Launisch, zickig, einfach anders

Die Rebsorte Pinot Noir, auch Blauburgunder genannt, gilt selbst für versierte Winzer als ganz große Herausforderung. Der große Aufwand steht durchaus in Relation zum Ergebnis: Im Idealfall entsteht ein außergewöhnlicher Wein mit ungeahntem Facettenreichtum.

Launisch, zickig, einfach anders

Text von Michael Prónay Foto: Nikolaus Similache
Was macht nun das Faszinosum des Blauen Burgunders aus? Alle befragten Winzer sind sich ziemlich einig. Karl Fritsch: "Es gibt Weißwein, es gibt Rotwein, und es gibt Burgunder." Fritz Wieninger: "Man sollte nach Weiß und Rot als dritte Kategorie anstatt Rosé den Burgunder nennen." Rot- und Weißweinvinifikation unterscheiden sich nämlich wie Tag und Nacht.
Das war übrigens auch der Grund dafür, dass Österreichs Rotweine bis vor 20 Jahren völlig bedeutungslos waren: Die Schulen unterrichteten nämlich Vinifikationsmethoden wie beim Weißen, insbesondere ohne Malolaktik, die als Fehler angesehen wurde. Die Kellertechnik beim Burgunder geht also mehr in die Weißweinrichtung. Er bekommt weniger Luft, wird reduktiver verarbeitet, auch das Heferühren kommt vom Weißwein. "Es ist der Pinot das genaue Gegenteil von Syrah oder Cabernet, die durchaus stark belüftet werden", so Thomas Schwarz.
Fritz Wieninger beschreibt seine Einstellung zum Pinot Noir so: "Pinot ist schwierig. Zum richtigen Boden und zum richtigen Klima muss der Dirigent kommen, der diese Naturgegebenheiten zu einem Wein vinifiziert und vor allem die Zartheiten herausarbeitet. Es ist tatsächlich die Hohe Schule der Weinmacherei, auch heute noch, wenn man einen wirklich großen Burgunder herausarbeiten will. Es gibt, anderes als bei allen anderen Rotweinsorten, kein Patentrezept, kein Lehrbuch, und auch die Faktoren Alkohol und Tannin, auf die man sonst hinarbeitet, zählen beim Pinot nicht.
Ich fühle mich am Weg, aber längst noch nicht am Ziel, das ist eine Lebensaufgabe." Pinot Noir ist, laut Wieninger, hierzulande kommerziell nicht wirklich interessant: "Das Verständnis für die feminine Seite des Burgunders ist in Österreich noch nicht sehr entwickelt. Nach wie vor ist die fette Partie en vogue, zwar ist Frucht gefragt, aber wozu brauch ich dann Burgunder, wenn ich ihn mit Holz zubügle. Das Faszinosum ist seine fragile Würze, gepaart mit unglaublicher Länge. Das kann durchaus unfett, ja schlank sein, und durchaus Mineralität aufweisen. Das vermag aber nur ein kleiner Kreis zu verstehen, schon überhaupt beim Rotwein."
Ganz ähnlich Axel Stiegelmar: "Wir arbeiten im Keller mit kürzeren Mazerationszeiten auf schwache Tanninauslaugung hin. Der Pinot gewinnt überhaupt nicht durch Mostkonzentration, im Gegenteil, er wird scharf, brandig, alkoholisch, die ganze Finesse geht zum Teufel. Die Größe des Pinot ist nicht Bodybuilding, sondern die überlegene Eleganz."
Josef Lentsch: "Der Burgunder wird immer ein Nischenprodukt sein, aber so mancher Weinliebhaber kommt nach Cabernet, Syrah und der Neuen Welt wieder zum Hintergründig-Meditativen zurück." Pinot Noir braucht auch keine hohen Alkoholwerte, um seine Eleganz auszuspielen. Allerdings kommt Alkohol mehr oder weniger von selbst, vor allem an wärmeren Standorten: "Unsere Pinots haben 13 bis 13,5 Volumsprozent. Wenn ich mit 12,5 herunterschneide, schmeckt er unreif", so Gernot Heinrich. Wie hält sich der heimische Pinot im Vergleich zu burgundischem? Heinrich: "Heute Mittag hab‘ ich einen Charmes-Chambertin 1999 von Claude Dugat getrunken. Das ist schon ein grandioser Wein; diese Feinheit, Stoffigkeit und Säurestruktur plus Terroirausdruck, das schaffen wir wohl nicht, aber wir haben unsere eigene Identität, und die wollen wir pflegen. Wir optimieren ständig, wobei die Qualitätssteigerung in Zukunft nur aus dem Weingarten kommen wird, denn im Keller sind die guten Produzenten sowieso auf dem aktuellen Stand der Technik."
