E.T. & Söhne

Ernst Triebaumer hat vor genau dreißig Jahren mit dem Blaufränkisch Mariental einen Rotwein geschaffen, der zur Ikone geworden ist. Mit dem familientypischen Kampfgeist setzen seine Söhne nun fort, was auch schon immer die Stärke des berühmten Vaters war: außer­gewöhnliche Weine keltern, die ein wenig anders ticken als alle anderen.

Text von Christina Fieber · Fotos von Michael Reidinger

Neugierig traben sie heran, stellen sich direkt vor den Besucher und blöken erwartungsvoll. Die Ruster Weingartenschafe sind der ganze Stolz der Triebaumers. Führen viele Winzer zuallererst in den Keller, geht es bei ihnen in die Weinberge – zu den Schafen. Das ganze Jahr über wuselt die Herde dort herum und leistet ihren Beitrag zu den Weinen, die wohl zu den begehrtesten des Landes gehören.

Ernst Triebaumer, Kultwinzer aus Rust, war ein Pionier in ­Sachen Rotwein und wie alle ganz Großen seiner Zeit um Lichtjahre voraus. Mit seinem ausgeprägten Eigensinn und der Lust am Anders-als-alle-anderen-Denken schrieb er damals fast im Alleingang österreichische Weingeschichte. Während das Land noch unter den Folgen des Weinskandals ächzte, kreierte Trie­baumer ein Jahr nach dem Eklat einen Rotwein, der bis heute Kultstatus besitzt: den Mariental 1986. Ein winziges burgenländisches Weingut gewann ausgerechnet mit einem Blaufränkisch gegen so manch renommiertes Château. Ernst Triebaumer wurde über Nacht zum Star.

Nun ist er seit acht Jahren in Pension, und die Söhne Herbert und Gerhard führen den Betrieb. Man hat nicht das Gefühl, dass ihnen die Fußstapfen des berühmten Vaters zu groß sind. Mit dem wohl genetisch bedingten Hang zum Widerstand treiben sie das Weingut immer weiter voran, oder besser: zurück zu seinen Wurzeln. „Unser Vater hat den Samen gesät, und wir extremisieren seine Ideen“, sind sich die Brüder einig.

Von Anfang an arbeiteten sie streng biologisch, zertifizieren wollen sie sich aber bis heute nicht lassen: „Zu viel Bürokratie, zu viele Schikanen“, befinden sie, „für solche Spielchen haben wir keine Nerven!“

Außerdem möchten sie partout nicht in den Geruch kommen, irgendwelchen Trends hinterherzulaufen. Das wäre gegen den Ehrenkodex der Familie. Sie bezeichnen sich lieber als „unkonventioneller Betrieb“ – wohl die einzige Kategorie, die dem Weingut gerecht wird. Eine Zertifizierung sei keine Garantie für den Kunden, es brauche Vertrauen, glaubt Gerhard Trie­baumer: „Jeder kann zu uns kommen, sehen wie wir arbeiten und sich dann selber eine Meinung bilden.“

Und zu sehen bekommt man so einiges bei den Triebaumers: die hauseigene Solaranlage, die für autonome Stromversorgung sorgt, das Elektromobil, die Vollbegrünung in den Weinbergen, den Biokompost mit selbst produzierter Holzkohle zur Co2-Reduktion, Vogelnistplätze, ein Bienenprojekt – und eben auch die Beweidung der Weingärten durch Schafe. Auf chemische, systemische Mittel und Mineraldünger wird ohnehin verzichtet. Sehr viel mehr Bio und Nachhaltigkeit geht eigentlich nicht. Hingebungsvoll erzählt Herbert Triebaumer von den positiven Auswirkungen all dieser Maßnahmen für den Betrieb und die Welt.

Schließlich geht es doch noch in den Keller: alles ganz schlicht und ohne technischen Aufputz. Die Vinifikation passiert auf einfachste Weise. Keine Tricksereien. Selbst die Gärtanks befinden sich nicht wie gewöhnlich in einer Industriehalle, sondern in einem holzvertäfelten Raum im Wohnhaus, in einer Art „Kinderzimmer“. Herbert Triebaumer ist überzeugt, dass auch Weine gerne Gesellschaft haben.

