Lieblingskaffee, Kreuzberg

Willy Andraschko kommt aus Wien, wollte eigentlich nach Amerika, landete aber in Berlin, wo er das Café Einstein zu einer der stärksten Gastronomie-Marken der Metropole machte. Seit acht Jahren röstet er seinen eigenen Kaffee, dem der Kult-Charakter nicht mehr abzusprechen ist. Text von Florian Holzer Foto: Florian Bolk Die knallroten Packungen mit der weißen Aufschrift…

Willy Andraschko kommt aus Wien, wollte eigentlich nach Amerika, landete aber in Berlin, wo er das Café Einstein zu einer der stärksten Gastronomie-Marken der Metropole machte. Seit acht Jahren röstet er seinen eigenen Kaffee, dem der Kult-Charakter nicht mehr abzusprechen ist.

Text von Florian Holzer Foto: Florian Bolk

Die knallroten Packungen mit der weißen Aufschrift „Andraschko“ sind nicht zu übersehen. In allen Lokalen in Berlin Mitte, in denen man derzeit gerade sein muss, gehört ihnen das Regal gleich über der Espressomaschine: in der Sandwichbar Zuckermann ums Eck des Szene-Hotels Amano, im hippen Pastrami-Zentrum Mogg & Melzer oder dem eindrucksvollen Pauly Saal in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule. Und im entspannt-mondänen Grill Royal direkt an der Spree sowieso. Andraschko-Kaffee ist eines der kulinarischen Szene-Assets der Stadt, die roten Packungen signalisieren, dass man hier richtig ist, wenn man dazugehören will. Das ist in Berlin ja nicht ganz unwichtig.

Umso unscheinbarer ist der Ort, wo die hippsten Bohnen Deutschlands geröstet werden: ein alter Industriebau in Kreuzberg-Friedrichshain, vorne an der Köpenicker Straße, kleine Wohnungen, hinten hinaus Manufakturen, Studios, Kleinbetriebe. Das war vor hundert Jahren schon so angedacht, erklärt Willy Andraschko, und das habe sich bis heute kaum geändert. Außer den Baulücken, die die Bombardements des Zweiten Weltkriegs ins Ensemble rissen und die bis heute nicht wieder geschlossen wurden. Sie dienen als Parkplatz.

Ein Lastenaufzug oder ein finsteres Stiegenhaus bringen einen in den vierten Stock. Nichts verrät, dass hier einer der besten Kaffees des Landes geröstet wird, die Logos an der Tür sind klein und leicht zu übersehen, keine Flotte von knallroten Firmenwagen, nicht einmal der Duft von geröstetem Kaffee weist darauf hin, was in dem Loft da oben passiert. Der so unvergleichliche Duft strömt einem erst entgegen, wenn man den Raum betritt, eine Garagen-Rösterei gewissermaßen, Regale mit Etikettenrollen, Kartons und bereits fertig abgepackten Paketen gleich neben italienischen Hightech-Paketiermaschinen, Dosen mit edlen Marken-Tees und -Kakaos, die als Sortimentsergänzung dienen, neben Plastikfässern zum Auslüften der soeben gerösteten Bohnen und Jutesäcken mit Rohkaffee. In einer Nische stehen funkelnde Espresso-Generatoren von La Marzocco und Rocket, Chargenröster, Waagen und Mühlen, Kochstellen für japanische Filterkaffee-Wasserkannen, ein hell erleuchtetes Kaffee-Labor. Am anderen Ende des Lofts zwei Probat-Röster und die Container für die Rohkaffees, alles in strahlendem Andraschko-Rot. Da weiß jemand ganz offensichtlich nicht nur, was er will, sondern auch, wie er darauf aufmerksam macht.

Dabei kam Willy Andraschko sehr zufällig zum Kaffee, ebenso zufällig wie nach Berlin. „Ich war ein jugendlicher Auswanderer, ein Weltenbummler, ein Flüchtling vor der Gesellschaft, ein Kaffeehausgänger, ein Hippie.“ Das Wien der 1970er war für den damals gerade Zwanzigjährigen unerträglich öd und grau, er ging ein Jahr nach Indien, Amerika hätte die nächste Station werden sollen. Unterwegs lernte er aber einen Kumpel kennen, der ihn mit nach Berlin nahm, das ihm in den späten 70ern genau richtig nonkonformistisch und anti-bürgerlich war, „da konnte man einfach was machen, das spürte ich genau“. Wenige Tage nach seiner Ankunft lernte Andraschko Uschi Bachauer kennen, eine Grazerin, die ein paar Monate zuvor ihr Café Einstein in der Villa Roßmann in der Kurfürstenstraße gegründet hatte, und der Weltenbummler spürte seinen Kaffeehausreflex anschlagen.

