Feines vom Fuß der Berge

"Piemont" bedeutet wörtlich "Fuß des Bergs". Die Weinberge der im Nordwesten Italiens gelegenen Region liefern einige der feinsten Roten unseres südlichen Nachbarn.

Feines vom Fuß der Berge

Text von Michael Prónay Foto: Alexi Pelekanos
Italien ist nicht nur Herrn und Frau Österreichers liebstes Urlaubsland, sondern auch liebstes Weinland nach Österreich. Italien ist – gemeinsam mit Frankreich, je nach Jahrgang wechseln sich die beiden an der Spitze ab – das größte Weinbauland der Welt. Dass hier gelegentlich in krimineller Weise der wüsteste Schrott produziert wird, ändert aber nichts daran, dass aus Italien auch Weltklasse kommt. Traditionell und historisch sind’s zwei Regionen, die seit einem, wenn nicht bald zwei Jahrhunderten die grünweißrote Flagge hochhalten: die Toskana mit dem Chianti und das Piemont mit Barolo und Barbaresco als den bekanntesten Weinen.
Die Rebsorten Das Piemont als Rotweinland – wir lassen einmal die Weißen beiseite, die teils hochinteressant sein können, aber an die Toproten nicht heranreichen – weist interessanterweise Parallelen zum Rotweinland Österreich auf. Fangen wir bei der Basis an. Die heißt in Österreich Zweigelt (wenn wir einmal den Blauen Portugieser weglassen, den man praktisch nicht mehr sieht), im Piemont Dolcetto: ein unkomplizierter, jung zu trinkender Wein, der, ganz wie der Zweigelt, höchst selten Anspruch auf höhere Weihen stellt.
Darüber steht der Barbera, eine Rebsorte, die sich seit den 1980er Jahren im Umbruch befindet, dadurch durchaus dem Blaufränkischen vergleichbar. Barbera ist – nach Sangiovese und Montepulciano – die dritthäufigste Rebsorte Italiens, und dementsprechend weit gefächert sind die Qualitäten. Barbera ist das Arbeitspferd schlechthin im Piemont, dadurch dem Grünen Veltliner in Niederösterreich durchaus vergleichbar. Vergleichbar ist auch die Tatsache, dass man erst relativ spät draufgekommen ist, dass die Sorte wesentlich mehr kann, als man bisher angenommen hatte.
Barbera ist eine Rebsorte, die tiefdunkle, farbkräftige und säurereiche Weine mit eher moderatem Tanningehalt liefert, noch dazu relativ hochtragend, was bei hohen Erträgen den, sagen wir, doch eher rustikalen Einschlag deutlich verstärkt. Der erste, der das echte Qualitätspotenzial der Sorte erkannt hat, dürfte Bruno Giacosa gewesen sein; wir haben einen 1971er und einen 1979er, Ende der 1980er Jahre in Italien getrunken, in wunderschöner Erinnerung. Mit einem Schlag brachte allerdings ein weniger bescheidener Winzer die Sorte ins Bewusstsein der Weinfreunde: Der geniale, viel zu früh verstorbene Giacomo Bologna tat seinen besten Barbera ins Barrique, taufte ihn "Bricco dell’Uccellone" – und der Rest ist Geschichte.
Traditionell an der Spitze angesiedelt ist der Nebbiolo. Zitieren wir wieder einmal aus dem kundigsten Werk, Jancis Robinsons Oxford Wein-Lexikon: "Die große Rotweinrebsorte zeichnet für viele der feinsten und langlebigsten Weine Italiens verantwortlich. Sie ist in der Region Piemont im Nordwesten heimisch und dort die markanteste und vornehmste Traube. Angesichts der Qualität von Weinen wie Barolo und Barbaresco setzen Anbauer in aller Welt inzwischen große Hoffnungen in diese Rebe."
Als Ergänzung noch Michael Broadbent (in: Weine. Prüfen, kennen, genießen): "Nebbiolo könnte Anspruch auf die edelste Rotweintraube der Welt erheben, wenn sie andernorts auch angebaut würde."
Könnte man den Barbera vielleicht am ehesten mit dem Blaufränkischen insofern vergleichen, als dass er sowohl im klassischen Ausbau wie auch im neuen Holz sehr gute Ergebnisse liefert, wird’s mit dem Nebbiolo schwieriger. Der häufigste Vergleich ist der mit dem Pinot Noir (Blauburgunder), allerdings beschränkt sich diese Anspielung unserer Erfahrung nach einerseits eher auf die Launenhaftigkeit der Sorte (was ja schon die Tatsache beweist, dass von Top-Nebbiolos außerhalb des Piemont und der angrenzenden Lombardei nach wie vor nichts bekannt ist), andererseits auf die eher geringere Farbintensität beider Sorten. Bei Geruch und Geschmack wird’s schwierig. Zwar ist auch der Pinot – im Gegensatz etwa zu Zweigelt (Kirschen) oder Cabernet (Ribisel) – nicht leicht zu beschreiben, aber typische Pinots sind als solche sofort erkennbar. Selbst Altmeister Broadbent fällt außer Teer (haben wir selten gerochen) und Veilchen (nun ja) nichts ein. Dennoch: Ein großer Barolo oder Barbaresco ist durch und durch ein Klassiker und das ziemlich genaue Gegenteil eines Schmeichlers, was der Barbera wiederum durchaus sein kann, was aber nicht als Kritik gemeint sein soll.
Die Weine
Wir baten die uns bekannten Importeure um piemontesische Rotweine. Gut zwei Dutzend (genau: 25 Stück) wurden, wie immer blind, verkostet. Deutlich über die Hälfte der Weine (immerhin 14) konnten mit 90 Punkten ("ausgezeichnet") und darüber bewertet werden. Die italienischen weinrechtlichen Begriffe DOCG (Denominazione di Origine Controllata e Garantita bei Barolo und Babaresco) sowie DOC (Denominazione di Origine Controllata bei den anderen Herkünften, siehe Kasten) haben wir weggelassen.