Die Sache mit den Schafen sei ein Lernprozess gewesen – mit Rückschlägen und Aha-Effekten. In den ersten Jahren erzählten sie niemandem davon, inzwischen ist das Projekt höchst erfolgreich, und die Schafe sind so etwas wie ein Wahrzeichen von Rust. Erst durch die Tiere hätten sie wirklich verstanden, wie ausgeklügelt die Natur funktioniere, wie alles ineinanderspiele und einen Sinn ergebe. „Eigentlich wollen wir uns ja nur Arbeit ersparen“, meint Herbert Triebaumer augenzwinkernd.

Tatsächlich erweisen sich die Schafe als durchaus nützliche Weingartenarbeiter: Sie erledigen das Mähen, putzen die Stämme, fressen überflüssige Seitentriebe, dezimieren Schädlinge, und naturgemäß sorgen sie auch für die perfekte Düngung. Dabei gehen sie ziemlich systematisch vor: Vorwiegend deponieren sie ihre Hinterlassenschaft auf der Anhöhe der Weinberge, so kann sich der Mist gleichmäßig nach unten verteilen. Die Humusmenge und somit die Bodenfruchtbarkeit konnten durch die Beweidung deutlich erhöht werden. Vor der Traubenreife müssen die Schafe freilich aus dem Weingarten getrieben werden, sonst ernten sie selbst die Früchte ihrer Arbeit.

Die Tierhaltung führe den Betrieb weg von der unnatürlichen Monokultur des modernen Weinbaus hin zur gemischten Landwirtschaft – jenseits industrialisierter Produktion. „Wir machen uns damit unabhängig von den Zwängen des entmenschlichten Wirtschaftssystems!“, gibt sich Herbert Triebaumer kämpferisch. „Wir haben uns aus der Sklaverei befreit!“

An seinen flammenden Reden hätte Karl Marx sicher große Freude gehabt. Aber die Brüder haben schon einiges erreicht: Die Ruster Winzer verzichten inzwischen vollständig auf Insektizide und begrünen wieder ihre Rebflächen.

Die Brüder proklamieren eine radikale Kehrtwendung des Weinbaus: Weg von der Spezialisierung, zurück zum universell agierenden Bauern, der wieder Gesamtzusammenhänge erfassen kann. „Wir müssen selber wissen, was wir brauchen und nicht einfach nur Anweisungen von Weinbauberatern befolgen!“, ist auch Gerhard Triebaumer überzeugt.

Der Kreis schließt sich: Als ihr Vater 1963 in den Betrieb einstieg, hatten noch fast alle Weinbauern Nutztiere. Später seien dann die Traktoren gekommen und das Vieh musste weg, erzählt er: „Ich bin voller Freude mit dem Traktor im Weingarten herumgefahren, bis ich gemerkt habe, dass der Boden immer härter und unfruchtbarer wird. Wir haben es einfach übertrieben!“, gesteht er.

Es war die Zeit, als die meisten Bauern noch feuchte Augen bekamen, wenn sie eine neue Maschine in ihren Fuhrpark stellen durften. Damals habe auch der eifrige Einsatz von chemischen, systemischen Pflanzenschutzmitteln und Mineraldüngern im Weinbau begonnen; als man glaubte, man könne damit die Natur beherrschen. „Natürlich haben wir das auch eine Zeit lang probiert, aber schnell gemerkt, dass es Unfug ist, einen vorgegebenen Spritzplan der Agrochemiefirmen zu befolgen, um auf Nummer sicher zu gehen.“ Triebaumer habe begriffen, dass dies für ihn nicht der richtige Weg sein könne und sei wieder umgekehrt. Von da an habe er sich nur mehr auf seinen Instinkt verlassen, alles hinterfragt und aus den Fehlern der anderen gelernt. Er sei vom Wein-Macher wieder zum Wein-Bauern geworden.