Thomas Schwarz über seine Kunden und seinen Wein: "Es ist immer dasselbe, dieses Erstaunen, dass ein vermeintlich dünner Wein – der 2001er sah aus wie heller Himbeersaft – in sich eigenständig und dennoch mächtig komplex sein kann: eben ein toller Wein."
Toni Hartls Vision in Sachen Pinot Noir ist ebenfalls eindeutig: "Je eleganter, feiner und ausdrucksvoller, desto mehr Freude macht der Wein. Vinifikation und Lagenauswahl sind die Fixpunkte, und ich will eines Tages dahin kommen, dass man in der Probe erkennt: Der kommt von dieser oder jener Lage. Wir haben bei Josef Lentsch österreichische mit burgundischen Pinots verglichen, da hat man schon gemerkt, was die dort können. Das muss Terroir und Klima sein, denn hochtechnisierte Betriebe sind auch dort die Ausnahme."
Und Axel Stiegelmar meint: "Der Pinot darf nie zum Tanninmonster hochgeprügelt werden, obwohl masochistischerweise hierzulande alles, was hart und untrinkbar ist, geliebt wird. Wenn aber die Pubertät vorbei ist, dann kommt die Zeit für den Pinot, langsam wird auch der heimische Markt für solche Weine reif. Im Ausland – in den USA, in England, Norwegen, Schweden oder der Schweiz – wird der Wein schon viel länger verstanden, dort war der Pinot unser Türöffner im Export. Pinot Noir ist eine Gewichtsklasse, die anerkannt ist."
Wie kommt man überhaupt zum Blauburgunder? Für Josef Lentsch in Podersdorf ist die Sache völlig einfach: "Die Sorte ist für mich eine Prägung von der Geschichte her. Unser Gasthaus war bis 1852 der Wirtschaftshof der Zisterzienser für den ganzen Bezirk. Die Mönche haben hier den Zehent eingehoben, sie haben Schulen gebaut, so etwas wie eine ärztliche Versorgung für die Bevölkerung organisiert, sich wirtschaftlich sehr engagiert und die Landwirtschaft insofern revolutioniert, als sie den Weinbau in die Region gebracht haben. Sie hatten Pinot Noir und Pinot Gris (Blau- und Grauburgunder) sowie Riesling im Gepäck. Die ersten beiden haben sich durchgesetzt, der Riesling nicht." Josef Lentsch hat übrigens keinen einzigen eigenen Stock Pinot Noir, dafür vier Winzer, die nach seinen Vorstellungen arbeiten. Anlass, sich mit dem Pinot zu beschäftigen, war mittelbar Georg Stiegelmar: "Der hat jahrelang Trauben von einem guten Stammgast gekauft. 1990 hat er dann selbst genug ausgesetzt gehabt, und da hab‘ ich mir gedacht: Wenn der Pinot für den Schurl gut genug war, dann ist er es für uns auch." Die Traubenproduzenten werden übrigens ausschließlich nach Fläche bezahlt, womit der Anreiz, Erträge zu forcieren, wegfällt.
Ähnlich sieht es Axel, Georg Stiegelmars Sohn, vom Golser Weingut Juris: "Pinot wird deshalb gemacht, weil er immer schon da war. So um 1000 haben die Zisterzienser die Ungarn christianisiert, Mönchhof war Klosterhof, und rund herum gab’s einfach viel mehr Pinot Noir, dasselbe gilt übrigens auch für Heiligenkreuz. Schon mein Großvater hatte die Sorte im Anbau, und ich erinnere mich noch an manchen Streit zwischen den Großeltern, weil der Pinot immer so wenig trägt, der Großvater aber eigensinnig an der Sorte festgehalten und ihn wieder ausgesetzt hat, übrigens aus der Selektion der besten Stöcke des Urgroßvaters. Auch wir haben aus diesen Stöcken selektioniert, wir haben also seit mindestens 100 Jahren dasselbe Rebmaterial in der Familie."
Etwas kürzer ist der Pinot bei Fritz Wieninger in Wien-Stammersdorf heimisch: "Der ist seit den 1950er-Jahren bei uns ausgesetzt, genau weiß ich’s nicht, weil der Großvater vor 37 Jahren gestorben ist. Der älteste Pinot bei uns im Keller ist 1964, und der ist noch immer fein zu trinken. Wenn ich mich nicht täusche, hat den meine Mutter gemacht, da ist ihr ziemlich was gelungen. Ich hab in einer großväterlichen Privatvinothek Rotweine aus Burgund gefunden, aber keinen einzigen Bordeaux. Ich vermute, dass er einen Hang zur Sorte hatte und sie ausprobieren wollte. Kommerziell inspiriert war seine Entscheidung jedenfalls nicht, da hätte er was anderes gesetzt."
