Gauchos unter Pergolas
Als Weinland ist Brasilien nicht gerade bekannt. Dank Fußball-WM soll sich das nun ändern – so hoffen zumindest die Weinbauern in der Serra Gaúcha.
Text von Georges Desrues
Das Landschaftsbild am Fuße der Gebirgskette Serra Gaùcha im südlichen Brasilien muss wohl schon den italienischen Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi an seine Heimat erinnert haben, als er hier Mitte des 19. Jahrhunderts einen Unabhängigkeitskrieg ausfocht. Sanfte grüne Hügel, ein nahezu mediterranes Klima, dazu geschwungene Täler, Pinienbäume und eine südländische Brise, die durch die Weinberge weht. Wobei letztgenannte freilich erst später angelegt wurden, nämlich von Landsleuten Garibaldis, die ab den 1870er Jahren als Einwanderer hierher in Brasiliens südlichsten Bundesstaat Rio Grande do Sul kamen. Die meisten unter ihnen aus dem Norden Italiens, aus den Regionen Veneto oder Trentino, dem einstigen Welschtirol. Sie ließen sich nieder und gründeten Städte, die häufig nach Freiheitskämpfern benannt wurden, wie etwa nach Garibaldi oder auch nach dem General Bento Gonçalves. Und sie bauten Wein an für den Eigenkonsum, fast alle nach der ihnen vertrauten Methode der Pergola, die höhere Erträge versprach und bis heute das Landschaftsbild im Vale dos Vinhedos – dem Tal der Weingärten, wie die Gegend inzwischen genannt wird – genauso prägt, wie sie es auch in Südtirol oder im Trentino noch tut.
Zwar brachten einige der Einwanderer ein paar Trauben aus der Heimat mit, wie etwa die Bonarda oder den Teroldego, die meisten aber setzten auf amerikanische Sorten der Untergattung Vitis labrusca, wie die Isabella oder die Elvira, die man in Österreich unter dem Sammelbegriff Uhudler kennt; und die wegen ihrer Resistenzfähigkeiten in dem feuchtheißen Klimas problemfreier anzubauen waren. In Brasilien bilden diese amerikanischen Sorten bis heute die große Mehrheit der Weine, die in dem Land getrunken werden, nämlich 70 Prozent. Ein beträchtlicher Anteil, der lange Jahre zum schlechten Ruf der brasilianischen Gewächse beitrug. Doch bekanntlich befindet sich das Land wirtschaftlich an der Schwelle zur Industrienation, was in Bezug auf Wein bedeutet, dass in den letzten Jahren eine wachsende Zahl an Brasilianern bereit ist, mehr und bessere Weine zu trinken, und auch die finanziellen Möglichkeiten dazu hat. Dass sie dabei zunehmend auf Produkte lokaler Erzeuger zurückgreift, liegt wohl im weltweiten Geist der Zeit.
„Brasilien ist natürlich kein Weinland wie etwa Argentinien oder Chile“, sagt der Winzer Flavio Pizzato, „aber Konsum wie auch Produktion von Qualitätsweinen steigen rapide.“ Tatsächlich liegt Wein in der Gunst seiner Landsleute mit einem Pro-kopfverbrauch von 1,9 Litern jährlich nach wie vor weit hinter Bier, von dem sie 60 Liter trinken, und vom Zuckerrohrschnaps Cachaca, der es auf immerhin 20 Liter pro Einwohner im Jahr bringt. Zum Vergleich: Ein Chilene trinkt durchschnittlich 15,2 Liter Wein jährlich, ein Argentinier gar 26,5 Liter. „Bis vor kurzem war es noch so, dass wenn ein Gast in einem Restaurant brasilianischen Wein trank, man davon ausgehen konnte, dass es sich um einen Ausländer handelte“, erzählt Pizzato. Einheimische nämlich hätten eher auf argentinischen Wein zurückgegriffen, auf chilenischen, portugiesischen oder französischen. Doch genau das sei dabei, sich zu ändern. Auch in Brasilien trinkt man nun patriotisch, gleichzeitig steigen die Ansprüche.
2003 betrug der Anteil von Weinen aus europäischen Reben, den sogenannten vinhos finos (also „feine Weine“, so die in Brasilien offizielle Bezeichnung im Gegensatz zu vino da tavola, „Tischwein“ aus amerikanischen Trauben) am brasilianischen Weinbau noch 15 Prozent, inzwischen ist er auf immerhin 30 Prozent angestiegen, und das in nur zehn Jahren. „Zudem haben wir im gleichen Zeitraum den Anteil der brasilianischen Weine am inländischen Markt von 13 auf 30 Prozent steigern können“, freut sich Pizzato, dessen Vater als einer der Pioniere des Qualitätsweinbaus in der Serra Gaùcha gilt. „Bereits in den 70er Jahren hat er den Anbau von Pergolaerziehung auf ein vertikales System umgestellt und die amerikanischen Traubensorten durch europäische ersetzt“, erzählt der Sohn und öffnet ein paar Flaschen im Verkostungsraum des modern gestalteten Weinguts der Familie – mit atemberaubenden Ausblick über die liebliche Landschaft.
