Ladies first

Frauen bringen als Sommelièren zunehmend neue Ideen, Sicht- und Arbeitsweisen in die Spitzengastronomie.

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Text von Alexander Rabl

Das Restaurant: ein Michelinstern und eine Bordeaux-­Auswahl bis in die 20er des 20. Jahrhunderts. Die Gäste: Menschen, die diese Weine verstehen und sie sich leisten können. Der Sommelier: eine Sommelière. „Da gab es schon mal gehobene Augenbrauen: Eine Frau präsentiert mir den Wein, wie das?“, erzählt Lisa Bader. Es war damals ihre erste Station, ist schon eine Weile her, mittlerweile arbeitet die Sommelière im Dolder in Zürich, ist von GaultMillau Schweiz zur Sommelière des Jahres gewählt worden und muss sich, obwohl von zartester Statur (ihre Worte), vor dem weinwissenden Gast nicht mehr beweisen, muss nicht kämpfen, um ernst genommen zu werden. „Es hat vor allem mit dem eigenen Auftreten zu tun.“ Lisa Bader gehört zu der Handvoll, es sind eigentlich mehrere Handvoll, Sommelièren, die das Gerücht, Weinservice wäre eine Männerdomäne in den Weinkeller der ewig gestrigen Lächerlichkeit verweisen. Ihnen ist diese Geschichte gewidmet.

Eines fällt auf: Weibliche Küchenchefs, die sich einen Namen gemacht haben, sind rar. Ganz anders im Service. Es gibt in der übersichtlichen Szene der Sommeliers nicht nur Namen wie Marco Franzelin, Alexander Koblinger oder Johannes Schellhorn, da sind auch Frauen, die zu den Stars zählen, etwa Lisa Bader oder Stefanie Hehn. Stefanie Hehn ist eine von zwei weiblichen Master Sommeliers in Deutschland – ein Wort, das es nur im Maskulinum gibt, das nicht gegendert wird. „Das gefällt mir“, sagt sie. Vom Gendern ist Stefanie Hehn genervt. Bei den Master Sommeliers, einem der begehrtesten und härtesten Titel der Branche, beträgt das Verhältnis von Frauen zu Männern etwa eins zu fünf. „Das liegt daran, dass Frauen oft eine Familie haben und sich neben der Arbeit um die Kinder kümmern. Da bleibt wenig Zeit zum Lernen für die Prüfungen.“ Geschlechterspezifische Klischees lehnt Stefanie Hehn ab, etwa die Vorstellung, Frauen könnten besser riechen als Männer. „Das ist lächerlich, wie sollte das sein? Hat das mit den Geschlechtsteilen zu tun?“ Mit Klischees kommt sie als Sommelière dann aber doch in Berührung. Mancher Weinhändler lässt im Erstgespräch gerne den Chauvinisten raushängen. „Der merkt dann aber gleich, dass ich mich zehnmal besser auskenne als er, und damit ist die Sache erledigt.“ Frau Hehn, die im Hamburger Louis C. Jacob und in der Überfahrt gearbeitet hat, ist jetzt für die Weinkarte des The Fontenay in Hamburg zuständig. Ihre Gäste gehören zur 5-Sterne-Klientel, die mal in Hamburg, mal am Tegernsee eine gute Flasche trinkt. „Die sind alle vom gleichen Schlag, sehr angenehm und meistens neugierig.“

Gleich schütten wir auch ein weiteres Vorurteil weg, wie einen Wein, der nichts kann. Die häufige Erscheinung von Frauen als Chefinnen in der Weinberatung hat nur zufällig mit einer Änderung im allgemeinen Weingeschmack zu tun, ist nicht etwa geschlechtsspezifisch systemisch, wie man gerne glauben würde. „Die Ausbildung ist gleich, es gibt keinen Unterschied ob Mann oder Frau. Und am Ende bildet jeder seinen Geschmack ­heraus, seine Empfehlungen folgen“, das sagt Alexander Koblinger, ebenfalls Master Sommelier, im Dienst der Familie Döllerer. Quotenfrauen in der Sommelerie? Nicht der Fall! Mehr Eleganz, weniger Alkohollastigkeit und Filigranität der Weine, die gerade angesagt sind? Nicht das Verdienst der Frauen, sondern ein vielfältigen Entwicklungen ­geschuldeter Megatrend. Wiewohl: Eine junge Sommelière, die den 15,5 Prozent Supertuscan ­einschenkt, kann man sich irgendwie schwer vorstellen. Warum eigentlich? Das letzte Geschlechterklischee hier, versprochen.

