Die Grenzgänger

Ist das der neue Trend zum Zweitweingut? Immer mehr heimische Winzer betätigen sich neuerdings auch im Ausland mit einem neuen Betrieb. Aber warum?

Die Grenzgänger

Text von Michael Prónay Foto: Nikolaus Similache
Bei Siegfried Tschida im burgenländischen Pamhagen im Seewinkel an der ungarischen Grenze war die Sache klar: Die Familie hatte bis in die 1950er-Jahre landwirtschaftliche Flächen jenseits der Grenze. Sie wurden enteignet, bekamen aber vor etwa zehn Jahren die Grundstücke restituiert. Jetzt eroberte man das Terrain abermals.
Bei den Brüdern Pfneisl aus dem mittelburgenländischen Deutschkreutz, die von der Landwirtschaft kamen und den Weinbau erst in den 1980ern so richtig entdeckt hatten, war’s ursprünglich eher die Liebe zur Landschaft. Josef Pfneisl, der Motor hinter der ganzen Entwicklung, meint: "Wir in Deutschkreutz sehen ja vom Ödenburger Gebirge hinüber nach Balf und Fertörákos, und das war ganz einfach landschaftlich unglaublich schön. Dort müsste man hin, dachten wir, wobei wir weniger sowohl an Wein als auch an Landwirtschaft gedacht haben. Der Blick von dort über den Neusiedler See, das hat schon was." Also fuhr man erstmals 1987 hinüber und suchte die örtliche staatlich verwaltete Kolchosenleitung auf, ob’s nicht die Möglichkeit gäbe, Flächen zu pachten. "Man hat uns ausgelacht, beschimpft und schließlich hochkant hinausgeworfen." Dann kam die Wende, und die Pfneisls standen Gewehr bei Fuß. 1993 gab’s ein kurzes Zeitfenster, in dem Ausländer Boden in Ungarn erwerben konnten. Die Kleinlandwirtepartei schlug Alarm, und die Regierung stoppte alle weiteren Transaktionen. Auch die burgenländischen Brüder kamen ins Schwitzen, dann aber blieb’s doch beim korrekten rechtlichen Stand.
War bei den Pfneisls eine echte substanzielle Investition in Landwirtschaft und Weinbau, so war’s bei Georg Stiegelmar der schlichte Wunsch nach einem kleinen Häuschen im Grünen jenseits der Grenze. Das fand er bei Badacsony inmitten eines kleinen Weingartens und renovierte es. Am Anfang stand die Idee, ein Refugium für die Familie an den Wochenenden zum Ausspannen und Krafttanken zu schaffen. Aber, so Georg "Schurl" Stiegelmar: "Es ist ja auch an den Wochenenden so hektisch und immer so viel zu tun, dass ich mich halt allein ins Auto setze, herunterfahre und beim Arbeiten ausspanne." Es wäre aber Georg Stiegelmar nicht Georg Stiegelmar, wenn nicht sofort nach der ersten Abfüllung jeder Weinjournalist in Österreich eine Flasche des Welschrieslings "Juris Villa" in der Post gehabt hätte.
Der Rekord für die weiteste Anreise zum eigenen Weingut hält eindeutig Bertold Salomon, Ex-Vorstandsdirektor von Schlumberger, Ex-Geschäftsführer der Österreichischen Weinmarketing-Servicegesellschaft und heute gemeinsam mit Bruder Erich Winzer am Kremser Undhof. Ausgerechnet in Südaustralien – am Finniss River auf der Halbinsel Fleurieu, etwa 20 km Luftlinie südlich des bekannten McLaren Vale – hat sich Bertold Salomon angekauft. Die Wurzeln der Aktion gehen in die Zeit gegen Ende der 1980er-Jahre zurück: "Es war damals noch bei Schlumberger. Über den englischen Undhof-Importeur in London habe ich erstmals australische Weine getrunken, und in der Folge haben wir bei Schlumberger Penfolds ins Programm genommen. Ich erinnere mich noch, wie Rudi Kellner vom ,Altwienerhof‘ den ,Koonunga Hill‘ als ,Känguru Hill‘ bespöttelt hat – aber geschmeckt hat er ihm." Zahlreichen Urlauben folgte schließlich das Engagement auf dem fünften Kontinent. "Ich hatte einen guten Freund, der mir geholfen hat: Tim James, den Geschäftsführer von Wirra Wirra, der auch mein Grundnachbar ist." Und da gab’s dann plötzlich eine Verbindung der ganz besonderen Art. Das Wahrzeichen von Wirra Wirra ist eine alte Kirchenglocke, die man in den 1960er-Jahren auf einem Schrottplatz gefunden hatte. Die gehörte zur Kirche des St. Ignatius College von Norwood, einem Vorort der Provinzhauptstadt Adelaide. Dieses wiederum war 1866 von dem aus Spitz in der Wachau stammenden Jesuitenpater Johann Nepomuk Hinteröcker (1819–1872) gegründet worden – und der war ausgerechnet Bertold Salomons Urgroßonkel.
