Grenzenlos verwurzelt

Wein im Sinne Gottes: biodynamisch, natürlich balanciert, ungeschliffen, vibrierend. Franz R. Weningers Gewächse haben die Gabe, Verzückung auszulösen.

Text von Christina Fieber · Fotos von Regina Hügli

Manche Vorstellungen halten sich hartnäckig. Wie etwa die, dass aus dem Mittelburgenland nur üppige Rotweine kommen. Das Bild vom „Blaufränkischland“ mit brütend heißen Sonnen­tagen, wenig Niederschlägen und Gewächsen so opulent wie Rubens-­Bilder, die in schier endlosen, brettlebenen Weingärten auf schweren Lehmböden gedeihen, hat sich eingebrannt. Kein Wunder: Genau so wird es auch beworben.

Vor Ort hingegen eröffnet sich ein gänzlich anderer Eindruck: abwechslungsreiche, hügelige Landschaft, moderates Klima und Böden, die nicht nur bloß aus nacktem Lehm bestehen, sondern mit Schotter, Gneis und Glimmer durchsetzt sind.

Franz R. Weninger führt durch seine Weingärten rund um Horitschon, in denen unterschiedlichste klimatische und geologische Bedingungen herrschen. Beste Voraussetzung für Weine, die so differenziert sind wie die Lagen, von denen sie kommen. Weine, die mit dem vielfach herrschenden Einheitsbrei nichts zu tun haben.

Viele Jahre war die Region südlich des Neusiedler Sees höchst erfolgreich mit ihrer Stilistik. Opulente Rotweine lagen im Trend und wurden gut bewertet, doch heute verlangt der Markt zunehmend nach leicht­füßigeren Gewächsen.

Auch sein Vater habe sich kurz ins üppige Fach verirrt: Voller Enthusiasmus pflanzte er in den späten 1980er-Jahren Cabernet und Co, um, wie sie heute befinden, „Bordeaux-Kopien“ zu produzieren. Nach dem Weinskandal rümpfte jeder die Nase vor heimischen Sorten wie Blaufränkisch. Mit mächtigen Rotweinen im Bordelaiser Stil hingegen glaubte man, das angeschlagene Image wieder aufpolieren zu können. Und wo die Natur versagte, musste eben moderne Kellertechnologie einspringen: Cabernet Sauvignon etwa schien es bei uns zu kühl, er reifte nicht aus, da half man halt nach: Neben hemmungslosem Ausbau im Barriquefass erfreuten sich vor allem Konzentrationsmaschinen höchster Beliebtheit: Geriet der Traubenmost ­witterungsbedingt zu dünn, konnte man mit Hilfe dieser Geräte Flüssigkeit entziehen. Der Wein geriet dichter und plüschiger. Es war die Geburts­stunde überladener Rotweine – dick und süß wie Marmeladen.

Im Hause Weninger investierte man damals als ­einer der Ersten in die Wundermaschine: Er habe sich viel davon versprochen, erinnert sich Franz Weninger senior, aber seine Weine hätten nie dem gängigen Ideal entsprochen: „Wir haben uns geärgert, dass wir das nicht hinbekommen“, lacht er, „aber der Charakter war aus unseren Weinen einfach nicht rauszukriegen!“

Drei Jahre später wurde der Konzentrator verkauft. Zum Unverständnis vieler Kollegen. „Du hast doch damit angefangen, warum hörst du jetzt wieder auf damit?“ „Weil es mir nicht schmeckt“, lautete seine Antwort.

Vater Weninger galt zwar früher als Vorreiter in Sachen moderner Kellertechnologie, er begriff aber auch schnell, dass mit diesen Errungenschaften die Eigenständigkeit der Weine verloren ging. Kurz nach der Wende 1989, als der Eiserne Vorhang zwischen Österreich und Ungarn fiel, beschloss er, auch jenseits der Grenze Wein anzubauen. Seit ­jeher fühlte er sich mit Ungarn verbunden: Die Großmutter besuchte die Schule in Sopron auch noch nach 1921, als das Burgenland als letztes Bundesland ­Österreich zugesprochen wurde. Die Kultur war ihm vertraut, und so gründete er 1992 mit seinem Partner Attila Gere ein Weingut in Villány im Süden Ungarns. In diesem heißen Gebiet fühlten sich selbst Sorten wie Cabernet pudelwohl. Auch wenn er seinen einstigen Traum von Weinen internationalen Zuschnitts nun auch ohne Konzentrationsmaschine verwirklichen konnte, rang ihm diese Stilistik zunehmend weniger Begeisterung ab. Nach einigen Jahren verkaufte er ­seine Anteile wieder.

