Grenzgänger

Im italienisch-slowenischen Grenzland rund um Görz gibt es die wohl größte Dichte an Naturweinwinzern. Wer glaubt, die Weinmacher der Goriška Brda folgen einem neuen Trend, irrt jedoch gewaltig.

Text von Christina Fieber Foto: Mauritius Images/Alamy

Riesige Steaks brutzeln auf der offenen Feuerstelle mitten im Lokal. Unter den glühenden Kohlen ist ein großer Eisentopf vergraben – darin schmurgelt schon seit Stunden ein Kaninchen. Ab und an begutachtet der Küchenchef das Schmorgericht. Wenn er den Deckel hebt, verbreitet sich ein molliger Duft im ganzen Raum.

Aleks Klinec ist aber nicht nur Koch, sondern auch Winzer. Von der Terrasse des Restaurants sieht man weit über die Weinberge der Goriška Brda, dem slowenischen Teil des Collio. Es ist eine idyllische Landschaft, in der sich ein Hügel an den nächsten reiht. Weinberge, Oliven- und Feigenbäume soweit das Auge reicht. An schönen Tagen sieht man von hier bis zur Adria. Die Region zwischen Görz und Cormons gilt als das Epizentrum der so genannten Naturweinszene. In kaum einer anderen Region finden sich so viele Winzer, die ihre Weine ohne Zusätze und Eingriffe im Keller verarbeiten und Weißweine auf der Maische vergären. Eine Methode, die derzeit so umstritten wie trendig ist, die aber im italienisch-slowenischen Grenzgebiet eine lange Tradition hat. Aleks Klinec ist einer von ihnen. Wenn er nicht gerade am Herd steht, findet man ihn im Weingarten. Seine Weine keltert er wie sein Großvater vor hundert Jahren: Er lässt sie einfach werden.

Der kleine Weinort Medana liegt nur einen Steinwurf von der Grenze entfernt. Während der italienische Collio äußerst beliebt ist, wagt sich auch 25 Jahre nach der Grenzöffnung kaum jemand hinüber nach Slowenien. Dabei ist Goriška Brda der größere und schönere Teil der bekannten Weinbauregion.

Das Gebiet blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück: Bis 1918 Teil der k.u.k. Monarchie, gehörte es bis Ende des Zweiten Weltkriegs zu Italien. Mit Beginn der kommunistischen Ära wurde quer durch den Collio die Grenze zwischen Ost und West gezogen. Oft mitten durch Weinberge und Höfe. Während im Osten von nun an die Weine an Genossenschaften abgeliefert werden mussten, entwickelte sich der italienische Teil zur besten Weißweinregion Italiens.

Viele bekannte Winzer des Collio sind Slowenen wie Silvio Jermann oder Josko Gravner. Jermann kreierte in den späten 1980iger Jahren den Kultchardonnay „Where Dreams Have no End“ und Gravner wurde bekannt für fruchtige Sauvignons und Grauburgunder. Gravners Weine wurden hoch bewertet und waren notorisch ausverkauft. Er hätte sich zurücklehnen und alles einfach so weiter laufen lassen können. Wollte er aber nicht. Rückblickend urteilt er schonungslos: „Ich habe mit allem experimentiert, was die moderne Technologie ermöglichte, um möglichst viel guten Wein zu produzieren und Geld zu verdienen.“

Bis er eines Tages nach Kalifornien zu Mondavi reiste, um zu sehen, wohin sich der Weinbau in Zukunft entwickeln würde. Er war entsetzt, über die organisierte Maschinerie des renommierten Weingiganten. Zurück in Italien, spürte er, dass er so wie bisher nicht weitermachen wollte. „Mir wurde klar, dass die Industrie bestimmt, wie mein Wein wird.“

Er unternahm eine weitere Reise, nach Georgien, zu den Wurzeln des Weinbaus. Genau wie ihre Ahnen vor 5.000 Jahren keltern kleine Winzer dort ihren Wein in Tonamphoren. Gravner war begeistert und ließ sich Amphoren schicken. Er experimentierte einige Jahre, bis 2001 sein erster Amphorenwein auf den Markt kam. Die Fachwelt war entsetzt. „Verdorben und untrinkbar“ so das Urteil. Das stachelte den streitbaren Winzer erst richtig an – der Rest ist Geschichte. Josko Gravner gilt heute als der Vater der modernen Weinantike und ist damit höchst erfolgreich.

Er war keineswegs der Einzige, der die traditionelle Weinbereitung wieder entdeckte. Viele slowenischstämmige Winzer begannen zur gleichen Zeit wieder in der Art ihrer Großväter Weine zu produzieren. Biologisch im Weingarten, keine Zusätze im Keller und langer Schalenkontakt bei der Vergärung der Weißweine. Internationale Rebsorten wie Chardonnay und Sauvignon traten zugunsten von Ribolla und Tokaj in den Hintergrund.

