Einfach kompliziert

Leise, fast unmerklich hat sich Hannes Schuster an die Spitze heimischer Produzenten gehievt. Mit seinen zartgliedrigen Sankt Laurent beweist er, dass die unterschätzte Sorte das Zeug zum großen Wein hat.

Text von Christina Fieber · Fotos von Moritz Schell

Hannes Schuster ist nicht gerade das, was man ein Marketinggenie nennt. In einer Zeit, in der jeder versucht, laut auf sich aufmerksam zu machen, ist das überaus ungewöhnlich. Verkostet man die Weine, hat man das Gefühl, von ihm genau beobachtet zu werden, als wolle er einschätzen, ob man überhaupt bereit sei, sich darauf einzulassen. Es sind Gewächse, ebenso zurückhaltend wie er selbst. Man muss sie erst wahr-nehmen unter all dem Lärm.

Noch dazu hat sich der Winzer auf eine Rebsorte konzentriert, die hierzulande nie wirklich beachtet wurde: Sankt Laurent – eine leise Sorte, die immer im Schatten ihrer berühmten Schwester Pinot noir stand. Sie gilt als schwierig und verlangt Aufmerksamkeit. Als minderwertiger Pinot noir eingestuft, führt sie ein Schattendasein. Gerade einmal eine Handvoll Winzer nimmt sich ihrer ernsthaft an. Einer der Ersten war Josef Umathum, der vor zwanzig Jahren das Potenzial von Sankt Laurent erkannte. Auch wenn Schuster sagt, zufällig auf die Sorte gestoßen zu sein, war es vermutlich Schicksal: Die beiden haben sich gefunden. Er und der Sankt Laurent. Niemand könnte das Wesen der verschmähten Rebsorte besser verstehen als der tiefsinnige Winzer.

Freilich hat es ein paar Umwege gebraucht. Nur der Unbeirrbarkeit des Winzers ist es zu verdanken, dass sich der Betrieb mit der Fokussierung auf Sankt Laurent ein unverwechselbares Profil geschaffen hat. Bekannt wurde das Weingut seiner Eltern mit samtigen Cuvées: Ihr C.M.B., eine Cuvée aus Cabernet, Merlot und Blaufränkisch, war eine Ikone. C.M.B. ist Teil unserer Geschichte, das war halt die Stilistik damals“, meint Hannes Schuster, „heute finde ich das langweilig.“

In den 1990er Jahren erreichte der Boom um opulente Blends aus internationalen Rebsorten bei uns den Höhepunkt. Niemand wollte etwas wissen von heimischen Sorten, sie galten als hoffnungslos vorgestrig. Man orientierte sich an der großen weiten Weinwelt und versuchte, alles ­zwischen Bordeaux und Kalifornien zu kopieren, was schnellen Erfolg versprach. Mit oft gnadenlosem Barrique-Einsatz. „Es hat im Vergleich zu Bordeaux nichts gekostet, aber auch nach Holz geschmeckt“, resümiert Schuster.

Auch wenn der Betrieb immer schon Blaufränkisch produzierte, letztlich verschwand er in den Cuvées. Den jungen Winzer hat das zunehmend gestört. 2000 beschloss er dann, eigene Fässer unabhängig vom Weingut der Eltern auszubauen, zuerst Weißweine, bis ihm zufällig alte Sankt-Laurent-Lagen in die Hände gefallen sind. Ein Schatz, wie sich später herausstellen sollte. Damals wollte die keiner haben: Der Aufwand mit der heiklen Sorte erschien den meisten zu mühsam.

Schuster schreckte das nicht ab. Im Gegenteil: Jetzt begann ihn das Vorhaben erst zu reizen. Daheim wurde nie Sankt Laurent produziert. Sollte das Unternehmen also schiefgehen, würde es niemandem auffallen. Das überzeugte auch seine Eltern. Von da an ging er auf die Jagd nach entsprechenden Lagen – allein das war nicht so einfach: Man erklärte ihm, er sei dreißig Jahre zu spät, man habe längst alles ausgerissen und dafür lieber Zweigelt gepflanzt, das bringe sichere Erträge und hohe Zuckerkonzentration, sprich alkoholreiche Weine.

