Im Reich der Garrigue
"Garrigue" ist jene wilde Strauch- und Buschlandschaft im Süden Frankreichs, in der die Luft, der hier wild wachsenden Kräuter wegen, unnachahmlich aromatisch duftet. Diese Aromen finden sich in so manchen Weinen der Region wieder.
Im Reich der Garrigue
Text von Michael Prónay Foto: Alexi Pelekanos
Mit dem Thema "Frankreich abseits von Bordeaux und Burgund" wollen wir zeigen, dass das Mutterland des feinen Rotweins doch noch wesentlich mehr zu bieten hat als die bekannten Klassiker aus Pinot Noir einerseits und Cabernet und Merlot andererseits. Es war klar, dass die überwiegende Mehrzahl aus dem riesigen Weinreservoir im Süden Frankreichs kommen würde, der Heimat von Rebsorten, die kaum jemand kennt: Cinsault, Mourvèdre, Grenache oder Carignan heißen sie, meist werden sie in unterschiedlichen Verhältnissen miteinander verschnitten, und ihre aromatische Klammer ist eine oft zwetschkig angehauchte Dunkelfrucht mit deutlich südlicher "Wärme". Dazuzuzählen ist auch die Syrah, die allerdings auch im Alleingang eine internationale Karriere – von Kalifornien und Australien bis ins Burgenland und Weinviertel – aufs Parkett gelegt hat. Dieser Fruchtausdruck kann von fast aufdringlich einfach (wie in Billigst-Côtes-du-Rhône-Weinen im Regal des Lebensmittelhandels) bis zu reif, nobel und verführerisch reichen. Dass letztere Weine nicht gerade zum Diskontpreis verschleudert werden, liegt in der Natur der Dinge; 90 Punkte ("ausgezeichnet") sind allerdings bereits um 7,20 Euro zu haben, und dieser Wein schlägt 99% aller gleichpreisigen Zweigelt-Füllungen um Längen.
Zwei Bemerkungen zu zwei Weinen außerhalb des erwähnten Sortenspektrums. Zum einen hat die Baron-Philippe-de-Rothschild-Gruppe (das sind die von Mouton-Rothschild) den Mut, im heißen Languedoc ausgerechnet die heikelste Rotweinsorte überhaupt anzubauen, Pinot Noir nämlich, der man allgemein (und ganz zu Recht) nachsagt, mit zu warmen Wetterverhältnissen auf dem Kriegsfuß zu stehen. Das Ergebnis überrascht dann mit einer geradezu umwerfend reintönigen und klaren Nase, mit der die Aromatik am Gaumen allerdings nicht ganz Schritt halten kann.
Ein zweiter Wein bedarf ebenfalls einer einführenden Erklärung: Chinon. Dieser Rote kommt aus der Umgebung des gleichnamigen, im Kern mittelalterlichen Städtchens an der Loire und wird aus Cabernet Franc gekeltert. Die Aromatik des Cabernet-Stammvaters trägt hier ganz eigene Züge, die sich dem Laien beileibe nicht bei der ersten Begegnung erschließen. Da ist nichts Freundlich-offen-Zugängliches, der Wein atmet Terroir pur, charmant zu sein, ist seine Sache wirklich nicht. Ein Kollege aus Frankreich, von der Loire stammend, hat es einmal so gesagt: "Die Cabernet-Franc-Weine von der Loire sind die einzigen Roten auf der Welt, die man mit 6 Monaten und mit 60 Jahren trinken kann." Und er hat Recht. Wenn man sich einmal an die bedingungslos erdigen Noten gewöhnt hat, dann macht ein solcher Wein zur Abwechslung viel Spaß. Auch das mit der Haltbarkeit stimmt: Wir haben an Ort und Stelle 1969er und 1971er getrunken, die keine Altersfurchen gezeigt haben. Gewiss, sie haben sich nicht zu Bordelaiser Cru-Classé-Qualität "emporgelagert", aber weicher und runder waren sie allemal.
