Kann denn Limo Sünde sein?

Im Sommer hat der Radler Hochsaison. Mit bieriger Hochkultur hat das Mischgetränk unterschiedlich viel zu tun.

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Text von Florian Holzer

Die Geschichte des Radlers ist eine Geschichte voller Missverständnisse: Günther Huber senior, Besitzer und Braumeister der Familienbrauerei Huber in St. Johann in Tirol, ging in den 80er-Jahren gerne auf den Tennisplatz oder setzte sich aufs Mountainbike. Und gegen „den ersten Durst“ danach schätzte er einen Radler, das damals in der Gastronomie langsam um sich greifende Misch­getränk aus Bier und Zitronenlimonade, erinnert sich Günther Huber junior. Eines Tages im Jahr 1988 dachte sich Huber senior, dass es ja nicht schwer sein könne, so ein Getränk auch schon fertig anzubieten, vor allem nicht für jemanden, der sowohl Bier braut als auch Limonaden abfüllt.

So leicht war’s dann allerdings auch nicht, wie Huber junior erzählt: Denn die ersten Chargen wurden im Fass an die Gastronomie geliefert, die wiederum einen halben Liter Radler als Mischung aus 0,3 Liter Bier und 0,2 Liter Limonade bonierte, was das Getränk teurer machte. Also in Flaschen füllen, hier wiederum musste darauf geachtet werden, dass der Zucker der Limonade und die Hefe des Bieres nicht ihr eigenes Spiel trieben und das Gebinde explodieren ließen. Das konnte mit Filtration bewältigt werden, die wahren Probleme kamen aber erst. Bei der nächsten Versammlung des Brauereiverbands berichtete Günther Huber ­senior stolz von seiner Errungenschaft. Anstatt Schulterklopfen, Gratulation und Applaus erntete er allerdings Beschimpfungen, „man warf ihm vor, der größte Bierpanscher von allen zu sein“, erinnert sich der Sohn.

Irgendwer schickte dann die Lebensmittelpolizei vorbei, ein Vergehen gegen den Lebensmittel-Codex wurde attestiert, „Verführung Jugendlicher zu Alkoholkonsum“ war der Vorwurf. Sämtliche Einwände, dass das beim französischen Panaché ja aber auch kein Problem sei oder dass es sich – unter Berufung auf die Legende, dass der Wirt der Oberhachinger Kugler Alm den Radler 1922 aus akuter Biernot erfunden hatte – dabei um eine historische Rezeptur handle, gingen ins Leere. Abgefüllter Radler war des Teufels.

Die Hubers verkauften den Radler trotzdem über die Rampe, 1991 schließlich stellte ihr Anwalt fest, dass der Codex eine Richtlinie, aber kein Gesetz sei, und damit galt „Legalize Radler“. Es dauerte übrigens nicht lange, bis die vorherigen Kontrahenten bei den Hubers anfragten, ob sie ihnen nicht Radler abfüllen könnten.

In den folgenden Jahren wurde das zitronige Biermischgetränk zu einem der stärksten Wachstumsbereiche heimischer Brauereien. Und auch wenn die Absatzzahlen seit einigen Jahren wieder zart nach unten gehen, ist der Radler aktuell mit 4,3 % des gesamtösterrei­chischen Biermarkts immer noch das stärkste Segment hinter dem allmächtigen Märzenbier. Zum Vergleich: Das in den vergangenen Jahren boomende alkoholfreie Bier liegt bei 3,1 %, das „Gourmet-Bier“ Pils bei 2,4 %, Weizenbier bei 1,1 % und alles, was unter „Krea­tivbier“ fällt, bei verschwindenden 0,1 %.

Also die Zustimmungswerte sind nach wie vor hoch, es bleibt die Frage: Findet der Radler auch von bierologischer Seite her entsprechende Anerkennung? Eher nicht. Von einer hohen Genussebene könne man beim Radler generell nicht sprechen, meint etwa der Vater der öster­reichischen Bier-Sommellerie, Karl Schiffner, „aber wer’s mag …“ Er als Bier-Akademiker empfinde den Radler schon eher als eine „Bier-Verfälschung“, sagt er, einzige Aus­nahme sei da der Bio-Radler von Trumer, so Schiffner, „der spielt in einer anderen Liga, da kann man effektiv von einer Genussebene sprechen“.

