Freejazz

Für die so genannten Pet-Nat-Schaumweine greifen Winzer auf Produktionsmethoden zurück, die eigentlich seit 250 Jahren nicht mehr angewendet werden.

Text von Florian Holzer

Wir beherrschen das Arbeiten nach der klassischen Methode eigentlich ganz gut“, sagt Alwin Jurtschitsch, und ­diese dezente Unbescheidenheit sieht man ihm gerne nach. Sein viereinhalb Jahre auf der Hefe gelagerter „Brut Nature“ ist einer der besten Sekte des Landes, Martin Arndorfers „Die Leidenschaft“, ein versekteter Premium-Wein, sicher einer der außergewöhnlichsten. Und irgendwann sei den beiden Freunden beim gemeinsamen Genuss der einen oder anderen Kreszenz die Idee gekommen, einmal etwas Sektähnliches machen zu wollen, das ganz anders ist, „ein Ausbrechen aus den ganzen Regeln und Vorgaben, keine klassischen Sorten, keine klassischen Standzeiten, kein typisches Terroir, ein Arbeiten ohne Netz und doppelten Boden – Freejazz“.

Die Grundidee war, auf alles Wein-Fremde zu verzichten, also etwa auf Zucker für die Dosage und natürlich auf zugesetzten Schwefel. An der Loire, im Jura und im Burgund werde das schon seit etwa zehn Jahren so gemacht, weiß Weinhändler und Natural-Wine-Spezialist Moritz Herzog, dort wirke die Natural-Idee auch schon in den Schaumweinbereich hinein. „Pet Nat“ nennt man diese Weine, von „Pétillant naturel“ – aber davon wusste man in Österreich damals noch nichts.

Martin Arndorfer erfuhr von Pet Nat erst anlässlich eines Besuchs in New York: „Da hab ich gesehen, was das dort schon für ein Thema war.“ Alwin Jurtschitsch wiederum hatte sein erstes diesbezügliches Erlebnis anlässlich eines kurzen Studienaufenthalts bei James Erskine in Australien, dem er bei der Lese half und alten Barrique-Fässern den Boden ausschlug, „weil der seinen Chenin blanc da drin ohne irgendwas offen auf der Maische vergären ließ“.

Die Idee wurde konkreter, 2012 starteten Arndorfer und Jurtsch­itsch mehr oder weniger im Ge­heimen ihr gemeinsames Projekt eines Schaumweins, für das sie auf so ziemlich alle ­Erfahrungen verzichteten, auf die sich Schaumweinhersteller der vergangenen hundert Jahre verlassen hatten. „Aber da wussten wir noch nicht einmal, wie man Pet Nat schreibt“, lacht Jurtschitsch. ­Ungewöhnlich sollte er sein, aber nicht ausschließlich schräg, experimentell, aber trotzdem ernst zu nehmen, keineswegs ­banal. Und vor allem Spaß sollte er machen, sowohl den Winzern als auch denen, die ihn trinken, denen besonders.

Arndorfer und Jurtschitsch tüftelten viel, überdachten und diskutierten jedes Detail, bemerkten, dass sie sich dabei auf nichts verlassen konnten als auf ihr Gefühl und gingen die Sache 2014 dann so wirklich an: Die Lese erfolgte nach der für die Sektgrundweine, also schon mit einer gewissen Reife ausgestattet, „Pet Nats haben keine lange Zeit auf der Hefe, da muss man jede Chance nutzen, um zu Komplexität zu kommen“. Sie kreierten ein paar Wein-Typen, die die Bandbreite der Methode ausloten sollten – unterschieden durch die verwendeten Rebsorten, durch längere oder kürzere Maischestandzeit und durch Pressdruck –, benannten sie „Volume“ mit den fortlaufenden Nummern eins bis fünf, je nach Intensität und Komplexitätsgrad. Der „Volume 1“ ist laut Definition der beiden die „Einstiegsdroge“ mit wenig Gerbstoff und ohne Trübung, „um den Leuten einmal die Angst zu nehmen und um sich aus der Nische des Extrem-Weins herauszubewegen“. Mit Maischestandzeit und Pressdruck wird die Intensität dann von Volume zu Volume stärker. „Wie wenn man einen Teebeutel lange ziehen lässt und ihn dann auch noch ordentlich ausquetscht“, erklärt Jurtschitsch, „aber es gibt einfach keine Formel.“ Fest stand für beide: „Nur kein Schwefel allein reicht nicht.“