Auch zwei Bioweine waren in unserer Verkostung, wobei man dem "Nature" aus dem Hause des Châteauneuf-du-Pape-Gurus Henri Perrin nur wünschen kann, nicht in die Hände der Häscher der heimischen Weinbürokratie zu kommen, denn eine solche Bezeichnung ist hierzulande weingesetzlich explizit verboten.
"AOC" heißt Appellation d’Origine Contrôlée (kontrollierte Herkunftsbezeichnung), "VdP" Vin de Pays (Landwein); beide Bezeichnungen haben immer den Zusatz der Region oder des Gebiets.
Die Besten
93 2001 Château Capitoul Maelma AOC Côteaux-du-Languedoc La Clape, 14% (Vinson, EUR 37,–)
Dichte Dunkelfrucht, würzig, unendlich tief, wunderschön passendes, verwobenes Holz, prachtvoll; herrlich extraktsüße Schokofrucht, ätherisch verwoben, dicht, wunderschön vielschichtig und lang, toller Wein.
92 2000 Domaine La Garrigue Cuvée de l’Hostellerie AOC Vacqueyras, 13,5% (Perkal, EUR 16,20).
Reife, zart animalische Ledernase mit reif-röstigen Einsprengseln, komplex und tief; feine, dichte, zart schokig angehauchte Dunkelfrucht, wunderschöne Balance, ausgezeichnet.
92 2003 Mas Karolina AOC Côtes du Roussillon Villages, 15,5% (Gallier, EUR 16,40) (Grenache, SY, Carignan)
Rubin mit violettem Rand; herrlich frische, dichte, tiefe, jugendliche Nase mit einem Hauch von Holz; süße Beerenfrucht, Milchschokolade, sehr modern, aber auch sehr, sehr gut, wunderschöner Wein, eine tolle Entdeckung.
92 2000 L’Esprit de Pennautier, Château de Pennautier AOC Cabardès, 13,5% (Vergeiner, EUR 24,60) (18 Monate neue Barriques)
Rosmarin, Thymian, Schokolade und Vanille, eine umwerfende Mischung aus Tradition und Moderne; sehr geschmeidig und geschliffen, dicht, Milchschokolade und Brombeeren, sehr sauber, süffig und attraktiv.
92 2003 Boisrenard, Domaine de Beaurenard AOC Châteauneuf-du-Pape, 14,5% (Vergeiner, EUR 45,80) (die Prestigecuvée des Hauses)
Tiefe, komplexe, vielschichtige Nase, Garrigue, Kräuterwürze, Beerenkompott, zarte Vanille, keine Spur von vordergründig; sehr saubere, komplexe, dichte, ungemein engmaschige Dunkelfrucht, kompakt und dicht, noch ziemlich embryonal, aber mit enormem Potenzial ausgestattet, mit Abstand der lagerfähigste Wein der gesamten Probe, eine Sache für Jahrzehnte.
91 2003 Domaine de Beaurenard AOC Rasteau Côtes-du-Rhône Villages, 14,5% (Vergeiner, EUR 15,70)
Feine, würzig unterlegte Dunkelfrucht mit beerigem Einschlag; weiche, feine dezent vanilleunterlegte Beerenfrucht, wunderschöne Balance, saftig, ausgesprochen attraktiv.
91 2003 Mas d’Auzières Les Éclats AOC Côteaux du Languedoc, 13,5% (Perkal, EUR 15,90)
Holler und Bitterschokolade, tief; wuchtige, kraftvolle Struktur, fest und kernig, Bitterschoko, Dunkelfrucht und Schoko, knackig und fest, kompakte Tannine, ein Wein zum Weglegen für die nächsten paar Jahre.
90 2001 Château La Baronne Montagne d’Alaric AOC Corbières, 13% (Vinorama, EUR 7,20)
Reife, verwobene, feine Dunkelfrucht mit bergamottigem Einschlag; feine, elegante, ätherische Frucht, wunderschön gereift, zeigt, was Corbières kann, und das zu einem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis.
90 2002 Syrah, Michel Laroche VdP d’Oc, 12,5% (Wein Wolf, EUR 7,50)
Weich-füllige Pfeffernase, Dunkelfrucht, Brotrinde und Vanille; sehr sauber und ätherisch in der Fruchtanmutung, sehr französisch, schöner Biss, weich und freundlich, ausgezeichnet.
