Der Whiskey-Weg

Auf einmal ist nichts mehr, wie es bisher war. Auf einmal ist schottischer Single Malt nicht mehr alt, nicht mehr braun und reift nicht mehr dort, wo er gebrannt wurde. Wir besuchten eine Brennerei, die mit den Traditionen besonders effektiv bricht, und fragten Whisky-Experten Mario Prinz, was es damit auf sich hat.

Text von Florian Holzer

Bruichladdich ist schwer auszusprechen, beziehungsweise ist es schwer, den Namen der schottischen Brennerei auf der Insel Islay richtig auszusprechen. Dennoch lohnt es, sich mit dem Unternehmen auseinanderzusetzen, schließlich war die Brennerei in ihrem Gründungsjahr 1881 eine der modernsten ihrer Zeit, wurde in einem Stück gebaut und nicht aus bestehenden Farmhäusern zusammengestoppelt. Und sie wurde immer wieder mal für ein paar Jahre stillgelegt, oft verkauft, kaum renoviert und erneuert. 1994 wurde sie endgültig geschlossen, zu alt, zu ineffizient, zu geringer Output.

Genau das war es aber, was Mark Reynier, unabhängiger Whisky-Abfüller mit dem Label „Murray McDavid“, suchte, nämlich eine Brennerei, in der man Single Malt der „alten Schule“ herstellen konnte, individuell und traditionell. 2000 kaufte eine Investorengruppe um Reynier das Anwesen und die Lagerbestände um 7,5 Millionen Pfund, warb Brennmeister Jim McEwan von der Bowmore-Brennerei auf der gegenüberliegenden Seite des Loch Indaal ab, ergänzte das altmodische technische Inventar mit Teilen anderer historischer Brennereien, kümmerte sich um den ­Anbau eigener Biogerste auf der Insel Islay und baute eine eigene Abfüllanlage. Warehouses wurden renoviert, die Fassanzahl wieder auf 50.000 erhöht und mit dem „Octomore“ eine eigene Linie kreiert, die für sich in Anspruch nahm, der torfigste Whisky der Welt zu sein. Auf Färbung durch Zuckercouleur verzichtete Mark Reynier ebenso wie auf Filtration. 2012 wurde Bruichladdich um 58 Millionen Pfund an den fran­zösischen Spirituosen-Konzern Rémy Cointreau verkauft; die Philosophie wurde beibehalten, allerdings wurde das Sortiment gestrafft und man setzte auf ­Abfüllungen ohne Altersangabe, so genannte NAS-Abfüllungen (siehe dazu den Artikel „Wann ist ein Single Malt reif?“ von Roland Graf, A la Carte 3/2015).

Wir halten fest: eigene Gerste, altes, nur manuell zu bedienendes Equipment, Reifung in eigenen Warehouses, eigene Abfüllung, ausschließlich Produktion von Single Malts, Verzicht auf Färbung und Fil­tration, Betonung bis extreme Betonung der Torfigkeit. Damit hatte Bruichladdich zweifellos ein paar nicht unwesentliche Alleinstellungsmerkmale versammelt beziehungsweise ein paar Trends vorweggenommen, die das Thema Single Malt in Zukunft wahrscheinlich noch prägen werden. Wir erkundigten uns bei Mario Prinz, seit 1992 Inhaber und Betreiber des Potstill, Österreichs am besten sortierter Importeur von Whiskys und Whiskeys, was davon jeweils zu halten ist.

Reifung in eigen Warehouses. Tatsächlich werden die Fässer der meisten Brennereien längst nicht mehr bei der Brennerei selbst und in eigenen Warehouses gelagert, sondern zentral am schottischen Festland in riesigen klimatisierten Lagern. Ja, das ist unromantisch, ob das nun gut oder schlecht ist, lässt sich so genau allerdings nicht sagen. Zu viele Faktoren hätten da einen Einfluss, erklärt Mario Prinz, und könne man bei alten, niedrigen Warehouses mit gestampftem Lehmboden wahrscheinlich noch von einem Einfluss der salzigen Meeresluft sprechen, so sei es bei einem klimatisierten Lagerhaus mit 18-stöckigen Racks eben relativ egal, ob das nun direkt an der Meeresküste oder am Festland stehe. Whiskyfässer seien seit Jahrhunderten transportiert worden, wissenschaftlich konnte ein Einfluss des Umgebungsklimas noch nie bewiesen werden.

Der Islay-Boom. Whiskys von der Insel Islay scheinen derzeit gut im Rennen zu liegen. Ardbeg, Bowmore, Caol Ila, Lagavulin, Laphroaig gehören zum Stolz aller Single-Malt-Nerds, die typisch torfig-rauchig-salzige Note der Islay-Whiskys ist leicht wiedererkennbar und damit auch für Anfänger attraktiv. Ein Umstand, der tatsächlich zu zahlreichen Neugründungen und Wiederbelebungen von Brennereien auf der malerischen Insel führte und führt: Bruichladdich wurde 2000 neu gestartet, die Wiederaufnahme der Brennerei in Port Charlotte war lange im Gespräch, ist derzeit aber ungewiss, Octomore – ebenfalls eine kleine Brennerei, die allerdings nur bis 1852 existierte – lebt zumindest in der extra-torfigen Linie von Bruichladdich weiter; Kilchoman wurde vom unabhängigen Abfüller Anthony Wills 2002 gegründet und war damit eine der ersten wirklich neuen Brennereien in ganz Schottland, seit 2005 wird gebrannt, eine kleine und äußerst interessante Brennerei; Ardnahoe und Gartbreck sind auf Schiene und starten – wenn Finanzierungen halten und Auflagen erfüllt werden – vielleicht nächstes Jahr ihren Betrieb, Bunnahabhain produziert seit dem Jahr 2003 wieder regelmäßig.

