Der Wein-Yogi

Weinbau an der Mosel ist nichts für Feiglinge: dramatisch steile Weinberge und uralte Rebstöcke, die wenig Ertrag bringen. Clemens Busch nimmt diese Herausforderung an und entlockt den kargen Schieferböden umwerfend zarte Rieslinge, die die Welt bezaubern.

Text von Christina Fieber Foto: Weingut Clemens Busch

Vereinbart man mit Clemens Busch einen Besuch auf seinem Weingut, empfiehlt er, festes Schuhwerk mitzunehmen, am besten Bergschuhe. In dem kleinen Ort an der Mosel angekommen, begreift man dann auch warum: Die Weinberge sind bizarr steil, durchsetzt mit Felsen und nur zum Teil terrassiert. Die Wege ähneln eher Klettersteigen und führen kerzengerade nach oben. Spätestens jetzt ist klar, dass das kein Spaziergang wird. Es ist brütend heiß, 36 Grad, für den nächsten Tag sind Temperaturen um die 40 Grad angesagt. Die Mosel gilt als die wärmste Weinregion Deutschlands. Von oben bekommt man dann einen Ausblick serviert, der sich ins Gedächtnis gräbt: Die Rebzeilen fallen senkrecht hinab bis zur Mosel, die sich gemächlich wie eine ermattete Schlange durch die pittoreske Landschaft windet.

Weinbau an der Mittelmosel ist nichts für schwache Nerven: Bis zu 65 Prozent Hangneigung machen die Bewirtschaftung bisweilen zu einem schwindelerregenden Unterfangen. Nichts geht hier einfach, alles braucht Zeit, kostet Mühe. Am Ende trotzt man der Natur ein paar Trauben ab. „Die haben es dann aber in sich“, sagt Clemens Busch und lächelt vielsagend.

Karge Schieferverwitterungsböden schenken den Weinen, fast ausschließlich Rieslinge, Mineralität ohne Ende. Die Rebstöcke von Busch sind steinalt und meist noch wurzelecht, also vor der Reblausplage gepflanzt und nicht veredelt. Ein rarer Schatz, den man weltweit nur mehr in ganz wenigen Weinbaugebieten findet. Als die Reblaus Ende des 19. Jahrhunderts von Amerika nach Europa eingeschleppt wurde, zerstörte sie beinahe den gesamten Rebbestand der Alten Welt. Wurzelechte Reben liefern nur wenige, aber besonders aromatische Trauben, sagt man. Auf den steilen, kargen Moselweinbergen sind sie noch in großer Zahl zu finden, in der für die Region typischen Einzelpfahlerziehung. Die Stöcke stehen dabei nicht, wie in Mitteleuropa heute üblich, an einem Drahtrahmen gebunden in Reih und Glied, sondern scheinbar ohne jede Ordnung im Weinberg lediglich an einem Holzstock befestigt. Für die industrielle Bewirtschaftung ist die alte Erziehungsform gänzlich ungeeignet, aber dafür taugt die Mittelmosel angesichts ihrer beinahe hochalpinen Bedingungen ohnehin nicht.

Pünderich ist ein verschlafenes Dorf mit hübschen alten Fachwerkhäusern und einer Handvoll Einwohner. In einem dieser Knusperhäuschen am Moselufer lebt Clemens Busch mit seiner Frau Rita. Genau gegenüber, auf der anderen Uferseite, liegen seine Weinberge. Blickt er morgens aus dem Fenster, sieht er gleich die Arbeit, die ihn an diesem Tag erwartet.

Aber die Ruhe täuscht: Seit Tagen schon ist der Winzer ausgebucht: Heerscharen an Weinkun­digen, so scheint es, reisen in das kleine Nest, um seine Rieslinge zu kosten. Es hat sich herumgesprochen, dass Busch mittlerweile einer der Besten der Mosel ist. Trotz all des Rummels scheint der Winzer so entspannt, als käme er gerade von einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem indischen ­Ashram. Mit den kinnlangen gelockten Haaren, die sich keiner Ordnung fügen wollen, dem leicht ergrauten Bart und dem sanften Lächeln wirkt er tatsächlich ein wenig wie ein aus der Zeit gefallener Hippie. Man nennt ihn auch gerne den Wein-Yogi.