Einer von ihnen ist Stanko Radikon im italienischen Oslavia. Als Radikon 1980 den Hof übernahm, konnte auch er den Verlockungen der modernen Produktionstechnologie nicht widerstehen: Künstliche Dünger im Weingarten, temperaturkontrollierte Gärung mit Reinzuchthefen, den „ganzen Firlefanz“ eben. Er spürte aber, dass die geschliffene Stilistik der Weine nicht in die Region passt. Nach und nach verzichtete er auf systemische Mittel, arbeitete biologisch und warf die sündteuren Stahltanks aus dem Keller. Vergoren wird seitdem wieder, wie vor hundert Jahren, spontan mit natürlichen Hefen im großen Holzfass – die Weißen bleiben dabei sehr lange im Kontakt mit Schalen und Kernen, genau so lange wie die Rotweine. Bis zu neun Monate. Das verleiht dem Wein nicht nur Farbstoffe, daher der dunkle oft orangene Ton, sondern auch Geschmacksstoffe und Tannine. Sie stabilisieren den Wein ohne künstliche Konservierungsmittel. Seit fast zwanzig Jahren verzichtet Radikon auf Schwefel und andere Zusatzstoffe, lange bevor diese Methode überhaupt diskutiert wurde. Seine langjährige Erfahrung und Sicherheit spürt man den Weinen an: Sie strahlen eine fast meditative Gelassenheit aus. Weine die völlig bei sich sind. Absolut harmonisch. Unantastbar.

Inzwischen ist er ein alter Hase in der Naturweinszene und weiß viel zu erzählen. Er erinnert sich, als er damals 1995 seinen ersten, eigenen maischevergorenen Weißwein verkostete, und begriff, dass sich damit seine Sicht auf die Welt fundamental ändern würde. Lange Jahre war es ein zäher Kampf: Alle hielten ihn für verrückt und seine Frau hatte Angst, sie würden Haus und Hof verlieren. Heute sind sie zwar immer noch nicht reich, aber ihre Weine finden sich in den besten Restaurants der Welt.

An Kritik hat er sich im Laufe der Jahre gewohnt; den Vorwurf maischevergorene Weißweine würden alle gleich schmecken, keine Rebsorte oder Terroir mehr erkennen lassen, lässt er jedoch nicht gelten: „Der strapazierte Begriff des Terroirs ist doch oft nur ein Ergebnis von Reinzuchthefen, Aromaenzymen und anderen Eingriffen, mit deren Hilfe Weine die gewünschten Stilistik erhalten – mit Herkunft hat das nichts zu tun!“

Einige Dörfer weiter, in San Floriano, ist das Weingut von Franco Terpin, auch er ist gebürtiger Slowene. Terpin ist ein Bär von einem Mann, mit tellergroßen Händen. Wüsste man nicht, dass er Weinmacher ist, würde man ihn für einen Fleischhauer halten. So rau er auf den ersten Blick wirkt, so herzlich ist er nach einer Weile des gemeinsamen Kostens. Nach einigen Stunden scheint er erst so richtig in Fahrt zu kommen. Terpin nimmt sich kein Blatt vor den Mund, redet nicht lange um den heißen Brei herum: „All die schrecklichen önologischen Spielchen, mit denen Weine wie am Reißbrett konstruiert werden, sind mir zuwider, ereifert er sich, „das Ergebnis sind belanglose Erfrischungsgetränke mit künstlichen Aromen!“

Tatsächlich sind seine Weine frei vom Verdacht der Belanglosigkeit. Der aktuelle Sauvignon Blanc verzichtet auf aufdringliche Aromen nach Katzenpisse oder Litschi-Marmelade, die einem den Genuss dieser Rebsorte oft verleiden. Nur dezente Würze und verhaltene Frucht. Ein vornehmer, beinahe scheuer Wein. Auch der Ribolla Gialla, als Wildfang verschrien, ist bei ihm erstaunlich zurückhaltend und sanft. Der knapp zwei Meter große Mann macht Weine von einer kaum vorstellbaren Zartheit. Gleichzeitig poltert er wie wild gegen Chemiekeulen im Weingarten: „In jedem Quadratzentimeter Erde gibt es so viele Einwohner wie in New York, die man mit chemischen Spritzmitteln umbringt – das ist Massenmord!“

Franco Terpin ist Mitglied von „Simbiosa“, einer kleinen Gruppe von Winzern slowenischer Herkunft aus Italien und Slowenien. Sie halten sich an strenge interne Vorgaben. Der Verzicht auf jegliche Chemie im Weingarten und Keller ist Grundvoraussetzung.

