Entwurzelt

Erderwärmung, Wetterschwankungen, Starkregen oder Hagel sowie lange andauernde Trockenheit bewirken, dass in einer wachsenden Zahl an Wein- baugebieten mit dort ungewohnten Sorten experimentiert wird. In Österreich halten sich Interesse, aber offenbar auch Bedarf, bislang noch in Grenzen.

Foto von Jeff Pachoud/AFP/picturedesk.com
Text von Georges Desrues
Vor allem in nördlichen Weinbaugebieten kommt es wegen des Klimawandels immer öfter zu frühen Blütephasen, aber häufig auch zu Frühjahrsfrost, der die Pflanzen gefährdet. Gegen ihn müssen die Winzer ­ankämpfen, wie hier in der Burgund.

Es ist Anfang April – und das zweite Jahr in Folge, in dem Frühjahrsfrost im Burgund die Reben in den Wein­bergen bedroht. „Wir verbrachten wieder einmal ein paar schlaflose Nächte, in denen wir ausrücken mussten, um mit großen Kerzen und Holzfeuer den Frost zu bekämpfen“, erzählt Pierre Vincent. Ganz so schlimm wie im Jahr 2021 sei es allerdings nicht gekommen, betont der Direktor der Domaine Leflaive in der für Weinkenner geradezu mythischen Ortschaft Puligny-Montrachet.

Damals, im Vorjahr, büßten die Winzer in der Region ­zwischen 50 und 80 Prozent ihrer Ernte ein. Dass der Schaden heuer, zumindest nach diesem ersten Frühjahrsfrost, ­geringer ausfallen wird, liegt daran, dass bislang nur der Weißwein ausgetrieben hat. Um ihn zu schützen, brannten in der kältesten Aprilnacht, die in Frankreich seit 1947 gemessen wurde, etliche Feuer in prestigereichen Weinbergen mit klingenden Weißweinnamen wie Montrachet, Meursault und Chablis. Der Pinot noir indessen, das rote Aushängeschild der Region, hatte noch nicht ausgetrieben und blieb folglich verschont. Vorerst – denn gebannt war die Gefahr des Frühjahrsfrosts Anfang April noch nicht.

Im Durchschnitt 5.000 Euro pro Hektar kostet die ­Winzer der Einsatz von Frostschutzmitteln wie besagten Kerzen und Feuern, aber auch von Propeller-Ventilatoren und Hubschraubern, um die warme Luft zu verteilen, oder das Besprühen der Pflanzen mit Wasser, um sie mit einer Schicht Eis zu schützen. Dennoch werden die Maßnahmen alle Jahre mehr zur Routine in dieser Region, die zu den nördlicheren Weinbaugebieten Frankreichs zählt; und die ungefähr zwischen den gleichen Breitengraden liegt wie einige österreichische Weinbauregionen.

Kein Wunder also, dass man, genau wie anderswo in Frankreich, auch im Burgund nach Lösungen sucht. Wie zum Beispiel nach ­alternativen Rebsorten, die man anbauen könnte. Eine Idee, die ­einem kleinen Erdbeben gleichkommt in der wohl konservativsten und traditionsbewusstesten unter den Weinbauregionen dieser Welt – und dennoch kein Tabu mehr ist.

So werden hier bereits seit einigen Jahren, wenngleich vorerst nur zu Versuchszwecken, Rebsorten angepflanzt, die eine Antwort sein könnten auf die Herausforderungen des sich verändernden Klimas. Solche also, die sich durch spätere Reifung, mehr Säure und weniger Zucker auszeichnen. Darunter etwa die Xinomavro, auch ­Mavro Naoussis genannt, eine für ihren hohen Säuregehalt bekannte Traube, die aus der griechischen Region Makedonien stammt. Vertrauter ist da schon die piemontesische Nebbiolo, mit der ebenfalls experimentiert wird und die schon bisher immer ­wieder als eine Art südländische Version der Pinot noir galt.

Auch bei den Weißen testet man zum Teil vergleichsweise Exotisches wie die gleichfalls griechische Traube Assyrtiko von der Ägäis-Insel Santorin. Oder man greift auf Naheliegenderes zurück, wie etwa auf die Savagnin aus der angrenzenden gebirgigen Region Jura, die die dominierende Sorte Chardonnay wenngleich nicht verdrängen, so zumindest ergänzen könnte. Wird man also auch bald in ­Österreich umdenken müssen und erleben, dass aus alteingesessenen Weinbauregionen nicht mehr dieselben Traubensorten und Weine wie bisher kommen?

Hans Reiner Schultz sieht diese Entwicklung nicht. Zumindest noch nicht. „Eher kann man sagen, dass Wein­regionen wie die deutschen, aber auch die österreichischen von der Klimaerwärmung eigentlich profitieren“, findet der Professor für Pflanzenbau und Präsident der Hochschule Geisenheim im hessischen Rheingau. Ein wärmeres Klima bedeute in Wahrheit vielmehr, dass man nun auch Sorten anbauen könne, und nicht müsse, die hier zuvor nicht heimisch waren. „Auch stellt sich die Frage, ob das überhaupt Sinn macht, da die meisten Regionen sich ja im Laufe der Jahre ihren Ruf als Weiß- beziehungsweise Rotweingebiete in Verbindung mit bestimmten Sorten aufgebaut haben; und Änderungen auch marktwirtschaftliche Folgen hätten“, so Schultz.

