Die Kontore des Brauens

Bier ist mittlerweile zu gut, zu vielfältig, zu international und zu interessant, als es nur im Supermarkt zu kaufen. Und die Versorger werden mehr.

Die Kontore des Brauens

Text von Florian Holzer Foto: Alexi Pelekanos
Es tut sich was beim Bier. Kleine bis mittelkleine Brauereien beginnen, sich zu spezialisieren, setzen verstärkt auf Identität und Qualität. In winzigen Gasthausbrauereien wird nicht mehr nur das trübe 08/15-Helle und das körperreiche, aber geschmacklose Dunkelbier gebraut, sondern immer öfter experimentelle Rekordbiere und kompromisslose Experimentalbiere. Bier-Messen und Brauerei-Meisterschaften sind besucht wie nie zuvor, das Angebot in der Gastronomie wächst beständig, die Kennerschaft bei den Konsumenten ebenfalls.
Was vom aufkommenden Trend einstweilen noch nicht tangiert wird, ist der Handel. Bier-Fachgeschäfte mit großer Auswahl, gepflegter Verkostmöglichkeit und womöglich sogar adäquater Kleingastronomie – als Antwort der Brauszene auf die Vinotheken – existieren nicht wirklich. In den Regalen der Supermärkte steht verständlicherweise primär das, was vom Großteil des Publikums auch am meisten verlangt wird, und das sind preiswerte Brauwaren mit bekanntem Namen und Geschmacksprofil. Feinkosthandel und Delikatessenläden tun sich mit den Produkt Bier, das sowohl eine beschränkte Haltbarkeit besitzt als auch ein bisschen heikel ist als auch vom Publikum an diesem Ort nicht erwartet wird, ein bisschen schwer.
Also Erwerb von Bieren nur per Ab-Brauerei-Einkauf, verstohlener Kofferraum-Transport so wie früher beim Wein? Nicht ganz. Der Feinkost-Guru "Böhle" in der Wollzeile begann schon vor 25 Jahren mit dem Handel vor allem exotischer Biere. Am Anfang seien es 60 gewesen, erinnert sich Werner Ruff. "Dann explodierte das schlagartig auf 140." Über Jahrzehnte hinweg war der "Böhle" die einzige Adresse für außergewöhnliche Biere, wenn man sich nicht in einschlägigen Bierlokalen versorgen wollte. Der Aspekt des originellen Geschenkssortiments sei zwar immer im Vordergrund gestanden, erklärt Herr Ruff, mit der Zeit sind aber immer mehr Kunden gekommen, die Gefallen an dem einen oder anderen Spezialbier gefunden hatten und das dann gerne nachkauften. "Das französische Maroni-Bier oder die diversen belgischen, da gibt’s schon einige, die verlangt werden." Dem Prinzip der Exklusivität ist man übrigens auch bei den österreichischen Bieren und beim Hausbier treu – es stammt aus Österreichs kleinster Brauerei von Erich Brettner in Schottwien.
Ebenfalls recht gut eingeführt ist diesbezüglich die Firma Ammersin in Wien-Speising, der Wiener Traditionsbetrieb – Sodawasser-, Limonadenabfüllung und Getränkevertrieb seit über hundert Jahren – unterhält schon seit vielen Jahren ein Geschäft für Bierspezialitäten, das über die Jahre vor allem von Gastronomen, aber auch Letztverbrauchern zwecks Bierausstattung diverser Themenabende aufgesucht wurde. Das Sortiment des Unternehmens umfasst mittlerweile etwa 200 Biere aus aller Welt, Biere österreichischer Kleinbrauereien oder rare Spezialbiere von größeren Brauereien sind hier durchwegs erhältlich, internationale Biere von Australien bis Zypern sowieso. Vor kurzem eröffnete das Unternehmen einen neuen Shop in der äußeren Wiedner Hauptstraße, das "Magazin 5", das all diesen Bier-Pretiosen reichlich Raum widmet und den Einkauf zu einem sinnlichen Vergnügen macht. Die Kundschaft bestehe einstweilen aber dennoch hauptsächlich aus Gast-ronomie-Kunden, erklärt Christian Dittmar, wobei die Letztverbraucher von Monat zu Monat mehr würden. "Aber an diesem Standort rechnet man vielleicht nicht so sehr mit so einem Angebot."
Auch Karl Schiffner, Österreichs erster und einsatzfreudigster Bier-Sommelier sowie Betreiber seines "Biergasthauses" in Aigen-Schlägl im Mühlviertel hat einen Bier-Handel aufgezogen, und zwar verschickt er individuell zusammengestellte Bier-Pakete à 16 Flaschen. 40 Biere aus Belgien, elf aus Deutschland, ein paar extrem interessante Ales und IPAs aus Skandinavien und das Baltika Porter aus Russland stehen auf seiner Liste, dazu natürlich auch so ziemlich alles, was im Mühlviertel gebraut wird, und solche Szene-Kultbiere wie das Monty Python Holy Grail Ale der Black Sheep Brewery aus Yorkshire, das 1999 anlässlich des 30-JahreJubiläums der Truppe erstmals gebraut wurde. Vor zwei Jahren hat er mit der Versendung angefangen, berichtet Karl Schiffner, aber weniger aus Erschließung eines Marktes, sondern weil es so viele Anfragen gab und nicht zuletzt weil er ja auch wirklich sehr viele Biere zur Verfügung hat.
Das derzeit wohl umfassendste Sortiment am Bieren dürfte aber wohl Robert Banach in seiner "Biererei" anzubieten haben. Der frühere Projektmanager bekam vor neun Jahren ein Hobbybrauerei-Buch geschenkt, begeisterte sich dafür, ärgerte sich über das kleine Angebot an Brauerei-Bedarf in Österreich und begann somit, diese Warengruppe selbst anzubieten. Und auch Bier-Lebensmittel wie Bier-Chutneys, Bier-Senf, Bier-Schokolade und Ähnliches. Und Biere natürlich auch, nicht weniger als 230 verschiedene Füllungen lässt er sich derzeit von Großhändlern aus Belgien – da ist sein Sortiment tatsächlich atemberaubend –, England und Deutschland schicken. Wenn jemand zum ersten Mal seine "Biererei" in Wien-Donaustadt betrete, sei er am Anfang etwas ratlos und erschlagen, erzählt Banach. Ab dem zweiten Mal wüssten seine Kunden dann aber schon ungefähr, was sie wollen. Eine Veränderung nicht nur der Bier-, sondern auch der Bierhandelsszene merke er durchaus, auch wenn es nicht so schlagartig gehe wie mit dem Wein nach 1985: "Es geht langsam, aber es liegt im Trend." Eine Möglichkeit, Bierinteresse und Bierkultur im Bewusstsein zu verankern, sieht Banach zum Beispiel in kommentierten Bierverkostungen und Bierseminaren, die immer öfter von Firmen gebucht würden. Eine schicke Innenstadt-Location wäre für das Thema Bier sicher nicht uninteressant, meint der Quereinsteiger. "Aber eine Kiste Bier zu tragen, ist nicht lustig. Ohne Zufahrtsmöglichkeit und Parkplatz ist das eher schwierig."
Biere, die es im Supermarkt ohnehin gibt, findet man in der "Biererei" übrigens nicht. Österreichische Kleinbrauereien in verstärktem Ausmaß und tschechische Biere wären sehr interessant, so Banach. "Aber irgendwo muss ich auch eine Grenze ziehen." Wobei er sich um den Absatz seiner belgischen Biere grundsätzlich keine Sorgen macht: "Die halten ewig und legen mit der Zeit ja sogar noch zu."