Dann erwarb die Familie ein eigenes Weingut im ungarischen Balf bei Sopron – quasi ums Eck von Horitschon. Kaum ein heimischer Winzer wollte damals über die Grenze blicken, geschweige denn dort investieren. „Alle orientierten sich nur mehr am Westen“, weiß Franz Weninger junior, „für den Osten interessierte sich keiner mehr.“

Alte ungarische Sorten wie Furmint wurden ausgerissen und durch französische ersetzt.

„Die Wurzeln der burgenländischen Weinkultur liegen in Ungarn“, ist er jedoch überzeugt, „verdrängen wir unsere Geschichte, werden wir nie zu einer Weinregion mit eigener Identität!“

Er ist ein nachdenklicher Mensch, der zuweilen auch die Mechanismen der Weinwirtschaft in Frage stellt. Den Drang, Grenzen zu überwinden, hat er vom Vater geerbt.

Sein Praktikum in Kalifornien 1999 öffnete ihm dann endgültig die Augen: „Die großen Wineries dort lieferten nichts als plumpe Kopien von Bordeaux, Rhône oder Toskana ab“, erinnert er sich, „seelenlose Weine, im Keller auf europäisch getrimmt.“
Als er wieder daheim in Horitschon ankam, disku­tierte sein Vater gerade im Weinkeller mit einem Önologen aus Frankreich, der beauftragt war, burgenländische Winzer zu beraten. Der empfahl die Verwendung von französischen Hefen, Enzymen und Reben – Methoden, die, so Weninger, die Weine gesichtsloser gemacht hätten.

Für den jungen Winzer ein Schlüsselerlebnis: „Ob Mittelburgenland oder Kalifornien – dort wie da wollten alle die gleichen Weine produzieren. Uniform und leblos“, sagt er. Da wollte er nicht mehr mitmachen.

Er übernahm das Weingut in Balf, wo er sich austoben konnte. Im Keller passierte immer weniger, auf Reinzuchthefen wurde komplett verzichtet. Das Ergebnis: Der Ausdruck der Lagen zeichnete sich klarer ab, die Weine gewannen an Eindringlichkeit.
Es sind Weine, die man so aus Ungarn nicht kennt: Der Kékfrankos Steiner etwa präsentiert sich quicklebendig und voller Temperament, geht aber auch in die Tiefe, ist leise und gefühlvoll. Er kommt von 55 Jahre alten Rebstöcken und zeigt gerne seine ungarischen Wurzeln. Ohne Folklore freilich.

Vom weitgehenden Verzicht auf kellertechnische Optimierungsmaßnahmen zur Umstellung auf biologische Bewirtschaftung der beiden Weingüter sei es dann nur mehr ein kleiner Schritt gewesen: Franz ­Weninger senior fühlte sich immer unwohl, wenn er mit den chemischen Spritzmitteln hantierte: „Der scharfe Geruch und all die mit Totenkopf markierten Kanister im Keller, die man immer vor den Kindern verstecken musste!“ Er habe schon geahnt, dass das auch für die Umwelt nicht optimal sei.

Schließlich vergaß er einmal im Frühling, einen Weinberg gegen den Heuwurm zu spritzen. Just jener Weinberg lieferte im Herbst die besten Trauben. Dass der im konventionellen Weinbau gefürchtete Schädling tatsächlich einige Beeren vertilgte, erwies sich letztlich als Vorteil, hatte der Wurm so für eine natürliche Ausdünnung gesorgt – der Wein geriet hervorragend.

Auch der Junior zweifelte zunehmend an konven­tioneller Bewirtschaftung: Einer seiner Weingärten litt an sogenannter Traubenwelke. Der Ratschlag, von nun an jedes Jahr Magnesium auf die Blätter zu spritzen, löste in ihm totalen Widerstand aus.
Er suchte nach Alternativen und fand sie im biologischen Weinbau: Mit Humuswirtschaft und Begrünung bekam er das Problem schnell in den Griff. Dem Boden mangelte es einfach an organischer Masse, an Leben.

Früher hielten die meisten Betriebe noch Vieh, deren Mist konnte als natürlicher Dünger verwendet werden. Dann kamen die Tiere weg, und die Winzer brachten künstlichen Mineraldünger aus, den ihnen die Agrochemiekonzerne einredeten. Daraus folgte ein Rattenschwanz an Maßnahmen und steigender Einsatz von Pestiziden, die kaum einer hinterfragte: „Eine Gehirnwäsche“, meint der Senior. Wer sich zu dieser Zeit der Chemie verweigerte, galt als hoffnungslos rückständig.

