Der Samurai

Inmitten des Weißweinschlaraffenlands Südsteiermark produziert Karl Schnabel Rotweine der Extraklasse: ohne Schwefel und andere Zusatzstoffe. Einfach nur Wein.

Text von Christina Fieber Foto von Jürgen Schmücking

Sausal in der Südsteiermark. Die Spätsommersonne taucht die hügelige Landschaft in ein mildes Licht. Weinberge soweit das Auge reicht. Überall wachsen Sauvignon Blanc, Welschriesling und Muskateller. Die Region ist bekannt für fruchtig-frische Weißweine.

Allein Karl Schnabel baut hier Rotweine an. Weil sie ihm schmecken. Weil sie eine größere Herausforderung sind. Weil sie hier die besten Bedingungen vorfinden. Er sagt es mit Nachdruck, so dass sich weitere Fragen erübrigen. Schnabel ist direkt und hat eine fast kindliche Freude daran, sein Gegenüber zu provozieren. Nicht um zu streiten, sondern um Grenzen auszuloten. Seine dunklen Augen blitzen vor Vergnügen und seine gedrungene Gestalt schüttelt sich dabei vor Lachen. Er bezeichnet sich gerne selbst als Enfant terrible.

Tatsächlich hat der eigenwillige Weinbauer zu 95 Prozent Rotwein angepflanzt und ist damit wohl der Einzige in einer Gegend, die sich ausschließlich über Weißweine definiert. In einer der niederschlagsreichsten Weinregionen des Landes, auf absoluten Steillagen, in einer Höhe von 550 Meter baut er Zweigelt, Blaufränkisch und Pinot Noir an. Auf Böden, die anders als in der übrigen Südsteiermark völlig frei von Kalk sind: schiefrige Urgesteinsböden mit hohem Siliziumanteil. Das Sausal war zu Urzeiten eine Art Insel, die nicht vom Meer bedeckt war. Die Stilistik ist somit von der Natur vorgegeben: Eleganz und Mineralik. Das ist ganz nach dem Geschmack von Karl Schnabel und er tut alles, um diese Eigenschaften seinen Weinen mit auf den Weg zu geben. Schon der Zweigelt ist von diesen besonderen Bodenbedingungen geprägt. Eine Rebsorte, die für gewöhnlich nicht mit Mineralik punkten kann. Schnabels Zweigelt jedoch zeigt sich finessenreich und mit dezenter Frucht. Eine Ausnahmeerscheinung.

Mineralik können die Rebstöcke nur aufnehmen, wenn ihre Wurzeln tief in den Boden reichen. Schnabel bearbeitet die Junganlagen mit der Karsthaue, einer Art Spitzhacke, die nicht nur den Boden lockert, sondern auch die oberen Wurzeln zerstört, damit die unteren Wurzel gezwungen sind, tiefer in den Boden zu dringen. „Die meisten Rebstöcke sind Flachwurzler“, erklärt er mit einem leicht spöttischen Unterton, „sie werden bewässert und mit Mineraldünger versorgt, um noch mehr bewässert werden zu müssen, richtige Junkies, die ihren Stoff von oben geliefert bekommen!“ Die Wurzeln richten sich in Folge zur Erdoberfläche und wachsen nicht mehr tiefer in den Boden. „Mineralik bekommen sie dort oben keine“, weiß Schnabel.

Wirklich deutlich wird die Bedeutung tiefer Verwurzelung der Rebstöcke bei seinem Blaufränkisch, eine Rebsorte die wie kaum eine andere Rotweinsorte die Beschaffenheit des Bodens widerspiegelt, wenn man sie nur lässt. Und Schnabel lässt sie: Ein Wein von derart zarter und filigraner Natur, der einen erschaudern lässt. Dabei klirrt er nur so vor Mineralität und Salzigkeit. Die dunkle Frucht hält sich nobel im Hintergrund. Eine völlig neue Dimension in Sachen Blaufränkisch, weit weg von fetten Fruchtbomben. Vielmehr zeigt er sich offen, völlig unkaschiert, beinahe verletzlich. Purer geht Wein nicht mehr.
Karl Schnabel verwendet seit 2007 bei keinem seiner Weine Schwefel oder andere Zusatzstoffe. Schwefel ist ein Konservierungsmittel, das Sauerstoff bindet und den Wein in einer Weise geschmacklich domestiziert. Der Verzicht von Schwefel ist unter Winzern immer noch ein Sakrileg und wird derzeit heiß diskutiert. Schnabel sieht die Debatte gelassen. Seine Weine sind der Beweis, dass Schwefel nicht nur verzichtbar ist, sondern der Verzicht auch neue Geschmackswelten eröffnet.