Was beide – Frauen wie Männer – gemeinsam haben, ist der Weg übers Ausland, der schneller an die Spitze führt. Difan Xu arbeitete ein Jahr im 3-Sterne-Restaurant von Gordon Ramsay in Chelsea/London, bevor sie bei den ­Obauers in Werfen die Fußstapfen ihres Vorgängers Koblinger ausfüllte. Jetzt ist sie dabei, in der deutschen Provinz, in Nürnberg im Restaurant ZweiSinn, ein Weinangebot nach ihrem Geschmack aufzubauen. „Man macht das wegen der Passion, nicht weil man als Frau den Bonus kriegen würde. Und einen eventuellen Malus macht man mit selbstbewusstem Auftritt wett.“ Tatsache sei aber: „Es wird immer noch ein Mann erwartet, wenn es um Wein geht. Manche Gäste heben da fragend die Augenbraue, wenn eine Frau an den Tisch kommt, wenn nach dem Sommelier gefragt worden ist.“ Und gibt es einen Unterschied, wie Sommelièren an die Arbeit gehen? „Der begleitende Wein von ­einer Frau kann harmonischer sein, ein Versuch, das Gericht zu heben und weniger zu dominieren. Und Frauen können versucht sein, sich weniger zu inszenieren.“ Das sagt Difan Xu, die auf die Frage, ob sie auch Teil von weiblichen Netzwerken sei, antwortet, sie hätte dafür gar keine Zeit und die Szene der Sommeliers sei „eigentlich zu klein“ dafür.

Das Landhaus Bacher war immer schon in weiblichen Händen, von der als Grande Dame der heimischen Gastronomie bezeichneten Lisl Wagner-Bacher selbst bis zum wunderbaren Maître ­Johanna Stiefelbauer und es ist keine Überraschung, dass Susanne und Thomas Dorfer (ein paar Männer an der Spitze müssen schon sein) die feminine Linie nicht unterbrechen wollen. Doch das ist nicht der Grund, warum der neue Chefsommelier eine Frau ist. Katharina Gnigler hält von derlei geschlechterspezifischen Unterscheidungen nämlich gar nichts. Fast sieben Jahre hat sie bei den Döllerers als Sommelière gearbeitet, vorher in der gleichen Position in Kitzbühel im Tennerhof, zwischendurch auf der MS Europa I (der anspruchsvolleren der beiden Europas) im Sommelier-Team. Alexander Koblinger bezeichnet sie als Mentor, der sein Wissen gerne weitergibt. Bis März beim Döllerer, dann Court of Master Sommeliers begonnen, habe sie jetzt Stufe zwei erreicht; es ist auch wichtig, dass man als Frau Flagge zeigt. „Ich hatte immer das Glück, dass ich als Frau nie Nach­teile hatte, man muss den Beruf mit Demut machen, ich hatte nie ein Problem. Höchstens, dass man sich bei manchen Gästen als junge Frau mehr beweisen muss.“ Das spornt natürlich an: „Ich liebe es, wenn die Gäste positiv überrascht sind.“ Ein Jahr im Geranium, das sei eine besonders inspirierende Zeit gewesen, so Frau Gnigler. „Ein naturgemäß sehr professioneller Betrieb und in Dänemark ist der Fokus auf internationalen Weinen, während in Österreich natürlich das Weinland Österreich im Fokus steht. Im Geranium wird der Service als Handwerk gesehen, man ist nicht einfach Kellner, es ist viel vielfältiger. Wein als Erlebnis wird dort mehr zelebriert.“ Und dann, nach einem Jahr im Ausland, die Erkenntnis: „Und doch ist meine Heimat Österreich. Wir haben eine hohe Dichte an guter Gast­ronomie, tolle Produzenten, ich weiß, wie lange es dauert, ein gutes Produkt zu machen, und was das heißt.“ Als Frau im Beruf der Sommelerie? „Man muss sich ein Stück mehr beweisen. Aber letztendlich macht man es für sich.“ Und sie setzt nach: „Ich möchte nichts anderes machen.“ Kann sein, dass die Experimentierfreudigkeit im Landhaus Bacher jetzt etwas Aufschwung erfährt, denkt der Gast, wenn Katharina Gnigler zum Einstieg einen Wein von einem Start-up-Weingut vom rechten Ufer einschenkt, einem Weingut mit nicht mehr als zwei Hektar Fläche. „Als Sommelière ist wichtig, dass man alles probiert und allem eine Chance gibt. Das ist meine Herangehensweise und trotzdem sind die Klassiker Produkte, die man wertschätzen muss. Einen Gast zu belehren, ist für mich ein No-Go, Wein ist für mich persönliches Empfinden. Und nur weil ich etwas gut finde, muss das der Gast nicht gut finden.“ Man werde in Mautern nicht die Welt neu erfinden, sondern frischen Wind reinbringen. „Wir haben jetzt Welschriesling vom Pasler in der Weinkarte, der erste Welsch­riesling im Landhaus Bacher.“ Und wie reagieren da die Stammgäste? „Sie sagen, es war der beste Wein in der Weinfolge.“