Die Bewertung

95 2003 Bric Turot Barbaresco, Prunotto 14%, NK, Vinorama € 41,90
Wunderbar klassische Piemontnase, Rum-Kokos und Weihrauch, auch ein Hauch Cola-Fläschchen; herrlich klare, saftig-unprätentiöse Frucht, auch ein Hauch Lorbeerblatt, gutes Tannin, Zukunft, toller Stoff.
94 2004 Alfiera Barbera d’Asti Superiore, Marchesi Alfieri 14%, NK, Wagner € 27,90
Schwarzviolett; sehr moderne, dichte Rumpflaumen-Beefsteak-Nase; saftiger Biss, wiederum modern gestylt, aber mit allem, was ein großer Wein braucht: Saft, Kraft, Extraktsüße, toller Stoff.
94 2004 Barolo Arborina, Mauro Veglio 14,5%, NK, Vino Vino € 36,–
Feine, reife Vanillenase, zarter Rumtopf, wunderschön eingebunden; am Gaumen mit einem Hauch Milchschokolade glänzend, herrlich ziseliert, bei aller Kraft auch hochelegant, geschmeidig, ganz toll.
93 2004 Martinenga Barbaresco, Marchesi di Gresy 13,5%, NK, Vini Mascoli € 37,50
Erste Flasche Kork. Wunderschön klare, klassische Nase, Piemont, wie es leibt und lebt; extraktsüß und herrlich fruchtbetont, weich, fast pinotig, feiner Glanz, herrlicher Stoff.
92 2004 Roscaleto Barbera d’Alba, Enzo Boglietti 14%, NK, Vino Vino € 21,–
Feine Nase, Kirschen, Zwetschken, auch Wildbret, dazu auch rote Ribisel; saftig-feine, vielschichtige Fülle, feine Schokoelemente, wunderschöner Stoff, ganz ausgezeichnet.
91 2004 Barbera d’Alba Ciabot du Re, Fratelli Revello 15%, NK, Pfeiffer € 20,28
Saftig-dichte Dunkelfrucht, auch ein Hauch Rumtopf; am Gaumen saftig und reif, Lakritze und feine Schokoelemente, feines Spiel aus Schmelz, Frucht und Säure, ausgezeichnet.
91 2003 Barbaresco Palazzina, Montaribaldi 14,5%, NK, Englitsch € 21,–
Feine, wunderschön ätherische Nase, sehr klassisch, Jod und Waldboden; herrlich dichte Frucht, viel Substanz, schiebt richtiggehend an, toller Stoff, Zukunft.
91 2004 Buio Langhe, Enzo Boglietti 14%, NK, Vino Vino € 26,–
Ein wenig verhalten wirkend, dahinter feiner Rumtopf und Liebstöckel; saftig-feste Fülle, dicht und knackig, viel Gerbstoff im Ausklang, gesicherte Zukunft.
91 2003 Barolo, Fratelli Revello 15%, NK, Pfeiffer € 26,28
Eher verhalten, zarte rote Rüben, Jod, Grüntee, eher ätherische Würze, fast harzig; kernig-straffer Tanninbiss, dazu aber auch attraktive Frucht, kühl wirkend, individuell und fein.
91 2004 Barolo, Parusso 14%, NK, Vini Mascoli € 30,60
Erste Flasche Kork. Saftige, feine fleischige Dunkelfruchtnase; am Gaumen wunderschön frisch und jugendlich, fast ungestüm, aber mit Luft sich sehr glättend, hübscher Kontrast aus Frucht, Fülle und Säure, sehr fein.
91 2003 Barolo, Andrea Oberto 14,5%, NK, St. Pierre € 33,50
Oxidiert und deutlich flüchtig. Die zweite Flasche klassisch, dazu Walnusslaub und feine Tiefe; schöner, sehr klassischer Fruchtglanz am Gaumen, sehr lebendig, frisch, jugendlich, schönes Potenzial.
91 2004 Lessona DOC Proprietà Sperino, de Marchi
13%, NK, Vergeiner € 38,90 (Nebbiolo/Vespolina) Hübsche Nase, Blüten, Veilchen und Nelken, der Nebbiolo kommt sehr deutlich; saftig-feine, wunderschön ziselierte Frucht, feine Würze, individuell und fein.
