Die richtige Mischung

Alle trinken jetzt Radler. Radler lässt Ab- und Umsätze blühen und die Marketing-Phantasie der Brauereien sprießen. Ob man dabei noch von Bierkultur sprechen kann, ist halt die Frage.

Text von Florian Holzer Foto: GettyImages

Es hat wenig Sinn, mit Menschen, die sich den Kopf über die Aroma-Nuancen diverser Hopfensorten und den Röstgrad von Malz zerbrechen, über Radler zu sprechen. Für Bierversteher und Brau-Philosophen ist der Radler das, was Cola Rot für Weinliebhaber, Jagatee für Teezeremonienmeister und Java Chip Frappuccino blended beverage auf Sojamilchbasis für Kaffee-Aficionados ist – das, was man verachtet.

Nur sind es eben nicht die Freaks und Geeks in ihren Nischen, die einen Trend zum Laufen bringen. Und dass es sich beim Radler um einen Trend handelt, ist offensichtlich. Die Zahlen, die der Verband der Brauereien seit 1995 gesammelt hat, sind beachtlich: Der Ausstoß der heimischen Brauereien pendelte seit dieser Zeit und heute stets zwischen 8,2 und 8,9 Millionen Hektoliter pro Jahr, was ganz schön viel ist und den Österreicherinnen und Österreichern den weltweit zweiten Platz am Biertrinker-Podest beschert. Der Radler machte 1995 noch 0,8% dieses enormen Volumens aus, konkret 69.568 Hektoliter, was zwar nicht nach wenig aussieht, angesichts der aktuellen Zahlen aber nicht anders als mickrig wirkt. Denn 2011 wurden nicht weniger als 577.209 Hektoliter Radler getrunken, das ist mehr als acht Mal so viel als vor 16 Jahren! Allein von 2010 auf 2011 – dieses Jahr gilt in Brauerei-Kreisen gewissermaßen als das goldene Radler-Wunderjahr – steigerte sich der Konsum des Biermischgetränks um 32%. Dass das nicht ewig so weitergehen wird, ist dem Brauerei-Verband zwar klar, im ersten Quartal 2012 waren’s aber zumindest auch noch einmal 10% Steigerung, und das im Winter, „eine sehr schöne Wachstumskurve scheint sich abzuzeichnen“, meint Heinrich Werner vom Verband.

Woran kann das liegen? Wieso wollen auf einmal alle mit Zitronen- oder sonstigem Fruchtsaft verdünntes Bier trinken? Es würden dadurch neue Kundenschichten angesprochen, erklärt Mag. Birgit Hessel von Ottakringer. Kunden, die zuvor weniger Bier-affin waren, Frauen, Jugendlichen und auch Autofahrern käme der geringere Alkoholgehalt entgegen, „es ist schon ein Getränk, das weg vom Bier und hin zur Limonade geht“, und die Mischung aus Frucht, leichtem Bitter-Ton und ein bisschen Alkohol sei eben offenbar eine gute Formel.

Die übrigens gar nicht so neu ist, sondern ungefähr hundert Jahre alt sein dürfte und mit hoher Wahrscheinlichkeit in Bayern kreiert wurde, wenn auch ziemlich sicher nicht 1922 im Oberhachinger Biergarten „Kugler Alm“, wie die Bier-Geschichtsschreibung gerne berichtet. Mischgetränke jedweder Art waren in den Münchner Biergärten schon davor extrem beliebt, in den Chroniken der bayrischen Schriftstellerin Lena Christ liest man von „Schorlemorle“ und „Radlermaß“, vertief man sich ein wenig in die süd- und mitteldeutsche Tradition der Biermischgetränke, tun sich unendliche Weiten und kaum vorstellbare Kombinationen auf. „Diesel“, zum Beispiel, oder „Moorwasser“, „Potsdamer“, „Heller Moritz“, „Russ“ und noch so einiges mehr.