Lisa Wimmer entdeckte während eines Praktikums den Spaß am Wein, arbeitete und bildete sich weiter im Seehof in Goldegg, zum ersten Mal als Somme­lière („Sehr motivierend damals“), ging nach London-Mayfair ins Restaurant Sexy Fish, wo sie wieder in einer weinaffinen Clique viele Freundschaften schloss, dann zurück nach Österreich ins ruhige Traunkirchen. „Gerade rechtzeitig zum Lockdown, ein heftiger Schock, aber eine gute Entscheidung.“ Frauen im Weinbusiness seien immer noch ein kleines Thema, die Chancengleichheit da, aber unbewusste Schranken gebe es immer noch. „Ich biete meine Weinberatung an und der Gast fragt, wo der Sommelier ist.“ So ist das. „Das hat mich anfangs geärgert und dann beschloss ich, ich zeig es ihnen. Da gibt es oft dann den Aha-Moment.“ Lisa Wimmer ist vor Kurzem vom Bootshaus in die Leitung der Poststube 1327 gewechselt und man kann davon ausgehen, dass das der Weinkarte dort gut bekommen wird. „Die Karte nimmt Gestalt an, ich freu mich jeden Tag, wenn ich in die Arbeit gehe. Die Idee: ein Schnitzel und ein Beuschel essen und einen lässigen Wein dazu trinken, abseits des Üblichen. Jetzt habe ich die Chance, von vorne anzufangen, und die Weine aus dem Bootshaus bleiben im Bootshaus. Weingüter, mit denen ich bis jetzt gearbeitet habe, hole ich jetzt nicht wieder.“ Die Frage, ob das mehrfache Auf­tauchen von Frauen als Chefs der Weinabteilung der Restaurants auch etwas mit der Wahrnehmung der Weine selbst zu tun hätte, verneint Lisa Wimmer: „Mehr Frauen im Sommelier-Beruf und mehr Eleganz der Weine sind ein rein zufälliges Zusammentreffen und nicht der Tatsache geschuldet, dass Frauen zarte Weine empfehlen würden.“

