Good Morning, aber wirklich
Vietnam ist der zweitgrößte Kaffee-Erzeuger der Welt. Und davon abgesehen ein Land, in dem man eine sehr, sehr spezielle Zubereitungsmethode und Kaffee-Kultur entwickelte.
Text von Florian Holzer Foto: Stockfood
Tropf. Tropf. Tropf. Ungefähr jede Sekunde löst sich ein tiefschwarzer, kompakter Tropfen aus dem metallenen Filtergehäuse, das da auf dem Glas sitzt, und fällt auf eine Schicht fetter, süßer Kondensmilch. Tropf. Tropf. Tropf. Etwa fünf Minuten geht das so, dann hört es irgendwann einmal zu tropfen auf, man nimmt den Deckel des Filtergehäuses ab und stellt das mit ausgelaugtem Kaffeesatz befüllte Blechhäferl mit den Löchern unten drin darauf. Kondensmilch und der getröpfelte Kaffee-Extrakt sind inzwischen noch keinerlei Verbindung eingegangen, kalt und fett das eine, heiß und flüssig das andere, weiß und schwarz, exakt getrennt wie ein Guinness und sein Schaum. Dann rührt man um, kräftig, die so konträren Flüssigkeiten wehren sich nämlich, rührt, rührt, rührt, bis eine hellbraune Creme entsteht, die nach Karamell und Kakao duftet, ungeheuer süß schmeckt und ein leichtes Taubheitsgefühl im Mund hinterlässt. Nicht unangenehm, man spürt, wie die Energie des Zuckers ins Blut einfährt, und dann spürt man das Koffein. Meine Güte, so viel Koffein. Puls wird schnell, Hände beginnen leicht zu schwitzen, angeregte Unruhe im Körper. Und er will mehr davon, der Körper, mehr Zucker, mehr Fett, mehr Karamell, mehr Koffein …
In Vietnam trinke man diese Form des Kaffees namens Cà phê sua dá ständig und bei jeder Gelegenheit, erzählt Lam Vinh, Mitglied jener Familie Lam, die sich schon seit über zehn Jahren darum verdient gemacht hat, in Österreich vietnamesische Küche und Esskultur zu positionieren. Und die den vietnamesischen Kraft-Kaffee vor sechs Jahren schon in ihrem winzigen Markt-Lokal am Naschmarkt anbot, wo er in dieser Streetfood-Umgebung natürlich authentischer schmeckte als irgendwo sonst in Österreich. In der Früh trinke man ihn einmal auf jeden Fall, sagt Lam Vinh, dann vor dem Mittagessen, nach dem Mittagessen, am Nachmittag und am Abend sowieso. Und dazwischen, wenn gerade Zeit ist. Man überlegt, ob diese schiere Menge Koffein mit dem feucht-heißen Klima Indochinas vielleicht besser auszuhalten ist, so wie man in der Karibik ja auch viel mehr ’ti’ Punches verträgt als zu Hause in Mitteleuropa, oder ob man sich daran gewöhnt, wie man sich in heißen, fernen Ländern angeblich auch an Chili gewöhnen kann. Aber Schwägerin Lam Tuyet Lan relativiert, sie selbst trinke nie vietnamesischen Kaffee, vertrage ihn einfach nicht, viel zu stark …
Das nimmt man zitternd, aber ein wenig beruhigt zur Kenntnis.
Kaffee ist ein verhältnismäßig junges Phänomen in Vietnam, die französischen Kolonialherren erkannten Anfang des 20. Jahrhunderts im zentralen Hochland rund um Buôn Ma Thuôt das klimatische und geologische Potenzial für Kaffeepflanzungen. Ursprünglich war Top-Qualität das Thema und dementsprechend wurden Arabica-Bohnen gepflanzt, dann verlor der Kaffee aber dramatisch an Bedeutung und kam erst in den 60er-Jahren wieder auf die Sprünge, und zwar durch den enormen Kaffee-Durst der DDR – im kommunistischen Bruderland war er weitaus günstiger zu beziehen als über harte Devisen aus Süd- und Mittelamerika. Mit der Qualität war es da dann erst einmal vorbei, dafür boomte der Anbau. Und zwar bis heute, im Jahr 1980 existierten im Hochland von Dak Lak gerade 22.000 Hektar Kaffee, heute ist es über eine halbe Million, womit Vietnam in rasendem Tempo zum zweitgrößten Kaffee-Exporteur der Welt aufstieg. Vietnamesischer Robusta minderer Qualität war ein nicht unwesentlicher Bestandteil so ziemlich jeden Lös-Kaffees dieser Welt.
Da man mit besserem Kaffee weitaus bessere Preise erzielen kann, finden in den vergangenen Jahren diesbezüglich aber beachtliche Qualitätssteigerungen statt, der Arabica-Anteil nimmt stark zu, die Verarbeitungsstätten werden modernisiert, die Verarbeitung professionalisiert. Mit verantwortlich dafür ist auch Dang Le Nguyên Vu, der Mitte der 90er-Jahre – damals noch Medizinstudent – einen Kaffeehandel startete und heute mit seiner Firma Trung Nguyên absoluter Marktführer in Vietnam ist. Seine Coffeeshop-Kette auf Franchise-Basis ist in ganz Vietnam und fast allen Nachbarländern präsent.
Auch sehr interessant, dass es in Vietnam noch mehr als die beiden Hauptsorten Arabica und Robusta gibt, etwa den dunkel-aromatischen Catimor oder eine völlig Koffein-freie Varietät namens Chari, die Mischung aus diesen vier Sorten ergibt den typischen, besonders reichhaltigen Geschmack des vietnamesischen cà phê.
Er beziehe den Kaffee direkt aus Vietnam, sagt Lam Vinh, schon gemahlen, denn so grob, wie man das für die Zubereitung im metallenen phin brauche, könne man das in europäischen Mühlen gar nicht einstellen. Als sie am Naschmarkt auch noch ihren Laden betrieben, hätten sie die Blechfilter auch noch im Angebot gehabt, erfährt man, ihre damalige Kunden bekämen in ihrem neuen Restaurant in der Hegelgasse natürlich auch noch das vietnamesische Kaffeepulver, Versorgungsgewährleistung gewissermaßen. Den Import der ganz speziellen vietnamesischen Kondensmilch hätte man allerdings aufgegeben, gesteht Frau Lam Tuyet Lan, die sei zwar noch ein bisschen dicker und süßer als die holländische. Aber es geht auch mit der sehr gut. Die Menschen, die hier in Wien zitternd, fahrig und mit feuchten Händen vor ihren Gläsern mit der hellbraunen Creme sitzen, merken keinen Unterschied.
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