Definitiv weist der Radler der Salzburger Trumer-Brauerei in eine ganz andere Richtung: Märzenbier wird hier seit 2018 einer Milchsäuregärung unterzogen und damit leicht säuerlich angelegt. Als fruchtige Komponente kommen 40 % kalt-mazerierte Limonade aus Bio-Zitronenverbene mit ­etwas Biozucker dazu. Das Ergebnis dieser Mischung hat mit klassisch-limonadigen Radlern wenig zu tun, es erinnert eher fast ein bisschen an ein Witbier.

Aber natürlich haben auch die anderen Brauereien nicht geschlafen, wobei es sich hier meistens um etwas andere, exotischere Geschmacksrichtungen der zugegebenen Limonaden handelt: Das burgenländische Golser Bier etwa setzt auf Leithaberger Edelkirsche, Murauer bei seinem Preiselbier auf Preiselbeere und hippes Marketing, Stiegl mischte von Anfang an (1996) mit klassischem Zitronen- und Himbeerkracherl, später kam ein interessanter Grapefruit-Radler dazu, auch an den Versuch einer Holler-Weißen aus Weißbier mit Holunder kann sich das Firmenarchiv erinnern. Das Salzburger Brauhaus Gusswerk spritzt seinen glutenfreien Bio-Radler mit Rhabarberjuice, und die Frastanzer Brauerei aus Vorarlberg bietet den wahrscheinlich puristischsten aller Radler an: Der „Saure Radler“ wird mit Wasser verdünnt. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

Ein Bedürfnis nach einem bierartigen Getränk, das nicht viel Alkohol hat, dafür aber eine erfrischende Fruchtkomponente scheint in den Genen der europäischen Menschheit jedenfalls irgendwie verankert, andernfalls gäbe es deutsches „Alsterwasser“, französische Panaché, niederländisches Sneeuwwitje oder britisches Shandy nicht schon seit zum Teil sehr langer Zeit.

Aber nicht nur Biermischgetränke schlagen in diese Kerbe, auch Bierphänomene wie die „Berliner Weiße mit Schuss“ erreichen ein ähnliches Ergebnis, allerdings auf anderem Weg: Berliner Weiße ist ein recht leichtes, obergäriges Weißbier, das dank Fermentation mit Milchsäure- und/oder Brettanomyces-Bakterien zum Sauerbier wird. Schon im 19. Jahrhundert wurde hier offenbar mit geschmacklicher Auffrischung durch Kräuter experimentiert, die Zugabe von grünem Waldmeister- oder rotem Himbeersirup wurde im 20. Jahrhundert dann zu einer Art Berliner Folklore.

Und Neues ist bereits im Anmarsch, wobei „Hard Seltzer“ eigentlich nichts mit Bier zu tun hat, sondern im Wesentlichen aus einer Mischung von Sodawasser mit Alkohol und ein bisschen Fruchtsaft besteht, allerdings hauptsächlich von den Pionieren des amerikanischen, skandinavischen und britischen Craftbeer-Booms abgefüllt wird. Wozu alkoholisches Mineralwasser gut sein soll? Schwer zu sagen, angeblich richtet es sich an die junge Party Crowd, das würde auch erklären, dass diese Getränke den Umstand sehr stark in den Vordergrund rücken, dass sie gluten-free, sugar-free und carbon-free sowie „all natural“ sind, ja, wie das bei Wasser halt meistens so ist. Wird das den Radler ablösen? Den „Sauren Radler“ vielleicht, aber sonst wohl kaum. Allerdings steht das nächste Ding schon am Start. Und bei „Hard Kombucha“ handelt es sich immerhin um etwas Fermentiertes. —

Bier mit Saft, die Radler-Verkostung
Schmecken alle Radler gleich? Das kann man klar verneinen. Die Konzepte der Biermischgetränke sind oft fundamental unterschiedlich, manche lassen das Bräu durchaus im Hintergrund erkennen, anderen dient es nur als Trägersubstanz für die Limonade, bei den einen findet zwischen den fremden Zutaten so etwas wie geschmackliche Harmonie statt, bei anderen nicht. Wir probierten nicht alle Radler, die es gibt, sondern wählten jene aus, die sich entweder besonders gut verkaufen, besonders interessant erscheinen oder beides.