90 2006 Barbera d’Alba, Fratelli Revello 14,5%, NK, Pfeiffer € 9,12
Saftige, saubere Kirsch-Dunkelfrucht, ein wenig spritzig wirkend; herzhaft-jugendliche, frische Fülle, saftig und pfiffig, hat auch Finesse und Länge, der Alkohol gut eingebunden, sehr fein.
90 2006 Mompertone, Monferrato DOC, Prunotto 14%, NK, Vinorama € 14,40
Eher zarte Nase, ganz zarte Dunkelfrucht und ein Hauch Milchschokolade; geht unglaublich auf, Rosmarin, roter Pfeffer, saftiger Gusto, ausgesprochen animierend, sehr interessant.
89 2004 Barolo Patres, San Silvestro 13,5%, NK, Metro € 12,35
Deutlich strenger als die Barberas, Jod, Liebstöckel, auch ein Hauch Seetang, sehr individuell; feine Fülle, fast pinotig-transparent, gutes Tannin, fein.
89 2004 Costamiòle Barbera d’Asti, Prunotto 14%, NK, Vinorama € 31,90
Dezent-reife, dunkle Beerenfrucht; herzhafter Biss, hübsche Frucht, recht vordergründige Säure, die vor allem im Abgang die Harmonie ein wenig stört.
89 2003 Barolo Prapò, Germano Ettore 14%, NK, Wagner € 34,90
Eher dezente Nase, zart, Hauch Jod; am Gaumen straffe, klassische Dichte, deutlicher Gerbstoff, gute Ansätze, aber im Moment noch recht unrund, abwarten.
88 2005 Barbera d’Asti Il Pozzo 12,5%, PL, Metro € 1,91
Zarte Kirsche und ein Hauch von Blüten; hübsches Marzipan, auch ein Hauch von Kirschkernen, ausgesprochen süffig – wenn der Preis stimmt, dann ist’s eine echte Sensation.
88 2006 Barbera d’Alba Laura, Pincipiano Ferdinando 13,5%, NK, Vino Vino € 14,–
Zarte Kirsch-Zwetschken-Frucht mit dezent unterstützendem Holzeinsatz, zarte Vanille; herzhafter Biss, knackige Säure, frisch, braucht noch ein wenig.
88 2001 Fondo Prà Barbera d’Alba, Gianluigi Lano 14%, NK, englitsch € 15,–
Unglaublich dunkel und tief für das Alter; auch die Nase völlig jugendlich und zeitlos-dunkelfruchtig; mürber Gerbstoff und dezente Extraktsüße, trocken ausklingend.
88 2001 Roero Superiore, Giacomo Vico 14%, NK, englitsch € 15,–
Hübsche Würze, aber die Frucht lässt ein wenig aus; hübsch kompakte Struktur, nur der Gerbstoff ist etwas deutlich präsent, vor allem im Abgang.
88 2000 Barolo Riserva Villa d’Elsa 13,5%, NK, Metro € 17,76
Eher zarte Nase, Jod, Seetang, auch Toastbrot, dazu ganz zart flüchtige Elemente; knackig, klassisch, gerbstoffig, ganz typisch ein Wein für die Tafel, nicht für sich allein.
87 2004 Barolo San Giovanni, Gianfranco Alessandria 14,5%, NK, Vino Vino € 45,–
Hübsche Konzentration, aber dahinter sticht die flüchtige Säure doch merklich; saftig-dichte Frucht, ungemein präsent, aber dennoch nicht ganz klar.
86 2003 I Tre Vescovi Barbera d’Asti Superiore, Viticultori di Vinchio – Vaglio Serra 13,5%, NK, Vinoteca di Vienna € 8,40
Feine Dunkelfruchtnase, reif, Rum-Kokos, feines Holz und auch ziemlich tief; knackig-fester Fruchtbiss, straffe Säure, im Abgang deutlich scharf ausklingend.
84 2003 Barolo Vigna Rocche, Andrea Oberto 14,5%, NK, St. Pierre € 45,–
Deutlich azetonig, UHU lässt grüßen; am Gaumen schon recht weit entwickelt, hat Substanz und Stoff, ist aber hintendrein scharf und etwas diffus, beide Flaschen gleich.