Voraussetzung ist absolut perfektes und gesundes Traubenmaterial und eine lange offene Vergärung auf der Maische, um ihnen das nötige Rüstzeug für eine lange Lebensdauer mitzugeben. Voraussetzung dafür ist für Schnabel aber auch eine konsequente biodynamische Wirtschaftsweise. Er ärgert sich über lauwarme Kompromisse, die unter dem Deckmantel „Bio“ vermarktet werden. Schnabel selbst ist sicher einer der radikalsten Protagonisten der biodynamischen Szene, ganz ohne esoterischem Humbug allerdings. Er verzichtet nicht nur auf alle systemischen Mittel, sondern auch auf Traktoren und andere Maschinen. Einzig ein selbst konstruiertes Vehikel zum Ausbringen der eigenen Kräuterauszüge und Tees kommt zum Einsatz. Gemäht wird mit der guten alten Sense, den Rest erledigen die eigenen Rinder. Eine alte steirische Rasse, die sich besonders für steile Lagen eignet und die nebenbei auch noch den Dung für den Kompost liefert. Nach der Schlachtung werden auch die Hörner für spezielle Präparate verwendet. Alles kommt aus dem eigenen Betrieb, selbst die Kräuter für die Tees wachsen in den Weingärten. Was so nostalgisch klingt, hat eine völlig pragmatische Funktion. Nach der Idee eines geschlossenen Systems von Rudolf Steiner, dem Begründer der biodynamischen Lehre soll der Betrieb weitgehend autark bleiben und alle Hilfsmittel aus der eigenen Landwirtschaft beziehen. Der Weinbaubetrieb von Karl Schnabel kommt diesem Ideal schon sehr nahe. Was so einfach wirkt, ist in Wirklichkeit mit unendlich viel Aufwand verbunden. Aber Schnabel sieht sich als Bauer, als jemanden der im Sinne der Natur arbeitet, der Verantwortung für ein Stück dieses Planeten übernommen hat. Eine Art Samurai der allein der Natur unterstellt ist.

Der radikalste Vertreter unter Schnabels Weinen wiederum ist der Pinot Noir. Sein Alter Ego sozusagen. Eine Rebsorte, wie der leidenschaftliche Weinbauer offen zugibt, in die er völlig vernarrt sei. Von jeher habe ihn die kapriziöse Burgundersorte magisch angezogen und so ist es auch nicht weiter erstaunlich, dass es ihn nach seinem Studium der Agrarökonomie in Wien ins Burgund zieht. Zwei Jahrgänge arbeitet er bei Louis Latour in Beaune, der zu seinem geistigen Ziehvater wird. Latour ist zwar ein großer Betrieb, der jedoch weitgehend handwerklich und traditionell arbeitet. Im Weingarten betreibt man größten Aufwand, während man im Keller die Weine einfach in Ruhe werden lässt.

„Im Burgund wird Wein nicht gemacht, sondern wächst“, ein Credo, dem sich Schnabel bedingungslos verschrieben hat. Was ihn an der französichen Weinregion fasziniert, ist die Schlichtheit der Betriebe, ihre Handwerklichkeit.

„Im Burgund sind die Winzer Bauern und keine Schlossbesitzer oder Önologen!“ gibt er sich angriffig.
Eine Vorstellung von Weinbau, wie er sie auch von seinem Vater kennt, den er als Vollblutweinbauer bezeichnet, einen „der mit der blinden Technologiegläubigkeit vieler seiner Kollegen nichts anzufangen wusste, wo die Traube zum Trägermaterial verkommen ist – dem die ganzen chemischen Wundermittelchen immer suspekt blieben und der sich der Abhängigkeit von der Chemiekonzernen standhaft verweigerte.“

Die Eigenwilligkeit und den Willen zum Widerstand hat Karl Schnabel wohl von seinem früh verstorbenen Vater geerbt.

Als der Sohn 1999 aus dem Burgund ins Sausal zurückkommt, kauft er den inzwischen verpachteten Betrieb zurück und baut ihn komplett neu auf. Von Beginn an arbeitet er nach biodynamischen Richtlinien, seit 2003 zertifiziert. Er rodet alle Weißweingärten und setzt Rotweine, allen voran naturgemäß Pinot Noir.Trotz burgundischer Prägung zeigt sich Schnabels Pinot Noir völlig eigenständig. Er wird im offenen Holzbottich vergoren und reift in 227-l-Burgund-Holzfässern. Der Ausbau im kleinen Holz ist ihm kaum anzumerken, so eindrücklich ist seine Struktur. Der 2012er ist jugendlich muskulös, athletisch und voller Leben – ausgerüstet für eine lange Zukunft. Wilde Kräuter, Feuerstein, schwarze Erde und ein wenig Bitterorangen. Unzählige Aromen verbinden sich in einem großen Ganzen. Ein Wein der bei sich ist und wie Balsam auf die Seele wirkt. Eine heilende Tinktur. Als hätte er das Wissen des gesamten Universums in sich vereint. Man will nicht aufhören, sich an diesem Nektar zu nähren.

Da zeigt sich eine völlig andere Seite des rebellischen Winzers. Ruhig, bestimmt und voller Liebe zum Leben. „Wie der Herr so das Gscherr“ lautet eine alte Bauernweisheit. „Wie der Winzer so der Wein“ müsste es wohl eher heißen. Obwohl Schnabel seine Weine einfach werden lässt, sind sie doch so stark von seiner Persönlichkeit geprägt. Oder ist es viel mehr so, dass der Winzer von seinem Wein geprägt wird?

Adresse

Weingut Karl Schnabel
Maierhof 34, 8443 Gleinstätten
Tel.: +43/03457/36 43
Mobil: +43/0676/696 67 24
Mobil +43/0676/696 15 08
www.karl-schnabel.at