In diesem Bereich hätten es die französischen Regionen, wie das Burgund, aber vor allem Bordeaux oder Côtes du Rhône, wo traditionellerweise mehr auf Gebietsschutz gesetzt wird als auf Sortenreinheit, doch etwas leichter. „Bei Bordeaux und Côtes du Rhône fällt es vergleichsweise nur sehr geringfügig auf, wenn sie ungewohntere Sorten in ihre Cuvées mischen“, so der Professor. Und selbst im Burgund, wo man bei Rotwein zwar davon ausgeht, dass es sich um Pinot handelt und bei Weißwein um Chardonnay, greift man in der ­Regel ja eher zu einer Gebietsbezeichnung wie einem Gevrey-Chambertin oder einem Meursault. Im Bordeaux, einem Gebiet, das bekannt ist für sein feuchtes Klima und damit einhergehenden Problemen durch Pilzbefall und wo die Wein­reben eine weit größere Fläche einnehmen als im Burgund (120.000 zu 30.000 Hektar), wurden im Vorjahr gleich sechs neue Sorten für den Anbau zugelassen: Arinarnoa, Castets, Marselan und Touriga Nacio­nal bei den Roten, Alvarinho und Liliorila bei den Weißen. „Eine Anpassung der Anbaumethoden verschafft uns lediglich etwas Zeit gegenüber dem Klimawandel“, sagt Bernard Farges, Präsident der Bordeaux-Winzer und des Fachmagazins Terres des Vins, „aber das reicht nicht. Wenn wir nicht reagieren, verlieren unsere Weine bald die Typizität, für die sie bekannt sind.“ Was zum Teil am wachsenden Alkoholgehalt etwa des Merlot liege.

Diese Gefahr bestehe auch in Deutschland und Österreich, bestätigt Schultz. „Es ist weniger die fehlende Säure, die Probleme bereitet, sondern eher die Art der Reifung, die sich bei manchen Sorten in Zukunft vielleicht in eine andere Richtung entwickelt, als das bislang der Fall war“, sagt der Forscher. Dadurch könnten einige Sorten ein anderes Geschmacksprofil entwickeln. Welches das sein wird, könne man zum jetzigen Zeitpunkt kaum bestimmen. Denn wie sich die Pflanzen im Laufe der Zeit an die neuen Bedingungen anpassen würden, ob dann etwa ein Riesling noch so schmecken werde, wie man es von einem Riesling gewohnt sei, zeige erst die Zukunft. „Im Endeffekt kann man sagen, dass wir zwar wissen, was nicht möglich ist, aber nicht, was in den nächsten Jahren weiterhin möglich bleibt beziehungsweise möglich wird“, sagt Schultz.

So sieht das auch mancher heimischer Winzer. „Bisher haben unsere Sorten wenige Probleme mit dem wärmeren Wetter“, sagt etwa der Südsteirer Hannes Sabathi, „vor ­allem der Welschriesling profitiert mehr, als dass er leidet. Natürlich kann es auch bei uns zu Problemen mit dem Frost kommen. Allerdings blüht es hier dank kontinentalerem Klima und kalten Frühlingsnächten doch um einiges später als in Frankreich, weswegen die für uns kritische Phase nicht Anfang April, sondern erst Anfang Mai eintritt.“ So geschehen im Jahr 2016, als ein Kälteeinbruch im Mai einen Großteil nicht nur der steirischen Traubenernte vernichtete.

Auch Willi Bründlmayer vom gleichnamigen Weingut im Kamptal setzt bislang weniger auf neue Sorten als auf Maßnahmen, die helfen, die Temperatur im Weingarten zu senken, wie etwa Dauerbegrünung und Tröpfchen-Bewässerung. „Sowohl der Riesling als auch der Grüne Veltliner sind Sorten, die für wärmeres Klima extrem anfällig sind“, sagt Bründlmayer, „aber es sind auch jene, mit denen unsere Region am meisten verknüpft ist, weswegen es sich auszahlt, alles Mögliche zu tun, um ihre bekannten Charakteristiken zu bewahren. Und dazu zählen Frische und Säurespiel. Zumal der Trend ja schon seit einiger Zeit weggeht von alkoholhaltigen und üppigen Weinen, zu denen viele ,Smaragde‘ inzwischen zählen.“ Experimentiert wird aber auch am Weingut Bründlmayer. „Der Cabernet Franc zum Beispiel ist eine Sorte, die bei uns inzwischen wunderbar gedeiht“, sagt der Winzer, „genau wie der Chardonnay, bei dem der Konsument bereit ist, ein Grad Alkohol und etwas mehr Üppigkeit in Kauf zu nehmen.“ Ein wahrer Klimagewinner indessen sei der Pinot noir, den Bründlmayer bereits seit den 1980er-Jahren anbaut und der sich hier heute prächtig entwickle.