Herkünfte und Rebsorten für Rotweine

Barbera d’Alba 70.000 hl, aus der Provinz Cuneo; rot; Barbera.
Barbera d’Asti 150.000 hl, aus den Provinzen Asti und Alessandria; rot; Barbera.
Barbaresco 20.000 hl, aus vier Gemeinden (inklusive der namensgebenden) der Provinz Cuneo; rot; Nebbiolo.
Barolo 60.000, aus 11 Gemeinden (inklusive der namensgebenden) der Provinz Cuneo; rot; Nebbiolo.
Langhe 65.000 hl in der Provinz Cuneo; weiß, rot; Dolcetto und Nebbiolo.
Lessona 180 hl in der gleichnamigen Gemeinde in der Provinz Biella; rot; Nebbiolo mindestens 75%.
Monferrato 50.000 hl, aus den Provinzen Alessandria und Asti; weiß, rosé, rot; hauptsächlich Barbera und Dolcetto.
Roero 25.000 hl, aus 19 Gemeinden der Provinz Cuneo; weiß (auch schäumend), rot; Nebbiolo.

Die Jahrgänge
2000 sehr gut bis ausgezeichnet
2001 ausgezeichnet
2002 schwach
2003 sehr gut, wenn auch ungleichmäßig
2004 ausgezeichnet
2005 sehr gut, früh antrinkbar
2006 sehr gut