In Österreich wurde Bier zwar auch ab und zu mit Zitronensaft gemischt und als Radler verkauft, zumeist aber mit isotonischem, also sportlichem Hintergrund, von einem Massenphänomen war (außer in Vorarlberg) nichts zu bemerken. In den 90ern begannen die ersten Brauereien dann, die bis dahin nur vom Wirten oder Schankburschen angefertigte Mischung in Flaschen abzufüllen, dem Vernehmen nach war die Brauerei Puntigamer die erste, die diesen Schritt wagte. Heute hat fast jede Brauerei Radler im Programm, er wird eigens und zielgruppengerecht jugendlich beworben, dem Ur-Rezept – Bier mit Zitronenlimonade – blieben zwar die meisten Brauereien treu, seit einigen Jahren sind aber auch kreative Zuckungen festzustellen: Murauer mit einem „Preiselbier“ und einem Lemongras-Radler, Ottakringer stellte voriges Jahr einen Johannisbeer-Radler vor und mischt in seinen Citrus-Radler eine Mischung aus Zitronen-, Grapefruit- und Orangensaft, Mohren-Bräu setzt auf Grapefruit pur, auch der „Almradler“ wurde auf Tennisplätzen und in Freibädern immer schon gerne aus Almdudler und Bier gemischt, mittlerweile gibt es ihn fertig; andere Brauereien, wie zum Beispiel Hirter, folgten der Idee. Das einstweilen exzentrischste der Fruchtsaft-Biermischungen bietet derzeit Zwettler mit seinem „is’ eh Powidl“, einer Mischung aus Vollbier und Zwetschkensaft, möge die Übung gelingen.

Geradlert wird jedenfalls bei großen wie kleinen Brauereien (die so genannten „Cultur-Brauer“, neun heimische Privatbrauereien, stellten eine farbenfrohe „Radler-Box“ zusammen), die Mischung mit trübem Bier scheint der Radler-Idee einigermaßen entgegenzukommen, wie man feststellen kann, insgesamt werde aber gerade eine Tür zu ganz neuen Kreationen geöffnet, verrät Mag. Birgit Hessler: In einer aktuellen Kampagne propagiert Ottakringer die Mischung des Johannisbeer-Radlers mit dem Kräuterbitter Averna, „über den Radler kommen wir so zum Radler-Cocktail“, der rein farblich dem Aperol Spritz durchaus nahe komme.

Fragt man Bier-Sommelier und -Philosoph Karl Schiffner, ob es einen für ihn interessanten Aspekt, eine positive Komponente an dem derzeit so beliebten Biermischgetränk gebe, muss er nicht lange nachdenken: „Nein.“ Das alles habe mit Bier nichts zu tun, es gebe so viele Möglichkeiten, das aromatische Spektrum von Bier noch viel weiter zu spreizen, als es in Österreich derzeit getan werde, mit Hopfen, mit Malz, mit Hefen, mit Gärverfahren, „aber das mit diesem Radler ist ein absoluter Kompetenzverlust in Sachen Bier“. Er verkaufe es in seinem legendären Bierwirtshaus in Aigen zwar, wenn’s wer unbedingt will, „aber forciert wird das von uns sicher nicht“. Als Tiefpunkt des Radler-Unwesens sehe er aber ohnehin den so genannten „sauren Radler“, der von Vorarlberg schön langsam ostwärts dränge, eine Mischung aus Bier und Sodawasser, „Bier-Panscher sind früher ertränkt worden, und da hab ich dann immer ein ganz komisches Gefühl, wenn das wer von mir verlangt“.

Der Mühlviertler Bier-Sommelier wird den Trend jedenfalls nicht aufhalten können, dazu sind die Brauereien viel zu dankbar, plötzlich eine Sparte zu besitzen, die im Gegensatz zum „herkömmlichen“ Bier, das absatzmäßig seinen Zenith erreicht hat, noch echtes Umsatzwachstum bringt. Und man gewöhnt sich sogar daran.

Ja, wir san mi´n Radler da

Gösser Naturradler
40% Bier/60% Saft, 2,0 Vol.-%
Limonadige Anmutung, vom Biergehalt ist nicht viel zu merken, gerade im Abgang stellt sich ein leicht hopfenbitteres Aroma ein, das dem Zitronensaft – es handelt sich um natürlichen Zitronensaft – aber gar nicht schlecht zu Gesicht steht.

Freistädter Zwickl-Radler
40% Bier/60% Saft, 2,0 Vol.-%
Ein ähnliches Radler-Konzept wie Gösser, wobei der Zitronenlimonadengeschmack ein wenig „klassischer“ wirkt, die legendäre Bittere der Freistädter Biere kommt ebenfalls erst sehr spät im Abgang zum Tragen.