Viele seiner Entscheidungen traf Ernst Triebaumer entgegen gängiger Überzeugungen: Als er 1971 den Betrieb übernahm, setzte er auf den Blaufränkisch, eine Rebsorte, von der damals niemand etwas wissen wollte. Sein Vater habe aber schon immer gepredigt: „Etwas Besseres als den Blaufränkisch werden wir hier nicht finden!“

Triebaumer war dann auch der Erste, der Blaufränkisch sortenrein abgefüllte. „So mancher heimische Verkoster hat sich damals noch geweigert, österreichischen Rotwein zu trinken – in ein Glas Blaufränkisch hätten sie nicht einmal ihre Nase gesteckt!“, amüsiert er sich.

Sein Plan ging auf, mit dem Mariental wurde er mit einem Schlag bekannt. Der Erfolg kam zum richtigen Zeitpunkt.

Bevor der österreichische Weinskandal aufflog, kämpfte der Betrieb mit ökonomischen Problemen: „Wir hatten schon einen Exportmarkt aufgebaut, doch dann wurden die Weine rundherum immer billiger“, erinnert sich Ernst Triebaumers Frau Margarethe. „Mit den Spottpreisen der gepanschten Weine konnten wir einfach nicht mithalten und verloren viele Kunden.“ Nach dem Weinskandal habe dann ohnehin jeder einen weiten Bogen um österreichischen Wein gemacht.

Das war auch der Grund, warum man alle vier Kindern ein Handwerk erlernen ließ: vom Tischler über Elektriker und Koch bis hin zur Landschaftsgestalterin. Vielleicht ermöglichte ihnen diese Entscheidung des Vaters immer wieder, über den Tellerrand zu schauen, mutiger zu denken.

Ernst Triebaumer war jedenfalls schon immer ein Visionär. Als er vor dreißig Jahren den legendäre Mariental kelterte, konnte man den heute so abgenutzten Begriff „Terroir“ noch nicht einmal buchstabieren. Und doch hat er genau das gemacht: einen Wein aus einer Einzellage, der seine Herkunft zeigt.

Später dann, in den 1990er Jahren, als das so genannte „Österreichische Rotweinwunder“ ausgerufen wurde, setzten viele auf samtweiche Granaten internationaler Stilistik. Weine, wie sie dem Kritikerpapst Robert Parker gefielen. Ernst Triebaumer konnte dem nichts abgewinnen: „Wir werden noch lange brauchen, bis wir das, was ein Parker angerichtet hat, wieder repariert haben!“, urteilt er scharf.

Der Versuchung, weichgespülte Fruchtkonzentrate zu schaffen, konnten die Triebaumers immer widerstehen. Solche „Bleamerl-Weine“, wie Ernst Triebaumer sie nennt, hätten sie nie interessiert – damals wie heute nicht. Ihre Weine brauchen Zeit, bis sie verstanden werden; in der Jugend sind sie ungezähmt und kratzbürstig wie Wildkatzen. Auf eine wohltuende Weise ist die ganze Familie unmodisch: sich keinem Trend unterwerfen, immer selbst die Gangart vorgeben, sich nie dreinreden lassen.

Selbst zum aktuellen Thema Orange- und Naturweine leistete bereits Paul Triebaumer, der Bruder von Ernst, seinen Beitrag: Mitte der 1980er Jahre kelterte er bereits maischevergorene Weißweine mit geringen Schwefelmengen. Vor zehn Jahren probierten es dann auch seine Neffen. Unter dem Namen „Urwerk“ ist jetzt nach langer Prüfung eine Serie Weißweine und ein Blaufränkisch ohne Schwefelzugabe auf den Markt gekommen. Die Weine sind frei von jeglichen Manipulationen und Zugaben. Weil es so wenige sind, werden sie auch gleich händisch auf die Flasche gezogen. So wie früher eben. Das ist eines der wenigen Projekte, die man nicht mit dem Vater im Vorfeld diskutierte. Man entschied sich, ihn lieber vor vollendete Tatsachen zu stellen. Und die Tatsachen überzeugten ihn.

Es sind tiefdringende Weine. Weine, die öffnen und das Triebaumer’sche Denken erst verständlich machen – ihre Visionen und Träume von einer besseren Welt, die hier so greifbar erscheint.

Und dann kommt er, der Mariental 2013 – und plötzlich ist sie für einen Augenblick da, die bessere Welt. Vielleicht ist es auch nur ein Wein von einem anderen Stern.