Feuer und Eis

Jeder Jahreszeit ihr Bier. Und ja, wenn es draußen dunkel ist, der Schneesturm bläst und drinnen der Kamin knistert, dann darf auch ein Bier ein bisschen sein wie ein Portwein. Oder ein Whisky. Oder eine Feuerzangenbowle …

Text von Florian Holzer FotoS: BeerLovers (3), Brauerei Hofstetten, Brew Age, Schiffner

Es ist wahrscheinlich irgendein Urmenschen-Gen, das uns sagt: Draußen ist es heiß und hell, deswegen willst du jetzt ein spritziges, herb-bitteres Pils, und jetzt ist es draußen finster und kalt, deshalb hast du nun Lust auf ein dunkelbraunes, eher malzbetontes Bier mit ein bisschen mehr Alkohol drin.

Wobei uns dieses Urmenschen-Gen auch wissen ließ, was „ein bisschen mehr Alkohol“ beim Bier bedeutet, nämlich sechs Prozent, klassischer Weihnachtsbock halt, oder, wenn’s sein muss, ein Doppelbock mit noch ein bisschen mehr, sieben, acht, meine Güte sollen es halt auch mal neun Prozent sein. Jenseits dieser magischen Grenze hatte Bier seltsame Namen wie Salvator, Kulminator oder Samichlaus und diente in erster Linie dazu, gegenüber Freunden Mut und Trinkfestigkeit zu beweisen oder dem Abend einen ­endgültigen Schlusspunkt zu versetzen. Aus Spaß und des guten ­Geschmacks wegen trank man diese „stärksten Biere der Welt“ nicht, so finster und kalt konnte es draußen gar nicht sein.

Nur: Das ist lange her, die elf Volumprozent des über Jahrzehnte hinweg berühmt-berüchtigten „EKU28“ alias „Kulmbacher Kulminator“ und sogar die vierzehn Prozent des mystischen Starkbiers „Samichlaus“ der Eggenberger Brauerei aus Vorchdorf rangieren in einem heutigen Starkbier-Ranking nicht einmal mehr unter „ferner liefen“. Mit den Barley Wines oder Triples und Quadrupels nach Vorbild der Trappistenbiere erreichen und überbieten Mitglieder der Craftbeer-Familie diese einstigen ­Limits locker – und schmecken dabei auch noch richtig gut.

Die Methode, um Bier so richtig stark werden zu lassen, funktioniert – passend zur Jahreszeit – mit Eis. Und zwar durch Ausfrieren des Wassers. Ähnlich wie beim Eiswein, bei dem man sich zu Nutze macht, dass Wasser eher friert als hoch konzentrierter Traubenmost, allerdings mit dem Unterschied, dass beim Bier das fertig vergorene und gebraute Getränk von Wasser befreit wird. „Eisbock“ nennt man derartig konzentrierte Biere, in Österreich ein absolutes ­Nischenthema, gerade die Mohrenbrauerei stellt im Februar eines her, und – wieder einmal – Peter Krammer von der Brauerei Hofstetten hat sich damit ebenfalls einen Namen gemacht. Wobei der Wunsch danach erst 2010 von seinem amerikanischen Importeur kam, erzählt Krammer, und er also einen doppelwandigen Biertank, der auch sonst zur Bierkühlung verwendet wird, mit Glykol beschickte, so auf minus 18 Grad kühlte und seinem Granitbock auf diese Weise etwa ein Drittel des Wassers entfernte. Ergebnis: 11,5 Prozent Alkohol.

