Dort, wo „der Grüne“ wächst

Mit der Idee vom DAC-Weinviertel hat Österreichs größte Weinbauregion auf effektive Weise eine neue Dynamik gewonnen.

Dort, wo „der Grüne“ wächst

Text von Michael Prónay Foto: Sabine Jellasitz
Fangen wir ausnahmsweise nicht mit den sattsam bekannten Analogien vom "schlafenden Riesen" und vom "Weinland im Dornröschenschlaf" an, sondern halten uns an nackte Zahlen. Das Weinviertel hat – nach dem Stand der Erhebungen von 1999 – ziemlich genau 16.000 Hektar Rebfläche, was ganz genau ein Drittel der österreichischen Rebfläche von 48.000 Hektar ausmacht. Davon entfallen 51% auf den Grünen Veltliner. Es gibt zwar einige Weinbaugebiete, in denen der "Grüne" (sprich "Greane"), wie er hier liebevoll heißt, einen noch etwas höheren Anteil hat – Traisental 64%, Kremstal 56%, Kamptal 52% –, aber da sind die Flächen bedeutend kleiner.
Es war also nur logisch, dass Österreichs erster DAC-Wein, eben "Weinviertel", ein reinsortiger Grüner Veltliner geworden ist. Wir haben in der Vergangenheit mehrfach über Einrichtung und Zielsetzung dieser neuen Form des herkunftsbezogenen Marketings berichtet, wir können uns hier also auf die Grundzüge beschränken: Ein Wein mit der DAC "Weinviertel" muss aus Grünem Veltliner aus dem Weinviertel gekeltert sein, er muss trocken sein und mindestens 12% Alkohol haben, er darf nicht im Tetrapack oder Ein- und Zwei-Literflaschen verkauft und auch nicht mit Kronenkork verschlossen werden, er muss sortentypisch und sauber sein und er darf nicht merklich holzbetont oder alkohollastig sein.

Die DAC und ihre Väter
"Erfunden" hat den Begriff ("Distructus Austria Controllatus") Bertold Salomon, als er seinerzeit Geschäftsführer der Weinmarketinggesellschaft war, unterstützt von seinem damaligen Assistenten und nunmehrigen Nachfolger, Michael Thurner, der mit seiner Diplomarbeit genau zu diesem Thema die Sache theoretisch absicherte. Zu jener Zeit geschah es auch, dass ein wichtiger Grund auftauchte, ein Herkunftskonzept einzuführen. 1996/97 tauchte in den Supermärkten Grüner Veltliner aus Ungarn auf. Es war das nicht das erste Mal. Denn ungarischen Wein mit heimischer Anmutung ("Winzersteig") gab’s schon in den 1980er-Jahren. Dagegen ist im Sinne der freien Marktwirtschaft auch nichts Prinzipielles einzuwenden. Umgekehrt aber darf man es der heimischen Weinwirtschaft nicht verdenken, wenn dadurch die Diskussion um Gegenstrategien intensiviert wurde. Der Grundgedanke dahinter: Wenn man es schafft, den Begriff "Weinviertel" als Synonym für den Grünen Veltliner zu etablieren, dann hat man einen unverwechselbaren und nicht kopierbaren Begriff. Mit anderen Worten: Das Rebsortenmarketing, das die heimische Weinwirtschaft über Jahrzehnte dominiert hatte, zeigte seine Schwächen.
Für die Umsetzung der DAC in die Praxis aber war Roman Pfaffl mit Abstand der wichtigste Mitstreiter. Der ruhige und stets besonnene Winzer aus Stetten bei Korneuburg – inzwischen auch Pächter des Schlossweinguts Bockfließ – war genau der richtige Mann am richtigen Ort und zur richtigen Zeit. Die Grundidee der Kosterschulung mit Referenzweinen stammt von ihm, und die Weiterentwicklung – nämlich mit diesen während jeder DAC-Verkostung zur Verfügung stehenden Referenzweinen bei Bedarf die Qualitätsschraube anzuziehen – scheint durch und durch grundvernünftig. Roman Pfaffl sieht das Kriterium der Verkostung denn auch logischerweise als zentralen Punkt des gesamten Konzepts: "Die Verkosterschulung hat absoluten Vorrang. Es gibt drei Weine, die jeder Prüfer bei jeder Prüfkost vor sich hat." Zwei davon sind idealtypische Vorbildveltliner, der dritte ist gerüchig und hat jenen Hauch von Sämlingston, der als gerade noch tolerabel gilt. "Dieser Wein markiert die Obergrenze der Sämlingsnote. Damit wollen wir dem Koster, der als Winzer vielleicht seinen Veltliner mit deutlicher Sämlingsnote sehr gut verkauft, zu verstehen geben: bis hierher und nicht weiter. Er soll seine Stilistik ruhig weiterpflegen, aber eben nicht als DAC-Wein." Zum Sämling kommen wir gleich noch. Mit dem Jahrgang 2003 soll also die DAC-Stilistik noch klarer herausgearbeitet werden, die Streuung dementsprechend geringer ausfallen. Dazu gehört auch, dass in den Kostkommissionen selbst das positive Mindestabstimmungsergebnis von 4:2 auf 5:1 ange-hoben wurde.
Inzwischen aber hat die Weinviertel-DAC voll eingeschlagen, und es ist natürlich hoch an der Zeit, jetzt auch jene vor den Vorhang zu bitten, die schließlich für den Erfolg verantwortlich sind, nämlich jene Winzer (und freilich auch Winzerinnen), die diese Fülle an guten bis ganz ausgezeichneten DAC-Weinen produziert hat. Da man durchaus zu Recht annehmen kann, dass die allermeisten der bisher wenig oder gar nicht bekannten Winzer das Produzieren hochqualitativer Weine nicht über Nacht (oder kurz vor der Anstellung der Weine zur DAC-Prüfungsverkostung) gelernt haben, hat die DAC auch etwas bewirkt: Nämlich endlich jene guten bis ausgezeichneten Winzer den ihnen entsprechenden Anteil des Rampenlichts zu geben. Stellvertretend für alle seien die Pfaffls und Setzers, die Minkowitsche und Bauer, die Zulls und die Prechtls, die Hardeggs und Salomons, die Schwarzböcks und Pleils (und wie sie allesamt heißen mögen) genannt.
Ein kleiner mahnender Zeigefinger sei aber erlaubt. Bei jeder Weinviertler Veltlinerprobe – und leider auch bei DAC-Weinen – haben wir das Problem, dass mancher Wein von einem mehr oder weniger deutlichen Sämlingston geprägt ist. Das ist ein eher aufdringlich-parfümierter Geruch, der im besseren Fall an vegetabil-bittrige Grapefruit, oft an aufdringliche Muskatnoten und im schlimmsten Fall an Katzenpipi erinnert. Woher der Sämlingston kommt, ist in diesem Zusammenhang sekundär – von der Maischschwefelung sagen die einen, vom weit verbreiteten Klonen-Material des Veltliners sagen die anderen –, Tatsache ist, dass dieser Ton, so sehr er lokal auch seine Anhänger haben mag, im nationalen (oder gar internationalen) Konzert der Aromen keine Chance hat.