Das Einstein-„Stammhaus“ wurde schließlich nicht nur ein Wiener Kaffeehaus mit allen Schikanen, sondern das Wiener Kaffeehaus in Berlin schlechthin, mit Künstlern, Denkern, Bohèmiens, wie das eben so sein muss. Das zweite Einstein eröffnete 1996 an der besten nur denkbaren Adresse dieser Tage, Unter den Linden, 150 Meter vom Brandenburger Tor entfernt. Dieses Café, das Andraschko mit dem Schauspieler Gerald Uhlig gemeinsam betrieb, wurde allerdings nicht mehr nach dem Wiener Vorbild geformt, der Szene-Cafetier wollte einen nächsten Schritt, die Kaffeehausidee weiterdenken, „nichts Historisierendes mehr“, die legendären Einstein-Sitzbänke und Thonet-Sessel ließ man in Paris mit Schuh-Leder tapezieren, das Ergebnis war eine Mischung aus Wien, Paris, Triest und New York, passend für das sich gerade als neue Metropole definierende Berlin und dementsprechend auch überaus erfolgreich.

Mit dem Rösten eines eigenen Kaffees begann Willy Andraschko schon Anfang der 80er, und zwar aus der Not heraus, denn der italienische Marken-Kaffee, mit dem das Café Einstein damals arbeitete, wurde zwar in italienischen Marken-Verpackungen angeliefert, aber von einem Großröster in Deutschland hergestellt – in mitunter unerträglicher Qualität. Andraschko suchte also in Italien nach Anbietern, klein, handwerklich und qualitätsverliebt. Und er fand Andrea Trinci, einen Qualitäts-Spinner, der in Agliana bei Pistoia extrem ambitioniert mit Wein handelte und Kaffee nach Familientradition archaisch über Holz röstete. 2.500 Kilo Einstein-Kaffee wurden dort dann pro Jahr geröstet, und das schon Mitte der 80er Jahre, noch lange vor dem weltweiten Espresso-Hype.

Als Trinci sein Unternehmen jedoch an eine Gruppe italienischer Großindustrieller verkaufte (è-group) und die Qualität spürbar nachließ, beschloss Andraschko, das mit dem Rösten überhaupt selbst zu machen: zuerst mit einer kleinen Zwölf-Kilo-Rösttrommel im Lokal, was sich aber als nicht so gute Idee herausstellte. „Der Röstgeruch ist nicht jedermanns Sache und stellte sich außerdem als extrem appetitmindernd heraus.“ Schlechte Voraussetzungen für ein Lokal. Die Einstein-Rösterei übersiedelte nach Charlottenburg an die Spree.

Im Jahr 2005 verkaufte Andraschko seine Anteile an der Einstein-Gruppe, die inzwischen aus zwölf Cafés und Coffeeshops, Rösterei und Cateringunternehmen bestand, und begann, gemeinsam mit seiner Frau Elisabeth den ganz persönlichen, eigenen Kaffee zu machen. Selbstverständlich nach dem Modell des norditalienischen Espresso, dem Idealbild des Kaffeegenusses für Willy Andraschko, aber halt schon auch mit Einflüssen der aktuellen Kaffeetendenzen, „die Trennlinie ist da eher unklar“. Jedenfalls könne man heute, wo es ein reichhaltiges Angebot an erstklassigen Kaffeequalitäten gebe, wo Plantagenbesitzer verstanden haben, worum es geht, wo nachhaltig und qualitativ gearbeitet werde, „endlich diese Espressos umsetzen, die man immer schon im Kopf hatte“. Wuchtig will er sie, wuchtig, aber definiert. Andraschko spannt einen Siebträger mit Kaffee aus Kolumbien in die Marzocco-Maschine, von einer Farm, von der er besonders überzeugt ist, von Enthusiasten betrieben, „ein Blumenparadies und natürlich alles bio“. Reiner Arabica, aber etwa ein Zentimeter haselnussbraune Crema, dunkel, rauchig, karamellig und mit leichten Holznoten, wunderbar.