Gleichfalls eine Art „Klimagewinner“, betont Roland Velich vom Weingut Moric im für seine Rotweine bekannten Burgenland, sei der Blaufränkische. „Die Sorte kommt ziemlich gut mit all dem zurecht und ist gewissermaßen sogar ein Nutznießer der Situation“, sagt der Winzer aus Großhöflein. „Im Laufe dieses März hatten wir zwar einige sehr warme Tage, doch die ziemlich kalten Nächte sorgten dafür, dass die Reben im Winterschlaf blieben.“

Mehr als die Erwärmung, da sind sich Sabathi, Bründlmayer und Velich einig, seien es überhaupt Extremwetterlagen, wie etwa die lange Trockenheit, wie sie im vergangenen Winter herrschte, gefolgt von Intensivregen, der von zu trockenen Pflanzen und einem zu trockenen Boden nicht mehr aufgenommen werden könne. Eine Gefahr, die auch der Wissenschaftler Schultz als die wohl größte für die Weingebiete in Deutschland und Österreich bezeichnet. Nicht zuletzt wegen der wachsenden Bedrohung durch Pilzbefall.

„Darum denke ich, dass man, wenn man schon neue Rebsorten anbaut, vielleicht gleich auf PIWIs setzen sollte“, meint Schultz. Dabei handelt es sich um pilzwiderstandsfähige Sorten, die dank konventioneller Züchtung (also ohne Einsatz von Biotechnologie beziehungsweise Genmanipulation), und wie ihr Name verrät, weit we­niger anfällig sind für Pilzkrankheiten wie beispielsweise den gefürchteten Mehltau. Dadurch kann die Häufigkeit der Spritzungen mit Fungiziden reduziert und der Umwelt eine große Menge an Chemie erspart werden. Obendrein kann man dieserart auch den Einsatz von Kupferpräparaten verringern, um deren Anwendung auch biologische, biodynamische und sogenannte „Naturwein“-Winzer nicht umhinkommen. Und zwar, obgleich es sich bei Kupfer um ein Schwermetall handelt, das naturgemäß alles andere ist als eine Wohltat für Boden und Umwelt.

All das werde in naher Zukunft noch relevanter, betont Schultz, nämlich angesichts des sogenannten „Green Deals“ für eine nachhaltige, klimafreundliche Landwirtschaft, den sich die Europäische Union im Vorjahr auferlegt hat. Und der die Landwirtschaft in den Mitgliedsländern ab 2030 dazu verpflichten soll, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln um die Hälfte und von Düngemitteln um 20 Prozent zu reduzieren.

Doch von PIWIs halten weder Sabathi noch Velich sehr viel. „Aus ihnen kann man zwar anständige, aber keinesfalls große Weine ­machen“, sagt der Steirer. Während der Burgenländer überhaupt der Ansicht ist, dass sie keiner brauche, wie er sagt. „Oder aber sie finden in der industriellen Produktion Verwendung, wo naturgemäß die größten Mengen an Pflanzenschutzmitteln zum Einsatz kommen“, betont Velich. Bründlmayer ist da schon etwas aufgeschlossener. „Auf dem Gebiet wurden in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht“, sagt der Kamptaler, „inzwischen fehlt nicht mehr viel und man kann ihren Einsatz durchaus in Erwägung ziehen, wenn das der Umwelt hilft.“

Bis ins Jahr 2030 und der geplanten Umsetzung der EU-Richtlinien ist es jedenfalls nicht mehr weit hin. Ob bis zu dem Zeitpunkt ein Umdenken stattfinden wird – in der Landwirtschaft im Speziellen und im Weinbau im Spezifischen –, bleibt mehr als fraglich. Aber vielleicht geht letzten Endes dann doch alles viel schneller, als man glaubt. Dann nämlich, wenn auch der Markt nach mehr Umweltverträglichkeit beim Wein verlangt und diese Forderung nicht dem Gesetzgeber allein überlässt. Zumal dieser sich angesichts des Kriegs in der Ukraine und der damit einhergehenden befürchteten Lebensmittelknappheit plötzlich sowieso wieder mehr Zeit lassen will mit der Verordnung. —

Hans Reiner Schultz ist Präsident der Hochschule Geisenheim. Der Önologe und Pflanzenbiologe gilt als Fachmann im Bereich Weinbau und Klimawandel.
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„Bisher haben unsere Sorten wenige Probleme mit dem wärmeren Wetter.“
Hannes Sabathi
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Extremwetterlagen wie Trockenheit, gefolgt von Intensivregen, der vom trockenen Boden nicht mehr aufgenommen werden kann, bergen eine weitere Gefahr für den Wein: Pilzbefall.
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„Sowohl der Riesling als auch der Grüne Veltliner sind Sorten, die für wärmeres Klima extrem anfällig sind.“
Willi Bründlmayer
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„Blaufränkisch kommt ziemlich gut mit all dem zurecht und ist gewissermaßen sogar ein Nutznießer der Situation.“
Roland Velich
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