Seit 2004 sind die beiden Weninger-Weingüter biozertifiziert – seit 2006 auch biodynamisch, zuerst bei Respekt, seit Kurzem auch bei Demeter.

Die Umstellung zogen Vater und Sohn gemeinsam durch. Andrew ­Lorand, der biodynamische Berater der Respekt-Gruppe, diagnostizierte damals: „Ihr seid keine Bauern mehr, sondern gestresste Manager!“ Das gab ihnen zu denken.

Heute läuft alles viel entschleunigter, der Traubenzukauf wurde abgedreht und die Weingärten wieder in eine natürliche Balance gebracht.

Seit 2011 leitet Franz Weninger junior beide Weingüter. Der Vater ist in Pension und jetzt, wie er sagt, „für den Boden zuständig“. Sogar nachts träume er von all dem Leben unter der Erde. Es mache ihn zufrieden, ­seine Weinberge wieder so lebendig zu sehen wie früher – damals, als es noch keine chemischen Spritzmittel gab.

„Der Boden ist für mich das Wichtigste im Weinbau“, sagt er.Er sei die Voraussetzung für gesunde Trauben, die dann auch im Keller nicht geschunden werden müssten.

Die Weine danken es mit Lebendigkeit und Vielfalt: Jeder Lagen-Blaufränkisch etwa zeigt eine andere Facette: Während Kirchholz mit feiner Frucht der zugänglichste von allen ist, zeigt sich der Blaufränkisch der kühlen Lage Kalkofen vom Kalk geprägt, rasant und feinnervig. Saybritz fordert den Gaumen, ist straff, streng, auf­regend. Hochäcker hingegen fast ein Charmeur und Dürrau balanciert zwischen Kraft und Ruhe. Gemeinsam ist ihnen eine Vielschichtigkeit, die man dem Mittelburgenland so nicht zugetraut hätte. Den gängigen Erwartungen entsprechen sie freilich nicht. Fruchtexplosionen am Gaumen finden nicht statt.

„Unsere Weine sind manchen zu sauer und zu ungeschliffen“, weiß Franz Weninger, „viele Trinker haben Angst, etwas zu erleben!“
Andere suchen genau danach. Nach Gewächsen, die leben, die vibrieren. Und zuweilen auch in Entzücken versetzen.

Wenn man so wolle, könne man sie als Naturweine bezeichnen, aber diese Zuordnung sei unwichtig, und darüber vermarkten möchte er sich schon gar nicht. Um den Begriff herrsche ohnehin noch ­einige Verwirrung – viele verstünden gar nicht, warum roter Naturwein nicht orange ist: „Aber die Natural-Bewegung hat die Weinwelt so viel spannender gemacht!“, sagt er.

Der Winzer hat viel probiert und auch wieder verworfen: Schon 2006 experimentierte er mit dem Ausbau in Amphoren, heute ­verwendet er sie nur mehr für die Gärung. Beim Blaufränkisch ­kaschiert der Ausbau in der Amphore für sein Empfinden den Lagencharakter. Und so kehrte er wieder zum großen Holzfass ­zurück. Dort fänden die Weine besser zu ihrer Balance. Exzesse sind nicht seine Sache.

Und dann gibt es da noch Rósza Petsovits, eine ­Ländercuvée aus österreichischen und ungarischen Lagen, gekennzeichnet als „europäischer Wein“. Ein heiterer, köstlicher Trunk mit Haltung – benannt nach jener noch in Ungarn geborenen Großmutter. Eine durchaus couragierte und tiefgläubige Frau, die sich in einem Brief an die Gemeinde bitter über die modernen Methoden im Weinberg beklagte: Es sei ein Frevel, die von Gott gegebenen Trauben einfach wegzuschneiden und am Boden verfaulen zu lassen.

Lebte sie noch, man könnte sie beruhigen: In den Weninger-Weingärten wird nicht mehr ausgedünnt. Mit der biodynamischen Bewirtschaftung reguliert sich der Ertrag auf natürliche Weise, und zwar so, dass auch die Balance zwischen Frucht und Säure passt. Ganz im Sinne Gottes. —

Weingut Weninger
Österreich: Florianigasse 11, 7312 Horitschon
Tel.: 02610/421 65
Ungarn: Weninger Pinceszet, 9494 Balf
www.balf@weninger.com, www.weninger.com
www.weninger.com/shop
www.pubklemo.at
www.wagners-weinshop.com