Doch Clemens Busch ist alles andere als verträumt. Er wusste immer ganz genau, was er will: beste Rieden in der als Erste Lage klassifizierten Pündericher Marienburg, genau dort, wo es am unwirtlichsten ist, dort, wo die Rebstöcke die besten Trauben hergeben. Seit 1974 arbeitet er aktiv im Betrieb, den seine Familie seit Generationen ­besitzt, mit. 1990 übernahm er ihn mit gerade einmal zwei Hektar. Nach und nach erwarb er dann kleine Parzellen erstklassiger Steillagen. Heute sind es 18 Hektar, die er gemeinsam mit seinem Sohn Johannes bewirtschaftet. Er habe Glück gehabt: Damals wurde im Zuge der Flurbereinigung auch das Verbot aufgehoben, in der Mosel Rotwein anzubauen. Viele seiner Kollegen hätten die Möglichkeit genutzt, die Strapazen der Arbeit in den Steillagen endlich hinter sich zu lassen. Sie pflanzten Dornfelder in der Ebene, ein roter Massenträger, der kaum Mühe macht.

„Komfortabel und lukrativ“, konstatiert Busch, „im September maschinell ernten, im November abfüllen und im Dezember verkaufen – das war’s.“ Er übernahm dafür die Filetstücke in der Marienburg, die keiner mehr wollte.

Immer noch fragen ihn die alten Winzer, die in Rente gehen, ob er ihre Weinberge in den Steillagen kaufen wolle. Ihre Nachkommen würden sich das nicht mehr antun: „Ich bin eigentlich der Einzige, den das noch interessiert“, glaubt er.

Es sei halt eine Leidenschaft: Manchmal, wenn ihm Zeit bleibe, betrachte er einfach nur seine Weinberge: „Die Kraft, mit der sich die uralten Rebstöcke an den Felsen festkrallen, mit ihren Wurzeln tief in das Gestein eindringen, fasziniert mich immer wieder!“, sagt er, und seine Augen leuchten.

Ein wirklich atemberaubender Anblick: Die Reben hängen an den steilen Felsvorsprüngen wie etwas zu waghalsige Bergsteiger.

Auch Busch scheint Herausforderungen zu mögen, er bewirtschaftet seine Weingärten biologisch, und zwar seit 35 Jahren, seit 2015 zertifiziert biodynamisch, als Mitglied der Winzergruppe respekt-BIODYN.

Als kleiner Junge beobachtete er oft, wie Regenwürmer nach dem Einsatz von Herbiziden an die Erdoberfläche krochen und jämmerlich verendeten. Das habe ihn nachhaltig geprägt. Später, als er gemeinsam mit dem Vater das Weingut führte, strich er das Unkrautvernichtungsmittel aus dem Spritzplan. Plötzlich wuchsen wieder Kräuter in den Weinbergen, damit erübrigte sich auch der Einsatz von Kunstdünger. Er begann zu ahnen, dass Weinbau auch anders gehen kann. Bei einem Musikfestival traf er schließlich auf ein paar gleich­altrige Moselwinzer, die damals schon ökologisch arbeiteten. Man gründete eine Gruppe, tauschte sich aus, und weil es im deutschen Weingesetz noch keine Richtlinien oder gar Zertifizierungen für Bioweinbau gab, stellten sie eben selbst welche auf und kontrollierten sich gegenseitig.

„Das Verrückte war, dass die Weine auch noch gut schmeckten“, erinnert sich Busch an seine erste Zeit als Biowinzer, „und sich von Beginn an verkauften.“ Für Bio habe man sogar eine Mark mehr bekommen. Ein schlagkräftiges Argument für seinen Vater, seien doch die meisten kleinen Winzer in der Mosel damals arm gewesen.

Biologische Bewirtschaftung in den extremen Steillagen ist alles andere als Erholungsurlaub: Die Kräuterpräparate müssen mit der Buckelspritze Stock für Stock gespritzt werden. „Wir sind daran ­gewöhnt“, sagt Busch, aber die Praktikanten, die das erste Mal an der Mosel arbeiten und jedes Unkraut mit der Hand ausreißen müssen, würden heimlich fluchen.

