Nachhilfe für die Heimbar

Ein Negroni verkürzt die Wartezeit auf das Grillfleisch, ein Caipirinha sorgt für Sommergefühle: Der Sommer lässt auch Heimbar-Muffel die Rührgläser entstauben und zum Limetten-Stößel greifen. Doch gerade die vermeintlich einfachen Longdrinks verzeihen keinen Fehlgriff. Umgekehrt zaubern die gesammelten Tipps der Cocktail-Profis sogar Subtilität in einen Gin & Tonic.

Text von Roland Graf Foto von Cultura Creative (RF) / Alamy Stock Foto

Studienabbrecher mögen sich viele finden unter den internationalen Bar-Koryphäen, aber sicher keine Physik-Nullen. Denn ohne Basiskenntnisse über Strömungsverhältnisse und spezifisches Gewicht von Flüssigkeiten werden nun einmal keine Cocktails gemixt. Das zeigt schon ein simpler Aperol Spritz, ohne den für viele der Sommer scheinbar gar nicht denkbar ist. Die Eselsbrücke für die Zutaten lautet 3-2-1, also drei Teile Prosecco, zwei Teile Aperol und ein Teil Soda. Hier kann man also wenig falsch machen – außer man legt sich mit der Physik an. Denn schulmäßig muss der Prosecco als erstes ins Glas. Die Flüssigkeit mit der höheren Dichte, also eindeutig der Aperol, sinkt durch ihn hindurch. Das sieht erstens hübscher aus und verhindert zweitens, dass der Likör am Boden klebt, während der Prosecco darauf „schwimmt“. Umrühren könnte man natürlich, aber dann wird natürlich auch mehr Kohlensäure entbunden. Der ersehnte Frischekick geht flöten, aus dem „Spritz“ wird ein Nix.

Diesen vermeintlichen Fehler machte man allemal in der Frühzeit der Cocktail-Kultur, als die so genannten Pousse Cafés die Theken regierten. Dabei wurden bewusst verschieden „dichte“ Flüssigkeiten übereinandergeschichtet, wie es später auch wieder in den 1980ern, der Ära der klebrigen Liköre und Schirmchen-Drinks, en vogue war. Malen nach Zahlen im Cocktailglas. Gegen den langsam zu Boden sinkenden Nebel eines perfekten Negroni verblassen derlei Farbschachtel-Exzesse allerdings. Die pure Eleganz dieses von der Schwerkraft gezähmten Sturms im Cocktailglas ist Yoga, das Likör-Stapeln Disco-Tanz.

Je mehr ein Mixgetränk also von der Frische lebt, desto leichter kann man es im Sommer verhauen. Das gilt auch für den momentanen Immer-noch-in-Drink, der so einfach scheint, dass er jahrelang nur als Verlegenheitsbestellung an der Bar durchging. Wie aber macht man einen perfekten Gin & Tonic (auch das „und“ respektive „&“ zeigt, dass er nun seriös geworden ist)? Den Trick dafür hat Boris Ivan parat, der das Tonic einarbeitet wie den Eischnee in einen Kuchenteig: Unterarbeiten ist das Geheimnis des „Ultimate G & T“. Der Slowake, der bis Mai in der Bar Galvin at Windows im noblen Londoner Stadtteil Mayfair mixte, lehrt die Technik für das Sherry-Haus Gonzales Byass, das auch den Premium Gin „London No. 1“ führt.

Das Fünf-Stufen-Programm. Gierig die Flasche Tonic auf den Gin leeren geht für Ivan gar nicht, er füllt zunächst ein bauchiges Glas mit großem und möglichst viel Eis an. „Eine kurze Runde damit fahren“, rät der Gin-Experte und meint damit entweder das Glas zu drehen oder das Eis mit dem Rührlöffel zu bewegen. Sollte sich Schmelzwasser bilden, wird das noch ausgeleert. Das war Schritt zwei, ehe „so viel Gin hineinkommt, dass man das Blau erkennen kann“. Spanische Longdrink-Freunde sehen das wohl erst bei sechs Zentilitern und mehr. Mathematische Naturen seien hingegen versichert, dass ein Mischungsverhältnis Gin zu Tonic von 1:2 ideal wäre. Doch zuvor wird mit dem langen Barlöffel vorsichtig nochmals das Eis bewegt.

Erst dann kommt Boris Ivans Clou: Den Barlöffel entlang sollen die Tonic-Bubbles in das Glas wandern. Je mehr Kohlensäure-Bläschen – daher der Eischnee-Vergleich – das Wacholderaroma tragen, desto besser und frischer zugleich schmeckt das Ergebnis. Hingucker ist die Ameisenstraße in Tonic-Form in jedem Fall. Fehlt nur noch Schritt 5: Ein paar Spritzer des ätherischen Öls von einer Zitronenschale, von Profis Lemon Twist genannt, auf die Oberfläche und dann die Zeste im Glas versenken.