Sie grübelten, ob das Kohlendioxid der Gärung und die Hefe wohl reichen würden, einen Sekt völlig schwefelfrei haltbar zu machen, und sie überlegten sich, wo man so ein Produkt dann am besten verkaufen könnte: aufgeschlossene Märkte wie Großbritannien, Dänemark, USA, so der Plan der beiden. Und um ihre dort renommierten Marken nicht zu beschädigen, falls das Experiment grandios scheitern, die Pet-Nat-Flaschen explodieren, oxidieren oder sich sonstwie katastrophal verhalten sollten, gründeten sie sicherheitshalber ihre eigene kleine ­Kooperationsgesellschaft namens „Fuchs & Hase“ (weil die meisten Weingärten für das Projekt so fernab am Waldesrand liegen …).

Die ersten Weine des Jahrgangs 2014 hielten jedenfalls, die Flaschen explodierten nicht, und als die Fuchs-&-Hase-Pet-Nats beim vorigen Weinfrühling vorsichtig präsentiert wurden, stießen sie auf spontane Begeisterung beim Publikum. „Das hat uns völlig überrascht“, erinnert sich Alwin Jurtschitsch“, „der Natursprudel kam in Österreich so gut an, dass uns für den Export kaum mehr etwas übrig blieb.“

Was aber ist denn „Pet Nat“ jetzt ­eigentlich? Es geht dabei darum, den Grundwein noch gärend in die Flasche zu füllen, in der er dann fertig vergärt und dabei Kohlensäure-Druck entwickelt. Dieses Verfahren hat nur mehr in wenigen Regionen Tradition, etwa im südfranzösischen Limoux, dort trägt er die Bezeichnung „méthode ancestrale“. Allerdings wurde Ende des 17. Jahrhunderts, bis sich die mittels Dosage kontrollierte zweite Gärung durchsetzte, auch in der Champagne so gearbeitet und beim ­Prosecco sowieso sehr lange. „Ganz salopp gesagt: Wir füllen Sturm ab, und das ist eine ziemliche Patzerei“, sagt Alwin Jurtschitsch. Der so in der Flasche entstehende Druck liegt etwa zwischen 2,5 und 2,8 bar, ihre Pet Nats sind rechtlich gesehen also Perlweine.

Die „natürliche“ Methode bringt aber eben auch ein paar Risiken mit sich. So weiß man nie genau, wie sich der Restzucker verhalten wird, ob man den Pet Nat mit zu viel oder zu wenig davon abfüllt, „denn hat man zu viel, wird der Druck in der Flasche zu hoch – und das kann im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen“ (weshalb man in den Frühzeiten der Champagne Eisenmasken trug, wenn man in den Keller ging); oder wie sich der Weinstein auswirkt, der bei unfiltrierten und spontan vergorenen Weinen natürlich in großer Menge in der Flasche anfällt. An den scharfen Kanten der Kristalle löst sich permanent Kohlendioxid, genauso wie beim Moussierpunkt im Champagnerglas, quasi eine ständige Entgasung, was einerseits zur unerwarteten Entladung beim Öffnen der Flasche führen kann, andererseits zu raschem Perlage-Verlust im Glas. Zur diesbezüglichen Risikominimierung degorgieren Fuchs & Hase ihre Pet Nats, „weil so genau weiß man’s halt nie“, ein nicht-degorgierter Pet Nat ist aber natürlich längst angedacht …

Pet Nats werden klassischen Sekt natürlich nie ersetzen, warum auch. Aber sie seien eine tolle Begleitung zum Essen, meint Moritz Herzog, „Weine, die viel Freude machen – das, was Prosecco früher so gut konnte“. Und genau deshalb werden sie mehr werden. So etwa schickt Ilse Maier vom Geyerhof in Oberfucha im Kremstal seit vorigem Jahr ihren „360°“ ins Rennen, einen besonders fruchtigen, charmanten Pet Nat; Matthias Hager aus Mollands brachte mit dem Jahrgang 2015 erstmals seinen „Sturmfritz“ auf den Markt, der zum Zeitpunkt, da dieser Artikel geschrieben wurde, allerdings schon stark reserviert war. Kein Wunder, der schwefelfrei vergorene Pet Nat mit fünf Bar Druck (und damit Sekt) wird in zwei Versionen angeboten – in einer degorgierter und in einer mit ­Hefe-Pfropfen. Die werde in der „Weinbeisserei“ des Bruders und bei Gastronomie-Kunden dann mit dem Schwert geöffnet, was sich großer Beliebtheit erfreue, weiß der Winzer. Der Grauburgunder-Pet-Nat von Meinklang trägt den Namen „Foam“, auch er spontan vergoren, ungeschwefelt und nicht degorgiert; sehr interessant auch der „Kalkspitz“ des jungen und Geologie-besessenen Christoph Hoch aus Hollenburg. Wobei sein nächstes Jahr am Markt erscheinendes „Sparkling Project“ – ein schwefelfrei vergorener Wein, der mit gärendem Most versetzt wird, in der Flasche dann seine zweite Gärung macht und es so auf sieben Bar Kohlensäuredruck bringt – auch nicht uninteressant klingt.