Fast so weit weg – wenn auch auf der Nordhalbkugel – ist das Projekt, auf das sich Hannes Gebeshuber vom Weingut Spaetrot in Gumpoldskirchen eingelassen hat, in der Inneren Mongolei, einer chinesischen Provinz mit Hauptstadt Huhehot: "Wir hatten nach China eine interessante Lieferverbindung. Eines Tages sind wir von Repräsentanten der Zentralregierung in Peking angesprochen worden, ob wir interessiert wären, gemeinsam ein Weingut zu gründen. Die Überraschung war groß, als ein halbes Jahr danach eine Delegation aus Peking und der Inneren Mongolei in Gumpoldskirchen vor der Tür stand." Damit begann das Projekt "I’ke Shu" zu laufen. Das heißt "Ein-Baum-Ebene", und das trifft das Ganze sehr genau. Es handelt sich um eine riesige Ebene – Platz wäre für 10.000 Hektar Reben – am Gelben Fluss, ein mächtiger Lössboden. Ursprünglich war das Gebiet landwirtschaftlich genutzt, dann wurde auf Schafzucht umgestellt, was sich aber insofern als unglücklich herausstellte, als die Wolllieferanten das Gras mitsamt den Wurzeln zu fressen pflegten und daher die Region von der Versteppung bedroht war. Also überlegte man, auf welche Kulturpflanzen man umstellen könnte, und kam auf den Wein. Und Hannes Gebeshuber nach China.
Wesentlich näher, nicht aber unbedingt leichter, hat’s da Erich Krutzler. Der arbeitet seit zwei Jahren für das Benediktinerstift Admont, das im Zuge
der Restitution in Slowenien 300 ha Grundbesitz zurückerhalten hat. Davon sind 60 ha Weingärten an drei Standorten, wenn auch zum größeren Teil entweder verpachtet oder dringend sanierungsbedürftig. Admont hat einen ausgesprochen aktiven (weltlichen) Wirtschaftsdirektor, der sich in der Person Erich Krutzlers eines tüchtigen Mitstreiters versicherte. Erich Krutzler ist der jüngere Sohn von Hermann Krutzler, der mit dem anderen Junior Reinhold das bekannte südburgenländische Renommierweingut (und RWB-Mitglied) führt. Zwei Jahre war Krutzler Konsulent, seit Anfang dieses Jahres ist er Geschäftsführer des Guts, das unter "Dveri Pax" firmiert. Derzeitiger Sitz ist der Jaringhof in Jaremina, dem ehemaligen Jahring, dort werden in Kürze 20, 25 ha in Ertrag gehen, weitere Standorte sind Radkersburg und das Gebiet Lutomer-Ormoz, das einstige Jeruzalem. Dort ist langfristig ein Weingut für etwa 40 Hektar projektiert. Vieles aber steht noch in den Sternen, sprich, es hängt von den EU-Förderungen ab, wie schnell man wie viel davon realisieren kann.
Ganz einfach scheint die Frage nach der Motivation des Grenzgangs für die Brüder Erich und Walter Polz: "Wir haben einfach Lust gehabt, in Slowenien Wein zu machen, auch in Hinblick auf den slowenischen EU-Beitritt. Wobei wir uns aber bewusst dagegen entschieden haben, es gleich hinter der Grenze zu tun, wir wollten ein Gerede darüber, dass slowenischer Wein plötzlich unter einem anderen Etikett auftaucht, gar nicht erst entstehen lassen." Also entschied man sich für Jeruzalem und fand in Miro Munda in Kog bei Jeruzalem den gewünschten Partner. Ursprünglich war eigentlich nur Traubenproduktion für die Genossenschaft geplant, aber als diese nach dem Erwerb von 10 ha für die gemeinsame Polz-Munda’sche Firma "Miro Vino" plötzlich als Käufer ausfiel, entschloss man sich kurz und rasch, ein Weingut zu bauen.
Eine ähnliche Motivation darf man Bruno Gottardi unterstellen, der zwar kein Winzer, sondern Weinimporteur ist, aber insofern in unsere "Grenzgänger"-Kategorie fällt, als er sich in Südtirol seinen Lebenstraum vom eigenen Weingut erfüllt hat. "Wir hatten von großväterlicher Seite her Landwirtschaft im Trentino, und ich habe als Kind immer mit ihm Pläne geschmiedet." Die zerschlugen sich, als die Latifundien verkauft werden mussten – "es hingen zu viele Leute dran" –, aber dennoch blieb der Wunsch bestehen. Und so ergab es sich, dass in einer günstigen Phase, 1986, ein Weingut in Mazzon oberhalb von Neumarkt erworben werden konnte.