Hyperurbanismus am Shaker. Der kleine Mehraufwand, der Barprofis von Laien, die schnell einmal für die Grillparty mixen, unterscheidet, zeigt sich hier deutlich. Zeit ist eine der Hauptzutaten, könnte man sagen. Doch nicht immer bringt ein „Mehr“ auch bessere Ergebnisse. Der selbst ernannte Qualitätsfanatiker kann auch leicht scheitern, wie einer der beliebtesten Sommerdrinks zeigt. „Laien greifen gerne zu braunem Rohrzucker“, schildert Peter Müller den Kardinalfehler bei einer hausgemachten Caipirinha. Der langjährige Barchef des K.u.k Hofbeisl in Bad Ischl sieht den beliebten Sommerdrink, in den noch Limetten und der Zuckerrohr-Brand Cachaça gehören, als Paradebeispiel eines nur vermeintlich einfachen Rezepts. Denn auch hier kann man die Harmonie aus Süße und Säure schnell ruinieren. „Die meisten verwenden zu Hause den braunen Zucker aus dem Supermarkt und der hat besonders große Kristalle“, nennt der Oberösterreicher einen Grund für gestörte Balance. Das erzürnt nicht nur Brasilianer, die ihre National-Spirituose (allein vom Marktführer „Cachaça 51“ werden jede Sekunde 104 Portionen zwischen Brasília und Belem, Manaus und Fortaleza konsumiert!) so gut wie immer mit weißem Zucker und Limettenstücken mischen.

„Exotischer“ zu mixen, als es das Original erfordert, erinnert an den Proleten, der ein „ü“ sagt, wo keines gehört, wenn er elegant wirken will – also: „Da habe ich mich gedückt“ – ein von Sprachwissenschaftlern mit dem schönen Wort Hyperurbanismus bezeichnetes Phänomen. Man will auch beim Zerstoßen der Limetten-Achteln, dem so genannten „Muddlen“, smarter wirken als man ist. Nur, dass dann eben der Cocktail erst recht misslingt. „Der scharfkantige braune Zucker reißt dir dabei so richtig die bitteren Partien aus der Limette“, schüttelt Profi Müller diesmal nicht den Shaker, sondern den Kopf. „Da ist der Haushaltszucker noch besser geeignet“, meint der Ischler. Sein genereller Rat, wenn Zitrusfrüchte in den Drink kommen (und keine reine Dekoration am Glasrand sind), lautet: „Radikal die weißen Partien abschneiden, sie machen den Drink bitter.“

Gletscherblind vom Daiquiri. Zitrusfrüchte, selbst für Profis schwer in gleichbleibender Qualität zu bekommen, sind aber noch die leichte Übung. Eine Cocktail-Zutat, die der Laie meist gar nicht als solche wahrnimmt, entscheidet über subtilen Geschmack oder wässriges Drink-Etwas. „Eis ist fast immer absolut essentiell für den Cocktail“, hat es der legendäre Harry Craddock schon 1930 im ikonischen „Savoy Cocktail-Book“ formuliert. Denn genau genommen gäbe es ohne das gefrorene Wasser keine moderne Cocktailkultur. Die meist unhinterfragte Bezeichnung „American Bar“ besagt schließlich nichts anderes, als dass dort mit Eis gearbeitet wird. Davor blieben die Drinks der britischen Oberklasse ebenso ungekühlt, wie die Rum-Ration, die sich Seeleute mit Wasser, Zucker und Limetten genehmigten. Den Wendepunkt stellte die Eröffnung der „Wenham Lake Ice Company“ 1844 dar, die in London die Getränkerevolution auslöste. In Zeiten der Segelschiff-Fahrt machte sich niemand über den CO2–Ausstoß Gedanken. Denn die Blöcke wurden aus Amerika angeliefert, Verluste von 50% der Ladung durch das Schmelzen waren keine Seltenheit.