„Es ist die Plagerei wert“, glaubt der Winzer. Biologisch behandelte Reben seien gesünder und robuster, würden tiefer wurzeln. Auch bei extremer Hitze und Trockenheit kann sich der Stock noch selbst mit ­Wasser versorgen – in Zeiten der Klimaerwärmung ein ungeheurer Vorteil. Es sei heuer der dritte Sommer in Folge, der ungewöhnlich trocken und heiß sei, so heiß, dass einige Trauben regelrecht verbrannten. Für junge Reben ein Todesurteil. Die alten stecken das weg, auch ohne Bewässerung. Diese versucht der erfahrene Winzer zu vermeiden. Werden die Pflanzen erst einmal mit Wasser von oben verwöhnt, haben sie keine Lust mehr, nach unten zu wurzeln.

Schwieriger wird es hingegen bei längeren feuchten Wetterperioden, wenn der Pilzdruck massiv steigt, dann muss es schnell gehen. Aber schnell geht an der Mosel gar nichts. Mit der Buckelspritze braucht man Tage, um all die Weinberge zu spritzen, dann ist es meist schon zu spät. Für den Notfall bleibt nur der Hubschrauber, den die Gemeinden organisieren.

Es wundert nicht, dass die Anzahl der Biowinzer an der Mosel überschaubar blieb. Nur im Umkreis von Clemens Busch verdichtet sich ihre Zahl. Die Marienburg wird bereits zu zwei Dritteln biologisch bewirtschaftet. Darauf ist er stolz.

Die Pündericher Marienburg besteht eigentlich aus vielen kleinen Parzellen mit unterschiedlichsten Bodenformationen, denn Schiefer ist nicht gleich Schiefer. Roter, grauer und blauer Schiefer schmecken im Wein völlig anders, und Clemens Busch ist ein Meister darin, all die feinen Unterschiede präzise herauszuschälen. Der Riesling Falkenlay etwa ist vom grauen Schiefer geprägt und überaus feinfruchtig, Rothenpfad kommt vom roten Schiefer und zeigt sich charmant, während der blaue Schiefer der Lage Fahrlay, dort, wo grobe Schieferplatten die Rebstöcke einbetten, für salzige Mineralität sorgt. Der wohl eindrücklichste Riesling kommt von den Felsterrassen, wo die alten Reben am nackten Stein hängen. Nicht oft begegnet man ­einem Wein, der so filigran und kraftvoll zugleich ist.

Die Unterschiede sind selbst für ungeübte Gaumen schmeckbar, auch weil die Gewächse von Busch meist staubtrocken sind. Nichts stört den eigentlichen Charakter ihrer Herkunft – eine Ausnahme, werden doch Rieslinge an der Mosel mehrheitlich lieblich, süß oder halbtrocken ausgebaut. Diese Stilistik hat die Weinregion einst groß gemacht, damit hat sie Weltruhm erlangt. Im 19. Jahrhundert gab es keinen Königs-, Kaiser- oder Zarenhof von London bis St. Petersburg, an dem nicht süße Moselweine kredenzt wurden. Sie waren begehrt und für das gemeine Volk unerschwinglich. Nach dem Zweiten Weltkrieg verloren sie meist ebenso rasch an Bedeutung. Nun scheint ihr Kurs wieder zu steigen, dank Winzern wie Clemens Busch, die zeigen, dass Moselweine auch ohne Zuckerguss schmecken.

Auch im Keller erleiden sie keine Torturen. Er lässt ihnen freien Lauf, begleitet sie lediglich wohlwollend. „Kontrolliertes Nichtstun“ nennt Busch das. Nichts verändern, nichts hinzufügen, bis auf ein paar Gramm Schwefel vor dem Abfüllen. Ausgebaut werden sie in Fudern, den traditionellen 1.000-Liter-Holzfässern der Mosel. Dort können sie atmen und sich in aller Ruhe entwickeln, zu sich finden – wie im indischen Ashram.

Es sind keine zwanghaft puristischen Weine, keine ideologischen Hardliner, die anstrengen, dafür sind sie viel zu entspannt. Man trinkt sie einfach gerne.

Seit einiger Zeit gibt es auch wieder ein paar restsüße Rieslinge: verspielt, aber völlig frei von Kitsch. Dem Vernehmen nach sind sie in Asiens besten Restaurants gerade der letzte Schrei.

www.clemens-busch.de
www.messeritsch.eu