2010, das war das Jahr, in dem das Interesse an Eisbock-Bieren und Alkohol-Rekorden plötzlich dramatisch zunahm, und das wiederum lag an einem kuriosen Wettkampf zwischen einer schottischen und einer deutschen Brauerei: Ungefähr zu dieser Zeit verspürte Georg „Schorsch“ Tscheuschner, Besitzer und Braumeister des im Jahr 1996 im fränkischen Gunzenhausen gegründeten Schorschbräu, die Ambition, sich den Titel des stärksten Bieres der Welt zu holen beziehungsweise ihn dem Berliner Brauhaus Südstern, das 2009 einen Mega-Eisbock mit 27,6 Prozent gebraut ­hatte, abzuluchsen. Der schon zuvor auf Starkbiere spezialisierte Franke konzentrierte einen Eisbock bis auf 31 Prozent Alkohol. Tscheusch­ner schaffte das durch die Kombi­nation diverser Verfahren wie langes Kochen der Würze, um schon einmal die Ausgangs­basis des Bieres so stark wie möglich zu konzentrieren, durch ­Verwendung leistungs­fähiger Weinhefen und schließlich durch mehrmaliges ­Ausfrieren.

Das wiederum rief die schottischen Brauer von BrewDog auf den Plan, die ein sehr lustiges Video drehten, Schorsch Tscheusch­ner mehr oder weniger den Krieg erklärten und ihrerseits einen Eisbock namens „Tactical Nuclear Penguin“ mit 32 Prozent herausbrachten. Tscheuschner reagierte mit 40 Prozent, worauf James Watt und Martin Dickie ein Bier brauten, das „Sink the Bismarck“ hieß, 41 Prozent ­Alkohol hatte und wieder von einem schon eher gehässigen (aber sehr lustigen) Video begleitet wurde. Der nächste „Schorschbock“ kam auf 43 Prozent, BrewDog antwortete mit einem multipel ausgefrorenen Bier namens „End of History“, das zu 55 Prozent aus Alkohol bestand und in Flaschen, die in ausgestopften Eichhörnchen und Hermelinen steckten, gefüllt war. Tscheuschner brachte es seinerseits noch auf 57 Prozent, als dann aber Vorwürfe laut wurden, dass die Schotten mit Whiskey-Zugabe schummeln und außerdem nicht so wie seine nach deutschem Reinheitsgesetz gebraut würden, war es auf einmal nicht mehr lustig. Abgesehen davon, dass es sich da schon um Biere handelte, die kaum mehr zu trinken und eigentlich nicht mehr als Bier zu erkennen waren und außerdem ein paar hundert Euro pro Flasche kosteten.

Mittlerweile wird der Wettkampf übrigens von anderen Schotten, der Brauerei Brewmeister, und der niederlän­dischen Brauerei t’Koelschip ausgetragen. Der aktuelle Stand des stärksten Bieres der Welt liegt bei 70 Prozent. Auf die Frage, ob ihn das reizen würde, da mitzuspielen, meint ­Peter Krammer: „Nein, das sind Liköre, das hat mit Bier nichts mehr zu tun, da wollen wir nicht mitmachen.“

Und nun zur anderen Variante, ein Bier winterlich zu machen: mit Glut nämlich. „Bierstacheln“ nennt sich ein alter Brauch, der angeblich aus der Schmiedezunft kommt, erklärt Biersommelier Karl ­Zuser. Daraus resultierte, dass die Schmiede des Winters ihr Bier vor dem Einfrieren zu bewahren versuchten, ­indem sie glühende Schürhaken hineintauchten.

Jahrzehntelang wurde das höchstens noch bei Weihnachtsbock-Anstichen und Eisstock-Bewerben praktiziert, jedenfalls immer eher von Männern mit dunkelgrünen Filzhüten. Mit zunehmendem Bier-Interesse werde aber auch derartiges Brauchtum wiederentdeckt werden, erklärt Zuser, weil es natürlich durchaus Event-Charakter habe. Das „Stacheln“ diene übrigens nicht dazu, das Bier anzuwärmen, sondern es zu verändern, zu bereichern, erfährt man: Durch das kurze Eintauchen des Bierstachels in den Bierkrug entweicht viel CO2, es bildet sich zusätzlich Schaum und Malz und Restzucker karamellisieren, „es wird ein völlig anderes Bier“. Dementsprechend eignen sich dafür Brauwerke, die mit reichlich Extrakt und Restzucker ausgestattet sind, also zum Beispiel Eisböcke, wenn wir schon dabei sind. Alles Hopfenbetonte gehe gar nicht, auch beim Weizenbier sei der ­Effekt gering, so der Biersommelier. Bierstachel-Gerätschaften könne man übrigens im Fachhandel oder über den Onlineversand beziehen, er bekomme zwar zahl­reiche Anfragen, verrät Zuser, sein Bierstachel – ein ­Vierfach-Exemplar, dass kontinuierliches Stacheln und Wiedererhitzen ermöglicht – sei aber eine individuelle Sonderanfertigung. Und bei seinem „Granitbock Ice“ habe man sogar ­beides auf einmal, meint Peter Krammer, denn der werde nicht nur ausgefroren, sondern zuvor auch noch mit ­glühend heißen Granitblöcken versetzt.

