.
Freilich gibt es auch Winzer in Istrien, die nur auf internationale Sorten setzen, die ihre Weine mit zu viel Barrique bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln. „Gesichtslose Wesen, die sich trotzdem gut verkaufen“, warnt selbst Parkers Wine Advocate vor allzu moderner Stilistik. Das renommierte englische Weinmagazin Decanter wiederum attestiert jenen Winzern, die regionaltypische Weine erzeugen, eine ganz große Zukunft.
Im November 2010 erhielt erstmals ein Amphorenwein aus Istrien 90 Parker Punkte. Eine kleine Sensation: Der Malvazija Amfora des Weinguts Vina Kabola begeistert die amerikanischen Tester. Sie schwelgen in Verkostungsprosa. Marino Markežic´ ist einer der wenigen Winzer mit einer langen Weinbautradition in der Familie. Im Norden Istriens, nahe der slowenischen Grenze, betreibt er auch ein Restaurant, das für seine hervorragenden Trüffelgerichte bekannt ist. Vor dem hübschen Steinhaus lagert eine der Amphoren, die er vor einigen Jahren aus dem Kaukasus mitbrachte. Markežic´ ist begeistert von dem alten Verfahren, bei dem der Wein nach der Lese in Amphoren gefüllt und in der Erde vergraben wird.
„Nichts kann den Wein mehr beeinflussen, in völliger Ruhe reift er ganz von alleine.“
Neben den Extremisten gibt es aber auch eine Reihe konventioneller Winzer, die aus den autochthonen Rebsorten Istriens hervorragende Weine keltern. Ein besonders guter Teran wird von einem Winzer mit italienischen Wurzeln gekeltert. Moreno Coronica, ein temperamentvoller und herzlicher Mann mittleren Alters, weiß mit der rabauzigen Art der roten Rebsorte umzugehen. Die oft beißende Säure und Bitterkeit schrecken verwöhnte Gaumen. Moreno gelingt es, den Wein zu besänftigen, ohne seinen Charakter zu brechen. Eine rassige, aber eingebundene Säure, schwarze Aromen, Sauerkirschen, profund und fein, der Gran Teran 2008 bleibt in Erinnerung als einer der aufregendsten Rotweine der letzten Jahre.
Ein Wein wie nährender Nektar, oder wie man in Istrien sagt: Wein ist Essen für die Seele.