90 2001 Château de Caladroy Cuvée Les Schistes AOC Côtes du Roussillon Villages, 14,5% (Gallier, EUR 8,90)
Tomatensugo und getrocknete Tomaten, dazu ein Hauch frischer Thunfisch (klingt komisch, riecht aber durchaus attraktiv); weiche Fülle, geschmeidige Textur, sehr freundlich und entgegenkommend, ein Schmeichler.
90 2003 Nature Perrin Perrin & Fils, Orange, Côtes du Rhône, 13,5% (Wein & Co, EUR 10,99) (Biowein)
Garrigue pur, dazu ein Hauch von Ribiseln; weich-füllige, schmeichelnde Frucht, modern, Hauch von Schokolade, sehr animierend und attraktiv.
90 2003 Domaine de Baron’Arques AOC Limoux, 14,5% (Wein Wolf, EUR 35,–) (ME/CS/CF/Grenache/SY/Malbec; aus dem Hause Baron Philippe de Rothschild)
Cassis pur, die Cabernets lassen grüßen; weich-füllige Frucht, dabei aber auch elegant, guter Biss, knackiges Tannin, könnte eine Spur mehr Fruchtfokus haben.
Die weiteren des Klassements
89 2004 La Chapelle (Saint-Félix), Castelmaure, AOC Corbières, 13,5% (Wein & Co, EUR 6,99)
Feine Beerennase mit dunkel-mineralischem Einschlag Hauch von Schwarztee; kompakte, dichte, klare Frucht, schönes Terroir, guter Fokus, wird noch zulegen.
89 2000 M. Chapoutier AOC Côteaux
d’Aix-en-Provence, 14% (Wein & Co, EUR 6,99) (Biowein)
Gereifte, ganz zart röstige Nase, Hauch Pinienkerne; am Gaumen reif, extraktsüß, mürbe Tannine, auf dem Höhepunkt, jetzt mit Vergnügen zum Essen zu trinken.
89 2001 Terroir Les Cailloutis, Gérard Bertrand, AOC Corbières, 13% (Wein Wolf, EUR 8,80)
Wunderschön verwobene, ätherische Dunkelfrucht, Zimt, Nelken, Bratäpfel, alles ist da; weiche, freundliche Frucht, zugänglich und attraktiv, klassischer Roter für die Tafel.
88 2003 L’Aubrespin, Domaine Saint
Laurent, AOC Côtes-du-Rhône, 12,5% (Laroche, EUR 5,69)
Zarte Dunkelfrucht, ganz leicht gekocht (stört aber nicht); saubere, klare, süffige Zwetschkenfrucht, schöne Balance, saftig, klassisch – und das zu einem absoluten Superpreis.
88 2004 Pinot Noir, Baron Philippe de Rothschild, VdP d’OC, 12,5% (Wein Wolf, EUR 6,90)
Herrlich klare, frische Pinotnase, feine Himbeerfrucht, erinnert ein wenig an Kalifornien, nicht der Wucht, sondern der klaren Fruchtaussage wegen; zarte Frucht, ein wenig einfacher gestrickt als die Nase andeutet, dennoch leicht, elegant und wirklich süffig.
88 2001 Grand Lubéron, Le Cellier de
Marrenon, AOC Côtes du Lubéron, 13% (Gallier, EUR 7,90) 1. Flasche Kork.
Dichte Dunkelfrucht, zart röstig unterlegt; reife Beerenfrucht, auch hier wiederum röstige Noten, transparent, sauber und ordentlich.
88 2003 Domaine de Fontenille, AOC
Côtes du Lubéron, 13,5% (Laroche EUR, 7,91)
Deutlich maulbeerige Frucht (Syrah?); saftig, weich und rund, Hauch von Wiener Zuckerl, knackig, gebündeltes Tannin, herzhaft.