Schorschbock Eisbock 2014, Eichenfass-gereift, 34 % 10/10
Bei diesem Bier, das mit Siegelwachs verschlossen und mit einem kleinen ­Leder-Label ausgestattet ist, liegen wir preislich schon bei € 46,35 für 0,2 Liter. Nur: Es ist super. Das 34 %ige Bier wurde im Eichenfass gereift, gewann ­dadurch wahrscheinlich noch zusätzlich Komplexität, gibt sich am Gaumen wie ein Kaffee-Schoko-Likör, wie eine hopfenbittere Version eines Pedro Ximenes-Sherrys. Der gewaltige Alkoholgehalt ist wunderbar ­eingebunden, fällt angesichts dieser Geschmackskonzentration gar nicht auf. Schorsch Tscheuschner mag vielleicht keine Humor-Granate sein, aber dieses „Bier“ ist Weltklasse.
Bei Beerlovers, Gumpendorfer Straße 35, 1060 Wien
www.beerlovers.at

Bevog/De Molen/Kees!, Icebock Baltic Porter, 17,5 % 9/10
Eine hochinteressante Kombination auf mehreren Ebenen: erstens, weil sich Bevog-Chef Vasja Golar da mit De Molen und Kees Bubberman aus den ­Niederlanden zusammentat, und weil man ein ohnehin schon nicht gerade leichtgewichtiges, dunkelschwarzes Baltic Porter durch Ausfrierung ­konzentrierte. Das Ergebnis sieht aus wie ein Kaffeelikör, riecht nach röstigem Dunkelbier und schmeckt wie eine Mischung aus Bitterschokolade, ­Kaffee und PX-Sherry. Das ist sehr gut!
Bei Beerlovers, Gumpendorfer Straße 35, 1060 Wien
www.beerlovers.at

Granitbock Ice, 11,5 % 8/10
Der Basis-Eisbock der Brauerei Hofstetten ist ein außerordentlich gelungenes Bier. Dunkelbraun, sehr, sehr malzig, unterlegt mit feinen Karamellnoten durch die Behandlung mit glühenden Granitsteinen, Kaffee-, Amontillado- und ­Portweinnoten, sehr elegant, Bitternoten harmonisch.
Brauerei Hofstetten, Adsdorf 5, 4113 St. Martin im Mühlkreis
www.hofstetten.at

Schorschbock Ice 13, Dunkler Eisbock, 13 % 7,5/10
Mehr oder weniger die Basisware von Georg „Schorsch“ Tscheuschner, ein dunkler ­Eisbock mit der Kleinigkeit von 13 Volumprozent. Allerdings: Nach wie vor unverkennbar ein Bier! Da ist durchaus Schaumbildung, durch die Konzentration der Hopfennoten eine feine Säure, zart-knusprige Malznoten, ein durchaus elegantes und genussvoll zu trinkendes Starkbier. Und mit etwas mehr als 7 Euro für die 0,33-Liter-Flasche auch noch im akzeptablen Bereich.
Bei Beerlovers, Gumpendorfer Straße 35, 1060 Wien
www.beerlovers.at

