Im Widerstand gegen Pilze

Josef Totter zeigt eindrücklich, dass pilzresistente Rebsorten nicht nur sehr wirksam, sondern auch gut sein können.

Text von Christina Fieber Fotos von Regina Hügli

Es ist ein idyllisch anmutendes Bild. Einige Kilometer südöstlich von Graz eröffnet sich eine Landschaft mit unzähligen sanften Hügeln – darüber verstreut Wälder, Obsthaine, Maisfelder und ein paar Weingärten. Seit jeher betreiben Kleinbauern hier gemischte Landwirtschaft: ein wenig Vieh, Ackerbau und meist auch etwas Weinbau; unkomplizierte Weine für den eigenen Bedarf oder die angeschlossene Buschenschank. Während man in der benachbarten Südsteiermark zahlreiche renommierte Weinbetriebe findet und sich auch in der Südoststeiermark um Straden und Riegersburg einige hervorragende Produzenten etablierten, hat sich in den Regionen, die dazwischenliegen, kaum ein Winzer hervorgetan. Weinbau wird hier meist nur im Nebenerwerb betrieben. Auch wenn etliche Bauern die Landwirtschaft zugunsten eines einträglicheren und komforta­bleren Berufs aufgaben, aufs Weinmachen will kaum einer verzichten.

So auch Josef Totter aus Jagerberg. Von Montag bis Freitag unterrichtet er an der Weinbauschule Silberberg Mathematik und Baukunde. Abends und am Wochenende gehört seine Zeit den Weinen.

Eigentlich ist er gelernter Maschinenbauer, für KTM konstruierte er spezielle Zylinderköpfe, später arbeitete er in Italien für eine Motocross-Firma. Dort in der Toskana kam er dann auch mit Winzern in Kontakt und kostete erstmals Naturweine, und ihre ungeschminkten, bisweilen wilden Aromen faszinierten ihn auf Anhieb.

Jeden Herbst nahm er sich Urlaub, um den Eltern bei der Ernte zu helfen. Als er 2011 in die Südoststeiermark zurückkehrte, übernahm er den zwei Hektar großen Weinbaubetrieb des Vaters und setzte auf Risiko: Welsch­riesling und Co wurden kurzerhand ausgerissen und dafür sogenannte ­PIWI-Rebsorten gepflanzt. Seit einigen Jahren keltert er nun ­ausschließlich pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen. Hinter der etwas lustbefreiten Bezeichnung versteht man Sorten, die weniger anfällig für Echten oder Falschen Mehltau sind. Die von Winzern gefürchtete Pilzkrankheit kann ganze Ernten vernichten. Im konventionellen Weinbau können die Reben bei Befall mit modernen chemischen Fungiziden gespritzt werden. Für Biowinzer gestaltet sich die Sache hingegen wesentlich komplizierter. Der einzig wirksame und erlaubte Direktschutz gegen Mehltaupilze ist eine prophylaktische Behandlung mit Kupfer- oder Schwefelpräparaten. Vor allem Kupfer, das den Falschen Mehltau Peronospora verhindern soll, gilt als die Achillesferse im biologischen Weinbau: Der Stoff zählt zu den Schwermetallen, die sich bei häufiger Anwendung langfristig im Boden einlagern können. Auch wenn heute meist nur mehr Minimengen verwendet werden, bietet der Einsatz von Kupfer Biogegnern eine willkommene Angriffs­fläche. Wirksame Alternativen gibt es noch nicht, zumindest keine, die im biologischen Weinbau zugelassen sind.

In den steirischen Weinbaugebieten fürchtet man Peronospora besonders. So idyllisch die Landschaft wirkt, für den Weinbau ist das dort vorherrschende Klima tückisch. Die hohen Niederschlagsmengen sind insbesondere für Bioweinbauern eine Plage.

Aufgrund der Klimaveränderung nimmt der Regen in den letzten Jahren sogar noch zu. Selbst in so heißen Sommern wie 2018 und 2019, als Bauern in ganz Österreich über Trockenheit ächzten, zählte man in der südlichen Steiermark kaum einen Tag, an dem es nicht schüttete. Wie in den Tropen sei es zuweilen gewesen, erzählen die hiesigen Winzer, in den Weinbergen habe es regelrecht gedampft. Die Kombination aus Hitze und Feuchtigkeit ist ein Schlaraffenland für Pilze, unter diesen Bedingungen entfalten sie sich hemmungslos.

PIWI-Sorten könnten da Abhilfe leisten. Allein, sie haben unter Weinkennern einen schlechten Ruf. Edel- oder Europäerreben (Vitis vinifera) werden dabei mit neuen pilzwiderstandsfähigen amerikanischen Sorten gekreuzt – nicht unbedingt zu ihrem sensorischen Vorteil, wie viele Experten glauben. Die geschmacklichen Vorzüge bekannter Sorten gingen bei den Neuzüchtungen weitgehend verloren, lautet ihr Urteil.