Trumer Bio-Radler Zitronenverbene
0,33 l, 2,6  Vol.-%, trumer.at, 9/10
Radler-Trinkern wird dieses Mischgetränk eventuell ein wenig fremdartig erscheinen, für Freundinnen und Freunde eines erlesenen Biergenusses ist das aber ein durchaus interessanter Kandidat: frisch, sauer-bierig, cremig weich und getragen von der animierenden Frische der Zitronenverbene. Das Bier ist imHintergrund zu erahnen (dank 60 % Bieranteil liegt dieser Radler auch im höheren Alkoholbereich), generell ergibt dieser Radler aber ein kompaktes, harmo­nisches Bild ab, ein wirklich gut gebrauter Radler.

Stiegl Radler Grapefruit naturtrüb
0,33 l, 2  Vol.-%, stiegl.at, 6,5/10
Eine interessante Idee, die Bittere von Hopfen mit der Bittere von Grapefruit zu kombinieren. Funktioniert nicht schlecht, muss man sagen, nicht vordergründig, sondern sogar mit einer gewissen Eleganz ausgestattet, mehr als nur Limonade.

Gusswerk Rhabarber Radler
0,33 l, 2,5  Vol.-%, brauhaus-gusswerk.at, 6/10
Dieser Radler hat viel zu bieten: Er ist zu 100 % bio und glutenfrei, wird aus heimischen Produkten gebraut, ist nicht filtriert und besteht immerhin zur Hälfte aus Bier. Die Idee mit dem gerbstoffigen Superfood-Gemüse ist natürlich originell, allerdings fiel uns ein leicht metallischer Geschmack auf, wie er beim Umgang mit Rhabarber generell häufig ist. Dennoch ein attraktives Getränk.

Berliner Kindl Weisse Waldmeister
0,33 l, 3 Vol.-%, berliner-kindl.de, 6/10
Der etwas andere Radler, die „Weiße mit Schuss“, besteht nämlich zu 99 % aus leichtem, saurem Schankbier, dem ein Prozent Sirup zugegeben wird. Das trinkt sich dann trotzdem eher wie ein Kracherl, muss man sagen, aber halt wie ein spezielles, gar nicht unattraktives Kracherl. Die grüne Waldmeister-Version ist fraglos der Favorit, Kirsche und ­Himbeere kommen nicht heran.

Murauer Preisel&bier
0,33 l, 2,9 Vol.-%, murauerbier.at, 5/10
Das „Preisel&bier“ war einer der ersten „kreativen“ Radler, der sich abseits ausgetretener Zitronenpfade wagte, immerhin schon 2010. Das Getränk besteht zu 60 % aus Murauer Märzen, wovon allerdings nur mehr wenig zu bemerken ist. Ein bisschen weniger von der intensiven Beere, vielleicht auch etwas weniger Zucker wären fein.

Ottakringer Radler Citrus
0,33 l, 2  Vol.-%, ottakringer.at, 4/10
Dieser Wiener Radler besteht zu 60 % aus einer Mischung von Orangen-, Limetten-, Zitronen- und Grapefruit-Limonade, was zwei Effekte nach sich zieht: erstens einen Zitrus-Flash beim ersten Schluck, der nicht ansatzweise erkennen ließe, dass es sich da um ein Biermisch­getränk handelt, und zweitens einen niedrigen Alkoholgehalt.

Gösser Natur Radler
0,33 l, 2 Vol.-%, goesser.at, 3/10
Das Gösser Märzen ist nicht nur das erfolgreichste Bier Österreichs, der Gösser-Radler kann Ähnliches in seiner Kategorie vorweisen. In Deutschland wurde der Gösser-Radler von der Getränke Zeitung schon mehrmals zum „Getränk des Jahres“ gewählt, seit 2007 beherrscht er den heimischen Radler-Markt. Fragt sich nur, warum da nur 40 % Bier vom erfolgreichen drin sind und das Getränk daher wie good old Zitronenkracherl schmeckt.