Sigl, Lance „Profi-Radler“
40% Bier/60% Saft, 2,0 Vol.-%
Typisch für Sigl eine poppige, humoristische Aufmachung, geschmacklich ist der Zitrus-Radler eher Standard, wenngleich milder als Gösser oder Freistädter. Das Richtige für Radler-Trinker, die möglichst gar kein Bier schmecken mögen.

Eggenberger Radler Naturtrüb
50% Bier/50% Saft, 2,4 Vol.-%
Nicht gerade Samichlaus, aber immerhin ein bisschen mehr Bier als bei den anderen Freunden der Zitronenlimo. Limetten-Holunder-Saft gibt hier aromatisch den Ton an, vor allem letzterer. Intensiver Frucht-, aber auch intensiverer -Biergeschmack.

Ottakringer Citrus
40% Bier/60% Saft, 2,5 Vol.-%
Von den 60% Fruchtsaft ist ein Sechstel direkt aus Limette, Zitrone, Orange und Grapefruit gepresst – ein schönes, komplexes Zitrusaroma, das an die japanische Edel-Mandarine Yuzu erinnert. An irgendwas mit Bier erinnert das Getränk allerdings kaum.

Zillertaler naturtrüb
40% Bier/60% Saft, 1,6 Vol.-%
Dieser Radler enthält anteilig Saft von Biozitronen, Bio-gerstenmalz und Biohopfen, vor allem von den letzten beiden Zutaten ist kaum etwas zu schmecken. Was sicher auch am extrem geringen Alkoholgehalt liegt.

Schremser Naturpark-Radler
40% Bier/60% Saft, 2,1 Vol.-%
Sehr limonadig, wobei man fast den Eindruck bekommt, dass die Bittere vom Hopfen und jene der Zitronenschalen eine gar nicht unangenehme Harmonie eingehen.

Mohren Grapefruit-Radler
50% Bier/50% Saft, 2,7 Vol.-%
Der Blutorangensaft verleiht dem Getränk eine markante Farbe, die Grapefruit eine Bittere, gegen die der kleine Hopfengehalt dieses Mischgetränks kaum eine Chance hat. Ein Radler für Nicht-Biertrinker.

Almradler
40% Bier/60% Saft, 2,0 Vol.-%
Kennt man Almdudler, kennt man diesen Radler. Woher das Bier stammt, ist auf der Flasche nicht vermerkt, nur, dass es sich um Märzen handelt. Die Dose verrät, dass es sich um Puntigamer-Bier handelt. Insgesamt also Almdudler mit dezenter Volumenssteigerung und leichter Bitternote im Abgang.

Hirter Kräuter-Radler
2,5%
Die Mengenverhältnisse werden hier interessanterweise nicht angegeben, was aber nichts daran ändert, dass dieses Mischgetränk tatsächlich nach Bier schmeckt. Ob das ein psychologischer Trick ist oder nicht, ist schwer zu beurteilen.

Ottakringer Johannisbeer-Radler
50% Bier/50% Saft, 2,7 Vol.-%
Hier gönnt uns Ottakringer mehr Bier und damit auch um eine Nuance mehr Alkohol, die 10% direkter Fruchtsaft gelten übrigens auch hier. Insgesamt schmeckt dieses Getränk schon sehr markant nach Cassis, leicht bitter unterlegt und mit -malziger Weichheit abgepuffert. Wir erinnern uns an niederösterreichische Cabernet Sauvignons aus den 80er Jahren, die genauso schmeckten.

Murauer Preiselbier
60% Bier/40% Saft, 2,9 Vol.-%
Mehr Bier als Frucht, was dieser auf den ersten Schluck etwas obskur wirkenden Mischung aber überaus gut tut: kaum süß, dafür schön herb, die Preiselbeere ordnet sich dezent unter. Das ist schön.

Zwettler „is’ eh Powidl“
50% Bier/50% Saft, 2,5 Vol.-%
Das ist zweifellos ein etwas exzentrischer Radler, vor allem, weil die Behauptung, er enthielte 50% Zwetschkensaft, so schwer nachvollziehbar ist. Das Getränk schmeckt eher nach Amaretto als nach Zwetschke oder Powidl. Vom Bier ist wenig zu merken, vom Süßungsmittel dafür recht viel.