Die Sortenvielfalt
Gehen wir die Sorten nach der Reihenfolge ihrer Bedeutung durch. An zweiter Stelle dürfte der Blaue Portugieser stehen, traditionell in den Rotweininseln um Haugsdorf und im Pulkautal angebaut. Die eher leichtergwichtigen, meist helleren Rotweine entsprechen zwar nicht mehr ganz dem Trend der letzten Jahre (was auch der Grund ist, warum der Zweigelt aufholt und es nur mehr eine Frage der Zeit ist, wann er den Portugieser überholen wird), haben aber ihren eigenen, diskret-charmanten Reiz.
Dann kommt der Welschriesling, der nicht nur als Tischwein, sondern auch als Sektgrundwein einen hervorragenden Ruf genießt. Zwar sollte man den Ausspruch von Heinz Türk, dem legendären einstigen Kellermeister von Schlumberger nicht zu ernst nehmen: "Welschriesling aus dem Weinviertel? Der weltbeste Grundwein für Sekt. In der Champagne wären sie froh, wenn sie ihn hätten."
Der Zweigelt zeigt eine stark steigende Tendenz. Österreichs "nationale" Rotweinsorte – eine Kreuzung aus Blaufränkisch und St. Laurent – hätte das Zeug dazu, in kundiger Hand zu frischen, kirschfruchtigen, attraktiv-trinkanimierenden Weinen ausgebaut zu werden. Wir werden in Zukunft sehen, ob das auf breiterer Basis greift; bei den Spitzenwinzern ist solche Qualität allerdings ohnehin längst selbstverständlich.
Müller-Thurgau ist die Nummer fünf (mit fallender Popularität), und irgendwie ist’s schade, dass die Rebe, die dezent-charmante, leicht muskatbetonte Weine hervorbringt, zu einem ähnlichen Schattendasein verdammt ist wie der Neuburger in der Thermenregion. Aber Moden lassen sich kaum kreieren. Der Weißburgunder steht in der Gunst der Konsumenten ebenfalls nicht allzuhoch, dabei hat er das Zeug im vollreifen Bereich ein wunderbar lagerfähiger, langsam ausbauender Wein zu sein, der erst nach einigen Jahren Flaschenlager seine schönsten Facetten zeigt.

In Sachen Lagerfähigkeit
Lohnt es sich zu Zeiten, da allerorten über die Qualität des jeweils jüngsten Jahrgangs berichtet wird, überhaupt, ein solches Thema anzusprechen? Jawohl, und zwar aus einem ganz einfachen Grunde. Selbst wenn gereifte Weine heutzutage – ganz im Gegensatz zu früher – von weiten Kreisen des Publikums kaum mehr geschätzt werden, gibt es doch einen Hard-Core-Kreis von Weinfreunden, für die ein wirklich großer Wein erst dann anfängt, wenn er gezeigt hat, dass er dem Zahn der Zeit nicht nur widersteht, sondern an Komplexität, Tiefgang und Vielschichtigkeit zulegt.
Ich hatte einmal das Vergnügen, eine kleine, aber hochfeine Altweinprobe aus dem Hause Daurer-Schodl, einem traditionsreichen Poysdorfer Betrieb (den es in dieser Form nicht mehr gibt), miterleben zu dürfen. Da kamen 10-, 15-, 20- und 30-jährige Grüne Veltliner, Weißburgunder und Muskat-Ottonels aus dem Keller auf den Tisch der Vorgartenlaube, dass man die sprichwörtlichen Ohren anlegte.
Was ich damit sagen möchte: Unterschätzt das Weinviertel nicht, es hat das Potenzial zu wahrer Größe auch im internationalen Maßstab, und dazu gehört nun einmal das Entwicklungpotenzial der Weine auf der Flasche. Wenn man klug auswählt, dann machen die Weine ein Trinkvergnügen über Jahre und Jahrzehnte.