Mit Sankt Laurent war kein Staat mehr zu machen.

Den Winzern, die ihn noch ausbauten, geriet er oft zu üppig: Um hohen Zucker zu erzwingen, wurde er spät gelesen und dann im Keller zurechtgetrimmt. „Mit Sankt Laurent hat das alles nichts zu tun!“, glaubt Schuster. Seine Vorstellung der Sorte geht in die entgegengesetzte Richtung: Er will die Feingliedrigkeit hervorheben. Keiner seiner Sankt Laurent hat mehr als 12,5 Prozent Alkohol. „Wir lesen nicht nach Graden, sondern kosten vor der Ernte unentwegt die Trauben – ob sie schmecken, ob sie vollständig reif sind“, erklärt er, „das ist anstrengend und zeitauf­wendig, aber nur so kann man ihre Entwicklung exakt feststellen.“ Der Sankt Laurent Donnerskirchen 2014 ist im Weinguide A la Carte 2017 mit 97 Punkten gar der höchst bewertete Rotwein der Testsaison.

Er wolle reife, aber keineswegs überreife Trauben. Überladene, welke Weine interessieren ihn nicht. Sein Sankt Laurent 2015 ist frisch, mit dezenter kühler Frucht und erstaunlicher Spannung. Einstiegswein ist das keiner mehr. Man ist gleich mitten drin. Das Verhältnis zum Sankt Laurent bezeichnet er als Hassliebe. Als schwierig habe er ihn dennoch nie empfunden. Er sei halt unberechenbar: Geht es in Richtung Lese, ist Vorsicht geboten, denn die Trauben der empfindsamen Sorte platzen schnell, vor allem nach Regen. „Man geht durch die Weingärten, und alles schaut super gesund aus, man freut sich auf die Ernte, und drei Tage später ist es zum Davonrennen“, erzählt er. Dann ­werde es aufreibende Arbeit, die der Mannschaft alles abverlange. Sein Onkel verweigere hart­näckig, bei der Sankt-Laurent-Lese mitzuhelfen: Das Herumgefiesel sei ihm einfach nicht zuzumuten.

Trotzdem wollte Schuster nie Pinot noir produzieren oder gar stilistisch französische Burgunder imitieren, sondern etwas Eigenständiges schaffen. Etwas, das man nur hier machen könne. Aus einer Rebsorte, die ins Burgenland passt: dem Sankt Laurent. Pinot noir ertrage die pannonische Sommerhitze nur schlecht, explodiert im Zucker, bevor er überhaupt physiologisch reif ist. Was herauskommt, sei letztlich ein träger Abklatsch französischer Burgunder.

Es scheint eine Mission zu sein: zu beweisen, dass aus Sankt Laurent großer Wein entstehen kann, wenn man ihn nicht verfälscht. Oder wie es Schuster nennt: ein „Entwicklungsprogramm“ mit dem Ziel, Sankt Laurent als eine Rebsorte zu präsentieren, die ihre Herkunft zeigt. Genau wie Blaufränkisch.

Als er vor mehr als zehn Jahren das erste Mal Moric Blaufränkisch von Roland Velich probierte, war das für ihn ein Schlüsselerlebnis: Weine ohne brachialen Holzeinsatz, die ihre Herkunft zeigten. Noch dazu aus dem Mittelburgenland. Velich wird dann auch eine Art Mentor für den damals blutjungen Winzer. Er bestärkt ihn, seinen eigenen Weg zu gehen, stellt ihm die richtigen Leute vor. Leute, die verstanden, was da Außergewöhnliches passierte, die auf der Suche nach Weinen waren, die ein wenig anders funktionieren als der Mainstream.