Interaktion mit den Farmern ist das qualitative Leitmotiv des Berlin-Wieners, er besucht alle Farmen, mit deren Bohnen er arbeitet, versucht ihre Philosophie zu verstehen, das Potenzial ihrer Plantagen zu erkennen. „Ich kenne die Leute, schaue ihnen in die Augen, arbeite nur mit denen, die mir gefallen.“ Ausschließlich Bohnen solcher „visited farms“ zu rösten, ist sein mittelfristiges Ziel, sechs sind es bisher, acht werden es 2013 sein, in Kolumbien, Panama, Guatemala, Costa Rica, Indien, Tansania und in Brasilien, Partner in Indien und Äthiopien sucht er noch. Preise, die über dem New Yorker Kaffeepreis-Index liegen, verstehen sich von selbst, Andraschko will dafür aber auch kontinuierliche Topqualität, „weil auch wenn Schwankungen für ein paar Kaffeefreaks vielleicht lustig sind, in der Paris Bar, dem Grill Royal und dem Romanischen Café im Waldorf Astoria kann ich denen so aber nicht kommen“.

Dementsprechend besteht das Sortiment aus balancierten Mischungen, die Jahrgangsschwankungen auszugleichen vermögen, einer milderen Wiener Mischung, einer Bar-Italia-Mischung nach alter Rezeptur aus Triest, einer Mischung namens „Pure Origins“, biologisch einerseits, andererseits aus Andraschkos Stamm-Farmen, und einer Mischung namens „Grand Cru“, in der nur Bohnen aus Toplagen mit dem „Cup of Excellence“-Siegel Verwendung finden. Am preislich oberen Ende positioniert sich Andraschko mit einer extrem interessanten Cuvée afrikanischer Topkaffees und einer Prestige-Cuvée, die aus so namhaften Singles wie Jamaica Blue Mountain und anderen hochpreisigen Raritäten arrangiert wird. Elf Tonnen Rohkaffee kommen derzeit monatlich in die beiden Trommeln, „und es wird jedes Monat mehr“.

Was auch der Grund für eine Übersiedelung sein wird, die Umrisse der neuen 120-Kilo-Trommel sind auf dem roten Boden des Kreuzberger Industrie-Lofts zwar markiert, es geht sich aber einfach nicht aus. Abgesehen davon, dass Andraschko nicht rösten kann, wenn der Wind von Westen kommt. „Das habe ich mir mit den Nachbarn so ausgemacht.“ Aber auch nach der mit dem Standortwechsel einhergehenden Vergrößerung wird die Rösterei klein bleiben, Handwerklichkeit ist ein Prinzip: „180-Kilo-Trommelröster sind die Grenze des handwerklichen Röstens, für mich ist beim 120-Kilo-Gerät Schluss.“

Nicht Schluss ist erfreulicherweise seine Beziehung zu Wien. In der neuen Wein- und Kaffeebar von Michaela Klein und Helmut Unger im Hochhaus in der Herrengasse kann Willy Andraschkos Kaffee erstmals in seiner alten Heimat bestellt, gekauft und getrunken werden. Und auch auf einer anderen Ebene pflegt er die Verbindung mit Wien, nämlich als Mitglied der Gruppe „Moka Consorten“, in der kaffeehausaffine Menschen wie der Journalist Christian Ankowitsch und Architekten wie Hermann Czech oder Gregor Eichinger über die Fortführung des Prinzips Kaffeehaus nachdenken – sowohl hinsichtlich der Philosophie dieses metaphysischen Gastraumes als auch ganz pragmatisch, gastronomisch, handwerklich. Und debattiert wird darüber entweder online oder ganz klassisch analog, an einem Marmortischchen irgendwo, bei einer Tasse Kaffee.

Bezugsquellen

Andraschko Kaffeemanufaktur
Köpenicker Straße 154,
10997 Berlin,
Tel.: +49/30/69 59 86 87,
www.andraschkokaffee.com

Unger und Klein im Hochhaus
Herrengasse 6–8, 1010 Wien,
Mo.–Fr. 8–22, Sa. 10–22 Uhr,
www.imhochhaus.at

Unger und Klein
Gölsdorfgasse 2, 1010 Wien,
Tel.: 01/532 13 23,
Mo.–Fr. 15–24, Sa. 17–24 Uhr,
www.ungerundklein.at