Bei Karl Fritsch war es Karl senior, der sich seit Ende der 1970er-Jahre mit Rotwein beschäftigt hat. "Wer Rotwein sagt, für den geht kein Weg am Pinot vorbei", zitiert der Junior den Senior. Ausgesetzt wurde Mitte der 1980er-Jahre. Josef Jamek hatte damals eine führende Position in Sachen Pinot, auch die Salomons in Oberstockstall (die mit den Jameks angeheirateterweise verbunden sind) hatten Pinot, von dort war auch das Material.
Ganz jung in Sachen Pinot sind Thomas Schwarz aus Purbach und der Golser Gernot Heinrich unterwegs. Ersterer sagt, sein erster echter "war jener 2001er, der im A-la-Carte-Guide 96 Punkte bekommen hat", was ja wohl kein schlechter Einstieg war, "bis 1999 bin ich mit dem Pinot allerdings überhaupt nicht zurechtgekommen, der war mir einfach zu hoch", gesteht er freimütig. Bei Gernot Heinrich ist der Pinot seit 1993 im Ertrag, reinsortig wurde er erst 1999 gefüllt.
Einen ganz anderen Zugang hatte Toni Hartl. Der hing seinen Job als pragmatisierter Beamter – der Tramwayfahrer war zuletzt Verbindungsmann der Wiener Linien zum Produzenten der neuen Niederflur-Tramwaygarnituren – Mitte der 1990er-Jahre an den Nagel, weil er von der Reblaus gebissen wurde. Damals wurde ein Heuriger eröffnet, und Toni musste die Konzessionsprüfung machen: "Im Kurs waren zufällig lauter Kapazunder, Witzigmann-Schüler und Ähnliche, und da hat man sich gegenseitig angestachelt. Von zuhause war ich dann natürlich in Getränkekunde, vor allem beim Wein, der, der am meisten gewusst hat. Das hat dann irgendwie den Anstoß gegeben. Ich bin in die Toskana, ins Bordelais, nach Burgund, Kalifornien und Südafrika gefahren, und da war irgendwie überall Pinot Noir ein Thema." Tonis erster Jahrgang war 1996, sein erster Pinot kam 1997 in Ertrag: "Wir haben ja bekanntlich Weingärten in Reisenberg, das liegt in der Thermenregion, und auf der anderen Seite vom Leithaberg, in Purbach. Dort ist’s deutlich wärmer, aber die Reife des Pinot war mir dort zu extrem. Unser Pinot wächst also nur auf der kühleren Seite. Ich halte überhaupt das Klima für den wesentlich entscheidenderen Einfluss als die Klonenwahl, wobei ich wirklich sagen muss, dass ich mit der Wahl der Standorte für den Pinot viel Glück gehabt habe."
Karl Fritsch gibt freimütig zu: "Wir haben damals gar nicht gewusst, was für ein Klon oder welche Züchtung das ausgesetzte Material war." Es waren deutsche, inzwischen haben französische die Mehrheit. Allerdings geht Karl Fritsch ganz stark auf Eigenselektionen: "Das ist das Kapital des Winzers – er sollte nicht auf Rebsetzlinge setzen, von deren Herkunft er keine Ahnung hat", spricht er aus eigener Erfahrung.
In Sachen Klonenauswahl hat Thomas Schwarz einen besonderen Zugang: "Seit 1988 haben wir Kontakt zu einer Rebschule in Burgund, und wir beziehen dort nur französische Klone. Das funktioniert so, dass wir im Weingarten Probegrabungen vornehmen und Bodenanalysen machen lassen. Die Rebschule bekommt die Auswertung, ich sage, was ich mir vorstelle – der Rebschulist ist übrigens selber auch Winzer –, und er empfiehlt dann. Ich habe inzwischen sieben verschiedene Klone auf drei Unterlagsreben. Carlo Wolf auf Schloss Halbturn bezieht sein Material übrigens auch von dort."
Eher bunt geht’s klonenmäßig bei Gernot Heinrich zu: "Die älteren Weingärten haben gemischte Populationen, der Mix gefällt mir eigentlich sehr gut. Bei jüngeren sind’s hauptsächlich französische." Bei Axel Stiegelmar ist’s ähnlich: "Zum Teil haben wir Selektionen aus den guten Stöcken aus einem alten Weingarten, zwar mit wachstumshemmenden Virosen, aber man braucht das starke Wachstum beim Pinot ja überhaupt nicht. Dazu kommen Dijon-113-, -114- und -115-Klone zum Vergleich."
Differenziert sieht das Fritz Wieninger: "Die Klonendiskussion ist wegen der Botrytisempfindlichkeit schwierig. Die aromatisch besseren Klone sind leider empfindlicher. Im Zweifelsfall ist mir ein schlechterer Klon, der gesund bleibt, lieber als ein supertoller, der mir wegfault. In problematischen Jahren sind mir die deutschen, in trockenen die französischen lieber. Ich mach‘ grad übrigens einen Versuchsweingarten um den Traubengeschmack der Klone zu testen."
