In Ton gegossen

In Amphoren ausgebaute oder anderweitig vinifizierte, so genannte orange Weine stellen so ziemlich alles auf den Kopf, was önologisch bisher für gut und edel gegolten hat. Eine Nische für Freaks oder ein Fenster in die weinmäßige Zukunft?

In Ton gegossen

Text: Florian Holzer· Fotos: Peter M. Mayr

Beim ersten Mal ist es hart. Trüber Wein, orangerot oxidiert und von Gerbstoffen geprägt, wie man sie bei Weinen, die nicht schwarz sind und aus Südfrankreich kommen, eigentlich kaum mehr kennt, kaum Frucht … – klassischer Fall von kaputt. Aber mit etwas Glück – oder mit Hilfe eines Weisen, der so etwas schon einmal getrunken hat – kann man sich vielleicht von seiner geschmacklichen Schablone befreien und erkennt in diesem Glas trüben, seltsamen Weins dann zum Beispiel eine sagenhafte, fast salzige Mineralität; oder eine aromatische Tiefe, die sich nicht nur im Glas von Minute zu Minute verändert, sondern auch den Gaumen nicht mehr loslässt. Und plötzlich erschließt sich da eine Schönheit und Anmut, die mit der Schönheit und Anmut normaler Weine zwar relativ wenig gemein hat, sondern ein bisschen wie eine Botschaft aus einer anderen Welt wirkt, von der man aber schließlich nicht mehr lassen kann. Nach dem ersten Glas eines orangen Weins ist jedenfalls nichts mehr so, wie es vorher war, zumindest önologisch.

Das mit der anderen Welt ist übrigens gar nicht so falsch, denn diese exzentrischen Weine werden in etwa so gemacht, wie man es auch schon vor 7.000 Jahren hielt, und zwar in Georgien, wo nach Ansicht von Historikern die Ursprünge des Weinbaus zu finden sind: in riesigen TonAmphoren, so genannten Quevris, nach radikal schlichter Methode ausgebaut, nämlich mit monatelanger Maischestandzeit inklusive Traubenkämmen, Spontangärung, unkontrolliertem Säureabbau und in der HardcoreVariante auch unter Verzicht von Schwefel, sprich: Man füllt die Trauben in die eingegrabenen Amphoren und überlässt sie für ein paar Monate oder gar Jahre mehr oder weniger sich selbst.

Josko Gravner, dereinst nicht nur Vorreiter des modernen, technischen Weißweins im Friaul, sondern auch schon in Sachen Terroir und Authentizität recht früh an Bord, begann 2001 damit, Weine in diesen giare auszubauen, stieß damit auf enormes Interesse und wies in dieser Radikalität für zahlreiche Winzer einen Weg, die sich am Ende der technisch kontrollierten Weinbaubereitung sahen und gierig nach Alternativen lechzten. Er wurde zum Vorreiter, sein Weingut gewissermaßen zur Pilgerstätte, mittlerweile erhalten interessierte Winzer die Nachricht, dass er kein Museum sei und für Besuche keine Zeit habe, erzählt Franz Landauer, der soeben seinen ersten Jahrgang (und den bisher einzigen roten) AmphorenWein auf den Markt brachte.

Friaul, Slowenien und Istrien gelten derzeit als die Zentren dieser archaischen Weinbereitung, die sich nicht zwangsläufig in der Verwendung der TonGefäße äußert, sondern vielmehr im gänzlich anderen Zugang zum Thema Wein, dem Geschehenlassen, der Abkehr jeglicher Eile, dem von Zynikern gern und mit Wonne verhöhnten Aspekt der Ganzheitlichkeit. „Um das Behältnis geht es nicht“, sagt Sepp Muster, der in Österreich als Pionier auf dem Sektor dieses Weintyps gilt, „es geht um die Erfahrung, die man mit diesen Weinen machen kann. Und es geht letztlich um die Diskussion, was Wein eigentlich ist, und was nicht.“ 2005 befüllte er

seine erste Amphore, sechs bis acht Monate bleibt der Most für seinen Wein namens Erde auf der Maische, mindestens die Hälfte der Traubenkämme mit dabei, kein Schwefel. „Das war natürlich schon sehr extrem“, sagt Muster, und es wundert ihn gar nicht, dass steirische PrüfnummerKommissionen mit diesem Wein relativ wenig anfangen konnten, „mich hat es damals eher gewundert, dass das überhaupt wer kauft.“ Mittlerweile machte man natürlich auch Erfahrungen, lernte die Grenzen dieses Ausbaus ein bisschen besser kennen, „2008 haben wir hervorragenden AmphorenEssig gemacht“.