Brew Age Holzknacker III, Barrel Aged Iced Barley Wine, 12,9 % 6/10
Und als wäre der „Eisknacker“ nicht schon genug der Kraft, stecken die Brew-Age-­Burschen ihren ausgefrorenen Barley Wine immer wieder auch noch in Holzfässer. Diese Chargen sind extrem limitiert (wahrscheinlich nur ein Fass), der „Holzknacker III“ erfuhr seine Reifung in einem Rumfass der Waldviertler Whisky-Brennerei ­Rogner, weshalb zur malzigen und karamelligen Süße hier auch noch unverkenn­bare Zuckerrohrnoten ­dazukommen. CO2 ist keines mehr da, die Bitternoten halten sich dezent zurück, ein durchaus weihnachtliches Winterbier.
Bei Beerlovers, Gumpendorfer Straße 35, 1060 Wien
www.beerlovers.at

Silentium, 10 % 6/10
Das junge Bierprojekt von Biersommelier Karl Schiffner und seinem Sohn, ­Braumeister Karl Wilhelm Schiffner, hat auch einen Eisbock im Sortiment. ­ Gefroren wird es von Peter Krammer in Hofstetten, offenbar Hopfen-gestopft, da ­außerordentlich bitter. Daneben weißt das bernsteinfarbene, etwas trübe Bier ­fein-malzige Karamellnoten auf, ist aber eher etwas für Freunde der ­bombastischen Hopfen-Bittere. Und hält bis 2028.
Biergasthaus Schiffner, Linzerstraße 9, 4160 Aigen im Mühlkreis
www.biergasthaus.at

Brew Age Eisknacker, Iced Barley Wine, 12,2 % 5/10
Der ohnehin schon einmal sehr kräftige Barley Wine – unter anderem mit Karamell­malzen und drei aromatischen Hopfensorten gebraut – wurde durch Ausfrierung noch einmal konzentriert. Das ergibt eine sehr interessante, aber auch sehr intensive ­Mischung aus süßen, bitteren und malzigen Aromen. Von Harmonie kann man ­allerdings nicht wirklich sprechen.
Bei Beerlovers, Gumpendorfer Straße 35, 1060 Wien
www.beerlovers.at

G’froren’s, Iced IPA 2016, 12,3 % 5/10
Das Ziel bei diesem Bier war, erzählt Peter Krammer, die Hopfenaromen ­wirklich sehr, sehr in den Vordergrund zu spielen. Das Ausfrieren eines „­normalen“ IPA erwies sich da als kontraproduktiv, weil zu viel der Hopfen­bittere im verworfenen Eis zurückblieb, weshalb man also nach dem ­Frieren mit Amarillo-Hopfen nachträglich „stopfte“. Einstweilen ist das Bier noch recht süß und bitter, nicht wirklich harmonisch. Es hält allerdings bis 2023.
Brauerei Hofstetten, Adsdorf 5, 4113 St. Martin im Mühlkreis
www.hofstetten.at

Schneider Weisse, Aventinus Eisbock, 12 % 4/10
Der bayerische Weißbier-Gigant stellt seinen Eisbock in großen Mengen her, was auf eine spezielle (geheim gehaltene) Verfahrensweise schließen lässt. Das macht dieses Bier auch wirklich billig (€ 2,59). Es ist graubraun, lässt durch intensive Schaumentwicklung seinen Charakter als Weißbier erkennen, erweist sich am Gaumen süß und likörartig.
Bei Beerlovers, Gumpendorfer Straße 35, 1060 Wien
www.beerlovers.at

G’froren’s, Iced IPA 2010, 12,5 % 3/10
Bei diesem Bier wurde das bitter-süße Konzentrat noch für elf Monate in ein schottisches Whiskeyfass gelegt, was die süß-bittere Disharmonie noch um ein paar torfige Aroma-Kanten bereicherte. Man kann sagen: ein Experiment.
Brauerei Hofstetten, Adsdorf 5, 4113 St. Martin im Mühlkreis
www.hofstetten.at