Naturgemäß einen anderen Zugang hat Josef Lentsch: "Vom Material ist’s ein Mix von Klonen und Unterlagsreben, zum Teil Marienfeld und 113, 115, zum Teil auch ganz alte, die es schon Jahrhunderte bei uns gibt. Die sind nicht so dichtbeerig und klein, eher locker und größer, erzielen auch im Schnitt 1 bis 1,5 weniger Zuckergrade, ergeben aber nach einem Jahr Fassreife den besseren Wein."
Wo gehört der Pinot überhaupt hin? Karl Fritsch: "Hier am Wagram ist’s kühler als am Neusiedlersee, ich halte das für Pinot durchaus für einen Vorteil. Bodenmäßig haben wir etliche Flecken mit einem hohen Eisenanteil, da tut sich Weißwein schwer, aber der Pinot fühlt sich wohl." Trotzdem scheint der Pinot Noir im Burgenland durchaus erfolgreich zu sein. Josef Lentsch: "Der Pinot steht zwischen Frauenkirchen und Illmitz, aber nicht direkt am See, da ist die Botrytisgefahr viel zu groß. Man kämpft sowieso oft gegen die Fäulnis. Wenn die ordentlich einfällt, dann gibt’s sowieso eine Trockenbeerenauslese." Gernot Heinrichs Pinot ist am Goldberg ausgesetzt, in einer eher kühlere Nordlage auf einem durchlässigen Boden mit geringem Lehmanteil, was seiner Ansicht nach für Terroirnoten unabdingbar ist. Für Thomas Schwarz ist die Lage selbst nicht so sehr entscheidend wie die Arbeit im Weingarten: "Wegen der Hitzeempfindlichkeit braucht der Pinot Laubarbeit wie keine andere Sorte. Einerseits soll er im Schatten bleiben, andererseits aber gut durchlüftet sein. Das ist immer eine enorme Trickserei." Bei Fritz Wieninger steht er auf kalkreichem, sandigem Löss, der gut entwässert (was besonders wichtig ist). In windigen Lagen fühlt er sich wohl, und wie der vom Nussberg schmecken wird, darauf ist Fritz schon sehr gespannt: "Von der Theorie her müsste er dort super werden, aber der Pinot ist dermaßen launisch, dass mich da auch nichts mehr wundern würde."
In Sachen Ausbau sind sich alle Winzer bemerkenswert einig: So wenig Intervention wie möglich, grad soviel neues Holz wie notwendig, wobei allesamt in Sachen Neuholz auf der Bremse stehen. Vergoren wird zumeist im offenen Holzbottich (mit Untertauchen des Tresterhutes), bei Gernot Heinrich zur Hälfte auch im Edelstahl. Bei Fritz Wieninger vergor der 2003er erstmals in Doppelbarriques ohne Böden. Kaltmazeration zur besseren Aromaauslaugung wird von manchen angewendet, einheitlich ist die vergleichsweise längere Maischestandzeit von zwei bis drei Wochen, bei Josef Lentsch können es vier bis fünf Wochen sein. Die Fässer, in denen er dann weiter ausbaut, haben zwischen 225 und 1.300 Liter Inhalt. Den größten Anteil an neuem Holz, 60%, fährt Fritz Wieninger bei den Doppelbarriques. Durchaus einheitlich sehen die Winzer die Funktion des Holzes: "Hier geht’s nicht um den Vanillegeschmack; ganz im Gegenteil, Holz bringt beim Pinot Länge und Komplexität.
Holzsuppen kann ich nicht ausstehen", so Fritz Wieninger. Auch bei Karl Fritsch findet die Malolaktik im Holz statt: "Dadurch werden die Weine in der Textur eindeutig cremiger." Langes Lagern auf der Feinhefe ist üblich, selbst die vom Weißwein kommende Technik der Bâtonnage (das Aufrühren der Feinhefe im Fass) zur Erhöhung der Aromakomplexität wird von Lentsch und Wieninger angewendet. Gernot Heinrich rührt allerdings nicht: "Ich hab’s ausprobiert – und mir hat der Nichtgerührte besser geschmeckt", was wiederum ein Zeichen dafür ist, dass es beim Pinot keine Patentrezepte gibt.
Ein Faktor ist insbesondere für Josef Lentsch wichtig: "Der Burgunder ist im Weingarten wie Keller dermaßen tussenhaft, dass man unendlich viel Geduld braucht. Auch Alois Kracher hat mir gesagt: Eine Pinot-Noir-TBA kann einmal ein halbes Jahr dermaßen stinken, dass man sich an den Kopf greift, aber irgendwann wird er."