Last but not least: Franz Weninger in Horitschon, inzwischen in Ungarn doppelt aktiv, in Villány und in Sopron-Balf. Sein Motiv ist vielleicht das ungewöhnlichste – und dennoch vielleicht nahe liegendste – von allen: Er war mit seinem Wein unzufrieden und suchte einen besseren Standort, ein besseres Terroir: "Ich hab 1985 Cabernet ausgesetzt und war 1988/89 mit der Qualität der ersten Lesen überhaupt nicht zufrieden." Ein Bekannter erzählte ihm von Villány in Südungarn und von der traumhaften Reife der Weine. Franz Weninger setzte sich ins Auto, fuhr hin, lernte Attila Gere kennen (mit dem er sich von der ersten Sekunde an prachtvoll verstand), gründete mit ihm zu Beginn der 1990er- Jahre ein Joint Venture und verkauft seither jährlich 100.000 bis 120.000 Flaschen auf dem ungarischen Markt. Ein paar Jahre danach wurden ihm von ungarischer Seite eine Partnerschaft an einem Weingut in Balf bei Sopron (Ödenburg) angetragen. Der Franz überlegte nicht lang und schlug zu. Dazu traf es sich, dass der Junior, Franz Reinhard, auch schon im richtigen Alter war, und also leitet der jetzt den Betrieb an der Südwestecke des Neusiedler Sees.
Bei Süßweinzampano Alois Kracher sprudelt’s geradezu, wenn man ihn fragt: "Bei Null anfangen hilft, man lernt enorm. Man versteht die Weinwelt besser, wenn man Leuten wie Egon Müller an der Mosel oder Pierre Meslier von Yquem persönlich gegenübersteht. Und: Ohne Manfred Krankl, meinem Partner in Kalifornien, gäbe es die Weine heute sicher nicht."
So unterschiedlich die Motivationen der Winzer sind, so unterschiedlich und differenziert sind auch die erzeugten Weine. Die Tschidas erzeugen in Ungarn bisher nur Fassware, die an den ungarischen Handel geht. Allerdings wurden beide Betriebsteile schon vor vier Jahren auf biologische Bewirtschaftung umgestellt, sodass es nur mehr eine Frage der Zeit ist, wann es die ersten Flaschen vom "Biohof Haideboden" geben wird.
Die ersten Flaschen gibt es inzwischen von Miro Vino. Zwar nur vergleichsweise bescheidene 20.000 jährlich – wenig für zehn Hektar –, aber, so Walter Polz: "Das darf man nicht mit unseren Maßstäben messen. Durch extremen Stock- und Reihenabstand kommen wir nicht einmal auf 2000 Reben je Hektar, und da ist nicht mehr Ertrag drinnen, ohne die Stöcke zu überfordern." Ausgepflanzt sind Sipon (Furmint), Sauvignon, Riesling und Weißburgunder. Ausgebaut wird im Stahltank, die Sauvignon-Reserve im einjährigen Holz. "Ganz große Weine wird man von solchen Anlagen nie lesen können, dazu muss man die Rebanlagen umstellen. Aber das ist vorderhand noch Zukunftsmusik." Obwohl: Das Zeug dazu hat der Qualitätsfanatiker Miro Mundo jedenfalls.
Franz Weninger verkauft den Cabernet aus Villány ausgezeichnet, was den Tüftler aber nicht ruhen lässt. In der Lage "Gottesgraben" haben er und Gere im Vorjahr 2 ha Tempranillo ausgesetzt – man darf auf den südungarischen "Rioja" durchaus gespannt sein. In Balf wiederum sind es zwei Lagen, "Spern-Steiner" (Schiefer) und "Frettner" (Löss), die es Franz Weninger angetan haben. Die Weine sind ausgesprochen terroirbetont, und welche der Sorten, die es derzeit und künftig von dort geben wird – Blaufränkisch, Pinot Noir, Merlot, Syrah oder Cabernet –, sich à la longue am besten durchsetzen wird, das wird man sehen. Sogar einen halben Hektar Weißburgunder gibt’s auf den insgesamt 25 ha, ungeplant übrigens. Die Pinot-Noir-Setzlinge aus der ungarischen Rebschule waren Pinot Blanc.
Die Pfneisl-Brüder gehören, wie Franz Weninger, zu den größeren Besitzern: 22 ha konnten sie käuflich erwerben und bewirtschaften sie selbst; die wesentlich größere Landwirtschaft, die man damals auch erworben hat, ist verpachtet. Von den Weingartenflächen waren 4,5 ha Blaufränkisch noch tauglich, der Rest musste gerodet und neu ausgesetzt werden, hauptsächlich mit Blaufränkisch und Syrah.