Der Islay-Trend sei vor allem in Skandinavien, Deutschland und Österreich festzustellen, so Mario Prinz, in England hätten die rauchigen, torfigen Single Malts – bis vor kurzem – gar keinen guten Ruf gehabt, galten als rustikal und tendenziell fehlerhaft. Ein nicht zuletzt durch Hollywood lancierter Schottland-Romantizismus habe in den 90er Jahren den Markt für ebendiese Whiskys, die als „flüssiges Schottland“ gelten, aber erschlossen.

Die seit den 60er Jahren erstmals wieder festzustellende Gründer-Tätigkeit beschränkt sich allerdings – wenngleich mit Kilchoman und Bruichladdich prominent verankert – nicht auf Islay. An die dreißig neue Projekte sind derzeit in ganz Schottland am Start, die Insel-Brennerei Arran etwa, Wolfburn im äußersten Norden Schottlands oder die mit Spannung erwarteten Whiskys der Daftmill Distillery in den Lowlands. Der jugendliche Status neuer oder wiedereröffneter Brennereien wird übrigens durchaus auch in bare Münze verwandelt, etwa indem „erste Fässer“ zu fantastischen Preisen im Bereich von einer Million Pfund nach Asien oder Russland verkauft werden, wie bei Annendale im Süden der Lowlands der Fall – eine Methode, die hohen Anfangskosten hereinzubekommen. Die Schotten gingen da mitunter nach dem Motto „Frechheit siegt“ vor, so Mario Prinz, für den europäischen Markt hätten derartige Prestige-Abfüllungen aber keine Bedeutung.

Alte Gerstensorten, neue Malze. Herkunft und Sorte der gemälzten Gerste waren in der Whisky-Welt bisher weitgehend gleichgültig, man kaufte dort, wo es billig war. „Nur ist beim Whisky eben immer alles in Veränderung, und jetzt lohnt selbst das Mälzen wieder“, weiß Prinz. So hat Kilchoman seit 2011 einen Whisky im Programm, der zu hundert Prozent aus Islay-Gerste gebrannt wurde, Bruichladdich bietet sowohl Whiskys aus „Scottish Barley“ als auch aus „Islay Barley“, die rund um die jeweiligen Brennereien wachsen. Und nicht nur das, auch alte Sorten wie „Golden Prommies“ oder „Bere“ kommen wieder zum Zug, letztere eine uralte Gerstensorte von den Orkney-Inseln, die Bruichladdich im „Bere Barley“ einsetzt. Geringer Ertrag, aber hochinteressante Aroma-Komponenten zeichnen diese Sorten aus, erklärt Mario Prinz, „da kommt in Zukunft wohl noch einiges …“

Und die Torfigkeits-Rekorde? Das werde wohl nicht zum Trend werden, so der Whisky-Auskenner. Die Rauchigkeit des Octomore wurde über die Jahre hin immer wieder gesteigert, bis der Phenolgehalt bei über 200 ppm lag, Normalwerte für einen Islay-Whisky liegen bei ungefähr 45 bis 50 ppm (parts per million). Wobei analytische Zahlen und geschmackliche Empfindung nicht unbedingt korrelieren müssen: Ein Ardbeg oder ein Laphroig schmecken kaum weniger rauchig, obwohl sie geringere ppm-Zahlen aufweisen. Da kommt dann schon Marketing ins Spiel, abgesehen davon, dass Rauchigkeit beim Whisky kein bleibender Wert ist, sondern flüchtig. Aber wer weiß, vielleicht nimmt die ppm-Herausforderung ja demnächst jemand auf.

Die Farbe des Zuckers. Dass ein Getränk, das Jahre bis Jahrzehnte in Fässern ruht und für das man mitunter den einen oder anderen Hunderter bezahlt, mit der Lebensmittelfarbe E 150 behandelt wird, ist eigentlich undenkbar. Aber Tatsache, verrät Mario Prinz, „dunkel verkauft sich ­einfach besser, ich versteh’ jeden, der färbt“. Whiskys werden auch nach Jahren der Lagerung – außer sie reifen in Fässern, die zuvor mit Rotwein, Portwein, Rum oder Bourbon belegt waren – nicht dunkelbraun. Aber obwohl es „natürlich“ helle Whiskys am Markt noch etwas schwerer haben, sei ein Umdenken festzustellen, meint Prinz zu bemerken. Der Hang zu Authentizität und Purismus scheint da Früchte zu tragen.

Bei der Filtration sieht das wieder ein bisschen anders aus, da gibt es unterschiedliche Denkschulen: Die einen sagen, dass Filtration einen Whisky durchaus zugänglicher machen und seinen Charakter unterstreichen kann; andere meinen, jede Filtration sei ein Verlust an Geschmack und Identität. Verzichtet man auf die Filtration, muss man den Whisky allerdings hochprozentiger abfüllen, mindestens mit 46 %, andernfalls kann die Flasche trüb werden – und trübe Whiskys verkaufen sich noch schlechter als helle …

Panta rhei, wie der Schotte sagt. In der Whisky-Welt mischen sich Angebot, Nachfrage, Konzerninteressen und Konsumtrends mit völlig irrationalen Empfindungen wie Sentimentalität, Muße, Fantasie und Genuss. Die Single Malts der Zukunft werden anders schmecken als die Single Malts der Vergangenheit, weil auf andere Dinge geachtet wurde. Wir werden sie dennoch lieben.

Potstill
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