Inzwischen gibt es unzählige natürliche Kreuzungen mit resistenten Reben. So wird etwa aus Cabernet Sauvignon mit einem mehltauresistenten Partner „Cabernet blanc“ und Grüner Veltliner mit Seyval blanc nennt sich dann „Donauveltliner“. Ob sie noch die Klasse der ursprünglichen Sorten besitzen, darüber scheiden sich freilich die Geister. In Frankreich wurden solche Kreuzungen in den 1960er-Jahren sogar verboten, aus Angst um das Image der renommierten französischen Gewächse.

Josef Totter kann derlei Ressentiments nicht verstehen. „Man kann aus jeder Rebsorte einen hochwertigen Wein machen, wenn man sich anstrengt“, ist er überzeugt.

Er ist einer von ganz wenigen Winzern weltweit, die ausschließlich mit den verschmähten PIWI-Sorten arbeiten. Entsprechend groß ist sein Ehrgeiz, das Beste aus ihnen herauszuholen.

Als Techniker bevorzugt er einfache Entscheidungen, hat man ein Problem, so versucht man, es so effektiv wie möglich zu lösen. Als Biobauer spare er sich den Pflanzenschutz fast komplett und somit auch die vielen Traktorüberfahrten in den Weinbergen, die dem Boden strapazieren.

Aber Josef Totter ist nicht nur Pragmatiker, sondern auch Träumer. Er spricht lang und detailreich über seine Visionen. Als Techniker zähle nur Berechenbarkeit, als Privatmensch hingegen lasse er die Dinge lieber auf sich zukommen, das Unvorhersehbare reize ihn. So lässt er auch seinen Weinen ihren eigenen Willen. „Ich arbeite gerne mit ihnen zusammen“, sagt er, als wären es Kollegen auf Augenhöhe.

Vermutlich lässt ihn aber auch die Tatsache, nicht vom Weinbau zu leben, so entspannt wirken. Dieser müsse sich lediglich selbst tragen, ansonsten fühle er sich frei, Weine ganz nach seiner Fasson zu machen.

Auf Ablehnung sei er eingestellt, darauf dass man seine Weine erst gar nicht probiert, weil er nicht die in der Steiermark gängigen Sorten keltert. Er hat sich daran gewöhnt, dass die meisten verächtlich die Nase rümpfen, wenn sie die Namen Muscaris oder Souvignier gris hören, die beiden PIWI-Sorten, die er vinifiziert. Doch just, als er es sich gerade so behaglich im Widerstand eingerichtet hatte, kamen scheinbar aus dem Nichts Menschen, denen seine Weine gefielen. Und es wurden immer mehr. Langsam spricht sich herum, dass Totter den PIWI-Sorten eine erstaunliche Vielschichtigkeit zu entlocken vermag. Das könnte ihn eigentlich freuen, und doch erscheint es beinahe, als würde ihn die wachsende Aufmerksamkeit stören. Als habe er Angst, das steigende Interesse könne ihm seine Narrenfreiheit und die ihm eigene kindliche Unbedarftheit rauben. „Plötzlich spüre ich einen Erwartungsdruck“, bemerkt er, „und ich habe Angst, ihn nicht erfüllen zu können!“

Man merkt ihm seine Verwirrung an, die frei von jeder Attitüde ist. Totter ist kein Mensch, der sich lang Mühe gibt, sich zu verstellen oder gar etwas zu Schau zu stellen.

Vielleicht ist es aber auch eine Offenheit, sich weiterzuentwickeln, sich nicht mit vorgefertigten Prinzipien den Weg zu versperren. Und so unternimmt er auch gemeinsam mit seiner Frau Helga „Fortbildungsreisen“, wie er es nennt. Zuletzt waren die beiden im französischen Jura, dem irdischen Paradies aller Naturweintrinker, im Elsass und in Südtirol – auf der Suche nach ­Winzern, die Weine abseits der Geschmacksautobahnen produzieren. „Mich interessieren nur mehr Extremisten“, erzählt er, „von denen kann ich noch was lernen.“

Und so geraten seine Weine immer ausdrucksstärker, zeigen ihre Persönlichkeit immer unverblümter. Aus Muscaris und Souvignier gris kommen Gewächse zum Vorschein, die Freude machen. Angesichts seiner Weine kommt man zu der Erkenntnis, mit den Vorurteilen gegen PIWIs endgültig einpacken zu können.

Trotz aller Gelassenheit legt Totter Wert auf präzises Handwerk. Im Weingarten arbeitet er biologisch, im Keller aufmerksam zurückhaltend. Vergoren wird spontan, meist auf der Maische, oft auch in Amphoren. Das tut vor allem dem Muscaris gut, der eher rustikalen Sorte schenkt die Maischegärung Frische und Lebendigkeit. Der Souvignier gris zeigt sich von Haus aus filigraner – die ­feinen Gerbstoffe geben ihm zusätzlich Struktur.

Manche Weine bleiben still, andere werden zu Sprudel, genauer gesagt zu Pet Nats. Man möchte meinen, das störrische Wesen der natürlichen Schäumer missfalle dem Mathematiker in ihm. Doch genau das fasziniert ihn: Sie seien schwer zu berechnen, voller Variablen, abseits kühler, geometrischer Perfektion und reibungsloser Funktionsweise. Eigenwillige Maschinen, die sich nicht konstruieren lassen. Ganz nach seiner Fasson.