Auch Aleks Klinec aus Medana gehört zu der Gruppe. Er ist ein beseelter Koch, aber sein Herz gehört dem Wein. Mit seinen zottigen langen Haaren und dem Bart sieht er aus wie ein hartgesottener Rocker oder wie der Räuber aus einer Kindergeschichte. Wäre da nicht dieses Lachen in seinen Augen, das ihm eine freundliche Güte verleiht. Klinec musste schon mit 14 Jahren am Hof seines Vaters mitarbeiten. Slowenien gehörte noch zu Jugoslawien und war von den Entwicklungen des modernen Weinbaus abgeschnitten. Die Weine wurden so gekeltert, wie es in der Region seit jeher Tradition war: Ohne chemische oder technische Hilfsmittel. Rot wie weiß lange auf der Schale vergoren. Ohne ideologischen Hintergrund, schlicht aus der Notwendigkeit heraus, sie vor Oxidation zu schützen. Lange bevor Josko Gravner seine erste Amphore zu Gesicht bekam und die Wiederentdeckung der alten Weinbautechnik proklamierte. Erst nach dem Zerfall des kommunistischen Jugoslawiens, auf der Weinbauschule, wurde Aleks Klinec von der Notwendigkeit neuer Technologien überzeugt. Anfangs war er begeistert wie ein Bub von einem neuen Spielzeug, aber bald schon schmeckten ihm seine eigenen Weine nicht mehr. Reumütig kehrte er zurück zum Ursprung. Er verfeinerte die alten Methoden, vergärt heute kürzer, um sie nicht mit den herben Aromen der Schale zu überdecken. Danach reifen sie in Fässern aus Kirsch- oder Maulbeerbaumholz und werden aufmerksam in Ruhe gelassen. Die Weine sind präzise, rasant und zupackend. Ziemlich aufregend. Seine neueste Kreation heißt „Ortodox“, Medana I. Classe, eine Cuvée aus regionalen weißen Rebsorten. Auf dem Etikett ist eine Urkunde abgebildet. Eine Lagenklassifikation der Region Gorizia aus dem Jahr 1787, von Josef II. gezeichnet. Ausgerechnet das selbst in Fachkreisen wenig bekannte Goriška Brda verfügt über eine der ersten urkundlich dokumentierten Klassifizierungen von Weinlagen, lange vor Frankreich. Offensichtlich wusste man vor 200 Jahren schon von der Einzigartigkeit dieser Weinregion.

Vielleicht ist es die Landschaft, die die Weine so besonders macht. Die lieblichen Hügeln und die kleinen, alten Dörfer, der Mix aus mediterranem und alpinem Klima, die Adriaküste in Sichtweite und die Julischen Alpen im Rücken, der Mix aus slawischer Gelassenheit und italienischer Genussfreudigkeit. Die Seele der Grenzgänger, immer zwei Sprachen im Ohr, gespalten und doch eins.

Andrej Kristancˇicˇ ist so ein Grenzgänger: Sein Weingut Nando liegt im slowenischen Teil des Collio, benannt nach dem Urgroßvater, der noch unter dem österreichischen Kaiser Wein kelterte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 100 Meter vor seinem Haus die Grenze gezogen. Der Hof im kommunistischen Jugoslawien, der Großteil der Weinberge in Italien. Ein bürokratischer Spießrutenlauf begann, der erst jetzt, einige Jahre nach dem Beitritt Sloweniens zur EU, langsam endet. Wie die meisten Weinmacher begann auch Kristancˇicˇ vor mehr als zehn Jahren ausschließlich Naturweine zu produzieren. Konventionelle Weine hätten ihn zunehmend gelangweilt. Der erste maischever-gorene Weißwein habe ihn „angefixt“ und seither könne er nichts mehr anderes trinken. Kristancˇicˇ ist ein Ausnahmetalent, nur selten geraten Weine so balanciert, machen so viel Spaß wie sein Rebula oder Jakot.

Jakot ist eigentlich ein Tokaj, eine typische Rebsorte der Region. Aber der Name darf nach einer Klage des ungarischen Tokaj-Gebiets nicht mehr verwendet werden. Deshalb haben die Winzer den Namen einfach umgedreht. Das ist Stanko Radikon eingefallen, dem alten Fuchs. Grenzgänger sind auch Überlebenskünstler.

Medana 20
SLO-5212 Dobrovo v Brdih
www.klinec.si

Josko Gravner
Località Lenzualo Bianco
Oslavia 9
I-34170 Gorizia
www.gravner.it

Società Agricola Radikon
Località Tre Buchi 4
Oslavia
I-34170 Gorizia
www.radikon.it

Franco Terpin
Località Valerisce 6a
I-34070 San Floriano del Collio
www.francoterpin.com

Nando – Andrej Kristancˇicˇ
Plešivo 20
SLO-5212 Dobrovo v Brdih
www.nando-wine.com

www.vinonudo.at
www.orange-wine.net
www.kracherfinewine.at
www.uvinum.at
www.vivino.com