Trübe Zeiten für den Schaumwein also – und das ganz im positiven Sinne.

Die Fuchs-&-Hase-Weine im Vergleich
Volume 1, 2015
Der Perlwein aus einer Cuvée von Chardonnay und Sauvignon blanc ist fruchtig und unkompliziert, jung, weinig, erinnert aromatisch an frisches Kernobst, fein cremige Perlage. Ein gefälliger „Natursprudel“, der stets auch schnell ausverkauft ist.

Rosé 2015
Diese Cuvée aus Zweigelt und Cabernet Sauvignon kam noch nicht zur Ehre, eine Volumens-Nummer verliehen zu bekommen, ist hinsichtlich „Intensität“ aber dem „Volume 1“ gleichzustellen, also schwefelfrei und spontan vergoren, aber nur minimaler Maischekontakt. Wunderschöne Frucht, Weichsel, rote Beeren, Kräuter, im Abgang eine kleine, appetitliche
Cabernet-Wildheit.

Volume 2, 2015
Grüner Veltliner und Gelber Muskateller, feine Säurestruktur, gewürzt mit fein geschliffenem Gerbstoff und zugänglichem Duft. Ein idealtypisch duftiger Muskateller-Perlwein, feinhefiges, primärfruchtiges Paradebeispiel.

Volume 2, 2014
Der 14er besteht aus dem gleichen Sortenmix und verhielt sich laut Jurtschitsch auch die längste Zeit in seiner duftigen Fruchtigkeit ident wie der 2015er, zeigt mittlerweile aber das Reifungspotenzial dieser Weine auf – sehr viel komplexer und harmonischer als die noch etwas gefällige Jung-Variante. Die Primärfrucht tritt ­zurück, Struktur und feiner Gerbstoff-Schliff ­übernehmen das Kommando.

Volume 3, 2014
Eine Cuvée von Welschriesling, Grünem Veltliner und Sauvignon blanc, hochfärbig vermittelt der Wein rein optisch Oxidation, am Gaumen aber frisch, komplex, dicht und überaus lebendig, ein großartiger Perlwein.

Volume 3, 2015
Hier erfuhr der 3er eine dezente Konzeptänderung, als Alwin Jur­tschitsch einen uralten Gemischten-Satz-Weingarten am obersten Rand der Ried Käferberg erwarb: Grüner, Roter und Früh-roter Veltliner auf einer minimalen Erdschicht über purem Amphibolit (Basalt-Umwandlung). Die Trauben vergärten auf der Maische, verwendet wurde nur der frei abfließende Seihmost; ein unendlich mineralischer Schaumwein, unterlegt mit zartwürzigen Bitternoten, extrem appetitlich.

Volume 4, 2014
Eine Cuvée aus Müller ­Thurgau, Gelbem Muskateller und Grünem Veltliner, das Motto lautete „Spice“: Der Wein zeigt sich hochkomplex und balanciert, dunkle Gewürz-Aromen, Wald, Moos und Rinden-­Noten, ruhig und harmonisch, wunderschön.

Volume 4, 2015
Der Wein wurde bei der ­Verkostung vor Ort degorgiert, der Pet Nat zeigte sich dementsprechend jugendlich, aber extrem engmaschig und von hoher ­aromatischer Dichte, erinnerte mit seinen zartmürben Bitternoten fast an gehopften ­Cider oder Craft-Beer-Pils – sehr viel Trink­erlebnis bei weniger als 11 % Alkohol.

Reserve 2012
Das erste Pet-Nat-Experiment von Martin Arndorfer und Alwin Jurtschitsch, aus Grünem Veltliner gekeltert, aber noch ohne Mazeration auf der Maische. Ein großartiger Schaumwein, dem man seinen „Natural“-Charakter kaum anmerkt, eher Grüner-Veltliner-Winzersekt in außerordentlich schöner Ausführung, schön gereift.