88 2003 Cuvée Médiévale, Domaine de la Commanderie, Philippe Pain, AOC Chinon, 12,5% (Laroche, EUR 7,95)
Sehr eigenwillige, typische Nase: erdig, mineralisch und terroirgeprägt wie bei keiner zweiten Rotwein-AOC in Frankreich, dazu zedrige Tabaknoten; schlanke, zarte Frucht, elegant, in keiner Phase üppig oder wuchtig, ein Wein für bedingungslose Terroirfans (und Modernismusgegner).
88 2003 Château Capitoul Rocaille, AOC Côteaux-du-Languedoc La Clape, 13,5% (Vinson, EUR 10,30) (40% Grenache, 40% Syrah, 20% Carignan)
Omas Gewürzlade, Maulbeeren und zarte jahrgangsbedingte Röstaromen; weiche Textur, freundliche Ribiselfrucht, frisch und knackig, dabei nicht anbiedernd, schöne Balance.
87 2004 Syrah, Domaine St-Jean de l’Arbousier, VdP d’Oc, 13,3% (Vinorama, EUR 6,90) 1. Flasche Kork.
Klassisch-pfeffrige Syrah-Nase, Veilchen, ausgesprochen reintönig; am Gaumen aber eher zurückhaltend, gutes Tannin, schlank wirkend, sauber, braucht noch ein wenig Zeit.
87 2003 Cabernet Sauvignon, Domaine St-Jean de l’Arbousier, VdP d’Oc, 13,7% (Vinorama, EUR 6,90)
Eher röstige Nase, auf das Hitzejahr hindeutend, dahinter zwetschkige Dunkelfrucht; saftige Zwetschken, schöner Biss, noch deutliches Tannin, straff, mineralisch, braucht noch Zeit.
87 2003 Château Capitoul Les Lavandines, AOC Côteaux-du-Languedoc La Clape, 12,5% (Vinson, EUR 7,90) (35% Grenache, 35% Syrah, 30% Carignan)
Würzige Garrigue-Nase, Hauch Teer; etwas einfach gestrickt, weitmaschig, aber freundlich und sauber, sehr solid.
87 2003 Domaine St-Jean de l’Arbousier, AOC Côteaux du Languedoc, 14% (Vinorama, EUR 8,40)
Überreife Zwetschke, vielleicht schon an der Grenze zur Oxidation? Am Gaumen frischer, reife Dunkelfrucht, rosa Pfeffer, weich und modern.
87 1998 Château les Ifs, AOC Cahors, 12,5% (Laroche, EUR 8,97)
Eigenwillige, zart schimmelige Dunkelfruchtnase; verhaltene Frucht, Waldboden, guter Biss, zeitlos, braucht keine Eile, im Abgang deutliches Tannin (beide Flaschen gleich).
87 2003 Domaine Magellan Vieilles Vignes, VdP des Côtes de Thongue, 14,5% (Wein & Co, EUR 8,99) (Grenache, Carignan)
Zart wächserne Dunkelfrucht; weiche Textur, zart extraktsüße Frucht, saftig, sauber, solid.
87 1997 Domaine de Baillaury, AOC Banyuls, 17% (Gallier, EUR 11,50) (Alkoholverstärkter roter Süßwein, wird wie Portwein hergestellt)
Granatorange; deutlich oxidativ, Zwetschken und Dörrfrüchte, leider geht die Oxidation auch in die Apfelschalenrichtung, nicht in die feinere der besseren Tawny Ports oder Madeiras; am Gaumen hingegen mit feinster Schokosüße verwoben, wunderbar feine, dezent rosinige Süße – interessanter Süßwein mit zwei Gesichtern.
86 2003 Château La Vernède Tradition, AOC Côtaux du Languedoc, 13,5% (Gallier, EUR 6,90)
Zwetschkige Dunkelfrucht, sehr südlich angehaucht; kompakte Tannine, sehr klassisch, im Moment eher unzugänglich, sollte noch ein paar Jahre liegen.
86 2002 Guigal, AOC Côtes du Rhône, 13% (Wein Wolf, EUR 9,30)
Reife Farbe, gereifte Nase; weitmaschig, sehr transparent, fast wässrig, zerflattert am Gaumen, kurz.