Auch Ewald Tscheppe vom Weingut Werlitsch, Musters Weggefährte und seit 2007 AmphorenWinzer, sieht die Sache mittlerweile differenziert. „Das Ergebnis ist spannend und gut“, aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Wein verdirbt, lag bei ihm bisher bei 50:50. Er ist mittlerweile der Ansicht, dass es für das, worum es seiner Meinung nach eigentlich geht – die Aufnahme von Energien aus dem Boden, den Ausdruck von Terroir in der extremsten, denkbaren Weise und den feinstofflichen Austausch zwischen Wein und Erde – nicht unbedingt die Amphore braucht. Sondern dass man das im Holzfass auch erreichen könne, da allerdings bessere Möglichkeiten habe, vinifikatorische Katastrophen zu verhindern. Ob er seine 600LiterAmphore mit 2011erTrauben überhaupt befüllen soll, war für Ewald Tscheppe Mitte Oktober jedenfalls noch unklar, Franz Strohmeier, SchilchersektSpezialist und wahrscheinlich der versierteste Winzer Österreichs in Sachen schwefelfreien Ausbaus, hatte da die Entscheidung schon gefällt, seine drei neuen Quevris vorerst einmal leer zu lassen.

Nichtsdestotrotz ist die Anzahl der archaischen Tongefäße, die heuer ihren behutsamen Weg von Georgien nach Österreich fanden, eindrucksvoll: Ploder Rosenberg vergrub welche, Andreas Tscheppe bekam eine Lieferung, Josef Umathum auch, „aber nur zur Dekoration für den Hof, man muss nicht alles mitmachen“. Und natürlich Bernhard Ott, dessen Grüner Veltliner Qvevre 2009 von der Presse mit großer Begeisterung aufgenommen wurde und in seiner mineralischexotischen Fülligkeit zweifellos auch einem größeren Publikum gefallen kann. Aber eben einem ganz anderen Ansatz als jenem der orangen Weine folgt.

Die als schwer verkäuflich gelten und damit logischerweise in der Gastronomie bisher kaum Niederschlag fanden, mit Ausnahme des Taubenkobel, der seit seinem Relaunch im Frühling 2011 zum Menü drei verschiedene WeinBegleitungen anbietet, neben einer österreichischen und einer exklusiv vom familiären Gut Oggau bestrittenen eben auch eine mit internationalen Vertretern der orangen Philosophie. Nicolas Joly, Loire, Peter Jakob Kühn aus dem Rheingau, Gravner, Vodopivec, Podversic und Miani aus dem Friaul, die diversen istrischen GerbstoffKünstler, Domaine de Souch aus dem Jurancon, Elisabetta Foradori mit ihren AmphorenTeroldegos und all die anderen. „Anfangs war ich skeptisch“, sagt Eveline Eselböck, „aber es sind schließlich Weine, über die man eine enorme Geschichte erzählen kann, und die Gäste sind dafür auch sehr offen. Es ist eine enorme Bereicherung.“ Eselböck ist davon überzeugt, dass es sich bei diesen extremen Weinen um die Zukunft handelt, „ich tu’ mir schon schwer, was anderes zu trinken, wenn man einmal damit anfängt, wird man süchtig“, sie sieht es als ihre Aufgabe, diese Weine zu finden und sie zu erklären.

Dass Amphorenweine in naher Zukunft auch ein kommerzielles Thema sein werden, da ist sich Sepp Muster sicher, dass das dann nicht unbedingt etwas mit seiner Philosophie zu tun haben wird, allerdings auch. „Es ist das Schicksal der Pioniere, dass sie zum Zeitpunkt, wo sie verstanden werden, längst wo anders sind“, sagt er, klingt dabei aber nicht irgendwie enttäuscht.