Paz Levinson hat das gemacht, was man eine Bilderbuchkarriere nennt. 13 Jahre arbeitete sie in Buenos Aires als Sommelière, dann tauchte die Frage auf: „War es das?“ Eine neue Sprache sollte her, denn Paz liebt Sprachen und sie wollte sehen, ob sie sich, bereits knapp über dreißig, in einem anderen Land als Fremde anpassen und somit zum Teil neu erfinden können würde. Außerdem, so erzählt sie, sei es in Argentinien schwierig gewesen, sich bei den besten Weißweinen der Welt weiterzubilden, weil die dort zu wenig getrunken würden. Also Französisch lernen und in Frankreich arbeiten. Jetzt leitet Paz Levinson den Bereich Sommelerie und Wein für die Gruppe von Anne-Sophie Pic, von Top-Restaurants in Valence, Lausanne und Paris bis zu Food-Trucks. Während in Argentinien der Job des Sommeliers ziemlich neu ist, und eine Sommelière keine erwähnenswerte Ausnahme darstelle, sei der Beruf in Frankreich immer noch in Männerhand. „Alleine bei Wettbewerben, da sind maximal zehn Prozent Frauen unter den teilnehmenden Sommeliers.“ In den Pic-Betrieben hingegen arbeiten viele Frauen in Schlüsselpositionen rund um den Wein. Paz Levinson hilft ihnen, Familienplanung, Baby und Beruf zu kombinieren. ­„Gerade bekommt meine Chefsommelière in Paris ein Kind, wir organisieren ihren Job so, dass sie sich keine Pause nehmen muss. Ich möchte Frauen ermuntern, den Beruf zu ergreifen, und unterstütze sie, habe selbst ein Kind und reise trotzdem viel.“ Interessant sei, so Paz Levinson, dass immer nur Frauen die Frage gestellt würde, wie sie Job und Familie unter einen Hut kriegten, Männern hingegen nie. „In traditionellen Weingegenden wie dem Burgund halten mich die Leute immer noch für ­einen Mann, ich bekomme Mails mit der Anrede „Mister ­Levinson“, man ist dann verwundert, dass es sich um eine Frau handelt.“ Ursprünglich wollte Paz Dichterin werden. „Es gibt da Überschneidungen, auch beim Wein geht es viel ums Erleben, ums Erzählen und um sinnliche Eindrücke. Ein Wein-Pairing hat auch viel mit Kreativität zu tun.“ Auch die Weinsprache ist schließlich eine Art Poesie. „Darüber muss man allerdings oft einmal lachen.“ Die Doch-nicht-Poetin schreibt gerade ihr erstes Buch. Thema: Die Weine ihrer Heimat Argentinien.
Was man Frauen nachsagt, nämlich das gewisse etwas mehr an Empathie, gepaart mit weniger Lust auf berufliche Machtspielchen, eigne sich sehr gut für den Beruf, findet Lisa Bader. „Es sind schon viele Frauen da, die sich in den Gast empathischer einfühlen können. Da existiert mehr Fingerspitzengefühl, was ein Gast braucht oder gerade nicht.“ Bunte Straußenvögel mit aufgeblasenem Ego würde man also bei den weiblichen Sommeliers eher nicht finden, andererseits: „Das Ego ist beim Sommelier immer da. Er oder sie muss sich seiner, ihrer Sache
sicher sein, sonst macht man den Beruf nicht.“ —

„Frauen haben oft Familie und kümmern sich neben der Arbeit umdie Kinder.
Da bleibt wenig Zeit zumLernen für die Prüfungen.“
Stefanie Hehn, The Fontenay, Hamburg
©The Fontenay Hamburg
„Da gab es schon mal gehobene Augenbrauen – eine Frau präsentiert mir den Wein, wie das?“
Lisa Bader, Dolder, Zürich
© The Dolder Grand
„Der begleitende Wein von einer Frau kann harmonischer sein, ein Versuch, das Gericht zu heben und weniger zu dominieren.“
Difan Xu, ZweiSinn, Nürnberg
© Marco Drews
„Ich hatte immer das Glück, dass ich als Frau nie Nachteile hatte.“
Katharina Gnigler, Landhaus Bacher, Mautern
© Günter Standl
„Mehr Frauen im Sommelier-Beruf und mehr Eleganz der Weine sind ein rein zufälliges Zusammentreffen.“
Lisa Wimmer, Poststube 1327, Traunkirchen
© Gröller GmbH
„Ich möchte Frauen ermuntern, den Beruf zu ergreifen, und unterstütze sie, habe selbst ein Kind und reise trotzdem viel.“
Paz Levinson, Anne-Sophie-Pic-Gruppe, Frankreich © Bob Lightowler