Im Ausland verbreitete es sich wie ein Lauffeuer, dass es da einen jungen Winzer gibt, der herausragende Weine macht – hierzulande konnte man sich lange nicht mit der subtilen Stilistik anfreunden: niedriger Alkohol, zurückhaltende Frucht, viel Boden – nicht jeder verstand die komplexe Einfachheit dieser Weine. „Am Anfang baten uns einige unserer Händler, neuen Wein zu schicken – sie waren davon überzeugt, die Lieferung sei kaputt“, erinnert er sich schmunzelnd.

Gemeinsam mit Roland Velich startete er dann vor zehn Jahren das Jagini-Projekt. Sie pachteten alte Blaufränkisch Weingärten in Zagersdorf, die gerodet werden sollten. Schnell wurde ihnen klar, dass sie ähnlich ticken: Beide besitzen einen Hang zum Herkunftsfetischismus. Jagini ist Zagersdorf pur – akribisch
herausgearbeitet. Mit Jagini wurde Hannes Schuster auch bei uns bekannt. Der Erfolg ermöglichte es ihm, stilistisch mit der Vergangenheit zu brechen: Das einstige Flaggschiff C.M.B. wurde endgültig eingestellt. Ein mutiger Schritt, der auch ein wirtschaftliches Abenteuer bedeutete. Aber um schnelles Geld ging es im Weingut Schuster ohnehin nie.

Von nun an setzte er auf radikalen Purismus. Nichts durfte mehr den Ausdruck der Herkunft verwischen. Der Name der Lage steht groß am Etikett, darunter deutlich kleiner die Rebsorte. So wie es sein Großvater noch gemacht habe.

Im Weingarten arbeitet Schuster biologisch, im Keller zurückhaltend. Außer geringen Schwefelmengen wird nichts zugesetzt. Viel Aufheben macht er darum allerdings nicht. Für ihn ist es offensichtlich eine selbstverständliche Voraussetzung, um Weine abzufüllen, wie sie ihm vorschweben. Herbizide oder Insektizide habe man ohnehin nie verwendet.

Dass das Weingut auch herausragende Blaufränkisch und seit zwei Jahren auch wieder Weißweine produziert, wird noch wenig beachtet. Er selbst wird es voraussichtlich auch niemandem verraten.

Dabei ist Hannes Schuster keineswegs schüchtern, er vertritt kritische Ansichten und positioniert sich ohne Rücksicht auf Verluste. So hat er seinen Zweigelt vor Kurzem in „Rotburger“ umbenannt, wie die Sorte ursprünglich hieß. Die problematische Rolle von Fritz Zweigelt im Nationalsozialismus habe ihn dazu bewogen.

Sein Meisterstück sind sicher die beiden Sankt Laurent Donnerskirchen und Zagersdorf. Gemeinsam ist ihnen eine leise strömende Ausdruckskraft und Tiefe. Ansonsten könnten die beiden Weine nicht unterschiedlicher sein: Donnerskirchen 2015 ist von Schiefer- und Kalkböden geprägt – vibrierend, roh-fleischig, die vollkommene Balance zwischen dunkler Frucht, Tanninen und Gestein. Er bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen Reife und Überreife, lotet die Grenzen aus, kippt aber nie.

Zagersdorf 2015 ist kühler, noch fokussierter. So zartgliedrig, dass er sich beinahe entzieht. Die Wurzeln der alten Rebstöcke dringen tief durch die schweren Lehm-Tonböden bis zum Kalk. Konzentrierte Finesse. Einfach komplizierte Weine.

Auch wenn Hannes Schuster glaubt, noch am Weg zu sein, ist er angekommen. Am Ursprung.

Weingut Rosi Schuster
Prangergasse 2, 7062 St. Margarethen
Tel.: 0650/979 99 90
www.rosischuster.at