Solche Probleme hat Hannes Gebeshuber derzeit noch nicht. "In der ersten Ausbaustufe soll das Weingut 50 ha haben, ringsum die geplante Kellerei angelegt. Die wichtigste Voraussetzung – eine Pumpstation für die Wasserversorgung der Reben vom Fluss heraus – ist einmal gegeben, jetzt müssen wir prüfen, welche Unterlags- und welche Edelreben in die Region passen." Die Vegetationsperiode ist vergleichsweise kurz, die Winter sind extrem kalt. Wann soll’s den ersten Wein geben? "Realistischerweise nicht vor 2008."
Bei Bertold Salomon gibt es die Weine des 50-ha-Guts (von dem allerdings nur ein Drittel ausgesetzt ist) bereits. Die Trauben auf dem steinigen Boden aus postglazialem Geröll und Sand-Lehm-Gemisch reifen drei Wochen später als in McLaren Vale, was für den Kenner sofort auf kühleres Klima (und eine potenziell intensivere Aromaausbildung) hinweist. Organisiert wird das Ganze von einem Nachbarwinzer (dessen Mutter aus Radstadt im Salzburgischen stammt). Vinifiziert wird im Keller von Mike Farmilo, einem Ex-Winemaker von Penfolds, dem Finanzinvestoren eine "contract winery" gebaut haben, also quasi eine Lohn-Kellerei. 1998 gab’s die erste (kleine) Füllung, 1999 und 2000 waren nicht so toll, die wurden im Fass verkauft. 2001 war der erste kommerzielle Jahrgang. Gefüllt wird der "Norwood", der Brot-und-Butter-Rotwein, nach zwölf Monaten in gebrauchten 300-l-Fässern, die Flaggschiffe "Finniss River" nach 18 Monaten Barrique. Den gibt’s als Cabernet-Merlot sowie als Syrah, und unsere ersten Verkostungen lassen hier einiges erwarten. "Bertold’s Grange"? Er lacht: "Davon kann keine Rede sein."
Gänzlich anders liegt die Stilistik beim Gottardischen Blauburgunder aus Mazzon. "Ich will bewusst die Eleganz im Pinot fördern", so Bruno Gottardi. Und dass er damit einen Volltreffer gelandet hat, beweist der Jahrgang 2000. In der Farbe so hell, dass er damit möglicherweise bei der staatlichen Prüfnummer Probleme hätte, duftet er so unvergleichlich pinotig, dass es eine wahre Freude ist; am Gaumen von geschmeidig-unaufdringlicher Textur findet sich die zarte und dennoch intensive Pinotfrucht wieder, bis lang in den Abgang hinein. Gottardi zu seinem Lieblingskind: "Am meisten freut mich, dass der Wein – völlig ohne Marketing unsererseits – sich in Italien in der gehobenen Gastronomie größter Beliebtheit erfreut. Ein größeres Kompliment kann ich mir gar nicht vorstellen."
Alois Kracher vinifiziert in Kalifornien "die drei Süßweinstile, die es ungespritet gibt: Weine, die durch Edefäule, Trocknung und Kühlung gewonnen werden." Die Dachmarke lautet, wenig verwunderlich "Mr. K.", und die drei Weine "Noble Man", "Straw Man" und "Ice Man". Letzterer ist übrigens ein Traminer, der in der Kühlkammer erzeugt wird, also nach dem auch in Sauternes gebräuchlichen System der Cryoextraktion.

Adressen

Grenzgänger-Weine "I’ke Shu", Hannes Gebeshuber Ab 2008: Weingut Spaetrot, 2352 Gumpoldskirchen, Jubiläumsstraße 24, Tel.: 02252/611 64
Dveri Pax, Erich Krutzler Wein & Co, Wine Company
Blauburgunder Mazzon, Gottardi St. Urban, Innsbruck und Wien
Mr. K., Krankl & Kracher Wein & Co, Meinl am Graben, Fine Wine Trade Illmitz
Miro Vino, Munda & Polz Weingut Polz, 8471 Spielfeld, Grassnitzberg 54,
Tel.: 03453/23 01-0
Brüder Pfneisl Ab 2005: 7301 Deutschkreutz, Karrnergasse 64,
Tel.: 02613/80 27 01
Salomon, Finniss River Weingut Undhof, 3500 Krems, Tel.: 02732/832 26; Schenkfelder, Wagner, Pfanner, Wein & Co, Böhle, Meinl am Graben
Juris Villa Weingut Juris (Axel Stiegelmar), 7122 Gols, Marktgasse 12–18, Tel.: 02173/27 48
Biohof Haideboden Siegfried Tschida, 7152 Pamhagen, Hauptstraße 9,
Tel.: 02174/21 96, 0664/922 59 07
Franz Weninger 7312 Horitschon, Florianigasse 11, Tel.: 02610/421 65