Auf das – keineswegs immer gesundheitlich unbedenkliche – Eis von Seen oder dem Hudson River ist heute niemand mehr angewiesen. Doch die Verfügbarkeit des Gefrorenen sorgt auch für laxen Umgang mit den Würfeln. Die Gretchen-Frage für Heim-Bartender lautet nämlich: Wie hältst Du’s mit der Dilution? Ein kräftiger Drink verträgt die Verwässerung, die der Profi-Ausdruck bezeichnet. Im Idealfall setzt das Schmelzwasser sogar feine Aromen frei – wie man es vom Tropfen Wasser im Whisky-Glas kennt. Für bereits perfekte Süße-Säure-Balance im Cocktail-Glas ist das Wässern aber der Tod. Die Regel hierzu lautet: Je größer der Eiswürfel, desto langsamer schmilz er. Crushed Ice hat in den meisten Drinks also nichts zu suchen, außer man ist Wirkungstrinker wie Ernest Hemingway: „Er hatte doppelte Daiquiris getrunken, […] die Constante in überfrorenen Gläsern servierte, so dass sie nicht nach Alkohol schmeckten“. Die Hommage des Nobelpreisträgers gilt seinem kubanischen Leib-Mixologen Constante Ribalaigua aus der „Floridita“. Dort wurden die Daiquiris mit Crushed Ice zubereitet – „der sechste oder achte schmeckte, als führe man einen Gletscher hinunter und wäre nicht angeseilt“.

Respektvoll die Kugel geben. „Respektvoll kühlen“, wie es Bert Jachmann nennt, geht allerdings anders. „Wenn ich die Chance habe, arbeite ich gerne mit frisch geschlagenen Eisbrocken“, so der Barchef der „Heuer“-Bar am Wiener Karlsplatz. Das massive Eis kühlt einerseits perfekt, „außerdem ist die individuelle Form und die Klarheit des Eises ein Kompliment für jede Spirituose und macht aus simplen Drinks eine Augenweide“. Perfekt, um einen Drink auf Temperatur zu halten, ihn geschmacklich aber nicht wesentlich zu verändern, seien vor allem die seit einiger Zeit so beliebten Eisbälle. Und in Zeiten von Retro-Barkeeping wird natürlich auch gekühlt wie zu Zeiten der „Wenham Lake Ice Company“. In Singapur beispielsweise überwacht Philip Bischoff in der „Manhattan“-Bar allnächtlich, wie aus einem Quader Eis zunächst Stäbe gesägt werden und dann Würfel herausgeklopft werden. Für den privaten Grillabend ist dann doch ein wenig zu viel des Guten. Zumal die mondänen Eis-Formen für Kugeln mit sechs Zentimetern Durchmesser leicht erhältlich sind. Es gibt sie etwa in den Spezialshops Barstuff (die Form für drei Stück kostet 4,66 Euro, www.barstuff.de) oder Cocktailian (um 7,57 Euro, www.cocktailian.de). Letzterer führt auch Profi-Eisformer in Gehirn-Optik. So signalisiert der private Barkeeper seinen Gästen auch gleich, wie sehr er mitdenkt beim Mixen.

Perfect G & T

4 cl Dry Gin (z. B. London Nr. 1.)
1 Zitronenzeste
12 cl Tonic

Glas: Highball oder Ballon-Glas
Garnitur: Limettenschale und Wacholder
Alle Zutaten auf einem großen Eisblock im Rührglas vermengen und ins Gäste­glas gießen. Glas mit Eis füllen, Zitronenschale ins Glas geben und das Eis mit dem Barlöffel im Kreis bewegen, bis das Glas beschlägt. Überschüssiges Schmelzwasser abgießen, Gin zugießen. Geöffnete Tonic-Flasche mit dem Rücken des Barlöffels zuhalten und langsam Tonic den Löffel entlang ins Glas laufen lassen. Limettenschale und Wacholderbeeren ins Glas geben und servieren.

Ein Glas Gin Tonic mit Eiswürfeln, Limetten und Blütendeko

Aperitivo Spritz

(Mariù Salvatori de Zuliani, aus: „Venezia nel bicchiere“, 1979)

15 cl trockener Weißwein
5 cl „irgendein Bitter (z. B. Cynar, China Martini, Bitter Campari)“

Glas: Weinglas
Garnitur: Zitronenzeste
Das erste (hand-)schriftliche Rezept des „Spritz“ wurde auf Friulanisch abgedruckt und stammt aus dem Haushalt von Donna Salvatori de Zuliani. Es soll aus Padua stammen und hat wenig mit späteren Versionen gemeinsam. Der Triestiner Kochhistoriker Alessandro Marzo Magno (Il genio del gusto) hat es übersetzt und nimmt an, dass es mit Cynar gemixt wurde. Glas mit dem gut gekühlten Wein füllen und den Likör zugießen. Mit der Zeste garnieren.

Ein Glas Aperol Spritz auf Marmortisch

Spritz Veneziano

(Offizielle Rezeptur der „International Bartenders Association“)

6 cl Prosecco
4 cl Aperol
Soda

Glas: Old Fashioned
Garnitur: halbe Orangenscheibe
Glas mit Eiswürfeln füllen, dann die Orangenscheibe zugeben. Prosecco vorsichtig (seitlich am Eis vorbei) eingießen. Dann in Kreisbewegung den Aperol zugeben und mit einem Teil Soda aufgießen.

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