Grüner Veltliner Qvevre 2009
Bernhard Ott, Feuersbrunn
Bernhard Ott wählte für den Ausbau in der Amphore beste und gesündeste Grüne VeltlinerTrauben aus. Das Ergebnis ist ein extrem weicher, stoffiger Wein mit auffallend milder Säure und bemerkenswert exotischer AnanasFrucht, aber auch die typische HavannaNote reifer Veltliner kommt zum Tragen, dass es sich um einen in der Amphore ausgebauten Wein handelt, drängt sich nicht irgendwie auf.

Amphore 2009
LandauerGisperg, Tattendorf

Eine Cuvée aus St. Laurent, Zweigelt und Cabernet Sauvignon, ohne Schwefel und spontan vergoren in eine Amphore aus geheim gehaltener Quelle gefüllt. „Das größte Problem war die eigene Neugierde“, sagt Franz Landauer, eineinhalb Monate hat er ausgehalten, bis er zum ersten Mal nachgeschaut hat. Der Wein ist auf den ersten Schluck nicht sehr viel anders als andere Weine des Weinguts, komplex, dicht, weich, dunkle Früchte, Marzipan und ein sehr zartes, fast filigranes Tanningerüst. Mit dem Jahrgang 2011 ist LandauerGisperg biologisch zertifiziert, mittlerweile hat man schon acht Amphoren im Tattendorfer Boden vergraben.

Gräfin 2007
Sepp und Maria Muster
Graf ist der Name von Sepp Musters bester Lage, seine Topweine stammen seit jeher von diesem Hang. Die Gräfin ist gewissermaßen Musters oranger Wein für Anfänger: Hochreifes Traubenmaterial auf der Maische vergoren, dann zwei Jahre im Fass ausgebaut, unfiltriert – und damit trüb – abgefüllt. In der Nase verblüfft der Wein vorerst durch extreme Dichte und betörenden HollerDuft, am Gaumen weich und bekömmlich, unheimlich komplex mit leicht karamelligen SüßeAnklängen. Mild und harmonisch.

Erde 2007
Sepp und Maria Muster
Das ist Sepp Musters oranger Wein für die großen Kinder. Er wird seiner Farbbezeichnung ziemlich gerecht (orange, nicht Erde), ist von herbstnebeliger Trübe und überrascht mit erstaunlichem DuftKonglomerat aus Sherry und rassiger Südsteiermark, durchaus grüne, harte Töne am Anfang, die sich aber rasch verflüchtigen. Teils, weil man sich daran gewöhnt, teils, weil sich der Wein rasch verändert, wird der Wein bald zum sehr komplexen, fülligen Geschmackserlebnis, die Tannine sind straff und adstringierend, aber nicht bitter, eine SäureKomponente macht sich kaum bemerkbar. Mit der Zeit tauchen dann verführerische Fruchtnoten aus dem Dunkel hervor, Beeren, Blüten, Kernobst – ein extremer und wunderschöner Wein.

Amphorenwein 2009
Weingut Werlitsch
Für seinen Amphorenwein verwendet Ewald Tscheppe in etwa das gleiche Traubenmaterial wie für seine TerroirLinie Ex vero – hochreife Sauvignon und MorillonTrauben aus den besten, kargsten Lagen, die dann samt Kämmen in eine im Garten vergrabene 600LiterAmphore gefüllt und für ein paar Monate dort belassen werden. Der 2009er – wie Musters ErdeWein in Tonflaschen gefüllt – ist schlichtweg sensationell: Ein Spektrum von tiefdunklen, reifen, exotischen Aromen, tropischer Banane, sonnengereifter Ananas, Maracuja & Co, am Gaumen unterlegt von einem herbstlich wirkenden, zarten Tanninschleier und animierender Säure, ewig lang, packend – der dichteste Wein, den man sich mit 10,5 % Alkohol vorstellen kann.

Info

Weingut Ott
Neufang 36
3483 Feuersbrunn
T 0273822 57
www.ott.at

Landaugisperg
Badner Strasse 32
2523 Tattendorf
T 02253812 72
www.winzerhof.eu

Weingut Muster
Schlossberg 38
8463 Leutschach
www.weingutmuster.com

Weingut Werlitsch
Glanz 75
8463 Leutschach
T 03454391
www.werlitsch.at

Josko Gravner
www.gravner.it

Restaurant Taubenkobel
www.taubenkobel.com