Heute sind die Pizzatos in erster Linie für ihre Rotweine bekannt, für den Merlot vor allem, der hier einen überraschenden Tiefgang erreicht, mit genügend Säure und zugleich ausgeprägter Frucht, letztgenannte jedoch eher zurückhaltend, verglichen mit dem, was man üblicherweise von Rotweinen aus der Neuen Welt erwarten würde. „Die Situation hier ist eine ganz andere als etwa in Chile oder Argentinien“, sagt Pizzato, „diese riesigen Weinbaugebiete, in denen alles mechanisch abläuft, gibt es hier gar nicht. Auf unseren Hügeln und den relativ steilen Lagen muss alles händisch bearbeitet werden.“ Zudem wolle man sich eher an Europa orientieren, weniger fruchtige, dafür elegantere und komplexere Weine erzeugen.
Was den Brasilianern indessen noch fehlt, ist eine Sorte Wein, die sie zu einer Art Nationaltraube erheben könnten, wie es den Argentiniern mit dem Malbec gelungen ist; oder, mit geringerem Erfolg, den Uruguayern mit Tannat und den Chilenen mit Carménère. Inzwischen erfreuen sich vor allem die Schaumweine aus dem Vale dos Vinhedos großer Beliebtheit – zumindest beim inländischen Verbraucher. „Vor 2005 war von Schaumwein noch überhaupt keine Rede, dann sind einige Erzeuger draufgekommen, dass es viel einfacher ist, Schaumwein herzustellen als Rotwein, weil die Reife der Früchte eine weniger wichtige Rolle spielt. In erster Linie geht es also um Faulheit“, lacht Pizzato, „aber man muss schon auch bedenken, dass unsere Region wegen des subtropischen Klimas und der üppigen Vegetation vermutlich eine der herausforderndsten ist weltweit, was den Weinbau betrifft.“
Der große Umschwung in der Serra Gaùcha begann Anfang der 1990er, als durch die Errichtung des gemeinsamen Freihandelsraumes namens Mercosur der brasilianische Markt überschwemmt wurde mit plötzlich zollfrei gewordenen Weinen aus Argentinien. „Zuerst war das ein Schock“, erinnert sich Pizzato, „aber kurz darauf haben die erschwinglichen argentinischen Weine auch den Weg geebnet für uns brasilianische Erzeuger.“ Zu der Zeit war Pizzatos Kollege André Larentis noch ein Säugling. Inzwischen leitet der 24jährige das Familien-Weingut, hat zuvor Önologie studiert an der lokalen Weinbauschule im Hauptort Bento Gonçalves, dessen Hauptzufahrtsstraße durch ein überdimensioniertes Weinfass aus Beton führt, das wohl die Verbundenheit der Stadt mit dem Weinbau symbolisieren soll.
An diesem Abend ist Larentis auf dem Weg zu einem Treffen mit einigen anderen Winzern und Winzerinnen, sie sind alle unter dreißig und Abgänger derselben Weinbauschule, keiner davon ist jemals in Europa gewesen. „Deswegen haben wir uns in einem Verein zusammengetan und treffen uns immer wieder, um ein paar europäische Weine zu verkosten.“ Diesmal steht Barolo auf dem Programm.
Die Gruppe hat sich in Unkosten gestürzt, um ein paar Flaschen des in Brasilien sündteuren piemontesischen Weins zu kaufen und zu verkosten. Gesprächsthema Nummer eins aber ist die bevorstehende Fußball-WM; und die hierzulande vielzitierten Augen der Welt, die sich, auf Brasilien richten werden, auf seine Produkte und, so hofft man, auch auf seine Weine. Überrascht zeigen sich die Winzer, dass es ausgerechnet dem lokalen und eher kleinen Weingut Lidio Carrara gelungen ist, den „offiziellen Wein der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft“ zu stellen. „Keine Ahnung, wie die das geschafft haben“, so einer von ihnen, „noch dazu, wo sich doch auch das Weingut Miolo, der absolut größte und zahlungskräftigste Produzent im Tal, dafür beworben hat“.
Von den für sie ungewohnt schweren, körper- und tanninreichen Weinen aus Barolo zeigen sich die jungen Leute beeindruckt. „Ich kann nicht sagen, ob wir hier jemals solche Weine erzeugen werden oder überhaupt können“, sagt Larentis, „aber wir stehen ja noch am Anfang, sogar die Chilenen und die Argentinier haben 50 Jahre Vorsprung in Sachen Tradition.“ Doch um herauszufinden, was alles möglich ist, haben diese blutjungen Winzer, die gewissermaßen die Zukunft des brasilianischen Weinbaus darstellen, ja noch genügend Zeit. Und bis dahin werden sie auch beurteilen können, welche Bedeutung es tatsächlich hat, den offiziellen Wein für eine Fußball-WM zu stellen.
Vinhos Larentis
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miolo@miolo.com.br
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Lídio Carraro
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95700-000 Bento Gonçalves
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Pizzato Vinhas e Vinhos
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